Leitsatz (amtlich)

›Bei Amphetamin-Zubereitungen beginnt die "nicht geringe Menge" i.S. von § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 sowie i.S. von § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bei einem Wirkstoffgehalt von 10 g Amphetamin-Base.‹

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen eines fortgesetzt begangenen Vergehens des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in einem besonders schweren Fall zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I. Nach den Urteilsfeststellungen - der Schuldspruch ist in Rechtskraft erwachsen - hat der Angeklagte im Rahmen seiner fortgesetzten Tat mit einer Gesamtmenge von etwa 130 g Amphetamin-Sulfat mit einem Wirkstoffgehalt von etwa 55 g Amphetamin-Base Handel getrieben. Im einzelnen handelte es sich um drei Lieferungen von Amphetamin-Sulfat, und zwar von 9,36 g in einer Konzentration von 44 %, von 30,7 g in einer Konzentration von 37 % und von 89,9 g in einer Konzentration von 44 %. Die Strafkammer geht davon aus, daß eine Mindestmenge von etwa 15 g reines Amphetamin eine "nicht geringe Menge" im Sinne von § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 BtMG darstellt. Im übrigen berücksichtigt sie strafschärfend, daß die Menge an reinem Amphetamin, mit welcher der Angeklagte Handel trieb, um "ein Mehrfaches" über dem Grenzwert einer nicht geringen Menge liegt.

II. Der Senat ist der Auffassung, daß 10 g reines Amphetamin (Amphetamin-Base) als eine "nicht geringe Menge" im Sinne von § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 BtMG wie auch im Sinne von § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG anzusehen sind.

1. Zur Wirkung von Amphetamin (Anlage III Teil A zu § 1 Abs. 1 BtMG) und zur Frage der Gewöhnung hat der Senat Gutachten des Bundesgesundheitsamts und des Bundeskriminalamts eingeholt. Er entnimmt diesen Gutachten und anderen wissenschaftlichen Äußerungen folgendes:

a) Im illegalen Handel wird Amphetamin in aller Regel in Form von Zubereitungen vertrieben, die den Wirkstoff anteilig enthalten. Das wasserlösliche, intravenös konsumierbare Amphetamin-Sulfat enthält 73 Gewichts-Prozent Wirkstoff (Amphetamin-Base). Im Stoff, wie er üblicherweise vertrieben wird, ist der Anteil des reinen Amphetamins niedriger, weil dieser Stoff Beimengungen enthält.

b) Ist bei einem Konsumenten eine Toleranzentwicklung noch nicht eingetreten, so stellen sich - je nach individueller Empfindlichkeit - charakteristische Amphetaminwirkungen schon nach der Einnahme von Einzeldosen zwischen 2,5 und 20 mg ein. Durch Dosen über 20 mg werden die Wirkungen intensiviert. Die hohe Dosis beginnt für den nicht Amphetamingewöhnten bei 50 mg. Toleranzentwicklung und der Wunsch, stärkere Effekte zu erleben, führen zu immer stärkeren Dosen. Insbesondere bei intravenöser Verabreichung kann es zu rapiden Dosissteigerungen kommen. Es können Einzeldosen von 160 mg Amphetamin bis zu zehnmal täglich oder auch Einzeldosen von 1000 mg in Abständen von wenigen Stunden injiziert werden. Bei oraler Einnahme kommt es zu Einzeldosen von 200 mg Amphetamin und mehr.

