Leitsatz (amtlich)
Wird ein Grundstück in der Weise geteilt, dass Räume eines aufstehenden Gebäudes von der Grenze der beiden neu gebildeten Grundstücke durchschnitten werden, sind diese wesentlicher Bestandteil des Grundstücks, auf dem das Gebäude steht, welchem die Räume bei natürlicher Betrachtung zuzuordnen sind. Der Wille der Beteiligten, die von der Grundstücksgrenze durchschnittenen Räume eigentumsmäßig beiden Grundstücken zuzuordnen, ist demgegenüber unbeachtlich.
Normenkette
BGB §§ 93-94; ZGB DDR § 295; ZGB DDR § 467
Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Urteil vom 04.03.2003) |
AG Neustrelitz (Urteil vom 02.10.2002) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Neubrandenburg v. 4.3.2003 im Kostenpunkt und, soweit es die Klage betrifft, aufgehoben und das Urteil des AG Neustrelitz v. 2.10.2002 abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges und der Revisionsinstanz trägt der Kläger; die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Herausgabe von Wohnraumflächen.
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in Mecklenburg-Vorpommern, auf denen ein Haus mit zwei nebeneinander liegenden Wohnungen steht. Ursprünglich befand sich das Gebäude auf einem ungeteilten Grundstück, welches der Mutter der Beklagten gehörte. Von ihr erwarb die Beklagte 1980 eine Grundstückshälfte. In diesem Zusammenhang wurde das Grundstück so geteilt, dass die Grenze im Erdgeschoss und im Obergeschoss je einen Raum durchschneidet. Mit Einverständnis ihrer Mutter nutzte die Beklagte diese Räume und baute sie aus. Nach dem Tod der Mutter ging deren Grundstück mit dem darauf befindlichen Gebäudeteil in das Eigentum einer Erbengemeinschaft über. Sodann erwarb es der Kläger Anfang 2001 im Wege der Zwangsversteigerung.
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Herausgabe der bei vertikaler Teilung auf seinem Grundstück befindlichen Raumflächen. Das AG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer - von dem LG zugelassenen - Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel einer Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Kläger könne Herausgabe der auf seinem Grundstücksteil befindlichen Raumflächen, die von der Beklagten genutzt werden, nach § 985 BGB verlangen. Die Beklagte habe kein Recht zum Besitz. Ein Überbau i. S. d. § 912 BGB liege nicht vor, da die Beklagte die Grenze nicht überbaut habe. Eine entsprechende Anwendung von § 912 BGB sei nicht angebracht. Anlässlich der nachträglich erfolgten Aufteilung und Grenzziehung sei es den Beteiligten ohne weiteres möglich gewesen, den Grenzverlauf innerhalb des Hauses der tatsächlichen Nutzung anzupassen. Da dies unterblieben sei, könne nur gefolgert werden, dass sie eine entsprechende Grenzziehung nicht gewollt hätten. Aus dem Einverständnis ihrer Mutter mit der Nutzung der streitigen Flächen könne die Beklagte gegenüber dem Kläger keine Rechte herleiten. Das Grundstück sei vom Kläger im Wege der Zwangsversteigerung und damit lastenfrei erworben worden.
II.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
1. Die angefochtene Entscheidung ist allerdings nicht deshalb aufzuheben, weil die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache durch einen Einzelrichter erfolgt ist. Anders als bei Beschlüssen in Beschwerdeverfahren, in denen der Einzelrichter die Rechtsbeschwerde wegen Grundsätzlichkeit zugelassen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 13.3.2003 - IX ZB 134/02, MDR 2003, 588 = BGHReport 2003, 627 = NJW 2003, 1254), ist der Einzelrichter, dem das Verfahren vom Kollegium übertragen wurde, im Berufungsverfahren der zur Entscheidung befugte gesetzliche Richter (vgl. BGH, Urt. v. 16.7.2003 - VIII ZR 286/02, BGHReport 2003, 1234 = NJW 2003, 2900).
