Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht

 

Leitsatz (amtlich)

a) Im Verfahren nach § 78 Nr. 4 e DRiG entscheiden die Dienstgerichte auch darüber, ob die angefochtene Maßnahme der Dienstaufsicht allgemein rechtmäßig und sachlich gerechtfertigt ist.

b) Zur Frage, ob und inwieweit dienstliche Beurteilungen mit der Unabhängigkeit des Richters vereinbar sind.

 

Normenkette

DRiG § 26

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 21.05.1971)

 

Tenor

Auf die Revision des Antragstellers wird das Urteil des Dienstgerichts für Richter München vom 21. Mai 1971 aufgehoben.

Es wird festgestellt, daß das Dienstleistungszeugnis vom 14. Februar 1968 und der Widerspruchsbescheid des Sozialgerichtspräsidenten in Augsburg vom 21. April 1970 unzulässig sind, soweit die Beurteilung unter Nr. 6 der „Allgemeinen Würdigung der Persönlichkeit des Richters” den Satz enthält:

„Im Vordergrund der Erörterung der Sach- und Rechtslage steht meist das Bemühen, einer gerichtlichen Endentscheidung aus dem Weg zu gehen.”

Im übrigen wird das Verfahren zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Dienstgericht für Richter München zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Antragsteller war seit dem 1. September 1961 Sozialgerichtsrat bei dem Sozialgericht Augsburg. Gemäß §§ 48 ff der Verordnung über die Laufbahnen der bayerischen Beamten vom 17. Oktober 1962 (LbV) (BayGVBl 1962, 251) stellte der Präsident des Sozialgerichts in den Jahren 1962, 1965 und 1968 dienstliche Beurteilungen über den Antragsteller aus. Die Beurteilungen von 1962 und 1965 wurden auf Einwendungen des Antragstellers in einzelnen Punkten abgeändert. Die Beurteilung vom 14. Februar 1968 ist Gegenstand dieses Verfahrens. Sie lautet auszugsweise:

„Beurteilungsmerkmale nach § 50 Abs. 1 LbV:

  1. Anlagen: befriedigend
  2. Berufskenntnisse: ausreichend
  3. Diensteifer: mangelhaft
  4. Zuverlässigkeit: ausreichend
  5. Verantwortungsfreudigkeit: ausreichend
  6. Mündlicher Vortrag: ausreichend
  7. Schriftliche Darstellung: befriedigend
  8. Geschäftsgewandtheit: ausreichend
  9. Organisationsfähigkeit: ausreichend

Allgemeine Würdigung der Persönlichkeit des Richters nach § 50 Abs. 2 LbV:

  1. Diplomvolkswirt mit guten volkswirtschaftlichen Kenntnissen. Technische Ausbildung und mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Elektrokleingeräte sowie Bankerfahrung.
  2. Allgemeinbildung entspricht der guten Schulbildung.
  3. Fortbildungsstreben beschränkt sich auf die Lösung des jeweils zur Entscheidung anstehenden Rechtsproblems.
  4. Gesundheitlich geeignet; wenige und nur kurz dauernde Krankheitsausfälle.
    1. Verhalten gegenüber der Bevölkerung unauffällig; gegenüber Vorgesetzten und Gleichgestellten zurückhaltend; zu nachgeordneten Dienstkräften teils distanziert, teils schroff, teils freundlich.
    2. Kaum Eigeninitiative; Neigung, Verantwortlichkeiten abzuschieben.
  5. Im äußeren Auftreten entgegenkommend, verständnisbereit und aufgeschlossen erscheinender Richter, der offensichtlich bestrebt ist, positive Eindrücke zu erwecken. Im Grunde aber eher unsicher, zurückhaltend und verantwortungsscheu. Sein Diensteifer ist mangelhaft. Dieser Mangel ist allein der Grund dafür, daß der Richter seit vielen Jahren in der Zahl der Erledigung von Streitfällen mit Abstand an letzter Stelle innerhalb des Gerichts steht und er in seiner Kammer die meisten Altfälle hat. Die in der periodischen Beurteilung 1965 erhoffte Steigerung des damals mit „ausreichend” bewerteten Diensteifers ist nicht eingetreten; vielmehr war ein Absinken zu beobachten. Die Verhandlungsführung erscheint geschickt und erweckt den Eindruck des Eingehens auf die Anliegen der Rechtssuchenden. Bei genauer und sachkundiger Betrachtung verrät sie – wie auch anderweitige Beobachtungen ergeben – oft lückenhafte Sachaufklärung und Versäumnisse in der Vorbereitung der Streitfälle und im Aktenstudium. Im Vordergrund der Erörterung der Sach- und Rechtslage steht meist das Bemühen, einer gerichtlichen Endentscheidung aus dem Wege zu gehen. Die an Zahl verhältnismäßig wenigen Urteile sind im allgemeinen ordentlich aufgebaut, sprachlich einwandfrei und verständlich.

