Leitsatz (amtlich)

›Besteht die Schädigungshandlung im Unterlassen einer Aufklärung, so liegt die Kenntnis des Geschädigten vom Schadenshergang erst dann vor, wenn er die Umstände kennt, aus denen sich die Offenbarungspflicht rechtlich ergibt.‹

 

Verfahrensgang

LG München I

OLG München

 

Tatbestand

Die Zweitbeklagte ist die frühere Geschäftsführerin, der Erstbeklagte - ihr Sohn - ist ein früherer Mitarbeiter der O.-GmbH, die sich in den Jahren 1978 und 1979 mit der Vermittlung von Warenterminoptionen befaßt hat. Sie hat ihre Kundenwerbung durch Telefonverkäufer betrieben, die den Interessenten große Gewinnchancen vorgespiegelt haben, ohne ihnen zu offenbaren, daß die O.-GmbH nur etwa die Hälfte der einbezahlten Beträge an der Börse einsetzte und die andere Hälfte für sich behielt. Zahlreiche Anleger, die der O.-GmbH Geldbeträge anvertraut hatten, haben dabei Verluste erlitten. Die Beklagten sind wegen dieses Geschäftsgebarens im August 1982 wegen Betrugs zu Freiheitsstrafen verurteilt worden.

Aus der Zahl der Anleger, die der O.-GmbH Geldbeträge zum Einsatz an der Börse anvertraut haben, haben später 191 Anleger, die in dem Zeitraum zwischen November 1978 und Juli 1979 Verluste erlitten haben, ihre Schadensersatzansprüche an die C. Inkasso GmbH (im folgenden: C.-GmbH) abgetreten. Die C.-GmbH hat - gestützt auf die strafrechtliche Verurteilung der Beklagten - zunächst mit einem am 22. August 1983 beantragten und zwei Tage später zugestellten Mahnbescheid von dem Erstbeklagten die Zahlung von 115.850,23 DM verlangt. Mit einem am 24. Januar 1984 eingereichten und am 27. Januar 1984 zugestellten Schriftsatz hat die C. -GmbH die Klage sodann erweitert und von beiden Beklagten als Gesamtschuldnern Zahlung von 1.611.116,21 DM zuzüglich Zinsen begehrt. Im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens hat sie die Hauptsache in Höhe von 99.090,23 DM für erledigt erklärt. Ferner hat sie mit ihrer Schadensersatzforderung gegen zwei Kostentitel der Beklagten in Höhe von insgesamt (25.715,92 + 3.374 =) 29.089,92 DM aufgerechnet und die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus diesen Titeln beantragt.

Die Beklagten haben ein unredliches Geschäftsgebaren bestritten und die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat die C.-GmbH ihre Klage weiterverfolgt und außerdem beantragt, die Zwangsvollstreckung aus einer weiteren titulierten Kostenforderung der Beklagten von 1.020,30 DM, gegen die sie mit ihrer Schadensersatzforderung aufgerechnet hat, für unzulässig zu erklären. Die Beklagten haben hilfsweise die Aufrechnung mit Gegenforderungen von etwa 1.800.000 DM erklärt.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung der C.-GmbH zurückgewiesen. Nachdem die C.-GmbH gegen dieses Urteil Revision eingelegt hat, ist über ihr Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden. Der Konkursverwalter hat das durch die Konkurseröffnung unterbrochene Verfahren aufgenommen. Er verfolgt die Klageansprüche mit der Revision weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht verneint vertragliche Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten und hält ebenso wie das Landgericht die auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB und § 826 BGB gestützten Klageansprüche für verjährt. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB sei bereits im April 1983, also vor der gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche, abgelaufen, weil die Zedenten so zu behandeln seien, als hätten sie spätestens im April 1980 Kenntnis vom Schaden und der ihm zugrunde liegenden Schädigungshandlung sowie vom Schädiger besessen. Die (ungefähre) Höhe ihres Schadens sei ihnen schon damals durch die Abrechnungen der O. -GmbH bekannt gewesen. Von den eine deliktische Haftung der Beklagten auslösenden Tatumständen hätten die Zedenten bereits im Sommer 1979 durch einen Fragebogen, den das Polizeipräsidium in M. an die geschädigten Kunden der O.-GmbH verschickt habe, Kenntnis erhalten; das gelte insbesondere von dem Umstand, daß die O.-GmbH etwa 50 % der Einzahlungen einbehalten habe, der sich aus der Frage Nr. 19 des Fragebogens ergeben habe. Aus dem Anschreiben zum Fragebogen sei hervorgegangen, daß gegen die "Verantwortlichen" der O.-GmbH wegen Betrugs ermittelt werde. Dies hätten die Zedenten zum Anlaß nehmen müssen, sich bei der Polizeibehörde nach den Personalien der Verantwortlichen zu erkunden; sie hätten dann spätestens im März/April 1980 auch die Namen der Beklagten erfahren, die sich in dieser Sache seit Dezember 1979 in Untersuchungshaft befunden hätten. Diese geringe Mühewaltung sei den Zedenten zuzumuten gewesen; ihre auf Untätigkeit beruhende Unkenntnis der Personalien der Beklagten stehe daher ab März/April 1980 der Kenntnis i.S. von § 852 Abs. 1 BGB gleich. Im übrigen hätten einige Zedenten, die Rechtsanwälte eingeschaltet hätten, die Namen der Beklagten sogar positiv gekannt. Ein Anspruch aus § 852 Abs. 3 BGB scheide aus, weil die Klägerin nicht bewiesen habe, daß die Beklagten persönlich etwas von den Geldbeträgen erlangt hätten, die die Zedenten an die O.-GmbH gezahlt hätten.

