Leitsatz (amtlich)
›Bei einer Blutalkoholkonzentration von 2,6 o/oo ist auch das Hemmungsvermögen eines alkoholgewöhnten Täters mit hoher Wahrscheinlichkeit erheblich vermindert. Andere indizielle Tatsachen, auf deren Grundlage ein gegenteiliges Ergebnis nur möglich oder wahrscheinlich ist, reichen zur Begründung der vollen Schuldfähigkeit nicht aus.‹
Tatbestand
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen Totschlags "in einem besonders schweren Fall" auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt, nachdem der Senat die frühere Verurteilung des Angeklagten in dieser Sache wegen Mordes aufgehoben hatte. Das neuerliche Rechtsmittel des Angeklagten führt zur Berichtigung des Urteilsausspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen ist es im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
1. Die Berichtigung der Urteilsformel ist deshalb geboten, weil die Kennzeichnung der Handlung des Angeklagten als besonders schweren Fall nicht zur rechtlichen Bezeichnung der Tat im Sinne von § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO gehört (BGHSt 23, 254; 27, 287, 289).
2. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht die volle strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten für den von ihm begangenen Totschlag rechtsfehlerhaft bejaht hat.
a) Der Angeklagte tötete nach einer Auseinandersetzung, die sich mit Unterbrechungen über etwa vier Stunden erstreckte, Frau M. dadurch, daß er ihren Kopf mindestens zwei Minuten lang in eine mit Wasser gefüllte Badewanne drückte. Zu diesem Zeitpunkt war Frau M. infolge der Mißhandlungen bereits schwer verletzt. Im Laufe der Auseinandersetzung hatte die alkoholische Beeinflussung des Angeklagten kontinuierlich zugenommen; sie betrug um 22.30 Uhr, als der Angeklagte den Entschluß, Frau M. zu töten, faßte und in die Tat umsetzte, 2,6 o/oo.
b) Das Landgericht billigt dem Angeklagten für die der Tötung vorausgehenden, als (gefährliche) Körperverletzung zu bewertenden Handlungen alkoholbedingte erheblich verminderte Schuldfähigkeit zu. Insoweit sei die Hemmschwelle gegenüber Frau M. durch jahrelange Übung und Gewöhnung herabgesetzt gewesen. Das gelte jedoch nicht für die anschließende Tötung. Die Blutalkoholkonzentration von 2, 6 o/oo habe für sich allein zu keinem Zeitpunkt des Abends einen Ausschluß oder eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit beim Angeklagten bewirkt.
aa) Der Angeklagte sei ein alkoholgewohnter Mann mit guter Alkoholverträglichkeit auch bei größeren Alkoholmengen. Bei einer Rauschtat im Jahre 1972 habe er eine Blutalkoholkonzentration von 2,6 o/oo und bei zwei Trunkenheitsfahrten im Jahre 1978 einmal 1,92 o/oo und ein anderes Mal 2, 6B o/oo Alkohol im Blut gehabt. Obgleich bei einer als versuchte Brandstiftung bewerteten Tat im Jahre 1982 eine Blutalkoholkonzentration von 3 o/oo festgestellt wurde, sei ihm damals lediglich erheblich verminderte Schuldfähigkeit zugebilligt worden.
bb) Im vorliegenden Falle sei der Angeklagte jederzeit voll orientiert gewesen. Er habe einen Film im Fernsehen verfolgen können und keine Erinnerungslücken aufgewiesen. Zeugen die noch bis 21.10 Uhr mit ihm sprachen, hätten keine Anzeichen einer starken Trunkenheit bemerkt. Er habe zwar den Zeugen H. in dessen Wohnung mehrmals in sich steigernder Erregung und alkoholischer Beeinflussung aufgesucht und ihm beim letzten Mal gegen 21.00 Uhr zwei heftige Schläge ins Gesicht versetzt, sich andererseits aber jeweils rasch wieder beruhigen lassen und zuletzt mit dem Zeugen zur Versöhnung eine Zigarette geraucht.
cc) Die Blutalkoholkonzentration habe das Leistungsverhalten des Angeklagten im Zeitpunkt der Tötung nicht merkbar beeinträchtigt, wie sich aus einem Telefongespräch nach der Tat (22.48 Uhr) und seinem Verhalten gegenüber den ab 23.00 Uhr in der Wohnung eingetroffenen Zeugen ergebe. Auf diese habe der Angeklagte keinen stark angetrunkenen Eindruck gemacht. Schließlich habe er noch daran gedacht gehabt, die auffälligsten Spuren der Mißhandlungen des Tatopfers wenigstens notdürftig zu verbergen.