    Der Richter könnte bei seiner Veranlagung, seiner geistigen Wendigkeit und seinem wachen Intellekt mit mehr Fleiß und Verantwortungsgefühl und mit stärkerem persönlichen Einsatz mehr und besseres leisten.

Gesamturteil nach § 51 Abs. 1 LbV: ausreichend.”

Nachdem der Antragsteller am 15. Februar 1968 von der Beurteilung „vor Überprüfung nach § 49 Abs. 2 LbV Kenntnis genommen” hatte, erhob er durch Schreiben vom 22. Februar, 26. Februar und 19. März 1968 Einwendungen. Der Präsident des Sozialgerichts lehnte es am 25. März 1968 ab, den Einwendungen des Antragstellers – bis auf eine hier nicht interessierende geringfügige Korrektur – abzuhelfen. Der Präsident des Bayerischen Landessozialgerichts legte den Vorgang dem Bayerischen Staatsministerium mit dem Bemerken vor, daß „den Ausführungen des Beurteilenden vollinhaltlich beigepflichtet werde”. Das Ministerium überprüfte und billigte die Beurteilung. Die Beurteilung und das Prüfungsergebnis wurden sodann dem Antragsteller am 24. Oktober 1968 nach § 53 LbV eröffnet. Dieser legte am 23. Oktober 1969 Widerspruch ein, den er mit Schreiben vom 9. Januar und 6. Februar 1970 begründete. Den Widerspruch wies der Präsident des Sozialgerichts durch Bescheid vom 21. April 1970 zurück. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 27. April 1970 zugestellt.

Am 22. Mai 1970 erhob der Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht Augsburg mit dem Antrage, die Beurteilung und den Widerspruchsbescheid aufzuheben. Später beantragte er:

  1. „festzustellen, daß das Dienstleistungszeugnis vom 14.2.1968 und der Widerspruchsbescheid des Sozialgerichtspräsidenten in Augsburg vom 21.4.1970 als Maßnahmen der Dienstaufsicht unzulässig seien.
  2. Hilfsweise: die dienstliche Beurteilung vom 14.2.1968 und den Widerspruchsbescheid vom 21.4.1970 aufzuheben.
  3. Vorsorglich: den Verwaltungsrechtsstreit zuständigkeitshalber an das Dienstgericht beim Oberlandesgericht München zu verweisen.
  4. Höchstvorsorglich: den Rechtsstreit gemäß § 68 DRiG, Art. 71 BayRiG auszusetzen.”

Durch Beschluß vom 26. August 1970 erklärte das Verwaltungsgericht den Rechtsweg zum Verwaltungsgericht Augsburg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Bayerische Dienstgericht für Richter München. Vor dem Dienstgericht stellte der Antragsteller folgende Anträge:

”I. Hauptantrag:

Festzustellen, daß das Dienstleistungszeugnis vom 14.2.1968 und der Widerspruchsbescheid des Sozialgerichtspräsidenten in Augsburg vom 21.4.1970 unzulässig bzw. nichtig seien.

1. Hilfsantrag:

Festzustellen, daß der Widerspruchsbescheid des Sozialgerichtspräsidenten in Augsburg vom 21.4.1970 unzulässig bzw. nichtig sei.

