Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten deckt keinen zu seinem Nachteil wirkenden Rechtsfehler auf. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam beschränkt; sie erstrebt mit der Sachrüge die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes anstelle versuchten Totschlags im Falle II. 4. und die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Sie hat im wesentlichen Erfolg.
1. Im Falle II. 4. hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
Gegenüber dem von einer griechischen Familie betriebenen Restaurant rief eine Gruppe junger Leute ausländerfeindliche Parolen, wie "Ausländer raus", "Arschlöcher" und "Scheißkanaken". Ob der Angeklagte - der gegenüber dem Restaurant wohnte - mit den Jugendlichen gekommen war und sich von Beginn an den Pöbeleien beteiligte, konnte nicht festgestellt werden. Er rief jedoch seinem Freund zu, "einer der Griechen oder der Kanaken" bekomme "heute noch etwas auf die Schnauze" und rannte in seine Wohnung, "um sich für sein Vorhaben die passende Waffe zu holen". Nachdem der Angeklagte zunächst einen Baseballschläger ergriffen hatte, der ihm jedoch von seinem Freund weggenommen wurde, verließ er mit einem Überlebensmesser mit einer 13,5 cm langen Klinge die Wohnung und begab sich - nachdem er seinem Freund, der ihn vor dem Hauseingang "abzufangen" versuchte, einen Messerstich versetzt hatte (weswegen er wegen gefährlicher Körperverletzung - Fall II. 3. - verurteilt ist) - auf die Straße zu den Jugendlichen. Dort "stimmte er in die noch immer andauernden Pöbeleien" ein und rief sinngemäß, "daß Eltern und Großeltern der Griechen besser hätten vergast werden sollen". Außerdem "machte er eine Geste des Kehledurchschneidens". Vor dem Restaurant zerschlug der Angeklagte sodann die Glasscheibe des Speisekartenaushangs. Als daraufhin der Besitzer aus dem Lokal kam, "stach der Angeklagte dem völlig überraschten Mann das Messer gezielt in die linke Halsseite und anschließend sogleich in den Unterbauch und fügte ihm durch diese Stiche jeweils Verletzungen zu, die tödlich hätten sein können". Dem Opfer gelang es, den Angeklagten zu Boden zu reißen. Hierbei stach der Angeklagte dem Opfer mindestens noch ein weiteres Mal das Messer in den Bauch, bevor er von Helfern überwältigt werden konnte. Das Opfer konnte aufgrund einer sofortigen Notoperation gerettet werden.
2. Das Landgericht hat die Tat rechtsfehlerfrei als vorsätzliche versuchte Tötung beurteilt. Es hat aber das Vorliegen einer versuchten Tötung aus niedrigen Beweggründen verneint, weil es "keinen tragenden Beweggrund für die Tat" habe feststellen können; letzteres beanstandet die Staatsanwaltschaft zu Recht.
a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig" sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, mithin in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (vgl. BGHSt 35, 116, 127; BGH StV 1996, 211, 212). Dieser Anforderung werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht.
Allerdings hat das Landgericht sich mit der Frage, welche Motive der Tat zugrunde liegen, durchaus auseinandergesetzt. Der Angeklagte sei "wütend" auf "den Griechen" gewesen. Den Grund für diese "Wut" hat das Landgericht nach seinen Ausführungen aber nicht ermitteln können. Die Darlegungen dazu sind indes so unvollständig, daß sie rechtlicher Prüfung nicht standhalten: Zwar ist es aus Rechtsgründen für sich nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht "Ausländerhaß" als tragendes Motiv nicht hat feststellen können; bei dieser Wertung hat der Tatrichter die Persönlichkeit des Angeklagten, seinen Werdegang und sein Umfeld sowie auch seine "unsägliche(n) Äußerung(en)" berücksichtigt. Das Landgericht hat die daneben naheliegende Möglichkeit, der Angeklagte habe "einer von ihm als ausländerfeindlich erkannten Gruppe imponieren wollen", ebenfalls erwogen. Die Wertung, auch solch ein Beweggrund könne jedoch nicht festgestellt werden, ist indes schon schwerlich mit der Feststellung vereinbar, der Angeklagte habe seinen "neuen Freunden zeigen wollen, er sei einer der ihren"(UA S. 15). Danach könnte tragendes Motiv für das Handeln des Angeklagten das Bestreben gewesen sein, in der Gruppe als gleichberechtigt anerkannt zu werden. Das Töten aus solchem Grund ("Imponiergehabe") kann einen niedrigen Beweggrund darstellen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 27). Der Tatrichter hat auch das verworfen und es in der Beweiswürdigung letztlich bei dem Hinweis bewenden lassen, das Motiv der Tat sei "im Dunkeln geblieben". Dies begründet die Besorgnis, daß das Landgericht insgesamt an die zur Feststellung eines Motivs erforderliche Gewißheit zu hohe Anforderungen gestellt hat. Voraussetzung für die Überzeugungsbildung des Tatrichters ist nicht eine absolute, das Gegenteil "zwingend", d. h. denknotwendig ausschließende Gewißheit. Vielmehr genügt ein Maß an Sicherheit, bei dem nach der Lebenserfahrung vernünftige Zweifel nicht mehr bestehen (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 22). Die festgestellten Gesamtumstände, insbesondere das Ausmaß an Wut und Intensität, von dem das gesamte Vorgehen des Angeklagten im Zusammenhang mit der Tat geprägt war, sowie seine Äußerungen lassen es nicht als nachvollziehbar erscheinen, daß eine andere Motivation als Ausländerhaß oder "Imponiergehabe" - gegebenenfalls kombiniert und so nicht minder "niedrig" - tragender Anlaß für den Tötungsversuch war.
b) Die Feststellungen des Tatrichters zum Geschehensablauf und zum Tötungsvorsatz im Falle II. 4. sind rechtsfehlerfrei; sie können bestehen bleiben. Aufzuheben sind lediglich die mangelhaften Feststellungen zum Motiv, damit der Schuldspruch und die Einzelstrafe im Fall II. 4., weil eine Verurteilung wegen versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen anstelle versuchten Totschlags naheliegend in Betracht kommt. Eine Änderung des Schuldspruchs durch den Senat kann nicht erfolgen, weil die bisherigen Feststellungen zur Motivation des Angeklagten widersprüchlich sind und der nochmaligen Prüfung durch einen neuen Tatrichter bedürfen. Die Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II. 4. (sechs Jahre Freiheitsstrafe) führt zur Aufhebung der Gesamtstrafe. Der Senat schließt aus, daß die weiteren Einzelfreiheitsstrafen (neun Monate wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte - Fall II. 1. -, ein Jahr und drei Monate wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - Fall II. 2. -, ein Jahr und sechs Monate wegen gefährlicher Körperverletzung - Fall II. 3. -) von dem Rechtsfehler beeinflußt worden sind; sie können daher bestehen bleiben.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß bedingter Tötungsvorsatz der Annahme des Mordmerkmals "aus niedrigen Beweggründen" nicht entgegen steht (vgl. BGH, Beschluß vom 11. Juni 1986 - 4 StR 275/86 -; Tröndle StGB 48. Aufl. § 211 Rdn. 11). Der Angeklagte hat sich neben dem versuchten Tötungsdelikt auch der - tateinheitlich verwirklichten - gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht. Die Klarstellungsfunktion der Tateinheit gebietet es, die vollendete gefährliche Körperverletzung auch im Schuldspruch zum Ausdruck zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 1998 - 4 StR 272/98 -, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
Fundstellen
Haufe-Index 2993596 |
NStZ 1999, 128 |
NStZ 1999, 129 |