2. In der Sache hält das Berufungsurteil einer revisionsrechtlichen Nachprüfung jedoch nicht stand. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Herausgabe der streitgegenständlichen Flächen nach § 985 BGB zu, da diese nicht in seinem, sondern im Eigentum der Beklagten stehen.
a) Die Teilung des Grundstücks und der Erwerb der Beklagten haben vor dem 3.10.1990 stattgefunden. Die sachenrechtlichen Wirkungen dieser Maßnahmen sind nach dem in Art. 233 § 2 Abs. 1 EGBGB zum Ausdruck kommenden Grundsatz daher nach dem Recht der DDR zu beurteilen (vgl. BGH, Urt. v. 24.1.1997 - V ZR 172/95, MDR 1997, 444 = VIZ 1997, 294).
Wurde ein Grundstück in der Weise aufgeteilt, dass die Grenze der beiden neu gebildeten Grundstücke ein vorhandenes Gebäude durchschneidet, und gelangten die Grundstücke in das Eigentum verschiedener Personen, standen sich bei der Zuordnung des Eigentums nach dem Recht der DDR zwei widerstreitende Prinzipien gegenüber, die in § 295 Abs. 1 ZGB geregelte Bindung des Eigentums am Gebäude an das Eigentum am Grundstück einerseits, und das nach § 467 Abs. 2 und 3 ZGB vorgesehene einheitliche Eigentum an einem Gebäude andererseits. Nach der Rechtsprechung des Senats ist dieser Konflikt auch für Grundstücke in den neuen Bundesländern anhand der für den so genannten Eigengrenzüberbau entwickelten Grundsätze (vgl. BGH BGHZ 64, 333; BGH v. 4.12.1987 - V ZR 274/86, BGHZ 102, 311 = MDR 1988, 394; v. 23.9.1988 - V ZR 231/87, BGHZ 105, 202 [204] = MDR 1989, 148; BGH v. 23.2.1990 - V ZR 231/88, BGHZ 110, 298 [302] = MDR 1990, 609) zu lösen (vgl. BGH, Urt. v. 24.1.1997 - V ZR 172/95, MDR 1997, 444 = VIZ 1997, 294).
In den Fällen des Eigengrenzüberbaus gibt der Senat in ständiger Rechtsprechung dem in § 93 BGB bzw. § 467 Abs. 2 und 3 ZGB geregelten Grundsatz des einheitlichen Eigentums an einer Sache den Vorzug gegenüber der in § 94 BGB bzw. § 295 Abs. 1 ZGB vorgesehenen Bindung des Eigentums an einem Gebäude an das Eigentum am Grundstück. Das bedeutet: Überschreitet der Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke mit dem Bau auf einem dieser Grundstücke die Grenze des anderen, so wird der hinübergebaute Gebäudeteil nicht Bestandteil des überbauten Grundstücks, sondern das Gebäude bildet, wenn es ein einheitliches Ganzes darstellt, einen wesentlichen Bestandteil desjenigen Grundstücks, von dem aus übergebaut worden ist (BGH, Urt. v. 26.4.1961 - V ZR 203/59, LM § 912 BGB Nr. 9; BGH v. 4.12.1987 - V ZR 274/86, BGHZ 102, 311 [314] = MDR 1988, 394; Urt. v. 12.10.2001 - V ZR 268/00, MDR 2002, 22 = BGHReport 2002, 49 = NJW 2002, 54).