2. Hilfsantrag:

Die dienstliche Beurteilung vom 14.2.1968 und den Widerspruchsbescheid vom 21.4.1970 aufzuheben.

3. Vorsorglicher Hilfsantrag:

Den Widerspruchsbescheid vom 21.4.1970 aufzuheben.

4. Höchstvorsorglich:

Für den Fall, daß das Dienstgericht sich bezüglich der Aufhebungsanträge für sachlich unzuständig erklären sollte, den Rechtsstreit insoweit an das zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen.

II. Dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und zwar auch insoweit, als solche beim bisher mit der Sache befaßt gewesenen Verwaltungsgericht angefallen sind.”

Durch Urteil vom 21. Mai 1971 wies das Dienstgericht die Feststellungsanträge zurück und verwies bezüglich des Hilfsantrages, die dienstliche Beurteilung und den Widerspruchsbescheid aufzuheben, den Rechtsstreit an das zuständige Verwaltungsgericht Augsburg.

Gegen das ihm am 15. Juli 1971 zugestellte Urteil hat der Antragsteller am 13. August 1971 beim erkennenden Dienstgericht Revision eingelegt und diese innerhalb der bis zum 15. Oktober 1971 verlängerten Begründungsfrist am 15. Oktober 1971 begründet. Er verfolgt die früheren Anträge weiter, mit dem zusätzlichen Hilfsantrag, festzustellen, daß die mißbilligenden Äußerungen, Beanstandungen, Bemängelungen und Rügen sowie die sachlich unrichtigen Behauptungen im Dienstleistungszeugnis vom 14. Februar 1968 und im Widerspruchsbescheid vom 21. April 1970 unzulässig sind. Der Antragsgegner beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Formalien der Revision

Die Revision ist statthaft, weil das Dienstgericht München gemäß Art. 63 Abs. (2) BayRiG, § 80 DRiG die Revision zugelassen hat, wie sich aus der in seinem Urteil enthaltenen Rechtsmittelbelehrung ergibt. Die Revision ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 139 VwGO).

II. Der Rechtsweg

1. Das erkennende Dienstgericht hat schon in BGHZ 52, 287, 292 ausgesprochen, daß alle Meinungsäußerungen dienstaufsichtsführender Stellen, die sich in irgendeiner Weise kritisch mit dem dienstlichen oder außerdienstlichen Verhalten eines Richters befassen, und demgemäß auch Dienstleistungszeugnisse, „Maßnahmen der Dienstaufsicht” im Sinne des § 26 Abs. 3 DRiG sind. Nach dieser Bestimmung war deshalb hier der Rechtsweg vor den Richterdienstgerichten gegeben, weil der Kläger behauptet, die Beurteilung vom 14. Februar 1968 beeinträchtige seine Unabhängigkeit. Das Dienstgericht für Richter München hat deshalb zu Recht seine Zuständigkeit für die Entscheidung über den Feststellungsantrag des Antragstellers bejaht.

2. Dagegen hält es den Verwaltungsrechtsweg für gegeben, soweit der Antragsteller Aufhebung der Beurteilung und des Widerspruchsbescheides mit der Begründung verlangt, die in der Beurteilung enthaltenen Bewertungen und die zugrunde liegenden Feststellungen seien unrichtig. Dem vermag das erkennende Dienstgericht nicht zu folgen.

Schon in BGHZ 51, 280 (Urteil RiZ(R) 6/68 vom 3. Januar 1969 = LM § 26 DRiG Nr. 7 (mit Anmerkung Baldus)= MDR 1969, 479) hatte das erkennende Dienstgericht über die Revision eines Richters gegen das Urteil eines Dienstgerichts zu befinden, das die Aufhebung einer Dienstaufsichtsmaßnahme mit der Begründung abgelehnt hatte, die Maßnahme beeinträchtige jedenfalls nicht die Unabhängigkeit des Richters; ob eine solche Maßnahme allgemein rechtmäßig (§ 26 Abs. 2 DRiG) und sachlich gerechtfertigt sei, könne im Prüfungsverfahren nach §§ 26, 78 Nr. 4 e DRiG nicht nachgeprüft werden. Das erkennende Gericht hat demgegenüber unter Bezugnahme auf frühere Urteile (BGHZ 47, 275 und 42, 163, 169 f) ausgeführt, aus dem Zweck des Deutschen Richtergesetzes und aus dem Zusammenhang seiner Vorschriften sei zu entnehmen, daß den Dienstgerichten durch § 26 Abs. 3 DRiG eine umfassende Prüfungsbefugnis eingeräumt worden sei. Ergebe sich, daß die Maßnahme nicht nach § 26 Abs. 2 DRiG unzulässig sei, so müsse das Dienstgericht auch prüfen, ob sie sachlich gerechtfertigt sei. Das erkennende Gericht hält auch bei erneuter Prüfung an dieser Rechtssprechung fest.

