Leitsatz (amtlich)
Zu den Pflichten eines Anwalts, der von der Einlegung eines Rechtsmittels gegen ein 5-Räumungsurteil abrät.
Normenkette
BGB § 675
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Celle vom 15.12.1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen anwaltlicher Pflichtverletzung in Anspruch. Das Mandat betraf die Verteidigung gegen ein Räumungsbegehren der A. ... GmbH (fortan: A.), von der die Klägerin in einer Markthalle Gewerbeflächen zum Betrieb eines Käse- und eines Geflügelstandes gemietet hatte. Nachdem die Räumungsklage wegen des Käsestandes in erster Instanz erfolgreich gewesen war, veranlasste die Klägerin die Beklagte, bei dem OLG zugelassene Rechtsanwälte mit der Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung zu beauftragen. Die Berufung wurde eingelegt und führte zur Klagabweisung. Die Klägerin hatte jedoch zwischenzeitlich die Gewerbeflächen geräumt, das Inventar verkauft und mit der A. Einvernehmen über einen Nachmieter erzielt.
Die Klägerin hat behauptet, sie habe den Käsestand nur geräumt und das Inventar verkauft, weil die Vollstreckung aus dem landgerichtlichen Urteil gedroht und die Beklagte ihr geraten habe, den Stand freiwillig zu räumen, um weitere Vollstreckungskosten zu vermeiden.
Die Klägerin macht im Wege der Zahlungs- und Feststellungsklage bereits entstandenen sowie künftigen Erwerbsschaden geltend.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Zahlungsantrag dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und der Feststellungsklage stattgegeben.
Mit der Revision begehrt die Klägerin Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Beklagte habe ihre anwaltlichen Sorgfaltspflichten verletzt, indem sie es versäumt habe, eine Entscheidung des LG über einen Vollstreckungsschutzantrag der Klägerin herbeizuführen. Ein solcher wäre erforderlich und Erfolg versprechend gewesen. Der Schadensersatzverpflichtung dem Grunde nach stehe nicht entgegen, dass die Klägerin den Käsestand bereits vor Durchführung des Berufungsverfahrens geräumt habe; denn hierzu habe ihr die Beklagte geraten. Die Prüfung eines Mitverschuldens der Klägerin hat das Berufungsgericht insgesamt späterer Entscheidung vorbehalten.
II.
Das Berufungsurteil kann bereits deshalb keinen Bestand haben, weil das Berufungsgericht über den Feststellungsantrag durch stattgebendes Teilurteil entschieden und den Grad eines etwaigen Mitverschuldens offen gelassen hat. Dies war rechtsfehlerhaft. Ein Feststellungsurteil, das unter dem Vorbehalt eines später zu bestimmenden Mitverschuldens ausgesprochen wird, ist unzulässig (BGH, Urt. v. 13.5.1997 - VI ZR 145/96, MDR 1997, 774 = NJW 1997, 3176 [3177] unter II. 2. b; vgl. auch Urt. v. 14.2.1995 - VI ZR 272/93, MDR 1995, 698 = VersR 1995, 706 [707] unter II.1.).
Das Berufungsgericht hätte mithin über den Mitverschuldenseinwand der Beklagten befinden müssen. Hierzu bestand Veranlassung, nachdem das LG die Klage maßgeblich unter diesem Gesichtspunkt abgewiesen und die Klägerin sich im Berufungsverfahren dagegen zur Wehr gesetzt hatte.
III.
1. Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a. F.), auch soweit durch Grundurteil über den Zahlungsanspruch entschieden worden ist. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass das - nach Rechtskraft des Grundurteils - mit dem Betragsverfahren betraute LG anders über den Grad des Mitverschuldens entschiede, als das Berufungsgericht im Rahmen des bei ihm anhängigen Feststellungsantrages (vgl. BGH, Urt. v. 13.5.1997 - VI ZR 145/96, MDR 1997, 774 = NJW 1997, 3176 [3177] unter II. 2. b). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Sie ist nicht zur Endentscheidung reif, weil es an den notwendigen Feststellungen zum Mitverschulden fehlt (§ 565 Abs. 1 S. 1 ZPO a. F.).
2. Das Berufungsgericht wird bei der neuen Verhandlung zu beachten haben, dass als Ausgangspunkt für die anwaltliche Pflichtverletzung der Beklagten in erster Linie die Behauptung der Klägerin in Betracht kommt, die Beklagte habe ihr zur freiwilligen Räumung des Käsestandes geraten, um weitere Kosten zu sparen, weil gegen die Räumung letztlich nichts zu machen sei. Ein solcher Rat hätte gegen die der Beklagten obliegenden Anwaltspflichten verstoßen (vgl. zu den Pflichten eines Anwalts nach Abschluss der Instanz BGH, Urt. v. 27.3.2003 - IX ZR 399/99, MDR 2003, 897 = BGHReport 2003, 774 = NJW 2003, 2022 [2023 f.]). Bis zur Entscheidung der Klägerin über die endgültige Durchführung der Berufung musste die Beklagte darauf hinwirken, dass keine vollendeten Tatsachen geschaffen wurden. In diesem Rahmen war sie grundsätzlich gehalten, einerseits der möglichen Zwangsvollstreckung aus dem gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbaren landgerichtlichen Räumungsurteil mit geeigneten Rechtsbehelfen entgegenzutreten und andererseits der Klägerin zu verdeutlichen, dass eine Zwangsvollstreckung der A. diese bei erfolgreicher Berufung gem. § 717 Abs. 2 ZPO zum Schadensersatz verpflichtete.
Fundstellen
Haufe-Index 971092 |
NJW 2003, 2986 |
BGHR 2003, 1263 |
JurBüro 2004, 168 |
NZM 2003, 867 |
WM 2004, 436 |
ZAP 2003, 1174 |
MDR 2003, 1230 |
MietRB 2004, 42 |
BRAK-Mitt. 2003, 222 |
KammerForum 2003, 419 |
MK 2003, 165 |