Leitsatz (amtlich)
Die bei staatlich geförderten Eigenkapitalhilfedarlehen von den damit betrauten Banken nach den einschlägigen Richtlinien des Bundesministers für Wirtschaft ohne Rücksicht auf die finanzielle Leistungsfähigkeit geforderte Mithaftung des Ehepartners verstößt auch dann gegen die guten Sitten, wenn eine über das Abhängigmachen der Fördermaßnahme von dieser Mithaftung hinausgehende konkrete Einflußnahme der Bank auf die Entscheidungsfreiheit des finanziell krass überforderten Partners nicht festgestellt ist.
Normenkette
BGB §§ 138, 138 Abs. 1, § 607
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 27.10.1995) |
LG Deggendorf |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 27. Oktober 1995 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die klagende Bank nimmt die Beklagte im Wege der Teilklage aus einem Schuldbeitritt zu einem Eigenkapitalhilfedarlehen ihres Ehemannes in Anspruch. Die Beklagte begehrt widerklagend die Feststellung, daß der Klägerin daraus keine weiteren Ansprüche gegen sie zustehen.
Im Jahre 1990 gewährte die Klägerin dem Ehemann der Beklagten ein staatlich gefördertes Eigenkapitalhilfedarlehen in Höhe von 154.000 DM zum Erwerb einer Autohandels-GmbH. Nach den maßgebenden Förderrichtlinien des Bundesministeriums für Wirtschaft war die Gewährung des Darlehens von der Übernahme der persönlichen Mithaftung durch den Ehegatten abhängig. Ein Mitarbeiter der Volksbank V., die die Klägerin zur Abwicklung des Darlehens eingeschaltet hatte, suchte die Beklagte deshalb an ihrer ca. 60 km entfernten Arbeitsstelle auf, teilte ihr mit, daß das Darlehen an ihren Ehemann nur ausgezahlt werde, wenn sie den Darlehensvertrag mitunterschreibe, und legte ihr das mitgeführte Vertragsformular zur Unterzeichnung vor. Die vermögenslose Beklagte verweigerte jedoch die Unterschrift mit der Begründung, sie sei weder am Unternehmen ihres Ehemann beteiligt, noch verfüge sie über Grundbesitz. Der Mitarbeiter der Volksbank vermerkte die Weigerung und deren Begründung auf dem Vertragsformular und überließ dieses dem Ehemann der Beklagten, damit er deren Unterschrift einhole. In der Folge unterzeichnete sie die Mithaftungserklärung.
Die Existenzgründungsmaßnahme des Ehemannes der Beklagten scheiterte. Die übernommene Autohandels-GmbH fiel 1992 in Konkurs. Tilgungsleistungen auf das Darlehen sind nicht erbracht worden. Die Beklagte lebt von ihrem Ehemann zwischenzeitlich getrennt, Scheidungsantrag ist gestellt.
Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Mithaftung bezog die damals 34 Jahre alte Beklagte ein monatliches Nettoeinkommen von 1.201,52 DM als Verkäuferin in einem Blumengeschäft, eine Tätigkeit, die sie bereits seit 20 Jahren ausgeübt hatte. Ihre damals 15 und 17 Jahre alten Kinder waren noch nicht berufstätig.
Die Beklagte ist der Ansicht, der von ihr verlangte Schuldbeitritt sei sittenwidrig. Die Klägerin hält dem entgegen, für die Mithaftungserklärung der Beklagten habe ein berechtigtes Interesse bestanden. Die Mithaftung, die nicht lediglich künftige Vermögensverschiebungen habe verhindern sollen, sei die einzige Möglichkeit, die Tilgung von Eigenkapitalhilfedarlehen einigermaßen zu sichern.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihre Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat den Schuldbeitritt der Beklagten unter Würdigung der maßgeblichen objektiven und subjektiven Umstände als sittenwidrig angesehen und dazu ausgeführt:
Die Beklagte sei durch die von ihr übernommenen Zahlungsverpflichtungen in eindeutiger Weise finanziell überfordert worden. Für die Beurteilung ihrer Haftungsrisiken müsse davon ausgegangen werden, daß ihr Ehemann als Darlehensnehmer seinen Verpflichtungen nicht nachkomme. In diesem Falle habe die Klägerin das Darlehen zur sofortigen Rückzahlung kündigen können. Allein die fälligen Zinsen von 8,7 %, jährlich 13.393 DM, hätten nahezu den Gesamtbetrag der monatlichen Einkünfte der Beklagten erreicht. Die Beklagte habe daher keine Aussichten gehabt, die übernommene Schuld jemals aus eigenem Arbeitsverdienst zu tilgen. Es hätten sich für sie auch keine anderweitigen, zu einem höheren Einkommen führenden beruflichen Perspektiven abgezeichnet.