Würde man – mit der Vorinstanz – die Prüfungskompetenz der Dienstgerichte in den Fällen des Prüfungsverfahrens nach §§ 26 Abs. 3, 78 Nr. 4 e DRiG auf die Frage beschränken, ob die angefochtene Maßnahme der Dienstaufsicht sich innerhalb der Grenzen des § 26 Abs. 1 und 2 DRiG hält, so würde das zu einer höchst unerwünschten und unpraktikablen Zuständigkeitszersplitterung führen (vgl. Baldus LM DRiG § 26 Nr. 7, Anm. zu BGHZ 51, 280). Auch aus § 68 DRiG, der eine Aussetzung des dienstgerichtlichen Verfahrens vorschreibt, wenn die Entscheidung von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Verfahrens bildet oder bilden kann, läßt sich nichts gegen eine umfassende Prüfungskompetenz der Dienstgerichte herleiten (anderer Meinung: Schmidt/Räntsch DRiG § 68 Nr. 3).

Das angefochtene Urteil des Dienstgerichts München war deshalb insoweit aufzuheben, als das Dienstgericht sich bezüglich des Hilfsantrages auf Aufhebung der Beurteilung und des Widerspruchsbescheids für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht verwiesen hat.

III. Das Vorverfahren nach § 68 VwGO

1. Nach Art. 46 (1) Nr. 4 e BayRiG, § 78 Nr. 4 e DRiG entscheiden über den Antrag nach § 26 Abs. 3 DRiG die Dienstgerichte. Für das Verfahren gelten nach Art. 63 Abs. (1) BayRiG, § 80 Abs. 1 DRiG die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung sinngemäß. Nach Art. 67 Satz 2 BayRiG findet in dem hier gegebenen Verfahren der Anfechtung nach Art. 46 Abs. (1) Nr. 4 e BayRiG ein Vorverfahren statt. Damit wird auf §§ 68 ff VwGO verwiesen. Nach § 73 Abs. 1 VwGO ist für den Erlaß eines Widerspruchsbescheids „die nächst höhere Behörde” zuständig. Über den Widerspruch des Klägers vom 23. Oktober 1969 gegen die Beurteilung vom 14. Februar 1968 hätte mithin, wie das Dienstgericht München zutreffend feststellt, der Präsident des Bayerischen Landessozialgerichts und nicht – wie geschehen – der Präsident des Sozialgerichts Augsburg entscheiden müssen. Die im Widerspruchsbescheid gegebene Zuständigkeitsbegründung

„Meine Zuständigkeit zur Entscheidung über den Widerspruch ergibt sich aus § 126 Abs. 3 Nr. 2 BRRG … in Verbindung mit § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 126 Abs. 3 BRRG …, Art. 183 BayBG, § 71 Abs. 3 DRiG und Art. 2 BayRiG”

ist rechtsirrig. Nach § 71 Abs. 3 DRiG gelten zwar für die Richter im Landesdienst die §§ 123 bis 132 BRRG entsprechend, Jedoch nur insoweit, als das Deutsche Richtergesetz nichts anderes bestimmt. Für das Prüfungsverfahren nach § 26 Abs. 3 DRiG findet sich aber eine abschließende Regelung in den §§ 77 ff dieses Gesetzes. § 126 BRRG, der den Verwaltungsrechtsweg für „Klagen der Beamten aus dem Beamtenverhältnis” regelt, gilt deshalb über § 71 Abs. 3 DRiG entsprechend für Richter nur, soweit die Verfahren nicht nach § 78 DRiG den Dienstgerichten zugewiesen sind (Schmidt/Räntsch DRiG § 71 Nr. 7). Den Widerspruchsbescheid vom 21. April 1970 hat demnach eine unzuständige Stelle erlassen.

2. Dies ist jedoch, wie auch das Dienstgericht München zutreffend annimmt, unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles unschädlich. Der Zweck des Vorverfahrens nach §§ 68 ff VwGO ist, der Verwaltungsbehörde, bevor sie in ein gerichtliches Streitverfahren gezogen wird, die Möglichkeit zu geben, die angefochtene Maßnahme unter den Gesichtspunkten der Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Das dient einmal dem Interesse der Behörde, aber auch dem Interesse des Betroffenen und nicht zuletzt der Entlastung der Gerichte (vgl. Bettermann, Das erfolglose Vorverfahren als Prozeßvoraussetzung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in DVBl 1959, 308 ff). Ist dieser Zweck nicht mehr erreichbar, so ist das Vorverfahren entbehrlich, Diesen Standpunkt hat auch das Bundesverwaltungsgericht, dem das erkennende Dienstgericht sich anschließt, für unterschiedliche Fallgestaltungen wiederholt vertreten (VII C 18/66 vom 9. Juni 1967 = DVBl 1967, 773 ff = JZ 1967, 636; III B 202/62 vom 2. November 1969 = DÖV 1970, 248; ebenso Bettermann a.a.O.). Hier ist ein Fall gegeben, auf den dieser Grundsatz anzuwenden ist. Wie das angefochtene Urteil zutreffend feststellt, hatte der Antragsteller das, was er zur Begründung seines Widerspruchs vom 23. Oktober 1969 vorgetragen hat, im wesentlichen schon vorher durch seine Schreiben vom 22. und 26. Februar und 19. März 1968 als Einwendungen gegen die ihm am 15. Februar 1968 bekannt gemachte Beurteilung vorgebracht. Diese Einwendungen wurden auf dem Dienstweg, also über den später für den Erlaß des Widerspruchsbescheides zuständigen Präsidenten des Bayerischen Landessozialgerichts dem Ministerium vorgelegt. Der Präsident des Landessozialgerichts hat dabei (s. Vorlageschreiben vom 1. April 1968 Bl. 188 der Personalakten) ausdrücklich „den Ausführungen des Beurteilenden vollinhaltlich beigepflichtet.” Unter diesen Umständen konnte das Dienstgericht München, zumal inzwischen auch das Ministerium die Einwendungen des Antragstellers für unbegründet befunden hatte, ohne Rechtsfehler feststellen, es sei, wenn nunmehr der Präsident des Landessozialgerichts um eine Entscheidung über den Widerspruch angegangen würde, mit Sicherheit zu erwarten, daß er den Widerspruch mit derselben Begründung zurückweisen würde wie der Präsident des Sozialgerichts es schon getan hat. Das Dienstgericht hätte dabei noch zusätzlich berücksichtigen können, daß der Antragsgegner sich in diesem Verfahren durch den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts als Verfahrensbevollmächtigten vertreten läßt und Klagabweisung beantragt hat. Unter diesen Umständen ist es für das Verfahren ohne Bedeutung, daß den Widerspruchsbescheid formell der Präsident des Sozialgerichts und nicht der Präsident des Landessozialgerichts erlassen hat.

IV. Zulässigkeit der Beurteilung

1. Die Revision will in Anlehnung an das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart VRS V 49/68 vom 3. April 1970 (= DRiZ 1970, 364) geldend machen, die hier angefochtene Beurteilung sei als belastender Eingriffsakt der vollziehenden Gewalt schon deshalb nicht rechtmäßig, weil die Zuständigkeitsregelung für seinen Erlaß nicht dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes genüge. Das ist unrichtig. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob hier der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes überhaupt Platz greift. Eine diesem Grundsatz entsprechende Zuständigkeitsregelung findet sich in Art. 2 BayRiG, § 1 VO über die Führung der Dienstaufsicht über die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit vom 15. Juni 1965 (BayGVBl 1965, 96), §§ 1, 48 ff LbV (BayGVBl 1962, 251).

2. Da die Erteilung einer Beurteilung eine Maßnahme der Dienstaufsicht ist, gelten für ihre Zulässigkeit die durch § 26 Abs. 1 und 2 gezogenen Grenzen. Nach Abs. 1 ist deshalb die Beurteilung eines Richters unzulässig, wenn und insoweit durch sie seine Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. Das ist nicht schon immer dann der Fall, wenn in der Beurteilung auch spezifisch richterliche Fähigkeiten (Rechtskenntnisse, Beherrschung der Rechtsanwendungstechnik, Judiz) gewertet werden. Da die (sachliche) Unabhängigkeit des Richters in erster Linie Weisungsfreiheit bedeutet, darf eine Beurteilung keine, auch keine indirekten Weisungen für den Richter enthalten, wie er in Zukunft verfahren und entscheiden soll. Insoweit muß eine Beurteilung sich auch jeder psychologischen Einflußnahme enthalten. Das ist durchaus möglich, wenn die Bewertung nur so gefaßt wird, daß sie nicht eine Kritik am Verhalten des Richters im Einzelfall oder in bestimmten Fällen, sondern eine Bewertung seiner richterlichen Fähigkeiten enthält. Aus § 26 Abs. 1 DRiG ist deshalb nicht die Notwendigkeit herzuleiten, bei der Beurteilung eines Richters eine Bewertung seiner spezifisch richterlichen Fähigkeiten auszusparen.

Dasselbe gilt auch für Abs. 2. Diese Bestimmung ist trotz ihrer mißverständlichen Fassung „auch”) dahin zu verstehen, daß der Dienstaufsicht im Bereich der richterlichen Tätigkeit höchstens die dort genannten Befugnisse zustehen. Zweck auch und gerade dieser Bestimmung ist es, zu verhindern, daß die Dienstaufsicht in die Unabhängigkeit des Richters eingreift. Deshalb gestattet sie höchstens Vorhalt und Ermahnung im Bereich der äußeren Ordnung der richterlichen Amtstätigkeit. Die Bestimmung beschränkt also die der Dienstaufsicht sonst zukommende „Berichtigungsfunktion” auf diesen Bereich. Daraus kann aber nicht die Folgerung gezogen werden, daß der übrige Bereich der richterlichen Tätigkeit der Dienstaufsicht schlechthin entzogen sei. Er ist es vielmehr nur, soweit eine Dienstaufsicht die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen würde. Eine weitergehende Einschränkung der Dienstaufsicht kommt auch nicht in BGHZ 42, 163, 169 zum Ausdruck, wo in diesem weiteren Bereich richterlicher Tätigkeit (nur) jegliche den Inhalt der Entscheidung betreffende Maßnahme der Dienstaufsicht schlechthin für unzulässig erklärt wird. Auch aus § 26 Abs. 2 DRiG kann also nicht das allgemeine Verbot entnommen werden, in der Beurteilung des Richters auch seine spezifisch richterlichen Fähigkeiten zu bewerten, wodurch im übrigen Richterbeurteilungen für ihren Hauptzweck ungeeignet würden, eine sachgemäße Personalpolitik innerhalb der Justiz zu ermöglichen.

3. Die Beurteilung kann jedoch im Einzelfall wegen Beeinträchtigung der Unabhängigkeit unzulässig sein. Das ist sie, wenn der Richter durch die Beurteilung – unterstellt, daß er die in ihr enthaltene Kritik annimmt – veranlaßt werden könnte, eine Verfahrens- oder Sachentscheidung in einem bestimmten Sinne zu treffen, die er ohne diese Kritik in einem anderen Sinne treffen würde. Daran ist die Beurteilung vom 14. Februar 1968 zu messen.

