Leitsatz (amtlich)
Ein in einem Krankenzimmer mittels akustischer Wohnraumüberwachung aufgezeichnetes Selbstgespräch des Angeklagten ist zu dessen Lasten zu Beweiszwecken unverwertbar, soweit es dem durch Art. 13 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich zuzurechnen ist.
Normenkette
GG Art. 13 Abs. 1; StPO §§ 100c, 100d
Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 13.12.2004) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 13. Dezember 2004 mit den Feststellungen aufgehoben
- im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen Mordes schuldig gesprochen worden ist,
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tatmehrheit mit Besitz einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit Verfahrensrügen und der Sachrüge. Die Revision hat hinsichtlich des Mordes Erfolg mit einer Verfahrensrüge, die ein Verwertungsverbot für die Erkenntnisse aus einer akustischen Wohnraumüberwachung (Selbstgespräch des Angeklagten) geltend macht. Hinsichtlich der Verurteilung wegen des Waffendelikts ist die Revision unbegründet.
I.
1. Zu dem am 8. Oktober 1998 verübten Mord hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
Der Bruder des Angeklagten hatte im Jahre 1994 mit Erlaubnis des Tatopfers, des Landwirts F. M., auf dessen Bauernhof in der Nähe des Wohn- und Stallgebäudes eine Holzhütte errichtet, um darin Kraftfahrzeuge zu reparieren. Dort hatte in der Folgezeit der Angeklagte – ohne Erlaubnis des Landwirts – seine „Ranch” für einen dauerhaften Aufenthalt eingerichtet und ausgebaut. Im Laufe der Zeit hatte er sich mehr und mehr „breit gemacht”. Das missfiel dem Landwirt. Sein Vorhaben, den Angeklagten vom Hof zu weisen, brachte er diesem gegenüber aber erst wenige Tage vor der Tat unmissverständlich zum Ausdruck. Darauf reagierte der Angeklagte mit Wut und Hass; er drohte dem Landwirt erregt mit einem Holzknüppel und rief dabei: „Dich erschlag ich noch!”. Am 8. Oktober betrat der Angeklagte nach Mitternacht das Wohnzimmer, in dem der Landwirt schlief, und erschlug diesen mit einem massiven kantigen Werkzeug. Die Tatwaffe wurde nicht gefunden.
Die zunächst ergebnislos eingestellten Ermittlungen wurden im Jahre 2003 wieder aufgenommen. Der Angeklagte hatte im Januar 2003 einen Arbeitsunfall erlitten. Anlässlich der Bearbeitung des Arbeitsunfalls fand die Kriminalpolizei im Wohnhaus des Angeklagten einen Schlagstock, der nach der Befragung des Obduzenten als Tatwaffe in Betracht kommen konnte. Im Zuge dieser Ermittlungen erfolgte auch die akustische Wohnraumüberwachung.
2. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung geschwiegen und durch Verteidigererklärung die Tat bestritten. Das Landgericht hat sich aufgrund einer Gesamtschau mehrerer Belastungsindizien von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt. Insbesondere habe der Angeklagte ein Motiv gehabt, Gewaltbereitschaft sei ihm auch nicht wesensfremd und nach der Tat habe er gegenüber der Polizei Täterwissen offenbart. Die Überzeugung des Landgerichts beruht aber auch auf dem Ergebnis der in der Hauptverhandlung vorgespielten Aufzeichnung der akustischen Wohnraumüberwachung. Daraus ergebe sich, dass der Angeklagte sich im Zuge der Wiederaufnahme der Ermittlungen „mit einer alternativen Tötungsart des F. M. gedanklich befasst” habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, die Erkenntnisse der akustischen Wohnraumüberwachung hätten nicht verwertet werden dürfen, hat Erfolg.
1. Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
a) Anlässlich der Wiederaufnahme der Ermittlungen wurde neben einer Telekommunikationsüberwachung auch eine auf § 100c Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 100d StPO (in der damals geltenden Fassung) gestützte Abhörung und Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen richterlich gestattet. Zielobjekt der Abhörmaßnahmen war das Einzelzimmer des Angeklagten in einer Rehabilitationsklinik, wo er sich zur Behandlung der Folgen des Arbeitsunfalls aufhielt. In seinem Einzelzimmer schlief der Angeklagte und er hielt sich darin auf, wenn er nicht an Anwendungen, wie z. B. Massagen etc. teilnehmen musste. Die auf vier Wochen befristete Überwachung begann am 27. November 2003; am 17. Dezember 2003 erfolgte die Festnahme des Angeklagten im Klinikzimmer.
b) Am fünften Hauptverhandlungstag wurde die Beweisaufnahme geschlossen und der Staatsanwalt stellte den Antrag, den Angeklagten wegen Mordes zu verurteilen. Der Instanzverteidiger des Angeklagten beantragte, den Angeklagten freizusprechen und beantragte im Wege des Hilfsbeweisantrages das Abhören der im Rahmen der akustischen Raumüberwachung am 17. Dezember 2003 zwischen 14:15 Uhr und 15:00 Uhr (Zeitpunkt der Festnahme) aufgezeichneten „Geräusche und Gespräche”. Ziel dieses Antrags war, behauptete verbotene Vernehmungsmethoden der Polizei anlässlich der Festnahme und der daran anschließenden Beschuldigtenvernehmung des Angeklagten zu belegen. Hierbei handelte es sich der Sache nach um einen Freibeweis.
Nach erneutem Eintritt in die Beweisaufnahme wurden am achten Verhandlungstag auf Verfügung des Vorsitzenden Aufzeichnungen der Telekommunikation und der Raumgespräche – nicht nur zu dem beantragten kurzen Zeitraum, sondern Aufzeichnungen von mehreren Tagen – vorgespielt. Dem widersprach der Verteidiger nicht. Die Verschriftung der in der Hauptverhandlung abgespielten Raumgesprächsaufzeichnung gibt über mehrere Tage hinweg aufgezeichnete Geräusche wie „pinkeln”, „Spülung”, „pupsen”, „husten”, „schnarchen” sowie Selbstgespräche des Angeklagten minuziös wieder.
c) Mit dem am 8. Dezember 2003 aufgezeichneten Selbstgespräch des Angeklagten, welches vom Landgericht – strengbeweislich – als Belastungsindiz gewertet wurde, hat es folgende Bewandtnis:
Gegen 22:35 Uhr rief eine Arbeitskollegin den Angeklagten in dessen Krankenzimmer an; dieses Telefongespräch wurde ebenfalls aufgezeichnet. Die Arbeitskollegin berichtete, sie sei von der Kriminalpolizei über den Angeklagten, insbesondere über sein aggressives Verhalten befragt worden. Die Polizei habe sie auch befragt, ob er seine Hasen selbst geschlachtet habe und ob er Rechts- oder Linkshänder sei. Im Anschluss an dieses Telefongespräch führte der Angeklagte in seinem Krankenzimmer ein erregtes Selbstgespräch. Dabei rief er aus: „Sehr aggressiv, sehr aggressiv, sehr aggressiv! In Kopf hätt i eam schießen sollen, in Kopf hätt i eam schießen sollen, selber umgebracht … in Kopf hätt i eam schießen sollen.”
Das Landgericht zog aus diesem Selbstgespräch – das Gegenstand der Verfahrensrüge ist – den Schluss, der Angeklagte habe sich Gedanken darüber gemacht, dass er durch das Erschlagen des F. M. den Verdacht auf sich gelenkt habe. Es sei keine andere Erklärung ersichtlich, weshalb er in diesem Moment die Erwägung angestellt habe, ob es nicht besser gewesen wäre, „ihn in den Kopf zu schießen”. Nach Überzeugung des Landgerichts habe sich diese Äußerung auf F. M. bezogen. Eine andere Person, gegen die sich in diesem Moment nach dem Telefongespräch mit seiner Arbeitskollegin seine darin zum Ausdruck kommende Wut habe richten können, sei nicht ersichtlich.
2. Der Senat kann offen lassen, ob der Beschluss, mit dem die akustische Wohnraumüberwachung angeordnet wurde, inhaltlich den Anforderungen des Grundrechts aus Art. 13 GG genügt (vgl. BVerfGE 109, 279, 360). Er kann auch offen lassen, ob die Maßnahme im Hinblick auf die Erhebung absolut geschützter Informationen wenigstens zu unterbrechen war (vgl. BVerfGE 109, 279, 318). Denn nach § 100c Abs. 5 Satz 3 StPO (in der jetzt geltenden Fassung auf Grund des Gesetzes vom 24. Juni 2005, BGBl I S. 1841) durfte das Landgericht das Selbstgespräch nicht – wie geschehen – zu Beweiszwecken verwerten.
