Leitsatz (amtlich)

›Verwendet der Geschädigte sein Schmerzensgeld zur vorzeitigen Tilgung eines Baukredits mit der Folge, daß er Zinsen für diesen Kredit steuerlich nicht mehr absetzen kann, so kann ihm der Schädiger diese steuerlich nachteilige Entwicklung bei der Berechnung des Verdienstausfallschadens nicht entgegenhalten; vielmehr ist für den Verdienstentgang diese steuerliche Veränderung außer Betracht zu lassen.‹

 

Verfahrensgang

LG Aschaffenburg

OLG Bamberg

 

Tatbestand

Der damals 34 Jahre alte Kläger, von Beruf Heizungsmonteur, wurde am 28. November 1977 als Beifahrer des von G. gesteuerten PKW bei einem von diesem verschuldeten Verkehrsunfall schwer verletzt. Er nimmt die beklagte Versicherung als Haftpflichtversicherer des G. auf Schadensersatz in Anspruch. Die Einstandspflicht der Beklagten steht außer Streit. Gegenstand dieses Rechtsstreits ist der Verdienstausfall, den der Kläger im Jahre 1982 erlitten hat. Dabei streiten die Parteien nur noch darüber, ob der Kläger sich bei Berechnung des Nettoverdienstes, den er ohne den Unfall gehabt hätte, die vorzeitige Rückführung eines Baukredits für ein im Jahr 1978 fertiggestelltes Zweifamilienhaus durch Verwendung eines Schmerzensgeldbetrages von 46.107 DM und den damit verbundenen Wegfall von Steuervorteilen infolge der Minderung aufzuwendender Schuldzinsen entgegenhalten lassen muß. Der Kläger hat seinen Nettoverdienst unter Nichtberücksichtigung dieser Schuldtilgung bei den Steuerabzügen und den ihm noch zustehenden Betrag mit 6.554,11 DM errechnet und diesen (nebst 11 % Zinsen seit Rechtshängigkeit) eingeklagt.

Die Beklagte vertritt den Standpunkt, es sei für die Steuerabzüge auf den Wegfall der genannten Steuervorteile und deshalb auf einen geringeren Nettoverdienst des Klägers abzustellen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung des Klägers - unter deren Zurückweisung im Übrigen - die Beklagte zur Zahlung weiterer 754,93 DM verurteilt.

Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger den abgewiesenen Klagebetrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht berechnet den Verdienstausfallschaden des Klägers nach dem Nettoverdienst, den er ohne den Unfall im Jahr 1982 gehabt haben würde. Dabei errechnet es die steuerlichen Abzüge wie folgt:

Bruttoverdienst aus nichtselbständiger Arbeit 44.895,00 DM

./. Weihnachtsfreibetrag 600,00 DM

./. Arbeitnehmerfreibetrag 480,00 DM

./. Werbungskosten-Pauschale 564,00 DM - 1.644,00 DM

43.251,00 DM

Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung

Mietwert der Wohnung

180 qm x DM 3,80 x 12 8.208,00 DM

Garage 40 x 12 480,00 DM + 8.688,00 DM

Kosten allgemein 1.200,00 DM

Abschreibung § 7 b EStG

5 % v. DM 200.000,-- 10.000,--

2 % v. DM 137.181,-- 2.744,-- 12.744,-- DM

Schuldzinsen 10.293,00 DM - 24.237,00 DM

Gesamteinkünfte 27.702,00 DM

abzüglich:

./. Sonderausgaben-Höchstbetrag - 7.128.00 DM

20.574,00 DM

Einkommensteuer nach Splittingtabelle 2.662,00 DM

Kirchensteuer 8 % aus DM 2.662,00 164,96 DM.

Dabei verkannte das Berufungsgericht nicht, daß das Einkommen des Klägers unter der Steuerfreigrenze gelegen hätte, wenn er nicht nach dem Unfall aus den Leistungen der beklagten Haftpflichtversicherung den Betrag von 110.000 DM zur vorzeitigen Tilgung eines Baukredits verwendet haben würde. In diesem Fall hätte eine Zinsbelastung von 23.254 DM steuerlich abgesetzt werden können mit der Folge, daß das steuerpflichtige Einkommen nur 7.613 DM betragen hätte. Nach Auffassung des Berufungsgerichts muß sich indes der Kläger schadensrechtlich insoweit nach der tatsächlichen Entwicklung seiner Steuerverhältnisse behandeln lassen. Dazu erwägt das Berufungsgericht: Die Berücksichtigung der Verminderung der Verbindlichkeiten des Klägers im Rahmen der Vorteilsausgleichung entspreche hier dem Zweck des Schadensersatzes, den Geschädigten durch die Ersatzleistung nicht reicher zu machen. Ohnehin habe der Kläger von dem an ihn Anfang 1981 ausgezahlten Betrag von 128.227,35 DM zunächst 61.600 DM nebst Zinsen für die Rückzahlung des Baukredits bereits nach § 254 Abs. 2 BGB verwenden müssen; denn dieser Betrag sei als Ersatz dafür bestimmt gewesen, daß der Kläger den Bau verletzungsbedingt nicht in Eigenleistung habe errichten können, sondern Mehrkosten in dieser Hohe habe finanzieren müssen. Den darüberhinausgehenden Betrag des Baukredits von 46.107 DM nebst Zinsen habe der Kläger aus dem ihm zugeflossenen .Schmerzensgeld getilgt; auch das stehe. jedoch einer Berücksichtigung der steuerlichen Auswirkungen zugunsten der Beklagten nicht entgegen. Es stelle keine überpflichtmäßige Leistung des Klägers dar, diesen Schmerzensgeldbetrag (aus einem insgesamt erhaltenen Schmerzensgeld von 75.000 DM) zur Tilgung des auf sein Wohnhaus aufgenommenen Darlehens verwandt zu haben. Auch im Rahmen der Vorteilsausgleichung gelte der Grundsatz, daß die mit dem Schadensereignis verbundenen günstigen Umstände dann zu Lasten des Geschädigten einzusetzen seien, wenn die Anrechnung dem Zweck des Schadensersatzes entspreche und den Schädiger nicht unbillig entlaste. Diese Voraussetzungen träfen bei Verwendung des Schmerzensgeldes zur Schuldentilgung zu. Zwar sei das Schmerzensgeld kein Schadensersatz im üblichen Sinne, sondern ein Anspruch eigener Art. Dennoch stelle es auch einen Vermögenswert dar; so sei es beispielsweise auch in den Zugewinnausgleich einzubeziehen. Es entspreche dem Zweck des Schadensersatzes, wenn der Geschädigte in freier Entschließung einen Teil des Schmerzensgeldes zur Tilgung der auf seinem Wohnhaus lastenden Schulden verwende.

II. Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß ein Teilbetrag von 61.600 DM nebst Zinsen zur vorzeitigen Ablösung des Baukredits bestimmt gewesen sei und der Kläger sich insoweit nach Maßgabe von § 254 Abs. 2 BGB an den steuerlichen Auswirkungen der Schuldtilgung gegenüber dem Schädiger festhalten lassen müsse, ist rechtlich vertretbar. Auch die Revision hat insoweit nichts zu erinnern.

Demgegenüber hält die Ansicht des Berufungsgerichts, daß im Ergebnis gleiches auch für die Rückzahlungen aus dem Schmerzensgeld gelten müsse, den Angriffen der Revision nicht stand.

1. Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß der Geschädigte sich grundsätzlich mit dem Schadensereignis unmittelbar im Zusammenhang stehende wirtschaftliche Vorteile dann im Wege der Vorteilsausgleichung auf seinen Schaden anrechnen lassen muß, wenn ihm dies nach Sinn und Zweck des Schadensersatzrechtes unter Berücksichtigung der gesamten Interessenlage der Beteiligten nach Treu und Glauben zugemutet werden kann (s. u.a. Senatsurteile vom 19. Dezember 1978 - VI ZR 218/76 - VersR 1979, 323, 324 -insoweit in BGHZ 73, 109 nicht abgedruckt - und BGHZ 91, 357, 361 ff. m.w.N.). Einer Anwendung dieses Grundsatzes würde im Streitfall nicht schon entgegenstehen, daß die vorzeitige Tilgung des Baukredites für den Kläger steuerlich keinen Vorteil, sondern einen Nachteil insoweit gebracht hat, als er damit die Möglichkeit zur steuerlichen Absetzung der Schuldzinsen verloren hat. Eine derartige Sicht würde aus dem Auge verlieren, daß es sich insoweit nur um die steuerliche Seite des Vorteils für den Kläger handelt, durch die Leistungen der Beklagten zur vorzeitigen Tilgung des Kredites in die Lage versetzt worden zu sein. Wäre dieser Vorteil dem Schädiger gutzubringen, müßte das auch auf die schadensrechtliche Berücksichtigung der steuerlichen Veränderung jedenfalls insoweit von Einfluß sein, als die vorzeitige Freistellung des Klägers den Verlust des Steuervorteils aufwiegt.

2. Indes ist die vorzeitige Tilgung des Baukredites aus dem Schmerzensgeld der Beklagten nicht gutzubringen. Dabei kann hier dahinstehen, ob die Möglichkeiten zu derartigen Dispositionen über die Mittel, die dem Geschädigten als Schadensersatz zufließen, bzw. die Art und Weise, in der der Geschädigte über diese Mittel disponiert, überhaupt fair die Schadensberechnung von Einfluß sein können (vgl. Senatsurteil vom 22. Januar 1980 - VI ZR 198/78 - VersR 1980, 455), wenn nicht die Mittel von vornherein zur vorzeitigen Ablösung von Krediten bestimmt sind, wie dies für den unter II 1 genannten Betrag festgestellt worden ist. Soweit das Berufungsgericht dies auch für den auf das Schmerzensgeld gezahlten Betrag bejahen will, verkennt es Wesen und Zweck des Schmerzensgeldes.

