Leitsatz (amtlich)
Der gesetzlich angeordnete Bestandsschutz für einen fehlerhaften Grundstücksankauf zu Volkseigentum ist nicht verfassungswidrig.
Normenkette
EGBGB 1986 Art. 237 § 1 Abs. 1 Fassung:1997-07-24
Verfahrensgang
OLG Naumburg (Urteil vom 30.01.1996) |
LG Halle (Saale) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 30. Januar 1996 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt als Mitglied einer Erbengemeinschaft für diese Auskunft über die ab dem 3. Oktober 1990 gezogenen Nutzungen aus einem Grundstück in Halle sowie deren Hinterlegung. Das Grundstück gehörte ehemals dem Erblasser E. W..
Mit notariellem Vertrag vom 13. November 1959 veräußerte die damals ungeteilte Erbengemeinschaft nach E. W. das Firmengrundstück für 180.650 Mark/DDR an das Institut für Z. – und St. H. -T., dessen Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist. Im Grundbuch wurde am 25. Mai 1960 eingetragen: „Eigentum des Volkes, Rechtsträger: I. f. F. u. R. d. Z. „. Das Grundbuch wurde nicht geschlossen.
Die Klägerin hat behauptet, Mitglied der bislang ungeteilten Erbengemeinschaft nach E. W. zu sein. Sie hält den Kaufvertrag und die Auflassung für unwirksam, weil Mitglieder der Erbengemeinschaft bei Abschluß des Kaufvertrages nicht wirksam vertreten worden seien. Die damals in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland legal übergesiedelte Miterbin E. F. sei durch die Deutsche Investitionsbank deswegen nicht wirksam vertreten gewesen, weil ihr Eigentumsanteil mangels entsprechender Anordnung nicht in vorläufige staatliche Verwaltung genommen worden sei. Für die unter Pflegschaft stehende Miterbin I. W. sei der Vertrag nicht genehmigt worden, zumindest sei die Genehmigung nicht bekanntgemacht worden.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg.
1. Das Berufungsurteil ist allerdings mit der gegebenen Begründung, daß der Beklagte Eigentum an dem Grundstück jedenfalls durch Ersitzung erworben habe, nicht aufrechtzuerhalten. Wie der Senat durch Urteil vom 29. März 1996 (V ZR 326/94, NJW 1996, 1890, für BGHZ 132, 245 bestimmt) entschieden hat, konnte während der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der DDR, mithin bis 31. Dezember 1975, Volkseigentum nicht durch Ersitzung begründet werden. Ob die am 1. Januar 1976 in Kraft getretene Grundbuchverfahrensordnung der DDR Grundlage für eine Ersitzung zugunsten des Volkseigentums bot, kann auch hier offen bleiben, weil eine danach in Lauf gesetzte Ersitzungsfrist gemäß Art. 231 § 6 Abs. 1 und 3 EGBGB in Verbindung mit § 900 BGB erst nach Ablauf des 31. Dezember 2005 enden würde.
Die Entscheidung ist in der Literatur teilweise auf Kritik gestoßen (Kothe, EWiR § 900 BGB 1/96; Schmidt-Räntsch, ZIP 1996, 1858; Stadler, DtZ 1997, 82; Walter, DtZ 1996, 226; Wilhelms, VIZ 1996, 525; zustimmend dagegen: Grün, ZIP 1996, 1860; Plagemann/Wunderlich, DZWiR 1997, 18, 23; vgl. auch Janke, NJ 1996, 281, 283; Wilhelm, OV-spezial 1/97, S. 14, 15). Mit Urteil vom 11. Juli 1997 (V ZR 313/95, zur Veröffentlichung – auch in BGHZ – bestimmt) hat der Senat sich hiermit auseinandergesetzt und an seiner Rechtsprechung festgehalten. Er hat dabei auch ausgesprochen, daß eine Ersitzung zugunsten des Volkseigentums selbst dann nicht möglich war, wenn das Grundbuch nicht geschlossen, sondern – wie hier – fortgeführt wurde. Denn aufgrund der Anweisung über die Schließung der Grundbuchblätter für Grundstücke, die in das Eigentum des Volkes übergehen, vom 30. Januar 1965 (abgedr. in Tatzkow/Henicke, Grundbuchdokumentation und Grundbuchmanipulation in der früheren DDR, Dok. 30) war der Rechtsschein einer Eintragung, die bei einem Vollzugsdefizit erhalten geblieben war, ausgehöhlt und keine geeignete Grundlage mehr für eine Ersitzung. Dies gilt unabhängig von der Art des zugrundeliegenden Erwerbs, so daß auch bei unwirksamem rechtsgeschäftlichen Erwerb eine Ersitzung ausscheidet.