Das Dienstgericht München verneint – im wesentlichen von den gleichen Grundsätzen ausgehend –, daß der Antragsteller durch die Beurteilung in seiner Unabhängigkeit beeinträchtigt werde:

Es sei nicht zu erkennen, wie die Bewertung der „Beurteilungsmerkmale nach § 50 Abs. 1 LbV” den Antragsteller beeinflussen könnte, die von ihm zu entscheidenden Streitfälle künftig anders zu entscheiden, als er sie entschieden hätte, wenn die Beurteilung anders ausgefallen wäre. Dasselbe gelte von der „Allgemeinen Würdigung der Persönlichkeit des Richters nach § 50 Abs. 2 LbV”, insbesondere auch von dem Vorwurfe der „oft lückenhaften Sachaufklärung und (von) Versäumnissen in der Vorbereitung der Streitfälle und im Aktenstudium”, ebenso wie von dem weiteren Vorwurf, „im Vordergrund der Erörterung der Sach- und Rechtslage stehe meist das Bemühen, einer gerichtlichen Endentscheidung aus dem Wege zu gehen”. Das erkennende Dienstgericht schließt sich dieser Beurteilung – bis auf den zuletzt genannten Vorwurf (s. nachstehend unter 4) – an. Es ist in der Tat nicht einzusehen, wie die durchweg allgemein gehaltene Kritik des Dienstleistungszeugnisses den Antragsteller für künftige Fälle in seiner Entscheidungsfreiheit sollte beeinträchtigen können. Denn es wird ihm nicht nahe gelegt, in einer irgendwie bestimmten Weise künftig anders zu verfahren oder anders zu entscheiden als bisher; es wird nur seine bisherige Arbeitsweise unter allgemeinen Gesichtspunkten beurteilt. Eine solche Kritik ist nicht schlechthin unzulässig. Es kommt darauf an, ob sie sachlich begründet ist. Das hat im vorliegenden Fall noch das Dienstgericht München, an das insoweit das Verfahren zurückverwiesen ist (s. oben I), in den durch die Rechtsprechung (BVwGE 21, 127, 130) gezogenen Grenzen nachzuprüfen.

4. Eine andere Beurteilung erfordert nach Ansicht des erkennenden Dienstgerichts lediglich der Satz unter Nr. 6 der „Allgemeinen Würdigung der Persönlichkeit”:

„Im Vordergrund der Erörterung der Sach- und Rechtslage steht meist das Bemühen, einer gerichtlichen Endentscheidung aus dem Wege zu gehen.”

Darin liegt die Kritik, der Antragsteller bemühe sich um eine vergleichsweise Regelung auch in Fällen, in denen dies nicht angebracht sei. Würde der Antragsteller diese Kritik anerkennen, so könnte er dadurch veranlaßt werden, in Zukunft weniger häufig einen Vergleich statt einer Streitentscheidung anzustreben. Eine solche Einflußnahme aber ist dem Dienstvorgesetzten des Richters verwehrt. Der Richter hat in eigener Verantwortung und unbeeinflußt durch die Dienstaufsicht zu entscheiden, in welchen Fällen er sich um eine vergleichsweise Regelung bemühen will. Der beanstandete Satz der Beurteilung ist deshalb geeignet, die richterliche Unabhängigkeit des Antragstellers zu beeinträchtigen und demnach unzulässig. In diesem Umfang war unter Aufhebung des angefochtenen Urteils dem Antrag des Antragstellers stattzugeben.

V. Das angefochtene Urteil war deshalb zu Nr. 1 aufzuheben, soweit es den Antrag des Antragstellers auch in dem vorstehend zu IV 3 dargelegten Umfang zurückgewiesen hat, ferner zu Nr. 2 in vollem Umfang. Zu Nr. 1 kann das erkennende Dienstgericht selbst entscheiden, zu Nr. 2 war die Sache gemäß § 144 Abs. (3) Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Dienstgericht München zurückzuverweisen.

Der Streitwert wird auf 3.000 DM festgesetzt.

 

Unterschriften

Sarstedt, Meyer, Haueisen, Penquitt, Mormann

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502509

BGHZ

BGHZ, 344

NJW 1972, 634

DRiZ 1972, 101

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