c) Amphetaminmißbrauch führt zu psychischer, nach überwiegender Meinung aber nicht zu körperlicher Abhängigkeit. Durch ihn können jedoch nicht nur psychische, sondern auch physische Folgeschäden entstehen, die sehr schwerwiegend sind (Huber, Psychiatrie 3. Aufl. S. 330; vgl. auch Halbach Dtsch Ärztebl 1981, 2398, 2400). Dazu zählen z.B. ein "überwacher" Zustand, ängstliche Getriebenheit, Aggressivität, Depressionen, illusionäre Verkennungen, Störungen des Urteilsvermögens, Depersonalisationserscheinungen, Hyperthermie, Gehirnschädigungen, Kreislaufkollaps oder Herzversagen. "Amphetamin-Psychosen" treten nicht nur als Folge eines chronischen Mißbrauchs, sondern auch als akutes Vergiftungssymptom auf. Die Gefahr einer Wiederaufnahme der Mißbrauchsgewohnheiten nach einer Entzugsperiode ist hoch. Als psychisches Stimulans erweist sich Amphetamin häufig als Schrittmacher für eine Polytoxikomanie: Es kommt dann zu einem Circulus vitiosus von Amphetamin- und Narcoticum-Mißbrauch (Möller, Pharmakologie 5. Aufl. S. 446). Persönlichkeitsveränderungen gehen mit beruflichem und sozialem Abstieg einher (Huber aaO.).

2. Das in Amphetamin liegende Abhängigkeits- und Gefährdungspotential wie auch der Anreiz, zur Erzielung euphorischer Wirkungen die Dosis fortgesetzt zu steigern, lassen diesen Stoff keinesfalls als weniger gefährlich erscheinen als Cannabisprodukte, bei denen die "nicht geringe Menge" mit 7,5 g Tetrahydrocannabinol beginnt (BGH MDR 1984, 954 = NStZ 1984, 556 = BGHSt 33, 8). Der Konsum von Haschisch bewirkt allerdings eine erhöhte Gefahr des Umsteigens auf harte Drogen. Bei Heroin drohen wesentlich schwerere Suchtfolgen. Wegen der außerordentlichen Gefährlichkeit schon sehr geringer Stoffquantitäten hat der Senat entschieden, daß "das Tatbestandsmerkmal "nicht geringe Menge" in § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG zu bejahen ist, wenn der Täter ein Heroingemisch einführt, das mindestens 1,5 g Heroinhydrochlorid enthält" (BGHSt 32, 162). Bei Amphetaminkonsum sind Todesfälle selten. Verstärkt ist die Suchtgefährlichkeit auch bei Kokain. Mindestens 5 g Kokainhydrochlorid sind nach der Rechtsprechung eine "nicht geringe Menge" (BGH, Urt. vom 1. Februar 1985 - 2 StR 685/84, zum Abdruck in BGHSt bestimmt). Angesichts der aufgezeigten Beschaffenheit, Wirkungsweise und Gefährlichkeit von Amphetamin meint der Senat - unter Berücksichtigung erheblicher Schwankungen und Unterschiede in den Verbrauchergewohnheiten und Mißbrauchsfolgen und der für Heroin, Cannabisprodukte und Kokain angenommenen Mindestmengen wie auch der für die Festsetzungen maßgeblichen Erwägungen -, daß mindestens 10 g reines Amphetamin (Amphetamin-Base) das Merkmal der "nicht geringen Menge" erfüllen. Zu diesem Ergebnis sind auch die toxikologischen Sachverständigen der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamts auf ihrem Symposium am 21. und 22. Mai 1984 gekommen (vgl. Megges/Steinke/Wasilewski NStZ 1985, 163, 164).

III. Hiernach weist der angefochtene Strafausspruch keinen Rechtsfehler auf. Es verstößt nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB), daß das Landgericht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, die Amphetaminmenge, mit der er Handel trieb, liege um ein Mehrfaches über dem Mindestwert der "nicht geringen Menge". Die Versagung von Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 2 StGB läßt ebenfalls keinen Rechtsfehler erkennen. Im Rahmen der von ihr vorgenommenen Gesamtwürdigung hebt die Strafkammer darauf ab, daß der Angeklagte bereits viermal wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz bestraft werden mußte und die erneute Tat innerhalb einer Bewährungszeit beging.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992784

BGHSt 33, 169

BGHSt, 169

NJW 1985, 2773

DRsp III(380)216b

NStZ 1986, 33

MDR 1985, 514

NStE Nr. 1 zu § 29 BtMG

StV 1985, 280

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