Das hier geführte Selbstgespräch ist nämlich dem durch Art. 13 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen (§ 100c Abs. 4 StPO). Erkenntnisse über solche Äußerungen unterliegen einem „absoluten Verwertungsverbot” und dürfen auch im Hauptsacheverfahren nicht verwertet werden (BVerfGE 109, 279, 331). Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit – hier die Aufklärung eines Mordes – können, so das Bundesverfassungsgericht, einen Eingriff in diesen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen (BVerfGE 109, 279, 313, 314). Das Selbstgespräch des Angeklagten in dem Krankenzimmer ist diesem – durch Art. 13 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten – Kernbereich zuzurechnen. Maßgebend dafür ist eine Kumulation mehrerer Umstände. Es handelte sich um ein aufgrund einer staatlichen Überwachungsmaßnahme aufgezeichnetes Selbstgespräch. Dieses Selbstgespräch hatte der Angeklagte in einem hier von Art. 13 GG geschützten Wohnraum geführt. Der Inhalt des Selbstgespräches war in Bezug auf den Tatvorwurf interpretationsbedürftig. Dass das hier geführte Selbstgespräch dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen ist, ergibt sich aus Folgendem:
a) Schon wegen der Art des Raumes, in dem das Selbstgespräch geführt wurde, besteht eine Vermutung, dass der Kernbereich tangiert sein kann. Das vom Angeklagten genutzte Krankenzimmer in einer Rehabilitationsklinik unterfällt dem Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG, weil ihm – wie einer Privatwohnung – typischerweise die Funktion als Rückzugsbereich der privaten Lebensgestaltung zukommt.
aa) Der Begriff der Wohnung im Sinne von Art. 13 GG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 32, 54, 69 ff.) nicht im engen Sinne der Umgangssprache zu verstehen, vielmehr ist er weit auszulegen (vgl. BGHSt 42, 372, 375 f.). Er umfasst zur Gewährleistung einer räumlichen Sphäre, in der sich das Privatleben ungestört entfalten kann, alle Räume, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine Abschottung entzogen und zur Stätte privaten Wirkens gemacht sind (BTDrucks. 15/4533 S. 11; BVerfGE 89, 1, 12; Papier in Maunz/Dürig/Herzog, GG Art. 13 Rdn. 10 f.; Herdegen in Bonner Kommentar, GG Art. 13 Rdn. 26; Kunig in von Münch GG-Kommentar Bd. I Art. 13 Rdn. 10; AK-GG Berkemann, 3. Aufl. Art. 13 Rdn. 51 ff.). Maßgeblich ist dabei die nach außen erkennbare Willensbetätigung desjenigen, der einem Raum kraft „Widmung” den Schutz der Privatheit verschafft (Hermes in Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl. Art. 13 Rdn. 17).
bb) In der verfassungsrechtlichen Literatur besteht Einigkeit darüber, dass der Schutzbereich des Art. 13 GG über den alltagssprachlichen Wohnungsbegriff (Haupteinschließlich Nebenwohnräume) hinaus auch andere Räume schützt, soweit sie als Räume der Freizeit, Räume der Mobilität, kultusbezogene oder der sozialen Beratung zuzuordnen sind und die Privatheit der Lebensgestaltung ermöglichen, denn deren Schutz soll durch diese Vorschrift umfassend gewährleistet werden (vgl. die Aufstellung bei Berkemann in AK-GG aaO Rdn. 41; Papier in Maunz/Dürig/Herzog aaO Rdn. 10 f.). Dazu zählen etwa Gartenhäuser, Hotelzimmer, Wohnwagen, Wohnmobile, bewohnbare Schiffe, Zelte, Schlafwagenabteile, nicht allgemein zugängliche Geschäfts- und Büroräume oder ein nicht allgemein zugängliches Vereinsbüro. Demgegenüber werden z. B. Unterkunftsräume eines Soldaten oder Polizeibeamten, Personenkraftwagen (vgl. BGH – Ermittlungsrichter – NStZ 1998, 157) oder Hafträume in einer Justizvollzugsanstalt (vgl. BVerfG NJW 1996, 2643; BGHSt 44, 138) nicht als Wohnung im Sinne des Art. 13 GG angesehen.
