Leitsatz (amtlich)
›Zur Frage der medizinisch notwendigen Heilbehandlung im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 MB/KK 76 bei unheilbaren Krankheiten.‹
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin ist die Schwester und die Erbin des während des Rechtsstreits verstorbenen früheren Klägers, der bei der Beklagten privat krankenversichert war. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung - Teil I in der Fassung der Musterbedingungen 1976 (MB/KK 76, VerBAV 1976, 437 ff.) und Teil II in der Fassung der Tarifbedingungen (TB/KK) - zugrunde.
Beim Versicherungsnehmer zeigten sich seit 1987 Symptome einer HIV-Infektion. Im April 1990 begab er sich in die Behandlung eines Facharztes für Innere Medizin in M., bei dem er sich einer in mehreren Behandlungszyklen durchgeführten "Autovakzinationstherapie" unterzog. Diese Behandlungsmethode (lymphozytäre Autovakzine-Behandlung) ist von Prof. Dr. B. (Institut für Blutgerinnungswesen und Transfusionsmedizin der Universität Düsseldorf) entwickelt worden und wird von diesem in der Behandlung HIV-infizierter Patienten eingesetzt.
Die Beklagte erstattete dem Versicherungsnehmer die in der Zeit von April 1990 bis Anfang März 1992 wegen der Durchführung der Therapie geltend gemachten Behandlungskosten, lehnte es aber mit Schreiben vom 10. März 1992 ab, für die weitere Anwendung der Therapie Versicherungsleistungen zu erbringen. Bei der Therapie handele es sich um eine wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode.
Der Versicherungsnehmer hat die Beklagte auf Zahlung von 4.174 DM nebst Zinsen für entstandene weitere Behandlungskosten in Anspruch genommen und die Feststellung begehrt, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm die weiteren, künftig entstehenden Kosten der Autovakzinationstherapie zu erstatten. Er hat geltend gemacht, die Therapie sei als medizinisch notwendige Heilbehandlung im Sinne der Bedingungen der Beklagten anzusehen. Eine Behandlungsmethode, die zu einer Heilung der Erkrankung führen könne, gebe es bisher nicht. Die bei ihm angewandte Therapie sei aber geeignet, die Symptome der HIV-Erkrankung zu lindern, den Gesundheitszustand zu stabilisieren. Der Therapieansatz sei wissenschaftlich fundiert und nachvollziehbar.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, sie sei zu weiteren Leistungen nicht verpflichtet. Die Autovakzinationstherapie sei keine medizinisch notwendige Heilbehandlung; ihre Wirksamkeit sei nicht nachvollziehbar.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Zahlungsantrag weiter; im übrigen hat sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, ein Anspruch auf Versicherungsleistungen wegen der bei Durchführung der Autovakzinationstherapie entstandenen Aufwendungen des Versicherungsnehmers bestehe nicht. Der Versicherungsnehmer habe nicht bewiesen, daß es sich bei dieser Behandlung um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung im Sinne des § 1 Abs. 2 MB/KK 76 handelt. Dem liegen im Ansatz folgende Erwägungen des Berufungsgerichts zugrunde:
Für eine Heilbehandlung komme es grundsätzlich darauf an, ob es nach objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar gewesen sei, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Dabei müsse es bei unheilbaren Erkrankungen, die nicht hinreichend erforscht seien und für die es keine allgemein anerkannte und wirksame Therapie gebe - wie es hier bei der HIV-Erkrankung der Fall sei - ausreichen, daß es sich um eine in der Praxis angewandte Behandlungsmethode zu ihrer Linderung oder zur wissenschaftlichen Erprobung eines Heilerfolgs handele. Das gelte auch, wenn diese Art der Behandlung mangels präziser Erforschung der Krankheit experimentellen Charakter habe und der Nachweis medizinischer Richtigkeit nicht geführt werden könne. Es müsse auf jede nach vertretbarem ärztlichen Ermessen hilfeversprechende Methode zurückgegriffen werden können; es reiche die Eignung der Therapie aus, aufgetretene Krankheitssymptome zu bekämpfen oder zu lindern, die Abwehrkräfte des Patienten zu stärken und seinen Gesundheitszustand zu stabilisieren. Eine Grenze sei insoweit nicht erst dort zu ziehen, wo Aufwendungen für eine Behandlung geltend gemacht werden, die dem Bereich der Wunderheilung oder der Scharlatanerie zuzuordnen sei. Eine medizinisch notwendige Heilbehandlung sei dann zu verneinen, wenn für die Therapie ein wissenschaftlicher Ansatz nicht erkennbar und nachvollziehbare Einwirkungen auf das Krankheitsbild nicht objektivierbar seien. Das gelte jedenfalls dann, wenn der Therapieansatz bereits längere Zeit erprobt sei, so daß nach wissenschaftlichem Standard dokumentierende und bewertende Veröffentlichungen zu erwarten seien, die sich damit der wissenschaftlichen Kritik stellten.
II. Dieser Auslegung ist nicht uneingeschränkt zu folgen:
1. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MB/KK 76 ist Versicherungsfall in der Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung, der die Leistungspflicht des Versicherers auslöst, "die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen"; er beginnt mit der Heilbehandlung. Was den Versicherungsfall ausmacht, wird damit inhaltlich zum einen durch die Bezeichnung eines die Behandlung auslösenden Ereignisses oder Zustandes ausgefüllt, zum anderen dadurch festgelegt, daß es sich bei der Behandlung um eine "Heilbehandlung" handeln und diese "medizinisch notwendig" sein muß. Nicht der Eintritt eines unter den Krankheitsbegriff fallenden Zustandes oder ein Unfall allein begründet demgemäß den Anspruch auf Versicherungsleistungen, sondern erst eine wegen dieses Zustandes oder Ereignisses vorgenommene medizinisch notwendige Heilbehandlung. Steht es - wie hier - außer Streit, daß die ärztliche Behandlung wegen einer Krankheit im Sinne dieser Klausel durchgeführt worden ist, muß der Versicherungsnehmer deshalb darlegen und im Bestreitensfalle beweisen, daß es sich bei der Behandlung um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung gehandelt hat (Senatsurteil vom 29. Mai 1991 - IV ZR 151/90 - VersR 1991, 987 unter 2 a). Davon geht auch das Berufungsgericht zutreffend aus.
2. Der Begriff der medizinisch notwendigen "Heil-"behandlung wird auch vom durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht so verstanden, daß Versicherungsfall nur die auf Heilung abzielende Behandlung ist (BGHZ 123, 83, 89). Der Inbegriff der Heilbehandlung ist nicht nur von den Resultaten, sondern auch von der Zweckbestimmung ärztlichen Handelns her zu bestimmen (Bach/Moser, Private Krankenversicherung 2. Aufl. MB/KK § 1 Rdn. 12). Als Heilbehandlung ist jegliche ärztliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung, Besserung oder auch Linderung der Krankheit abzielt. Dem ist eine ärztliche Tätigkeit gleichzuachten, die auf eine Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit gerichtet ist. Dabei sind die Begriffe "ärztliche Leistung" und "medizinische Krankenpflege" in einem weiten Sinne zu verstehen (BGHZ 99, 228, 231; vgl. auch BGHZ 123, 83, 89).
Das Berufungsgericht hat sich bei seinen Erwägungen zwar nicht ausdrücklich mit dem Begriff der Heilbehandlung und damit befaßt, ob es sich bei der Autovakzinationstherapie um Heilbehandlung im Sinne des § 1 Abs. 2 MB/KK 76 handelte. Seiner Entscheidung kann aber entnommen werden, daß es einen Anspruch auf Versicherungsleistungen nicht deshalb hat verneinen wollen, weil diese Therapie schon nicht die Voraussetzungen einer Heilbehandlung erfülle. Daß diese Voraussetzung eines Leistungsanspruchs gegeben war, ergibt sich hier nämlich schon daraus, daß die ärztliche Leistung unstreitig jedenfalls darauf abzielte, die Symptome der HIV-Erkrankung zu lindern, den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers zu stabilisieren, also einer Verschlimmerung der Erkrankung entgegenzuwirken.
Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Durchführung dieser Therapie geeignet war, diese Ziele auch zu erreichen, kommt es für das Vorliegen einer Heilbehandlung im Sinne der Klausel nicht an; ihr kommt Bedeutung vielmehr erst bei der Prüfung zu, ob die Heilbehandlung als medizinisch notwendig im Sinne des § 1 Abs. 2 MB/KK 76 anzusehen ist.
3. Dafür ist ein objektiver Maßstab anzulegen.
a) Mit dem Begriff "medizinisch notwendige" Heilbehandlung wird - auch für den Versicherungsnehmer erkennbar - nicht an den Vertrag zwischen dem Versicherungsnehmer und dem behandelnden Arzt und die nach diesem Vertrag geschuldete medizinische Heilbehandlung angeknüpft. Es wird vielmehr zur Bestimmung des Versicherungsfalles ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt (Senatsurteil vom 14. Dezember 1977 - IV ZR 12/76 - VersR 1978, 271 unter II, 1). Diese objektive Anknüpfung bedeutet zugleich, daß es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommen kann (vgl. Bach/Moser, aaO., Rdn. 37; Prölss in Prölss/Martin, 25. Aufl. MB/KK § 1 Anm. 2 B a; Bruck/Möller/Wriede, VVG 8. Aufl. Bd. VI, 2 Anm. G 8). Gegenstand der Beurteilung können vielmehr nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung sein. Demgemäß liegt eine "medizinisch notwendige" Heilbehandlung im Sinne des § 1 Abs. 2 MB/KK 76 jedenfalls dann vor, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen (BGH, Urteil vom 29. November 1978 - IV ZR 175/77 - VersR 1979, 221 unter III; Urteil vom 29. Mai 1991 - IV ZR 151/90 - VersR 1991, 987 unter 2 a). An dieser Auslegung hält der Senat fest; sie entspricht den Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers, auf die es insoweit ankommt (BGHZ 123, 83, 85).
b) Auch das Berufungsgericht hat diese Auslegung bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Allerdings stellt es bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung darauf ab, ob es nach den objektiven Befunden und "wissenschaftlichen" Erkenntnissen vertretbar war, die Behandlung als medizinisch notwendig anzusehen. Diese Beschränkung auf "wissenschaftliche Erkenntnisse" könnte dahin zu verstehen sein, daß bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Heilbehandlung nur solche Erkenntnisse berücksichtigt werden dürften, die in der medizinischen Wissenschaft - also im Bereich von Forschung und Lehre an wissenschaftlichen Hochschulen und Universitäten - eine Absicherung erfahren haben, dort als wissenschaftlich gesichert oder anerkannt angesehen werden. Für eine Einschränkung in diesem Sinne ergeben Wortlaut und Sinn des § 1 Abs. 2 MB/KK 76 aber keine ausreichende Stütze. Sie kann auch nicht durch einen Rückgriff auf § 5 Abs. 1 Buchst. f MB/KK 76 gerechtfertigt werden, denn diese Klausel ist unwirksam (BGHZ 123, 83 ff.). Bei Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung können demgemäß auch solche medizinischen Erkenntnisse berücksichtigt werden, die sich im Bereich der sogenannten alternativen Medizin ergeben haben oder sich als das Ergebnis der Anwendung von sogenannten "Außenseitermethoden" darstellen.
4. Von der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung im Sinne der vorstehenden Ausführungen wird im allgemeinen dann auszugehen sein, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht und angewandt worden ist, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken (vgl. BGHZ 99, 228, 233 f.). Steht diese Eignung nach medizinischen Erkenntnissen fest, steht grundsätzlich auch die Eintrittspflicht des Versicherers fest.
Im vorliegenden Falle ist jedoch nach den Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, daß der Versicherungsnehmer an einer unheilbaren Krankheit litt, für die es keine allgemein anerkannte Therapie gibt - demzufolge auch im Zeitpunkt der Vornahme der hier in Rede stehenden Behandlung nicht gab. Diese Feststellung gründet sich auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. D., wonach es bisher eine unbestritten wirksame und lebensverlängernde Therapie für die HIV-Erkrankung nicht gebe; ihre Heilung sei nicht möglich.
Bei einer solchen Sachlage, bei der es selbst für eine auf Verhinderung einer Verschlimmerung der Krankheit abzielende Heilbehandlung keine in der Praxis angewandte Behandlungsmethode gibt, bei der nach medizinischen Erkenntnissen davon ausgegangen werden kann, daß sie zur Herbeiführung wenigstens dieses Behandlungszieles geeignet ist, kommt jeder gleichwohl durchgeführten Behandlung zwangsläufig Versuchscharakter zu, für die der Nachweis medizinischer "Richtigkeit" nicht geführt werden kann (vgl. zur Behandlung multipler Sklerose, Senatsurteil vom 2. Dezember 1981 - IVa ZR 206/80 - VersR 1982, 285 unter III, 4). Das schließt indessen die Annahme der medizinischen Notwendigkeit einer solchen Behandlung nicht von vornherein aus, dies jedenfalls dann nicht, wenn sie auf eine schwere, lebensbedrohende oder gar lebenszerstörende Krankheit zielt. Ein solcher Ausschluß kann § 1 Abs. 2 MB/KK 76 nicht entnommen werden. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird diese Regelung vielmehr dahin verstehen, daß gerade bei einer unheilbaren Krankheit auch eine solche Heilbehandlung noch als notwendige Heilbehandlung anzusehen ist, der zwar Versuchscharakter anhaften mag, die aber jedenfalls - medizinisch begründbar - Aussicht auf Heilung oder Linderung verspricht.
Demgemäß kann bei einer solchen Sachlage nicht - wie es in der Entscheidung des Berufungsgerichts anklingt - darauf abgestellt werden, ob die Behandlung zur Erreichung des vorgegebenen Behandlungsziels tatsächlich geeignet ist. Vielmehr ist in solchen Fällen die objektive Vertretbarkeit der Behandlung bereits dann zu bejahen, wenn die Behandlung nach medizinischen Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken. Dabei ist jedenfalls bei schweren, lebensbedrohenden oder lebenszerstörenden Erkrankungen nicht zu fordern, daß der Behandlungserfolg näher liegt als sein Ausbleiben. Es reicht vielmehr aus, wenn die Behandlung mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen läßt (vgl. auch BSG, Urteile vom 9. Februar 1989 - 3 RK 19/87 - NJW 1989, 2349 unter 5; vom 21. November 1991 - 3 RK 8/90 - NJW 1992, 1584).
5. Ob im Einzelfall eine in diesem Sinne ausreichende Wahrscheinlichkeit der Eignung der Behandlungsmethode zur Erreichung des Behandlungsziels angenommen werden kann, ist - selbst bei positiver Einschätzung des behandelnden Arztes - objektiv zu beurteilen. Die für diese Beurteilung maßgeblichen medizinischen Gesichtspunkte können nur im Einzelfall und mit Rücksicht auf die Besonderheiten der Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmt werden. Im Streitfall wird es demgemäß regelmäßig erforderlich sein, die Einschätzung des behandelnden Arztes der sachverständigen Nachprüfung zu unterziehen (vgl. schon Senatsurteil vom 29. November 1978, aaO., unter III).
Das setzt aber voraus, daß die gewählte Behandlungsmethode auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruht, der die prognostizierte Wirkweise der Behandlung auf das angestrebte Behandlungsziel zu erklären vermag, diese Wirkweise sonach zumindest wahrscheinlich macht. Dabei kann es allerdings nicht darauf ankommen, ob die gewählte Behandlungsmethode und die sie tragenden medizinischen Erwägungen von schulmedizinischen Erkenntnissen bestimmt werden, oder ob sie auf Erkenntnissen aufbauen, die in der sogenannten alternativen Medizin entwickelt worden sind. Der Annahme einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung steht auch nicht entgegen, daß eine Behandlungsmethode noch nicht in der wissenschaftlichen Literatur nach wissenschaftlichem Standard dokumentiert und bewertet worden ist. Liegen solche Veröffentlichungen vor, können sie zwar für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung von Bedeutung sein; andererseits wird auf eine bisher fehlende Veröffentlichung die Verneinung der medizinischen Notwendigkeit der Behandlung nicht gestützt werden können.
Bedeutsam für die Beurteilung der Behandlungsmethode kann es schließlich sein, ob diese vor dem Zeitpunkt ihrer Durchführung beim Versicherungsnehmer bereits anderweitig erprobt worden ist. Haben Behandlungen schon zuvor in einer solchen Anzahl stattgefunden, die Aussagen jedenfalls darüber zuläßt, ob die Behandlung die mit ihr erstrebte Wirkung wahrscheinlich zu erreichen geeignet ist, kann darin ein besonders aussagekräftiger Umstand für die Beurteilung der Notwendigkeit der Heilbehandlung zu erkennen sein.
III. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich unter Anlegung dieser Maßstäbe nicht als rechtsfehlerfrei.
1. Das Berufungsgericht nimmt unter Berufung auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. D. an, es sei nicht vertretbar, die beim Versicherungsnehmer angewandte Autovakzinationstherapie für wirksam und daher für medizinisch notwendig zu halten; der wissenschaftliche Ansatzpunkt der Therapie sei nicht vertretbar. Selbst wenn die Krankheit beim Kläger während der Behandlung zunächst einen günstigen Verlauf genommen habe, sei dieser relativ günstige Verlauf nicht nachweisbar durch die angewandte Autovakzinationstherapie beeinflußt worden. Zwar hätten die Parteien ein weiteres - in einem sozialgerichtlichen Verfahren erstattetes - Sachverständigengutachten vorgelegt, in dem der dortige Sachverständige die Auffassung vertrete, der Einsatz dieser Methode sei ingesamt wissenschaftlich fundiert und nachvollziehbar. Auch dieser Sachverständige habe einen Langzeiterfolg der Therapie aber in Frage gestellt; gerade einen solchen Erfolg habe der Sachverständige Prof. Dr. D. beim Kläger ausgeschlossen. Auch nach einem anderen, von den Parteien zu den Akten gereichten Sachverständigengutachten komme es für die Wirksamkeitsbeurteilung der Behandlung letztlich darauf an, wie sich der Zustand des Patienten nach etwa einem halben Jahr darstelle. Auch nach Ablauf der hier von April 1990 bis Anfang 1992 durchgeführten Therapie sei Prof. Dr. D. aber zu dem Ergebnis gelangt, eine Auswirkung dieser Therapie sei nicht darstellbar.
2. a) Mit diesen Erwägungen hat das Berufungsgericht schon nicht hinreichend beachtet, daß es für die Frage, ob es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen vertretbar war, die Autovakzinationstherapie als notwendig anzusehen, auf den Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung ankommt, also auf den Zeitpunkt, zu dem sich der behandelnde Arzt entschließt, eine bestimmte Behandlung durchzuführen (vgl. oben zu II 3 a).
Bereits in seiner Entscheidung vom 29. November 1978, aaO., unter III, hatte der Senat darauf hingewiesen, daß es medizinisch durchaus umstritten sein könne, welche Therapie bei einer bestimmten Krankheit richtig und notwendig sei, daß sich die "Richtigkeit" der einen oder anderen Auffassung oft erst nach Jahren erweise. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer sei es aber unzumutbar, dieses Risiko tragen zu müssen. Mehr als der Nachweis, daß es nach den damaligen medizinischen Befunden und Erkenntnissen vertretbar war, die Behandlung als notwendig durchzuführen, könne von ihm nicht verlangt werden.
Demgemäß mußte das Berufungsgericht als maßgeblichen Zeitpunkt hier die Vornahme der Behandlung durch den den Versicherungsnehmer behandelnden Arzt ansehen. Für diesen Zeitpunkt kam es darauf an, ob es vertretbar war, die Behandlung als notwendig anzusehen. Stellt man dabei auf den Beginn der hier in mehreren Zyklen durchgeführten Behandlung ab, liegt es auf der Hand, daß die Frage des konkreten Behandlungsergebnisses beim Versicherungsnehmer insoweit außer Betracht bleiben muß. Stellt man dagegen auf den Beginn der Behandlung ab, durch die jene Aufwendungen entstanden sind, um deren Erstattung die Parteien streiten, kommt es auf die objektiven Befunde und Erkenntnisse zu diesem Zeitpunkt an.
Welcher Zeitpunkt maßgeblich ist, hängt von den Besonderheiten der Therapie und hier insbesondere davon ab, auf welchen Behandlungszeitraum sie insgesamt und von vornherein ausgerichtet war, um das angestrebte Behandlungsziel zu erreichen. Feststellungen dazu hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Steht aber nicht fest, welcher Zeitpunkt hier für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung maßgeblich war, konnte das Berufungsgericht seine Entscheidung schon deshalb nicht rechtsfehlerfrei darauf stützen, die Behandlung des Versicherungsnehmers habe nachweisbare Erfolge nicht aufgezeigt. Zudem darf bei dieser Beurteilung nicht alleine auf die Erreichbarkeit eines Langzeiterfolges abgestellt werden. Das Berufungsgericht wird schon insoweit weitere Feststellungen zu treffen und den Parteien zuvor Gelegenheit zu weiterem Sachvortrag zu geben haben.
b) In den Erwägungen des Berufungsgerichts wird die Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. D. referiert, der der Autovakzinationstherapie zugrundeliegende Ansatz sei nicht vertretbar.
Damit ist ein Gesichtspunkt angesprochen, der für die Beurteilung der Notwendigkeit der Behandlung grundsätzlich zu berücksichtigen ist (vgl. oben zu II 5). Allerdings trifft das Berufungsgericht auch insoweit keine ausreichenden Feststellungen. Der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. D. hat es die Auffassung eines anderen Sachverständigen gegenübergestellt, wonach die Behandlungsmethode im Ansatz "wissenschaftlich fundiert und nachvollziehbar" sei. Welcher Auffassung es folgen will, legt das Berufungsgericht aber nicht zweifelsfrei dar. Es wird also auch insoweit ergänzende Feststellungen zu treffen haben (vgl. zu abweichenden Sachverständigengutachten, Senatsurteil vom 13. Oktober 1993 - IV ZR 220/92 - VersR 1994, 162 unter 2 a). Dabei wird es eines detaillierten Eingehens auf die seinerzeit angenommene Wirkweise der Autovakzinationsmethode bedürfen, als bislang geschehen.
c) Schließlich kann nach den Erwägungen des Berufungsgerichts nicht ausgeschlossen werden, daß es zu hohe Anforderungen daran gestellt hat, was bei Behandlung einer unheilbaren Erkrankung, für die es bisher eine wenigstens die Verhinderung einer Verschlimmerung bewirkende Heilbehandlung nicht gibt, als objektiv vertretbare Heilbehandlung im Sinne des § 1 Abs. 2 MB/KK 76 angesehen werden kann (vgl. oben unter II, 4). Entgegen seiner Auffassung kann nicht nur eine solche Behandlung als notwendig angesehen werden, von der bereits feststeht, daß sie im Sinne des Behandlungsziels auf das Krankheitsbild einwirkt, die sich also als "geeignet" erwiesen hat. Vielmehr reicht es aus, wenn sie im maßgeblichen Zeitpunkt als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf die Verhinderung einer Verschlimmerung der Erkrankung oder auf ihre Verlangsamung hinzuwirken. Ob diese Voraussetzung im vorliegenden Falle gegeben war, bedarf nach Feststellung des für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkts und der für diesen Zeitpunkt maßgeblichen Befunde und Erkenntnisse gegebenenfalls weiterer sachverständiger Aufklärung.
Fundstellen
Haufe-Index 2993712 |
BGHZ 133, 208 |
BGHZ, 208 |
NJW 1996, 3074 |
BGHR AVB Krankheitsk.- u. Krankenhaustagegeldvers. § 1 Abs. 2 Heilbehandlung 2 |
MDR 1996, 1125 |
VersR 1996, 1224 |