dd) Eine wesentliche Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens "durch die Wiederholung der ... Standardsituation" (die bei den als Körperverletzung zu bewertenden Handlungen gegeben war) scheide bei der Tötungshandlung aus, da dem Ertränken der bereits schrecklich zugerichteten, völlig wehrlosen Frau durch minutenlanges konsequentes Untertauchen ihres Kopfes unter Wasser keine Parallelsituation im bisherigen Leben des Angeklagten entspreche. Der Angeklagte sei weder ein abgestumpfter, abgebauter Trinker, noch habe er zur Tatzeit unter einer für seine Verhältnisse besonders hohen Blutalkoholkonzentration gestanden. Unter den beschriebenen Umständen habe er Hemmungen überwinden müssen, die nicht im Sinne des § 20 oder § 21 StGB abgebaut oder eingeschränkt gewesen seien. Er habe zur Ausführung seines Entschlusses das Badewasser bis zu einer für den beabsichtigten Zweck ausreichenden Höhe einlassen, die wehrlose, schwerverletzte Frau, deren erbarmungswürdiger Anblick sofort ins Auge fiel, vor die Badewanne schleppen, sie in eine knieende Position an den Rand bringen, ihren Kopf unter Wasser tauchen und sodann mehrere Minuten auf den Eintritt des Todes warten müssen.
c) Dieser Bewertung begegnen durchgreifende rechtliche Bedenken. Die Entscheidung, mit der die Schwurgerichtskammer eine erhebliche Verminderung des Hemmungsvermögens beim Angeklagten für den Zeitpunkt der Tötungshandlung verneint, läßt wesentliche, vom Bundesgerichtshof aufgestellte und in ständiger Rechtsprechung aufrechterhaltene Bewertungsgrundsätze außer acht und stützt sich zudem auf rechtsfehlerhaft festgestellte Umstände.
aa) Begeht ein Angeklagter mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,6 o/oo eine strafbare Handlung, dann liegt es besonders nahe, daß er sich in einem Zustand befand, in dem sein Hemmungsvermögen erheblich beeinträchtigt war (vgl. BGH, Beschluß vom 3. Dezember 1980 - 2 StR 257/80; Urteil vom 7. Oktober 1981 - 2 StR 356/81; Beschluß vom 5. August 1983 - 2 StR 427/83; Beschluß vom 21. September 1984 - 2 StR 543/84; Beschluß vom 15. April 1983 - 2 StR 78/83; Beschluß vom 11. November 1982 - 1 StR 699/82 -und Beschluß vom 30. April 1982 - 2 StR 142/82).
Aus einer derart hohen Blutalkoholkonzentration können zwar keine zwingenden Schlüsse auf die geistig-seelische Verfassung des Angeklagten gezogen werden, sie spricht aber mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Verminderung des Hemmungsvermögens auch des alkoholgewohnten Täters. Andere indizielle Tatsachen können zwar ein Anzeichen dafür sein, daß der Angeklagte noch voll schuldfähig war. Es genügt aber nicht, daß auf ihrer Grundlage die volle Schuldfähigkeit nur möglich oder wahrscheinlich ist. Denn durch das weniger gewichtige Indiz kann das schwerer wiegende, dem Angeklagten günstigere, nicht entkräftet werden (vgl. BGH, Beschl. v. 9. Dezember 1986 - 4 StR 643/86 - und vom 18. Dezember 1986 - 4 StR 66B/86; Herdegen in Festschrift für Kleinknecht, München 1985.. 173, 175).
Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Schwurgerichts nicht gerecht. Die vom Landgericht angeführten Gründe, der Angeklagte sei "ein alkoholgewohnter Mann mit großer Alkoholverträglichkeit", der bereits mehrfach in stark alkoholisiertem Zustand straffällig geworden sei, er habe bis etwa eineinhalb Stunden vor der Tat und 20 bis 30 Minuten nach der Tat voll orientiert gewirkt, keine Erinnerungslücken gehabt, und sein Leistungsverhalten nach der Tat sei nicht merkbar beeinträchtigt gewesen, sind hier keine ausreichenden Indizien für den Ausschluß einer erheblichen Verminderung des Hemmungsvermögens. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß planmäßiges, zielstrebiges und folgerichtiges Verhalten ebensowenig wie ungetrübte Erinnerung an das Tatgeschehen der Annahme einer erheblichen Verminderung des Hemmungsvermögens entgegenzustehen braucht. Gerade erfahrene alkoholgewöhnte Täter verhalten sich auch im Rausch meist noch motorisch kontrolliert und äußerlich geordnet, obwohl ihr Hemmungsvermögen womöglich schon fortgefallen oder erheblich beeinträchtigt ist (BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 1986 - 4 StR 643/86; vom 21. Februar 1986 - 2 StR 733/85; vom 25. September 1985 - 2 StR 524/85; vom 10. September 1985 - 4 StR 481/85; BGH NStZ 1982, 243, 376; 1984, 408; BGH Strafverteidiger 1984, 463; 1982, 566).