II. Da die Beklagte zu 2) trotz rechtzeitiger Ladung im Revisionsverhandlungstermin nicht vertreten war, mußte gegen sie auf Antrag des Revisionsklägers durch Versäumnisurteil entschieden werden (BGHZ 37, 79, 81). Auch insoweit beruht das Urteil jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern berücksichtigt den gesamten derzeitigen Sach- und Streitstand (vgl. BGHZ 37, 79, 82).

Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Voraussetzungen der Verjährung nach § 852 Abs. 1 BGB bejaht hat, halten den Angriffen der Revision nicht stand.

Deliktische Schadensersatzansprüche, die gegen die Beklagten allein infrage kommen, verjähren nach § 852 Abs. 1 BGB in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat. "Verletzte" im Sinne dieser Vorschrift sind hier die geschädigten Anleger. An der der Maßgeblichkeit ihres Kenntnisstandes für die Verjährung hat sich - wovon das Berufungsgericht mit Recht ausgeht - nach § 404 BGB durch den Anspruchsübergang auf die C.-GmbH nichts geändert (vgl. Senatsurteil vom 4. Oktober 1983 - VI ZR 194/81 - VersR 1984, 136, 137).

1. Keine Bedenken bestehen gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die geschädigten Zedenten zur Kenntnis ihres Schadens nicht den ganzen Umfang ihrer Verluste zu kennen brauchten, sondern daß insoweit bereits die ihnen 1978 und 1979 erteilten Abrechnungen der O.-GmbH genügten, aus denen sich die Verluste ihrer Einsätze im wesentlichen ergaben. Etwaige Korrekturen der Schadenshöhe, die sich daraus ergeben konnten, daß die O.-GmbH erst im Sommer 1981 die endgültige Abrechnung vorgenommen hat, haben hieran nichts geändert. Der gesamte aus einer unerlaubten Handlung entspringende Schaden stellt eine Einheit dar mit der Folge, daß die allgemeine Kenntnis des Schadens den Beginn der Verjährung auslöst (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 1979 - VI ZR 207/77 - VersR 1979, 646, 647). Damit erweisen sich nicht nur weitere Schadensfolgen, sondern auch Verminderungen des Schadens - etwa durch spätere Gutschriften - für die Kenntnis des Schadens i.S. von § 852 Abs. 1 BGB als unerheblich.

2. Indes weist die Revision mit Recht darauf hin, daß die Kenntnis vom Schaden i.S. von § 852 BGB die Kenntnis auch von den Tatumständen der Schädigung verlangt, aus denen sich erst die Qualifizierung der von den Anlegern erlittenen Verluste als ein das Ersatzverlangen begründender Schaden ergibt. Der Senat vermag nicht der Auffassung des Berufungsgerichts zu folgen, daß die Zedenten schon im Sommer 1979 durch die Fragebogenaktion der Kriminalpolizei eine hinreichende Kenntnis vom Schadenshergang erhalten hätten.

a) Zwar trifft die Auffassung des Berufungsgerichts, daß § 852 Abs. 1 BGB nicht die Kenntnis des Schadenshergangs in allen Einzelheiten voraussetzt, im Ansatz zu. Für den Verjährungsbeginn reicht im allgemeinen eine solche Kenntnis aus, die es dem Geschädigten erlaubt, eine hinreichend aussichtsreiche - wenn auch nicht risikolose - und ihm daher zumutbare Feststellungsklage zu erheben (st. Rspr., vgl. BGHZ 102,246, 248 m.w.N.). Erforderlich ist jedoch, daß die Kenntnis des Geschädigten von dem Schadenshergang so weit reicht, daß er in der Lage ist, eine auf eine deliktische Anspruchsgrundlage gestützte Schadensersatzklage zu begründen (vgl. das zur Veröffentlichung vorgesehene Senatsurteil vom 6. Februar 1990 - VI ZR 75/89 - m.w.N.).

Den Umständen, auf die sich das Berufungsurteil stützt, ist nicht zu entnehmen, daß die Zedenten früher als drei Jahre vor der Verjährungsunterbrechung durch die gerichtliche Geltendmachung der Ersatzansprüche einen solchen Kenntnisstand erlangt hatten. Insbesondere hat ihnen der Fragebogen der Kriminalpolizei eine den Lauf der Verjährungsfrist auslösende Kenntnis des Schadenshergangs nicht vermittelt. Die Nr. 19 des Fragebogens, in der das Berufungsgericht eine ausreichende Kenntnisvermittlung erblickt, hatte folgenden Wortlaut:

"Hätten Sie den Vertrag abgeschlossen, wenn Sie darüber aufgeklärt worden wären, daß lediglich etwa die Hälfte der von Ihnen bezahlten Beträge tatsächlich zum Erwerb einer Rohstoffoption Verwendung findet, während der restliche Betrag von der Firma vereinnahmt wird?"

Diese Frage war Teil einer Befragungsaktion, die erkennbar dem Zweck diente, der Kriminalpolizei in einem frühen Stadium der Ermittlungen die Grundlagen für die weitere Aufklärungsarbeit zu verschaffen und gegebenenfalls einen Anfangsverdacht zu erhärten. Schon deshalb mußten die Anleger den Fragebogen nicht als eine Informationsquelle verstehen, die sie in die Lage versetzen konnte, gegen die Verantwortlichen der O.-GmbH deliktische Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Der Zedent, der den Fragebogen im Lichte seiner Erfahrungen mit der O. -GmbH zur Kenntnis nahm, konnte ihm nur entnehmen, daß die Ermittler davon ausgingen, nur die Hälfte der Beträge, die die Anleger eingezahlt hatten, sei an die Börse gelangt, während die andere Hälfte von der O.-GmbH einbehalten worden sei. Die Kenntnis dieses Einbehalts bedeutete aber noch nicht die Kenntnis der Schädigungshandlung. Der Anleger mußte davon ausgehen, daß die O.-GmbH zur Bestreitung der Kosten ihres Geschäftsbetriebes und der Aufwendungen für den Erwerb von Warenterminoptionen an der Börse einen Teil der eingezahlten Beträge einbehalten werde. Es kam für ihn deshalb darauf an zu wissen, welcher Stellenwert einem Einbehalt von 50 % im Rahmen dieser Geschäfte zukam, wie sich dieser Einbehalt auf seine Gewinnchancen auswirkte und ob und in welchem Maße er sich von dem allgemein üblichen und für vertretbar erachteten Einbehalt unterschied. Erst das Wissen, daß sich ein solcher Einbehalt von den üblichen Gepflogenheiten weit entfernte und die Gewinnchancen entscheidend reduzierte, bedeutete für den Anleger die Erkenntnis, daß die Schädigungshandlung darin bestand, daß es die Verantwortlichen der O. -GmbH unterlassen hatten, ihn in für seine Entscheidungen wesentlichen Punkten aufzuklären. Diese Zusammenhänge erst bildeten deshalb den Tatsachenkern, aus dem sich als Rechtsfolge die Offenbarungspflicht der O. -GmbH ergab und auf dessen Kenntnis es für den Beginn der Verjährung ankommt. Zwar ist es für die Kenntnis nach § 852 BGB nicht von Belang, ob der Anleger die Zusammenhänge zutreffend rechtlich gewürdigt hat. Aber die für eine zutreffende rechtliche Würdigung erforderliche Tatsachengrundlage muß der Geschädigte kennen, damit die Verjährungsfrist nach § 852 BGB in Lauf gesetzt wird. Zu diesen hiernach entscheidenden Punkten enthielt der Fragebogen keine Angaben.

b) Die Zedenten mußten die Fragebogenaktion der Kriminalpolizei auch nicht zum Anlaß nehmen, sich selbst um die Aufklärung des Schadenshergangs zu bemühen.

Nach § 852 Abs. 1 BGB ist der Geschädigte grundsätzlich nicht verpflichtet, sich die Kenntnis von Schaden, Schadenshergang und Schädiger zu verschaffen, um die Verjährung in Lauf zu setzen; vielmehr bestimmt die Vorschrift nur die Rechtsfolgen, die eintreten, wenn der Geschädigte diese Kenntnis bereits positiv besitzt. Allerdings hat der Senat § 852 Abs. 1 BGB auch dann angewandt, wenn der Geschädigte die den Lauf der Verjährungsfrist auslösende Kenntnis zwar tatsächlich noch nicht besessen hat, sie sich aber in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe hätte beschaffen können. Damit soll indes - dem Rechtsgedanken des § 162 BGB folgend - nur verhindert werden, daß es der Geschädigte in der Hand hat, die Verjährungsfrist mißbräuchlich dadurch zu verlängern, daß er die Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis verschließt. Der Senat hat stets - zuletzt im Urteil vom 6. Februar 1990 - VI ZR 75/89 - mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß diese Rechtsprechung nicht in dem Sinne mißverstanden werden darf, daß bereits eine (sei es auch grob fahrlässig) verschuldete Unkenntnis der vom Gesetz geforderten positiven Kenntnis gleichstehe; vielmehr betrifft diese Rechtsprechung nur die Fälle, in denen es der Geschädigte versäumt, eine gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit wahrzunehmen (vgl. Senatsurteil vom 16. Mai 1989 - VI ZR 251/88 - VersR 1989, 914, 915 m.w.N.), und letztlich das Sichberufen auf die Unkenntnis als Förmelei erscheint, weil jeder andere in der Lage des Geschädigten unter denselben konkreten Umständen die Kenntnis gehabt hätte.

Danach kann hier die Unkenntnis der Zedenten von dem Schadenshergang nicht einer Kenntnis gleichgestellt werden. Das Unterlassen von Anfragen an die Kriminalpolizei mit der Bitte um Mitteilung der Hintergründe der Fragebogenaktion ist kein mißbräuchliches Sichverschließen von der Kenntnis des § 852 BGB im Sinne der vorstehenden Grundsätze. Zudem hätte allenfalls die ständige aufmerksame Verfolgung der Ermittlungstätigkeit der Kriminalpolizei und des Strafverfahrens aus der Sicht der Zedenten zu der Erkenntnis der Zusammenhänge führen können, deren Darlegung die Voraussetzung für eine schlüssige, auf deliktische Anspruchsgrundlagen gestützte Schadensersatzklage war. Dies aber geht deutlich über das geringe Maß an Aufklärungsinitiative hinaus, die im Rahmen von § 852 BGB nach der Rechtsprechung des Senats von einem Geschädigten unter dem Gesichtspunkt des § 162 BGB erwartet wird.

Da mithin die Einrede der Verjährung schon an der Kenntnis der Zedenten von der Schädigungshandlung scheitert, kann es auf sich beruhen, ob ihnen die Verantwortlichkeit der Beklagten für ihre Verluste schon früher als drei Jahre vor der Verjährungsunterbrechung bekannt gewesen ist.

3. Auch soweit das Berufungsgericht ausführt, daß einige Zedenten, die Rechtsanwälte eingeschaltet hätten, spätestens ab März/April 1980 von der Person der beiden Beklagten Kenntnis erhalten hätten, kann der Eintritt der Verjährung nicht bejaht werden. Es fehlt schon die Feststellung, um welche Zedenten es sich handelt. Hierfür sind, was das Berufungsgericht offenbar verkennt, die Beklagten darlegungs- und beweispflichtig.

III. Da eine weitere Aufklärung zur Verjährung nicht in Betracht kommt, erwiesen sich die Klageansprüche nicht schon aus diesem Grund als unbegründet. Die Sache war deshalb zur Entscheidung über die Anspruchsvoraussetzungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993033

BB 1990, 2145

NJW 1990, 2808

BGHR BGB § 852 Abs. 1 Kenntnis 8

WM 1990, 971

MDR 1990, 810

VersR 1990, 795

ZBB 1990, 162

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