Leitsatz (amtlich)

›1. Das Rechtsmittel des Nebenklägers wirkt auch zugunsten des Angeklagten.

2. Zur alkoholbedingten Verminderung des Hemmungsvermögens.‹

 

Verfahrensgang

LG Tübingen

 

Gründe

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung der Nebenkläger hat keinen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten ergeben. Die Angriffe der Nebenkläger gegen die Anwendung von Jugendstrafrecht auf den zur Tatzeit erst 18 Jahre und 9 Monate alten Angeklagten sind offensichtlich unbegründet.

Nach § 301 StPO, der - wie sich aus § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO ergibt - auch für die Revision des Nebenklägers gilt (vgl. die Nachweise bei Ruß in KK § 301 Rdn. 2; ferner BGH, Beschl. vom 22. Oktober 1986 - 3 StR 377/86), wirkt das Rechtsmittel jedoch auch zugunsten des Angeklagten. Die danach gebotene Überprüfung des Urteils auf den Angeklagten belastende Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

Die Jugendkammer geht davon aus, daß der Angeklagte in seiner Schuldfähigkeit nicht erheblich beeinträchtigt war, obwohl er in den sechs Stunden vor der Tat "maximal 4 l Bier und 4 Whisky/Cola" getrunken hatte. Sie meint, daraus ergebe sich für den Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von höchstens 2,0 o/oo, die "angesichts der Alkoholgewöhnung des Angeklagten und insbesondere auch in Anbetracht der vom Angeklagten zur Tatzeit, d.h. vorwiegend beim geräuschlosen Einstieg in den Heizraum ... noch gezeigten enormen Geschicklichkeit zu keiner erheblichen Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit geführt" habe. Diese äußerst knappe Begründung begegnet in mehrfacher Hinsicht rechtlichen Bedenken:

Das Landgericht teilt nicht mit, wie es die höchstmögliche Blutalkoholkonzentration berechnet hat. Ohne Kenntnis der Anknüpfungstatsachen (Alkoholmenge, Gewicht des Angeklagten, Resorptionsdefizit, stündlicher Abbau) ist es dem Revisionsgericht nicht möglich, die Berechnung nachzuprüfen (zur Berechnungsmethode vgl. z.B. BGH DAR 1986, 326; BGH NStZ 1986, 114; 1986, 311). Die mitgeteilten Trinkmengen lassen eine Alkoholaufnahme von rund 190 g möglich erscheinen. Die vom Tatgericht errechnete Blutalkoholkonzentration von nur noch 2 o/oo für den Tatzeitpunkt liegt unter diesen Umständen sehr niedrig. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß bei der Rückrechnung der Grundsatz "in dubio pro reo" unbeachtet geblieben ist.

Abgesehen davon, daß danach offen bleibt, ob die Jugendkammer von einer zutreffenden Blutalkoholkonzentration ausgegangen ist, lassen insbesondere die Ausführungen, mit denen eine Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ausgeschlossen worden ist, die erforderliche Abwägung aller Umstände vermissen. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob der noch sehr junge Angeklagte zu Recht als alkoholgewohnt charakterisiert worden ist; die Feststellungen enthalten hierzu keine näheren Angaben. Selbst wenn aber diese Wertung und auch die Würdigung, das geräuschlose Einsteigen durch eine 50 x 60 cm große Kellerluke zeige "enorme Geschicklichkeit", zuträfen, wäre das kein hinreichendes Argument für die Annahme der vollen Schuldfähigkeit. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt betont, daß erfahrene, alkoholgewohnte Trinker sich meist im Rausch noch motorisch kontrollieren und äußerlich geordnet verhalten, obwohl ihr Hemmungsvermögen möglicherweise schon erheblich beeinträchtigt ist, daß deshalb zielgerichtetes Handeln und planmäßiges Vorgehen für sich allein nur einen beschränkten Beweiswert haben (BGH NStZ 1981, 298; 1982, 243; 1983, 19; 1984, 408, 409; BGH DAR 1985, 388, 389; BGHSt 34, 22, 26 m.w.N.).

Notwendig ist eine Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Angeklagten, eines etwa gegebenen Affektes und seines Verhaltens vor und nach der Tat (BGHSt 34, 22, 26). Daran fehlt es hier, obwohl die Besonderheiten eine eingehendere Begründung aufdrängten: Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte die geplante Tat nicht in ihren Einzelheiten durchdacht, ihm war nicht einmal der "naheliegende Gedanke" gekommen, das Mädchen werde "spätestens während des von ihm beabsichtigten Geschlechtsverkehrs aller Voraussicht nach aufwachen und um Hilfe rufen". Beim Erwachen des Tatopfers und den Hilferufen reagierte er deshalb sofort mit Flucht.

Erst als das Mädchen das Licht einschaltete und er sich erkannt sah, geriet er "in eine gewisse Panikstimmung" und entschloß sich "in einer Art Kurzschlußhandlung" zur Tötung.

Es läßt sich danach nicht ausschließen, daß das Landgericht die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit zu niedrig angenommen hat und daß es bei umfassender Würdigung aller Tatumstände nicht nur die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht, sondern auch eine niedrigere Strafe verhängt hätte. Die Tatsache, daß es bei der Zumessung der Strafe sowohl die alkoholbedingte Verminderung der Steuerungsfähigkeit als auch die Panikstimmung und die Kurzschlußreaktion mildernd berücksichtigt hat, steht dem nicht entgegen.

Entscheidend ist, daß es diesen Gesichtspunkten möglicherweise nicht das ihnen für die Bewertung des Schuldgehalts zukommende Gewicht beigemessen hat. Der Strafausspruch hat daher keinen Bestand.

Da das Urteil nach § 301 StPO zugunsten des Angeklagten abgeändert worden ist, steht fest, daß die Revision der Nebenkläger erfolglos im Sinne des § 473 Abs. 1 StPO bleibt (Schikora in KK § 473 Rdn. 12 m.w.N. ). Es besteht deshalb kein Anlaß, die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels dem Tatgericht zu überlassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992889

NStZ 1987, 528

EzSt StPO § 401 Nr. 1

NStE StGB § 21 Nr. 17

StV 1987, 528

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge