Leitsatz (amtlich)
›Macht der durch einen Behandlungsfehler im Rahmen einer Operation Verletzte geltend, ihm sei durch die Folgen des Behandlungsfehlers ein vorteilhafter Vertrag entgangen, so darf sich der Tatrichter nicht mit der Prüfung begnügen, wann nach der Operation die objektive Leistungsfähigkeit wiederhergestellt worden ist, sondern muß den Klägervortrag im Rahmen des § 287 ZPO umfassend würdigen.‹
Verfahrensgang
OLG München (Aktenzeichen 1 U 3379/91) |
Tatbestand
Der Kläger verlangt vom Beklagten Schadensersatz, weil er am 31. Oktober 1985 während einer vom Beklagten durchgeführten Leistenbruchoperation eine etwa handtellergroße Verbrennung zweiten bis dritten Grades am rechten Oberschenkel im Gesäßbereich erlitten hat.
Der am 15. November 1963 geborene Kläger war damals Berufsfußballspieler bei dem jugoslawischen Oberligaclub Dinamo Zagreb. Er behauptet, wegen der Verbrennung habe dieser Fußballclub es abgelehnt, mit ihm den beabsichtigten Profivertrag abzuschließen, so daß ihm der Gewinn hieraus - nämlich ein Barbetrag von 150000 DM sowie eine Eigentumswohnung in gleichem Wert - entgangen sei. Durch die Verbrennung seien seine Fähigkeiten als Fußballspieler derart beeinträchtigt worden, daß er auch anderweitig keine solche Beschäftigung erhalte. Daneben seien auch Behandlungskosten entstanden.
Der Beklagte hat aufgrund eines Vergleichs in einem Vorprozeß an den Kläger zur Abgeltung des Schmerzensgeldanspruchs 4. 000 DM gezahlt. Er bestreitet, daß der Kläger den Vertrag wegen der Verbrennung nicht erhalten habe, zumal er auch wegen der Operation für längere Zeit ausgefallen wäre.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht geht aufgrund der Rechtsprechung des erkennenden Senats davon aus, den Kläger treffe selbst dann die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß er wegen der Verbrennung am Oberschenkel nicht Profifußballer werden konnte, wenn die Verbrennung durch einen groben Behandlungsfehler des Beklagten oder seiner Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) entstanden sei. Die Umkehr der Beweislast bei einem groben Behandlungsfehler erstrecke sich nämlich nicht auf den Kausalitätsnachweis für Sekundärschäden, die erst infolge des durch den Behandlungsfehler eingetretenen Gesundheitsschadens entstanden seien, wenn nicht - was vorliegend zu verneinen sei - der Sekundärschaden eine typische Folge der Primärverletzung sei.
Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. B. ist das Berufungsgericht nicht davon überzeugt, daß die Verbrennung ursächlich für das Scheitern des Profivertrags gewesen ist. Auch ohne diese Komplikation ist nach seiner Meinung die volle Wiedereingliederung des Klägers in den Leistungsfußball nicht vor März oder April 1986 möglich gewesen. Die Hautverletzung habe demgegenüber nur eine Verzögerung der Rehabilitation um 6 bis 8 Wochen bewirkt und zwar gewisse Risiken, nicht aber Bewegungseinschränkungen zur Folge gehabt. Die Angaben der Zeugen 1. und B., daß der Kläger aufgrund der Verbrennungsverletzung ungeeignet für die Ausübung des Fußballsports gewesen und der Vertrag hieran gescheitert sei, reichten angesichts der Ausführungen des Sachverständigen nicht aus, um mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von der Schadenskausalität auszugehen.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht durchweg stand.
1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß eine Beweislastumkehr im Fall eines groben Behandlungsfehlers - den das Berufungsgericht insoweit zu Gunsten des Klägers unterstellt - sich nicht auf den Ursachenzusammenhang zwischen dem infolge des Behandlungsfehlers entstandenen Primärschaden und dem vom Kläger geltend gemachten Vermögensschaden erstrecken könnte, weil dieser Schaden keine typische Folge der Primärverletzung darstellt (Senatsurteil vom 28. Juni 1988 - VI ZR 210/87 - VersR 1989, 145 = AHRS 6690/5 m.w.N.). Das zieht die Revision auch nicht in Zweifel.