Dasselbe gilt für den Fall der Teilung eines Grundstücks in der Weise, dass ein aufstehendes Gebäude von der Grenze der beiden neu gebildeten Grundstücke durchschnitten wird. Gelangen diese Grundstücke in das Eigentum verschiedener Personen, so ist das Eigentum an dem Gebäude als Ganzem, wenn sich der nach Umfang, Lage und wirtschaftlicher Bedeutung eindeutig maßgebende Teil auf einem der Grundstücke befindet, mit dem Eigentum an diesem Grundstück verbunden (BGH BGHZ 64, 333; v. 4.12.1987 - V ZR 274/86, BGHZ 102, 311 = MDR 1988, 394; v. 23.9.1988 - V ZR 231/87, BGHZ 105, 202 [204] = MDR 1989, 148; v. 23.2.1990 - V ZR 231/88, BGHZ 110, 298 [302] = MDR 1990, 609). Nur wenn die Grenzziehung zu einer Trennung des Gebäudes in zwei wirtschaftlich selbständige Einheiten führt, kann jeder Gebäudeteil dem Grundstück zugeordnet werden, auf dem er steht (Grundsatz der vertikalen Teilung entsprechend dem Gedanken des § 94 Abs. 1 BGB, vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2001 - V ZR 268/00, MDR 2002, 22 = BGHReport 2002, 49 = NJW 2002, 54). Ragt jedoch in einem solchen Fall ein Teil des einen Gebäudes in das Nachbargrundstück hinein, so findet auf diesen hineinragenden Teil, auch wenn er nur eines von mehreren Geschossen betrifft, wiederum § 93 BGB Anwendung. Nach dem darin zum Ausdruck gekommenen Gedanken, wirtschaftliche Werte möglichst zu erhalten, werden Räume, die von ihrer Größe, Lage, baulichen Eigenart und wirtschaftlichen Nutzung her einem (selbständigen) Gebäudeteil zugehörig sind, auch eigentumsrechtlich diesem Gebäudeteil zugeordnet, sind also mit dem Eigentum an dem Grundstück verbunden, auf dem sich der maßgebende Teil des Raums befindet.
b) Hiervon abzuweichen besteht für den vorliegenden Fall kein Anlass.
aa) Ohne Erfolg macht der Revisionsbeklagte geltend, die vorstehenden Grundsätze seien nach den tatsächlichen Gegebenheiten nicht einschlägig, weil die herausverlangten Flächen im Zeitpunkt der Teilung noch zu der sich auf seinem Grundstück befindlichen Wohnung gehört hätten, und von der Beklagten erst seit einem Umbau in den Neunziger Jahren genutzt würden. Seiner Gegenrüge stehen die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil entgegen. Danach ist das Gebäude "durch die einverständliche Grenzziehung in der beschriebenen Weise aufgeteilt worden", nämlich so, dass die von der Beklagten genutzten Raumteile auf dem Grundstück des Klägers liegen (S. 4 des Berufungsurteils). Auch bei seiner nachfolgenden Argumentation, den Beteiligten sei es bei der Aufteilung und Grenzziehung ohne weiteres möglich gewesen, den Grenzverlauf innerhalb des Hauses der tatsächlichen Nutzung anzupassen, geht das Berufungsgericht ersichtlich davon aus, dass die streitgegenständlichen Flächen bereits vor der Teilung des Grundstücks als zu der von der Beklagten bewohnten Haushälfte zugehörig genutzt worden sind. Eine etwaige Unrichtigkeit dieser Feststellung hätte im Berichtigungsverfahren nach § 320 ZPO behoben werden müssen. Da ein solches nicht durchgeführt wurde, ist der vom Berufungsgericht zu Grunde gelegte Sachverhalt für das weitere Verfahren bindend (§ 314 ZPO).
bb) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht der Anwendung der zum Eigengrenzüberbau entwickelten Grundsätze nicht entgegen, dass die Beteiligten eine "Verzahnung" der Eigentumsabgrenzung innerhalb des Hauses möglicherweise nicht gewollt haben.
Die Annahme, aus der der tatsächlichen Nutzung des Hauses nicht entsprechenden Grundstücksteilung können nur gefolgert werden, dass eine solche nicht gewollt gewesen sei, ist schon in tatsächlicher Hinsicht fehlerhaft. Das Berufungsgericht hätte - da Feststellungen zum Vorgang der Grundstücksteilung, den daran Beteiligten und ihren Absichten nicht getroffen worden sind , die nahe liegende Möglichkeit in Erwägung ziehen müssen, dass der Konflikt zwischen dem gewählten Grenzverlauf und der räumlichen Einheit der vorhandenen Wohnungen bei der Teilung nicht erkannt oder angesichts der einverständlichen Nutzung des Hauses jedenfalls nicht als regelungsbedürftig angesehen worden ist.