Die Beklagte habe sich ferner in einer psychischen Zwangssituation befunden. Schon der Besuch eines Bankangestellten an ihrer Arbeitsstelle und die bei dieser Gelegenheit erfolgte Mitteilung, der Darlehensbetrag werde nur ausgezahlt, wenn sie unterschreibe, sei geeignet gewesen, die Beklagte unter erheblichen psychischen Druck zu setzen. Denn damit sei die Finanzierung der Geschäftsübernahme durch ihren Ehemann allein von ihrer Unterschrift abhängig gemacht worden. Dieser Druck sei aufrechterhalten worden, als die von der Klägerin eingeschaltete Volksbank den Darlehensvertrag dem Ehemann der Beklagten überlassen habe, damit dieser die fehlende Unterschrift selbst einhole.
Hilfsweise hat das Berufungsgericht die Abweisung der Klage darauf gestützt, die Geschäftsgrundlage für den Schuldbeitritt der Beklagten sei weggefallen, da die Lebensgemeinschaft zwischen der Beklagten und ihrem Mann endgültig aufgelöst sei, so daß Vermögensverlagerungen nicht mehr zu erwarten seien.
II.
Diese Ausführungen halten – soweit sie die Frage der Sittenwidrigkeit der übernommenen Mithaftung betreffen – der rechtlichen Überprüfung stand. Sie stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
Nach dieser Rechtsprechung kann die Mithaftungserklärung wegen eines groben Mißverhältnisses zwischen der übernommenen Zahlungsverpflichtung und der finanziellen Leistungsfähigkeit des Mithaftenden nach § 138 Abs. 1 BGB dann nichtig sein, wenn der Mithaltende durch weitere Umstände in einer dem Gläubiger zurechenbaren Weise zusätzlich belastet wird. Solche besonderen Umstände können etwa in der Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit oder einer seelischen Zwangslage ebenso wie in einer sonstigen unzulässigen Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit des die Mithaftungserklärung abgebenden Partners liegen (BGHZ 120, 272, 278; 128, 230, 232). Bei dieser Prüfung unter dem Gesichtspunkt des § 138 Abs. 1 BGB kommt der Frage des Schutzes des Gläubigers vor Vermögensverlagerungen zwischen Ehegatten auch nach Auffassung des IX. Zivilsenats keine Bedeutung zu; dieser Zweck rechtfertigt die Herbeiführung einer Mithaftung durch unangemessene Mittel nicht. Erst wenn die Prüfung der Gesamtumstände zu dem Ergebnis führt, daß der Mithaftende zwar finanziell überfordert ist, besondere die Sittenwidrigkeit begründende Umstände jedoch nicht vorliegen, mißt der IX. Zivilsenat im Gegensatz zum erkennenden Senat dem Schutzinteresse der Bank vor Vermögensverschiebungen rechtliche Bedeutung bei (vgl. dazu zuletzt Urteile vom 23. Januar 1997 – IX ZR 55/96, ZIP 1997, 409 und IX ZR 69/96, ZIP 1997, 406, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
1. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, daß die übernommene Mithaftung die Beklagte objektiv in krasser Weise finanziell überforderte. Allein die Zinsen für das Eigenkapitalhilfedarlehen von 154.000 DM beliefen sich nach den vertraglichen Vereinbarungen im Falle einer Kreditkündigung auf 8,7 %, jährlich also auf 13.398 DM. Dem stand ein Jahresnettoeinkommen der Beklagten von rund 14.000 DM gegenüber. Unter Berücksichtigung der Pfändungsschutzvorschriften reichte dieses Einkommen nicht einmal aus, auch nur einen geringen Teil der Zinslast abzudecken. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts, das die Beklagte persönlich angehört hat, war und ist auch für die Zukunft keine einkommenserhöhende Änderung ihrer beruflichen Möglichkeiten zu erkennen.
2. Das grobe Mißverhältnis zwischen der finanziellen Leistungsfähigkeit der Beklagten und der zu übernehmenden Mithaftung war für die Klägerin erkennbar. Sie hat sich dieser Erkenntnis bewußt verschlossen, indem sie ohne Prüfung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Ehepartners und ohne Rücksicht auf diese die Gewährung von Eigenkapitalhilfedarlehen von der Übernahme der Mithaftung abhängig machte.