cc) Nach diesem Maßstab fallen auch Krankenzimmer unter den Schutzbereich des Art. 13 GG, selbst wenn diese Räumlichkeiten nur zu bestimmten Zwecken der Unterbringung und nur vorübergehend überlassen werden (entgegen Kunig in von Münch GG-Kommentar aaO Rdn. 15 und Cassardt in GG, Umbach/Clemens [Hrsg.], GG-Mitarbeiterkommentar, Bd. 1 Art. 13 Rdn. 33 jeweils unter Hinweis auf LSG Schleswig-Holstein, NJW 1987, 2958). Zwar mag bei Krankenzimmern wie bei Geschäftsräumen nicht der volle Schutz des Art. 13 GG zugunsten der Wahrung der räumlichen Privatsphäre gelten wie bei der Wohnung im engeren Sinne, weil den Krankenhausärzten und dem übrigen Krankenhauspersonal aufgrund ihres Heil- und Betreuungsauftrages Betretungs-, Überwachungs- und Kontrollbefugnisse zustehen. Diese Rechte heben jedoch den Privatcharakter des Krankenzimmers nicht auf (vgl. für Geschäfts- und Betriebsräume Papier in Maunz/Dürig/Herzog aaO Rdn. 14). Ob etwas anderes gelten könnte, wenn der Patient sich nicht – wie hier – aus einem eigenen Rehabilitationsinteresse in einer Klinik aufhält, sondern auch außerhalb der Anwendungen regelmäßig einer durch medizinische Notwendigkeit oder durch Sicherheitsinteressen begründeten dauerhaften Überwachung bedarf, mag dahin stehen. Um eine solche Unterbringung handelt es sich vorliegend nicht.
Für die Menschenwürderelevanz der überwachten Äußerungen spricht auch, dass grundsätzlich nur Personen des besonderen von § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 53a StPO geschützten Vertrauens Zutritt hatten. Von daher war insbesondere eine Kommunikation mit Berufsgeheimnisträgern zu erwarten.
b) Auch Art und Inhalt der Äußerung des Angeklagten sprechen für den absolut geschützten Kernbereich. Allerdings enthielt das Selbstgespräch – nach der durchaus vertretbaren Ansicht des Landgerichts – Angaben über den Tatvorwurf. „Gespräche”, die Angaben über eine konkret begangene Straftat enthalten (Sozialbezug), gehören ihrem Inhalt nach nicht zum unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung (BVerfGE 109, 279, 319). Auch nach § 100c Abs. 4 Satz 3 StPO sind sie dem Kernbereich grundsätzlich nicht zuzurechnen.
Hier besteht jedoch die Besonderheit, dass der Angeklagte nicht mit anderen kommuniziert, sondern ein Selbstgespräch geführt hat. Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Urteil vom 3. März 2004 bei der Frage eines derartigen Sozialbezuges primär auf die Kommunikation mit anderen Personen, das „Zwiegespräch”, ab (BVerfGE 109, 279, 319, 321).
Das Urteil vom 3. März 2004 nimmt Bezug auf die Tagebuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. September 1989 (BVerfGE 80, 367). Wegen Stimmengleichheit ließ sich dort nicht feststellen, dass die Verwertung tagebuchähnlicher Aufzeichnungen des Angeklagten zu Beweiszwecken gegen das Grundgesetz verstieß. Maßgeblich für die Verneinung des Verfassungsverstoßes durch vier Richter war, dass der Angeklagte seine Gedanken schriftlich niedergelegt hatte. Damit habe er sie aus dem von ihm beherrschbaren Innenbereich entlassen und der Gefahr eines Zugriffs preisgegeben (BVerfGE 80, 367, 376). Die vier anderen Richter waren hingegen der Ansicht, dass die tagebuchähnlichen Aufzeichnungen ausschließlich höchstpersönlichen Charakter – wie ein Selbstgespräch – hatten. Die Auseinandersetzung des Angeklagten mit dem eigenen Ich habe ihren höchstpersönlichen Charakter nicht deshalb verloren, weil sie dem Papier anvertraut worden sei.