2. Die Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar. Gemäß dem erst nach Schluß der mündlichen Tatsachenverhandlung in Kraft getretenen, vom Revisionsgericht zu berücksichtigenden (MünchKomm-ZPO/Walchshöfer, § 549 Rdn. 7) Art. 237 § 1 Abs. 1 EGBGB i.d.F. des Gesetzes zur Absicherung der Wohnraummodernisierung und einiger Fälle der Restitution (Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz – WoModSiG) vom 17. Juli 1997 (BGBl I S. 1823) sind Fehler bei dem Ankauf, der Enteignung oder der sonstigen Überführung eines Grundstücks oder selbständigen Gebäudeeigentums in Volkseigentum nur zu beachten, wenn das Grundstück oder selbständige Gebäudeeigentum nach den allgemeinen Rechtsvorschriften, Verfahrensgrundsätzen und der ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis, die im Zeitpunkt der Überführung in Volkseigentum hierfür maßgeblich waren, nicht wirksam in Volkseigentum hätte überführt werden können oder wenn die mögliche Überführung in Volkseigentum mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schlechthin unvereinbar war.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Nach der Beschlußempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses vom 20. März 1997 (BT-Drucks. 13/7275 S. 41) soll es für den Bestandsschutz einer Enteignung, eines Ankaufs oder einer sonstigen Überführung in Volkseigentum grundsätzlich nicht darauf ankommen, ob die Enteignung, der Ankauf oder die sonstige Überführung in Volkseigentum im einzelnen formell korrekt abgelaufen ist. Entscheidend soll vielmehr sein, ob sie nach dem Recht der DDR sachlich-inhaltlich möglich war oder nicht. Die Vorschrift erfaßt daher auch Sachverhalte, in denen im Falle eines Ankaufs der Vertrag wegen Mängeln in der Vertretung oder unter Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs das dingliche Geschäft mangels einer wirksamen Auflassung nicht zustande gekommen ist (Czub, VIZ 1997, 561, 566). Der Bestandsschutz dieser Rechtshandlungen soll nur davon abhängen, ob nach den seinerzeit geltenden Rechtsvorschriften, Rechtsgrundsätzen und ordnungsgemäßer Verwaltungspraxis der Zweck der Rechtshandlung, die Überführung in das Volkseigentum, auch rechtswirksam hätte herbeigeführt werden können. Dies ist vorliegend der Fall. Die von der Klägerin geltend gemachten Mängel waren vermeidbar. Die vorläufige staatliche Verwaltung des der Miterbin F. gehörenden Anteils am Grundstück hätte angeordnet werden müssen und angeordnet werden können. Desgleichen hätte der Vertragsschluß für I. W. genehmigt werden können, so wie er auch für die minderjährige Miterbin W. genehmigt worden ist. Irgendwelche Hindernisse standen nicht entgegen. Die Mängel sind daher unbeachtlich und bedürfen keiner weiteren Aufklärung mehr.
Die Vorschrift begegnet entgegen der im Schrifttum geäußerten Auffassung (Grün, ZIP 1997, 491, 494; Horst, DtZ 1997, 183, 185) jedenfalls für die hier vorliegende Fallgruppe des zivilrechtlich fehlerhaften Ankaufs zu Volkseigentum grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dabei kann offenbleiben, ob es sich um eine echte Heilungsbestimmung, die im Einzelfall den vollständigen Verlust des fehlerhaft veräußerten Privateigentums zur Folge hätte, oder um eine Vorschrift handelt, welche die Erwerbsmängel für unbeachtlich erklärt und auf diese Weise wie ein (gesetzlicher) Verwirkungstatbestand nur zu einer in dem Verlust der Rechte aus dem Eigentum bestehenden materiellen Beschränkung des Eigentums (vgl. BGHZ 122, 308, 314) führt. Denn die im Zuge der Neugestaltung eines Rechtsgebiets getroffene Regelung stellt selbst dann noch eine bloße Eigentumsbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar, wenn mit ihr eine schutzfähige Eigentumsposition vollständig entzogen wird. Die hierfür geltenden verfassungsrechtlichen Schranken (BVerfGE 83, 201, 212 ff) sind gewahrt. Soweit in besonders gelagerten Einzelfällen die Überführung in Volkseigentum zwar möglich, aber mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schlechthin unvereinbar gewesen wäre, enthält das Gesetz die verfassungsrechtlich gebotene Einschränkung des Bestandsschutzes.