3. Schon darin sind nach Auffassung des Senats unter Berücksichtigung der Eigenheiten staatlich geförderter Existenzgründungsdarlehen besondere Umstände zu sehen, durch die die Beklagte in einer der Klägerin zurechenbaren Weise zusätzlich belastet wird.
a) Die Tatsache daß das Verhalten der Klägerin ihren Verpflichtungen nach den Richtlinien des Bundesministers für Wirtschaft zum Eigenkapitalhilfeprogramm entsprach, läßt die Einbindung des Ehegatten in das unternehmerische Risiko ohne Rücksichtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit nicht als angemessen erscheinen. Die sittlichen Mindestanforderungen, die an das Verhalten im Rechtsverkehr zu stellen sind, gelten für die öffentliche Hand wenn schon nicht in besonderem, so doch keinesfalls in geringerem Maße (Senatsurteil vom 5. November 1996 – XI ZR 274/95, WM 1996, 2325).
aa) Die Ehe ist zwar im Verhältnis der Ehegatten zueinander eine Schicksals- und Risikogemeinschaft (BGHZ 84, 361, 368; 128, 230, 234; 129, 259, 267), sie ist jedoch – wie der Bundesgerichtshof wiederholt betont hat – keine Solidargemeinschaft, die im Außenverhältnis ein Einstehen für die Verbindlichkeiten des Partners erwarten läßt (BGHZ 106, 19, 24; Urteil vom 18. Februar 1992 – XI ZR 126/91, NJW 1992, 1822, 1823). Dieser Grundsatz wird durch die genannten Richtlinien in sein Gegenteil verkehrt. Die Regelung, die bei verheirateten Existenzgründern die Gewährung von Eigenkapitalhilfen von der Übernahme der vollen Mithaftung auch des damit hoffnungslos überforderten Partners abhängig macht, bürdet diesem die Verantwortung für das Scheitern der Berufspläne des anderen auf, gefährdet damit den ehelichen Frieden und setzt den betroffenen Partner allein damit einem erheblichen psychologischen Druck aus. Sie benachteiligt zudem Eheleute gegenüber Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.
bb) Das Argument der Klägerin, bei der Eigenkapitalhilfe handele es sich in Wahrheit um staatliche Subventionen, spricht nicht für, sondern gegen die Zulässigkeit einer derartigen Einflußnahme auf die Entscheidungsfreiheit des nicht leistungsfähigen Partners. Es versteht sich von selbst, daß staatliche Fördermaßnahmen nicht davon abhängig gemacht werden dürfen, ob ein Dritter finanzielle Verpflichtungen übernimmt, die er nicht erfüllen kann, die ihn andererseits aber für den Rest seines Lebens auf den pfändungsfreien Betrag seiner Einkünfte beschränken, falls er nicht die Voraussetzungen für etwaige künftige gesetzliche Entschuldungsmodelle erfüllt. Die Klägerin trägt selbst vor, daß die zu günstigen Konditionen gewährten Darlehen dazu dienen sollen, Finanzierungslücken zu schließen, die dadurch entstehen, daß Geschäftsbanken verständlicherweise nicht bereit sind, die mit dem eigenkapitalersetzenden Charakter solcher Darlehen verbundenen erhöhten Risiken zu übernehmen. Es handelt sich also um Kredite mit einem ungewöhnlich hohen Ausfallrisiko, das durch die Ungewißheit über das Gelingen einer dauerhaften Existenzgründung noch gesteigert wird. Unter dem Gesichtspunkt des § 138 Abs. 1 BGB ist es deshalb nach Ansicht des erkennenden Senats unvertretbar, den nicht leistungsfähigen Ehepartner durch die Bindung der Fördermaßnahme an seine Mithaftungserklärung in eine wirtschaftlich sinnlose Garantenstellung für den wirtschaftlichen Erfolg einer Berufsentscheidung des anderen zu drängen.
