Leitsatz
Als Heilbehandlung i. S. v. § 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK 76 ist jegliche ärztliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung, Besserung oder auch Linderung der Krankheit abzielt. Dem ist eine ärztliche Tätigkeit gleichzuachten, die auf eine Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit gerichtet ist.
Bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung ist nicht nur darauf abzustellen, ob es nach den objektiven Befunden und "wissenschaftlichen" Erkenntnissen vertretbar war, die Behandlung als medizinisch notwendig anzusehen, es können auch solche medizinischen Erkenntnisse berücksichtigt werden, die sich im Bereich der sog. alternativen Medizin ergeben haben oder sich als Ergebnis der Anwendung von sog. "Außenseitermethoden" darstellen.
Normenkette
§ 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK 76
Sachverhalt
Der bei der Beklagten privat krankenversicherte, während des Rechtsstreits verstorbene frühere Kläger begab sich 1990 wegen einer HIV-Infektion in die Behandlung eines Facharztes für innere Medizin, bei dem er sich einer in mehreren Behandlungszyklen durchgeführten "Autovakzinationstherapie" unterzog. Diese Behandlungsmethode (lymphozytäre Autovakzine-Behandlung) ist von Prof. Dr. B. entwickelt worden und wird von diesem in der Behandlung HIV-infizierter Patienten eingesetzt.
Die Bekl. erstattete dem VN die in der Zeit von April 1990 bis Anfang März 1992 wegen der Durchführung der Therapie geltend gemachten Behandlungskosten, lehnte es aber ab, für die weitere Anwendung der Therapie Versicherungsleistungen zu erbringen. Bei der Therapie handele es sich um eine wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode. Sie sei keine medizinisch notwendige Heilbehandlung; ihre Wirksamkeit sei nicht nachvollziehbar.
Das LG hat die Klage abgewiesen; die Berufung blieb erfolglos. Die Revision führte zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückverweisung.
Entscheidung
Der BGH führte aus, nach § 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK 76 sei Versicherungsfall in der Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung, der die Leistungspflicht des Versicherers auslöse, "die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolge".
Der Begriff der medizinisch notwendigen "Heil-"behandlung werde auch vom durchschnittlichen VN nicht so verstanden, dass Versicherungsfall nur die auf Heilung abzielende Behandlung ist. Der Inbegriff der Heilbehandlung sei nicht nur von den Resultaten, sondern auch von der Zweckbestimmung ärztlichen Handelns her zu bestimmen. Als Heilbehandlung sei jegliche ärztliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung, Besserung oder auch Linderung der Krankheit abzielt. Dem sei eine ärztliche Tätigkeit gleichzuachten, die auf eine Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit gerichtet ist. Dabei seien die Begriffe "ärztliche Leistung" und "medizinische Krankenpflege" in einem weiteren Sinne zu verstehen.
Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Durchführung der in Rede stehenden Therapie geeignet war, die angestrebten Ziele auch zu erreichen, komme es für das Vorliegen einer Heilbehandlung i. S. d. Klausel nicht an; ihr komme Bedeutung vielmehr erst bei Prüfung zu, ob die Heilbehandlung als medizinisch notwendig i. S. d. § 1 Abs. 2 MB/KK 76 anzusehen ist. Gegenstand der Beurteilung könnten nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung sein. Dem gemäß liege eine "medizinisch notwendige" Heilbehandlung i. S. d. § 1 Abs. 2 MB/KK 76 jedenfalls nur dann vor, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen (BGH, Urteil v. 29.11.1978, IV ZR 175/77 - VersR 79, 221; BGH, Urteil v. 29.5.1991, IV ZR 151/90 - r+s 91, 319 - VersR 91, 987).
Auch das Berufungsgericht (BG) habe diese Auslegung berücksichtigt. Allerdings habe es bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung darauf abgestellt, ob es nach den objektiven Befunden und "wissenschaftlichen" Erkenntnissen vertretbar war, die Behandlung als medizinisch notwendig anzusehen. Diese Beschränkung - so der BGH - auf "wissenschaftliche" Erkenntnisse könnte dahin zu verstehen sein, dass bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Heilbehandlung nur solche Erkenntnisse berücksichtigt werden dürften, die in der medizinischen Wissenschaft eine Absicherung erfahren haben, dort als wissenschaftlich gesichert oder anerkannt angesehen werden. Für eine Einschränkung in diesem Sinne ergäben Wortlaut und Sinn des § 1 Abs. 2 MB/KK 76 aber keine ausreichende Stütze. Sie könne auch nicht durch einen Rückgriff auf § 5 Abs. 1 f M...