Dem Leistungsverhalten des Angeklagten etwa eineinhalb Stunden vor der Tat kommt auch deswegen geringe Bedeutung zu, weil sich seine alkoholische Beeinflussung bis zur Tat noch wesentlich steigerte. Das vom Zeugen beobachtete situationsgerechte Verhalten des Angeklagten nach der Tat hat dann nur beschränkten Beweiswert, wenn der Angeklagte durch die Tat ernüchtert worden sein sollte (BGH, Beschluß vom 9. Dezember 1986 - 4 StR 643/86; Beschluß vom 10. September 19B5 - 4 StR 481/85; BGH NStZ 1984, 408; 1983, 19; BGH, Beschluß vom 13. Januar 1982 - 2 StR 808/83). Diese Möglichkeit hätte das Landgericht erörtern müssen. Schließlich spricht das vom Landgericht angeführte wechselhafte und inkonsequente Verhalten des Angeklagten gegenüber dem Zeugen H. eher für eine erhebliche Beeinträchtigung seiner geistig-seelischen Verfassung als dagegen. Auch das Verhalten des Angeklagten nach der Tat war wenig durchdacht und planvoll. Er rief alsbald die Rettungsleitstelle an, obwohl an der Getöteten und nahezu überall in der Wohnung noch deutliche Spuren der massiven Gewaltanwendung zu sehen waren, die seine Erklärung, die Frau habe sich in der Wanne selbst ertränken wollen, fragwürdig erscheinen lassen mußten. Der Angeklagte hatte sich lediglich bemüht, die auffälligsten Spuren notdürftig zu verdecken.
Soweit das Landgericht die Tatsituation selbst untersucht und darauf hinweist, daß eine zusätzliche Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens des Angeklagten - infolge einer Herabsetzung der Hemmschwelle gegenüber körperlichen Mißhandlungen der Frau M. - nicht vorgelegen habe, ergeben sich daraus noch keine objektiven Anhaltspunkte für ein trotz der relativ hohen Blutalkoholkonzentration von 2,6 o/oo intaktes Hemmungsvermögen. Die in diesem Zusammenhang geschilderte Tatvorbereitung, die dafür sprechen könnte, daß das Hemmungsvermögen durch den Alkohol nicht erheblich beeinträchtigt war, beruht in einem wesentlichen Punkt auf rechtsfehlerhaft getroffenen Feststellungen.
Das Landgericht geht davon aus, daß Frau M. sich zu einem früheren Zeitpunkt der Auseinandersetzung in die mit Wasser gefüllte Badewanne gesetzt hatte. Die weitere Einlassung des Angeklagten, zu einem späteren Zeitpunkt habe er "erneut Wasserrauschen im Bad gehört" und Frau M. dann nach einiger Zeit in der Badewanne knien gesehen, hält das Landgericht für widerlegt . Es schließt aus dieser Einlassung dann aber, der Angeklagte habe vor der Tötung selbst erneut Wasser in die (offenbar inzwischen geleerte) Badewanne einlaufen lassen, denn es sei nicht ersichtlich, warum er "wahrheitswidrig das Detail des erneut eingelassenen Badewassers erfinden sollte, wenn die Badewanne tatsächlich noch seit dem ersten Bad gefüllt war".
Gegen diese Annahme bestehen schon deshalb rechtliche Bedenken, weil eine dem Angeklagten widerlegte Einlassung allein nicht zur Grundlage einer anderen Sachverhaltsfeststellung gemacht werden darf. Nur auf sie kann eine Verurteilung ebensowenig gestützt werden wie auf das Scheitern eines Alibis. Zumindest ist zu beachten, daß ein Angeklagter meinen kann, seine Lage durch falsche Angaben verbessern zu können. Deshalb lassen sie regelmäßig keine tragfähigen Schlüsse darauf zu, was sich wirklich ereignet hat (vgl. BGHSt 25, 285; BGH Strafverteidiger 1985, 356; 1986, 369, 371). Im vorliegenden Fall liegt es nicht fern, daß der Angeklagte die Einlassung, er habe "erneut Wasserrauschen im Bad gehört", deshalb gemacht hat, um plausibel zu erklären, warum er ins Bad ging, wo er dann Frau M. in der Wanne vorgefunden haben will.
Die fehlerhafte Beweiswürdigung stellt hier zwar die Täterschaft des Angeklagten und die Tatausführung im engeren Sinne (das Ertränken der Frau) nicht in Frage, entzieht aber einem wesentlichen Teil der Ausführungen die Tatsachengrundlage, auf welche das Landgericht die Verneinung der erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit i. S. von § 21 StGB und die Strafzumessung stützt.
Das wird der neu entscheidende Tatrichter zu beachten haben, auch wenn der Schuldspruch bestehenbleibt.
Fundstellen
Haufe-Index 2992887 |
NJW 1988, 779 |
DRsp IV(456)135g-h |
JR 1988, 208 |
NStZ 1987, 276 |
EzSt StGB § 21 Nr. 12 |
MDR 1987, 509 |
NStE StGB § 20 Nr. 3 |
VRS 73, 36 |
Kriminalistik 1989, 396 |
StV 1987, 341 |