Trotz des in dem Beschluss vom 14. September 1989 bestehen gebliebenen Dissenses über die strafprozessuale Verwertung von tagebuchähnlichen Aufzeichnungen gehört das Selbstgespräch selbst nach den Maßstäben der die Entscheidung des Zweiten Senats tragenden vier Richter grundsätzlich zum absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung. Unzweifelhaft will der Betroffene in einem Selbstgespräch einen Lebenssachverhalt geheim halten. Daran ändert auch nichts, dass diesem „im nachhinein und von außen her eine Beziehung zu Allgemeinbelangen herangetragen werden [würde], die [ihm] ursprünglich, also aus sich heraus, nicht eigen war” (so die vier unterlegenen Richter zu den tagebuchähnlichen Aufzeichnungen, BVerfGE 80, 367, 382). Das Gespräch mit sich selbst ist gekennzeichnet durch unwillkürlich auftretende Bewusstseinsinhalte und hat persönliche Erwartungen, Befürchtungen, Bewertungen, Selbstanweisungen sowie seelisch-körperliche Gefühle und Befindlichkeiten zum Inhalt (Wenninger [Hrsg.], Lexikon der Psychologie, Stichwort „Selbstkommunikation”, Band 4, S. 133). Das Selbstgespräch hat somit ausschließlich höchstpersönlichen Charakter und berührt aus sich heraus nicht die Sphäre anderer oder der Gemeinschaft.
c) Die Anwendung dieser Grundsätze der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auf die vorliegende Fallgestaltung muss dazu führen, dass ein Selbstgespräch der vorliegenden Art – weil es in keiner Form verdinglicht und der Gefahr eines Zugriffs preisgegeben war – dem unantastbaren Kernbereich zuzurechnen ist.
Dies ergibt sich auch aus der in Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 erfolgten Novellierung in § 100c Abs. 4 Satz 3 StPO. Diese Bestimmung differenziert zwischen „Gesprächen” über begangene Straftaten und „Äußerungen”, mittels derer Straftaten begangen werden. Daraus folgt im Gegenschluss, dass „Gespräch” nur solche Äußerungen – wenigstens im „Zwiegespräch” – meint, die dazu bestimmt sind, von anderen zur Kenntnis genommen zu werden. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/4533, S. 14) macht das deutlich: „Sofern man dabei den Gedanken des Sozialbezugs entsprechender Äußerungen zugrunde legt …, werden in der Regel auch Äußerungen eines Beschuldigten, die dieser tätigt, wenn er sich alleine in der überwachten Wohnung aufhält, oder Äußerungen, die nicht dazu bestimmt sind, von anderen zur Kenntnis genommen zu werden, wie etwa unbewusst artikulierte Äußerungen, dem absolut geschützten Kernbereich unterfallen.”
d) Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob Selbstgespräche, die sich unmittelbar auf eine konkrete Straftat beziehen, schlechthin („absolut”, vgl. BVerfGE 109, 279, 332) unverwertbar sind. So mag etwa eine Verwertung ausschließlich zum Zwecke der Gefahrenabwehr in Betracht kommen, wenn das Selbstgespräch eines Kindesentführers Aufschluss darüber ergibt, wo das Kind gefangen gehalten wird. Auch kann es Fallgestaltungen geben, in denen das Selbstgespräch eindeutig entlastenden Inhalt hat (vgl. BVerfGE 109, 279, 369 ff.), weshalb auch der Angeklagte ein Interesse an der Verwertung haben kann.
3. Der Umstand, dass das Vorspielen der Aufzeichnungen auf Initiative des Angeklagten erfolgte, führt hier nicht zum Wegfall des Verwertungsverbots.
a) Der Antrag des Angeklagten auf Abspielen der Aufzeichnungen hatte nur den engen Zeitraum der Festnahme am 17. Dezember 2003 zum Gegenstand. Begehrt war auch nur die freibeweisliche Klärung der Behauptung von verbotenen Vernehmungsmethoden. Vorgespielt hat das Landgericht indes auch die Aufzeichnung des Selbstgesprächs vom 8. Dezember 2003. Dieses Selbstgespräch hat es dann aber auch zum Schuldnachweis – strengbeweislich – verwertet.
b) Der Senat hat erwogen, ob der Angeklagte über die Verwertung disponieren kann, etwa in Form der Widerspruchslösung. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass die bei der akustischen Wohnraumüberwachung angefallenen Informationen auch Entlastendes enthalten (vgl. BVerfGE 109, 279, 369 ff.).
So könnte das Selbstgespräch auch ein gewichtiges Entlastungsindiz sein („ich bin unschuldig, aber niemand glaubt mir”) oder jedenfalls den Schuldumfang reduzieren (Nachweis der Voraussetzungen des § 213 1. Alt. StGB oder eines Affekts). Dem Angeklagten „zum Schutze seiner Menschenwürde” zu verbieten, diese Information zum Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) zu machen und damit jeder richterlichen Würdigung – auch bei der Anwendung des Zweifelssatzes – zu entziehen, erscheint schwerlich vorstellbar.