In rechtlicher Hinsicht hat das Berufungsgericht verkannt, dass ein etwaiger Wille der Beteiligten, die streitgegenständlichen Flächen im Eigentum der Mutter der Beklagten zu belassen, folgenlos geblieben wäre, da er der sachenrechtlichen Rechtslage widersprochen hätte. Ebensowenig wie die Absicht des Überbauenden, das Gebäude eigentumsmäßig zwei Grundstücken zuzuordnen, die Eigentumslage beeinflusst (vgl. BGH, Urt. v. 2.6.1989 - V ZR 167/88, MDR 1989, 1089 = NJW-RR 1989, 1039), ist im Zusammenhang mit der Aufteilung eines Grundstücks, durch die ein aufstehendes Gebäude von der Grundstücksgrenze durchschnitten wird, der Wille der Beteiligten von Bedeutung, Räume eigentumsmäßig zu teilen, die mit einem Gebäude oder Gebäudeteil ein einheitliches Ganzes bilden. Eine Vereinbarung dieses Inhalts widerspräche der sachenrechtlichen Rechtslage und wäre daher unwirksam (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2001 - V ZR 268/00, MDR 2002, 22 = BGHReport 2002, 49 = NJW 2002, 54). Die vom Senat anerkannte Möglichkeit, die Rechtsfolgen eines Überbaus durch Rechtsgeschäft in gewissem Umfang abweichend von den gesetzlichen Regelungen zu bestimmen (vgl. BGH, Urt. v. 13.7.1966 - V ZR 8/64, BB 1966, 961), steht hierzu nicht in Widerspruch. Gemeint sind Rechtsgeschäfte über die Duldungspflicht des Nachbarn (§ 912 BGB), nicht aber Vereinbarungen, die auf eine Änderung der aus § 93 BGB bzw. § 467 Abs. 2 u. 3 ZGB Folgenden, grundsätzlich zwingenden eigentumsrechtlichen Zuordnung abzielen.
Die vom Berufungsgericht unterstellte Absicht der Beteiligten, das Eigentum am Gebäude nach dem Verlauf der Grundstücksgrenze aufzuteilen, ist daher unbeachtlich. Die streitgegenständlichen Flächen sind vielmehr wesentlicher Bestandteil des Grundstücks, auf dem das Gebäude steht, welchem sie von der Größe, der Lage, ihrer baulichen Eigenart und wirtschaftlichen Nutzung her zugehörig sind (sog. Stammgrundstück, vgl. BGH v. 23.2.1990 - V ZR 231/88, BGHZ 110, 298 [302 f.] = MDR 1990, 609). Das ist das Grundstück der Beklagten.
c) An dieser Rechtslage hat sich nichts dadurch geändert, dass der Kläger das Grundstück, in welches die Flächen hineinragen, im Wege der Zwangsversteigerung erworben hat. Der Ersteher erwirbt durch den Zuschlag das Eigentum an dem versteigerten Grundstück und an dessen wesentlichen Bestandteilen (§§ 90, 55 Abs. 1, 20 Abs. 2 ZVG, § 1120 BGB). Auf Gebäudeteile, die wesentliche Bestandteile eines anderen Grundstücks sind, erstreckt sich die Zwangsversteigerung dagegen nicht, mögen sie auch auf dem versteigerten Grundstück stehen (vgl. Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, 17. Aufl., § 55 Anm. 6.3 u. 6.4). Auf eine Anmeldung der Rechte des Nachbarn an dem überstehenden Gebäudeteil kommt es dabei nicht an.
III.
Da ein Herausgabeanspruch des Klägers aus § 985 BGB nicht besteht, war die Klage unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen abzuweisen (§ 563 Abs. 3 ZPO).
IV.
Die Kostenentscheidung folgt für den ersten Rechtszug und die Revisionsinstanz aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Kosten des Berufungsverfahrens sind im Hinblick auf die erfolglos gebliebene Widerklage gegeneinander aufgehoben worden (§ 92 Abs. 1 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 1077160 |
DB 2004, 596 |
BGHR 2004, 147 |
DWW 2004, 34 |
DNotI-Report 2004, 4 |
MittBayNot 2004, 258 |
VIZ 2004, 130 |
WM 2004, 1340 |
ZfIR 2004, 104 |
MDR 2004, 270 |
Rpfleger 2004, 155 |
WuM 2003, 701 |
NotBZ 2004, 27 |
GuG 2004, 47 |
LL 2004, 171 |