Die Frage, wem das Eigentum und die daraus hergeleiteten Rechte an einem zugunsten des Volkseigentums erworbenen und im Grundbuch umgeschriebenen Grundstück tatsächlich zustehen, stellte sich frühestens mit dem Umbruch in der DDR und dem Wirksamwerden des Beitritts. Vorher hatten sich alle Beteiligten am Rechtsgeschäft darauf eingerichtet, daß die Überführung in Volkseigentum endgültig war. Die Eigentumsposition des Veräußerers war durch den verfassungsrechtlichen Schutz des Volkseigentums (Art. 10 Abs. 2 DDR-Verfassung), durch Zeitablauf (der Herausgabeanspruch war – wie hier – oft verjährt [vgl. BGHZ 122, 308, 311 f], das Eigentum nach dem Recht der Bundesrepublik sogar ersessen) und/oder durch schützenswerte Interessen der Nutzungsberechtigten (vgl. BVerfG DtZ 1995, 360) so geschmälert, daß ihre Realisierung vor dem Wirksamwerden des Beitritts ausgeschlossen erschien (vgl. BVerfG VIZ 1997, 283, 284) und auch nachher nicht sicher zu erwarten war. Für den Veräußerer war es vielmehr ungewiß, ob ein auf das – bis zur Einheit als bloße Hülse bestehende – Eigentum gestützter Anspruch überhaupt Erfolg haben werde (vgl. BVerfG NJW 1997, 447, 448; DtZ 1997, 193). Daß ein fehlerhafter Grundstückskauf nach dem Recht der DDR nicht im Wege der Ersitzung hatte wirksam werden können, hat der Senat erst mit Urteil vom 29. März 1996 (V ZR 326/94, aaO) entschieden. Ob und inwieweit er im Hinblick auf die im Schrifttum geübte Kritik an seiner Entscheidung festhalten werde, stand erst mit dem Urteil vom 11. Juli 1997 (V ZR 313/95), also zu einem Zeitpunkt fest, als die parlamentarischen Beratungen über das Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz bereits vor dem Abschluß standen. Die Entscheidung darüber, ob Fehler des Rechtsgeschäfts im Einzelfall aus anderen Gründen (Treu und Glauben, vgl. Senatsurt. v. 11. Juli 1997, V ZR 313/95, WM 1997, 1858) unbeachtlich sind, hängt von den jeweiligen Umständen ab. Wenn der Gesetzgeber in dieser vereinigungsbedingten, von allgemeiner und erheblicher Rechtsunsicherheit gekennzeichneten, Sondersituation bei der von ihm angestrebten sozial verträglichen Gesamtbereinigung der Rechtsverhältnisse den vorgefundenen tatsächlichen Bestand generell für schützenswerter hält als das – in der Vergangenheit nicht betätigte – Vertrauen des Eigentümers in den Fortbestand der ihm verbliebenen Rechtsposition, so ist der damit verbundene entschädigungslose Verlust von Eigentumsrechten – ausnahmsweise – durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 83, 201, 212 f) gerechtfertigt. Die Situation ist insoweit im Ergebnis nicht wesentlich anders als in den Fällen, in denen – wie z.B. durch Art. 233 § 2 b Abs. 6 EGBGB oder durch § 1 Abs. 1 BeurkÄndG vom 20. Februar 1980 (BGBl I S. 157) – Mängel des Rechtsgeschäfts in verfassungsrechtlich zulässiger Weise (vgl. Senatsurt. v. 19. September 1980, V ZR 102/79, NJW 1981, 228, 230; BVerfGE 72, 302 ff zu § 1 Abs. 1 BeurkÄndG; Senatsurt. v. 7. April 1995, V ZR 138/93, WM 1995, 1423, 1424) rückwirkend geheilt werden.
Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt ebenfalls nicht vor. Weder ist der getroffene Regelungsbereich mit der entsprechenden Rechtslage in den alten Bundesländern vergleichbar, noch war der Gesetzgeber gehindert, nur an die noch nicht rückabgewickelten fehlerhaften Rechtsgeschäfte, also an den aktuellen Bestand der noch offenen Rechtsbeziehungen, anzuknüpfen und diese als Regelungslücke zum Vermögensgesetz und Sachenrechtsbereinigungsgesetz empfundenen Rechtsbereiche in einer am Nachzeichnungsprinzip (BT-Drucks. 13/7275 S. 40; Czub, VIZ 1997, 561, 567) orientierten Weise unabhängig von dem zwischenzeitlich erreichten Grad der Verfestigung des Eigentums neu zu gestalten, um – fehlerabhängige – Zufallsgewinne aus der Wiederherstellung der staatlichen Einheit (Czub aaO S. 568) auszuschließen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Vogt, Lambert-Lang, Wenzel, Krüger, Klein
Fundstellen
Haufe-Index 1383875 |
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
VIZ 1998, 94 |
WM 1998, 81 |
MDR 1998, 210 |
NJ 1998, 420 |
OVS 1998, 140 |
ThürVBl. 1998, 161 |