Diese Fragen stellen sich – mit erheblicher praktischer Relevanz – auch bei dem eventuell gebotenen Abbruch der Überwachung oder bei der Löschung der Aufzeichnungen. Die Entscheidung, ob die Erkenntnisse belastend oder entlastend sind, wird zu diesem Zeitpunkt nicht stets zuverlässig getroffen werden können. Werden – um dem Angeklagten den möglichen Entlastungsbeweis zu erhalten – die Überwachung nicht abgebrochen oder die Aufzeichnungen nicht sogleich gelöscht, dann führt dies zwangsläufig zur Frage der Disponibilität zugunsten des Angeklagten mit der weiteren Frage, ob der Angeklagte nur eine selektive Verwertung („Rosinentheorie”) verlangen kann.
c) Eines Widerspruchs bedurfte es hier jedoch nicht. Selbst wenn der Angeklagte mit der Möglichkeit rechnen musste, dass die vorgespielten Aufzeichnungen insgesamt auch strengbeweislich verwertet würden, so war für ihn jedoch nicht ohne weiteres erkennbar, dass sich die Aufzeichnungen zu seinen Lasten auswirken würden.
Die dem Verteidiger infolge Akteneinsicht bekannten Gesprächsaufzeichnungen sind ach in der Anklageschrift nicht als klar belastende Beweismittel eingestuft. Im wesentlichen Ermittlungsergebnis ist ausgeführt, dass die Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung keine Hinweise zum Tatgeschehen erbracht haben. Die akustische Raumüberwachung habe ergeben, dass der Angeklagte mit anderen Personen keine relevanten Gespräche geführt habe. Die aufgezeichneten Selbstgespräche des Angeklagten zeigten innere Anspannung und Wut und hatten generell Gewalt gegen andere Personen zum Gegenstand „Offensichtlich in Bezug zu den Ermittlungen” stünde zwar das Selbstgespräch des Angeklagten nach einem Telefonat mit einer Arbeitskollegin. Aber auch dieser Bewertung musste der Verteidiger nicht entnehmen, dass der Bezug zu den Ermittlungen auch als Belastungsindiz für die Täterschaft gewertet würde.
Hinzu kommt, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat und durch seinen Verteidiger die Tat bestreiten ließ. Damit ist offensichtlich, dass der Angeklagte mit einer strengbeweislichen Verwertung zu seinen Lasten nicht einverstanden war. Jedenfalls bei einer solchen Fallgestaltung bedurfte es keines ausdrücklichen Widerspruchs des Angeklagten gegen die Verwertung.
4. Die Verurteilung wegen Mordes beruht – ausweislich der revisionsrechtlich allein maßgeblichen Urteilsgründe – auf der Verwertung des aufgezeichneten Selbstgesprächs des Angeklagten. Das Landgericht hat die Äußerungen des Angeklagten sowohl als gleichberechtigtes Einzelindiz in die Beweiswürdigung eingestellt, als dieses auch bei der Gesamtwürdigung noch einmal zur Bildung einer Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten herangezogen.
Ob eine Verurteilung des Angeklagten ohne Verwertung des aufgezeichneten Selbstgesprächs aufgrund der übrigen Beweisanzeichen möglich ist, muss dem neuen Tatrichter vorbehalten bleiben.
Unterschriften
Nack, Wahl, Boetticher, Herr RiBGH Hebenstreit befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift verhindert. Nack, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2556044 |
BGHSt 2006, 206 |
BGHSt |
NJW 2005, 3295 |
EBE/BGH 2005, 306 |
JR 2006, 214 |
NStZ 2005, 700 |
NStZ 2006, 179 |
ZAP 2005, 1301 |
wistra 2006, 29 |
DSB 2005, 20 |
DVP 2008, 282 |
JA 2006, 15 |
JuS 2006, 91 |
RDV 2005, 266 |
Kriminalistik 2006, 310 |
NJW-Spezial 2005, 520 |
NPA 2006 |
RÜ 2005, 594 |
StV 2005, 591 |
StV 2005, 650 |
StraFo 2005, 459 |
LL 2006, 113 |