cc) Wenn damit tatsächlich außer der Erlangung einer (wertlosen) Sicherheit auch – wie die Klägerin vortragen läßt – das Ziel verfolgt worden sein sollte, den Partner von nachteiligen Einflüssen auf die Existenzgründung, etwa in der Form übermäßiger materieller Forderungen gegen den Darlehensnehmer, abzuhalten, wäre das kein Grund, das Verhalten der Klägerin in günstigerem Licht erscheinen zu lassen. Die unbegrenzte, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Partners krass überfordernde Mithaftung schießt so weit über das genannte Ziel hinaus, daß der Verstoß gegen die guten Sitten durch die vorgebrachte Motivation nicht ernsthaft in Frage gestellt würde. Die Tatsache, daß die Klägerin die Beklagte aus der so erlangten Mithaftungserklärung in Anspruch nimmt, ohne daß eine solche nachteilige Einflußnahme der Beklagten auf das Existenzgründungsvorhaben ihres Ehemannes auch nur behauptet wird, zeigt im übrigen, daß diesem Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Mithaftungserklärung kein Gewicht zukommen kann. Dasselbe gilt für das Berufen auf den Schutz vor Vermögensverlagerungen in all den Fällen, in denen der Mithaftende – wie hier – in Anspruch genommen wird, obgleich solche Vermögensverlagerungen unstreitig nicht erfolgt und auch nicht mehr zu befürchten sind.
b) Im übrigen hat das Berufungsgericht mit Recht besondere die Sittenwidrigkeit begründende Umstände in der konkreten Einflußnahme auf die Willensbildung der Beklagten gesehen. Der Besuch des Vertreters der Volksbank an der Arbeitsstelle der Beklagten erfolgte nach dem eigenen Vortrag der Klägerin auf Wunsch des Ehemannes der Beklagten. Es lag auf der Hand, daß dieser damit Unterstützung bei seinen Bemühungen um die Mithaftungserklärung der Beklagten suchte. Der Hinweis eines über eine Entfernung von 60 km angereisten Vertreters der Bank auf die Abhängigkeit der von dem Ehemann beantragten Eigenkapitalhilfe von dieser Mithaftungserklärung war bereits geeignet, der Beklagten die schwerwiegende Bedeutung einer Verweigerung ihrer Unterschrift für die Berufswünsche ihres Ehemannes eindringlich vor Augen zu führen. Zutreffend hat das Berufungsgericht darin eine eigene Einflußnahme der Bank auf die Entscheidungsfreiheit der Beklagten gesehen, die sich die Klägerin zurechnen lassen muß. Die Weigerung der Beklagten beseitigte etwaige Zweifel an ihrem Willen, sich keinesfalls in die Haftung einbinden zu lassen, und läßt die anschließende Überlassung der Vertragsformulare an den Ehemann zur Beibringung der Unterschrift als weiteren Beitrag der Bank zur unangemessenen Einflußnahme auf die Entscheidungsfreiheit der Beklagten erscheinen. Es lag auf der Hand, daß es dem Ehemann darum gehen mußte, die Beklagte – auf welche Weise auch immer – umzustimmen. Der relativ lange Zeitraum von mehreren Wochen zwischen der Überlassung der Formulare und der Beibringung der Unterschrift der Beklagten stand der Annahme entgegen, die Beklagte könnte ohne massives Drängen ihres Ehemannes anderen Sinnes geworden sein. Der Feststellung, daß die Beklagte – wie sie behauptet und wie ihre Tochter als Zeugin bekundet hat – tatsächlich durch Morddrohungen und massive Bitten ihrer dadurch eingeschüchterten Kinder zu der Unterschrift bewogen worden ist, bedurfte es deshalb für die Annahme besonders belastender Umstände nicht mehr; das Berufungsgericht hat mit Recht nicht darauf abgestellt.
III.
Die Revision der Klägerin war danach zurückzuweisen, ohne daß es darauf ankam, ob der Hilfsbegründung des Berufungsgerichts zum Wegfall der Geschäftsgrundlage durch Beendigung der Lebensgemeinschaft zwischen der Beklagten und ihrem Mann trotz des Vorbringens der Klägerin hätte gefolgt werden können, die Mithaftung habe nicht nur der Verhinderung von Vermögensverschiebungen unter den Ehegatten, sondern vor allem der Sicherung des ausgereichten Darlehens dienen sollen.
Unterschriften
Schimansky, RiBGH Dr. Schramm ist erkrankt und deshalb gehindert zu unterschreiben Schimansky, Nobbe, Dr. van Gelder, Dr. Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 1128068 |
BGHZ |
BGHZ, 66 |
NJW 1997, 1773 |
NWB 1997, 1810 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1997, 923 |
JZ 1999, 574 |
MDR 1997, 668 |
ZBB 1997, 271 |