a) Nach der gesetzlichen Zweckbestimmung dient das Schmerzensgeld dem Ausgleich immaterieller Schäden: Es soll den Verletzten in die Lage versetzen, sich Erleichterungen und andere Annehmlichkeiten zu verschaffen und ihm damit einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind; zudem kommt darin auch der Grad des Verschuldens des Schädigers unter dem (dem Schadensausgleich an sich fremden) Gesichtspunkt der Genugtuung zum Tragen (BGHZ 18, 149 ff.; st.Rspr.). Über diese Bedeutung als Äquivalent für die immateriellen Belastungen hinaus reicht der "Wert" des Schmerzensgeldes für den Verletzten nach der Zweckbestimmung des Gesetzes nicht. Damit würde es in Widerspruch geraten, wenn der Schädiger dem Verletzten vorrechnen könnte, daß das Schmerzensgeld diesen weiteren "Vorteil" bringe.

Zu Unrecht mißt das Berufungsgericht demgegenüber dem Umstand besondere Bedeutung bei, daß auch das Schmerzensgeld einen Vermögenswert darstellt. Dies allein reicht nie aus, das Schmerzensgeld dem Geschädigten als "Vorteil" für Vermögenseinbußen anzurechnen. Vielmehr stand es ganz im Belieben des Klägers, wie er das zum Ausgleich schwerster körperlicher Verletzungen bestimmte Schmerzensgeld (er mußte sich zwölf, zum Teil schwierigen Operationen unterziehen und wurde durch den Unfall als junger Mann im Alter von 34 Jahren völlig aus seiner beruflichen Laufbahn herausgerissen) verwenden wollte. Selbst wenn er es zur Bestreitung des täglichen Lebensbedarfs verbraucht hätte, würde dieser Umstand seinen Anspruch gegen den Schädiger auf Zahlung von Verdienstausfall nicht schmälern. In diesem Zusammenhang fällt entscheidend ins Gewicht, daß die Zweckbestimmung des Schmerzensgeldes dahin geht, als Ausgleich und Genugtuung für einen an sich inkommensurablen Nichtvermögensschaden zu dienen. Die Rechtsprechung trennt klar zwischen materiellen und immateriellen Leistungen. So wurde beispielsweise eine dem Geschädigten zustehende Verletztenrente bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch dann unberücksichtigt gelassen, wenn er tatsächlich keine Erwerbseinbuße erlitten hat (Senatsurteil vom 9. März 1982 - VI ZR 317/80 - VersR 1982, 552).

b) Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich wesentlich von demjenigen, der dem Familienrechtssenat des Bundesgerichtshofes bei der Entscheidung der Frage vorgelegen hat, ob ein Schmerzensgeld in den Zugewinnausgleich geschiedener Ehegatten einzubeziehen ist, was der IVb-Zivilsenat bejaht hat (BGHZ 80, 384). Abgesehen davon, daß diese Rechtsfrage im Schrifttum umstritten ist (s. krit.Anm. Gamp, JR 1981, 506 und Hohloch, JuS 1982, 302 unter Hinweis auf Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 1977, Rdn. 748 und Jauernig/Schlechtriem, BGB, 3. Aufl., , § 1374 Anm. 4a) und der IVb-Zivilsenat selbst darauf hinweist (s. Portmann in LM BGB § 1374 Nr. 6), daß beim Zugewinnausgleich, insbesondere in Fällen schwerer Verletzungen, über § 1381 BGB auch eine andere Entscheidung denkbar sei, handelt es sich beim Schadensausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem um eine grundlegend andere Ausgangslage als beim Zugewinnausgleich unter Ehegatten nach gescheiterter Ehe: Der für jene Entscheidung maßgebliche Gesichtspunkt, daß bei Ausklammerung des Schmerzensgeldes die Feststellung des Endvermögens der Ehegatten (§ 1375 BGB) möglicherweise Schwierigkeiten bereiten kann, sowie die weitere Erwägung, daß unter Ehegatten der eine Partner gerade bei schweren Verletzungen des anderen an dessen Lebensschicksal teilhat, kommt im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem nicht zum Tragen. Unter Berücksichtigung der hier bestehenden Interessenlage der Beteiligten würde es geradezu eine Zweckentfremdung des Schmerzensgeldes darstellen, von dessen Verwendung zur Schuldentilgung den Schädiger "profitieren" zu lassen.

III. Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben.

Da der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten vom 16. Oktober 1984 verschiedene Wege aufzeigt, wie die höhere Zinsbelastung bei Eliminierung der Schuldtilgung von 46.107,-- DM Schmerzensgeld sich zu Gunsten des Klägers ausgewirkt hätte - je nachdem, ob dieser Betrag im Verhältnis zur 1981 erhaltenen Entschädigungssumme oder der Anteil am gesamten Schmerzensgeld von 75.000 DM im Verhältnis zur gesamten Entschädigung zugrunde gelegt wird -, war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992824

BB 1986, 629

NJW 1986, 983

DRsp I(123)301e

DAR 1986, 113

JZ 1986, 202

MDR 1986, 396

VRS 70, 245

VersR 1986, 389

ES Kfz-Schaden L-1/25

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