2. a) Erfolglos bleibt ihre Rüge, das BG habe die Beweislast nach den für den Anscheinsbeweis geltenden Regeln dem Beklagten auferlegen müssen. Von einem typischen Geschehensablauf, wie er hierfür nach ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa Senatsurteil vom 3. Juli 1990 - VI ZR 239/89 - VersR 1991, 195 sowie BGHZ 100, 31, 33; 214, 216) erforderlich wäre, kann vorliegend nicht die Rede sein. Vielmehr hatte das Berufungsgericht die Frage, ob der Behandlungsfehler für den geltend gemachten Schaden ursächlich ist, im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität nach den Grundsätzen des § 287 ZPO zu prüfen.
b) Als unbegründet erweist sich auch die Revisionsrüge, das Gutachten des neurologischen Sachverständigen Prof. Dr. W. habe das Beweisthema nicht erschöpft. Dieser Sachverständige hat die ihm vorgelegten Fragen, ob die geklagten Schmerzzustände objektiviert werden könnten und auf die Verbrennungen zurückzuführen seien, dahin beantwortet, daß die Gefühlsstörungen im Bereich der Narbe glaubhaft und ohne Zweifel auf Schädigung von die Haut in diesem Bereich sensibel versorgenden Nerven durch die Verbrennung zurückzuführen seien.
3. Mit Erfolg bekämpft die Revision jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger habe den Nachweis für den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler bzw. der hierdurch entstandenen Verbrennung und dem Vermögensschaden nicht geführt. Die Revision beanstandet mit Recht, daß das Berufungsgericht die Kausalität schon deshalb verneint hat, weil einerseits nach dem Sachverständigengutachten die Verbrennung nur zu einer Heilungsverzögerung um 6 bis 8 Wochen geführt habe und andererseits auch ohne den Zwischenfall die volle Integration des Klägers in den Leistungsfußball nicht vor März oder April 1986 möglich gewesen wäre.
Mit dieser Beschränkung der Kausalitätsprüfung auf die Frage, wann die objektive Leistungsfähigkeit des Klägers wieder hergestellt worden ist, ist das Berufungsgericht der Verpflichtung des Tatrichters nicht gerecht geworden, im Rahmen der Schadensermittlung nach § 287 ZPO den gesamten Parteivortrag zu würdigen und alle für die Beurteilung maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen (Senatsurteile vom 15. März 1988 - VI ZR 81/87 - VersR 1988, 837 und 31. Januar 1989 - VI ZR 10/88 - NJW-RR 1989, 606). Da der Kläger unter Darlegung von Einzelheiten vorgetragen hat, der Fußballverein habe allein wegen der Verbrennung bzw. seiner dadurch herabgeminderten Leistungsfähigkeit den Vertragsabschluß abgelehnt, hätte das Berufungsgericht in erster Linie prüfen müssen, ob der Vertrag tatsächlich hieran gescheitert ist (vgl. BGB-RGRK (Steffen), 12. Aufl., § 823 Rn. 84). Weil sich der Kläger mit diesem Vortrag für die Schadensentstehung auf den Willensentschluß eines Dritten berufen hat, war für die Kausalität auch nicht ausschlaggebend, ob jener Entschluß des Vereins berechtigt oder unberechtigt war (Senatsurteile BGHZ 58, 162, 165 sowie vom 3. Oktober 1978 - VI ZR 253/77 - VersR 1978, 1161, 1162; MüKo Grunsky, 2. Aufl. BGB, vor § 249 Rn. 57; Staudinger/Medicus, BGB, 12. Aufl., § 249 Rn. 68). Auch von daher konnte deshalb nicht ausschließlich auf die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Klägers abgehoben werden, wenngleich dieser Gesichtspunkt im Rahmen der Gesamtwürdigung der Umstände, an denen der Vertrag gescheitert ist, entgegen der Auffassung der Revision nicht völlig außer Betracht zu bleiben hat.
4. Soweit das Berufungsgericht mit dem Hinweis, die Angaben der Zeugen 1. und B. reichten zur Beweisführung nicht aus, auf den konkreten Klägervortrag zum Scheitern des Vertrags eingeht, rügt die Revision mit Recht, daß das angefochtene Urteil nicht erkennen läßt, aus welchen Gründen das Berufungsgericht die Zeugenaussagen nicht für beweiskräftig gehalten hat. Insbesondere kann schon mangels einer entsprechenden Begründung nicht angenommen werden, daß das Berufungsgericht die Aussagen etwa für unglaubwürdig erachtet hat. Dies wäre auch dann erforderlich, wenn wie im vorliegenden Fall das Beweismaß sich nach § 287 ZPO richtet (BGH, Urt. v. 13.7. 1981 - II ZR 91/80 - NJW 1982, 32, 33). Das Berufungsgericht hat auch außer Betracht gelassen, daß jedenfalls nach der ergänzenden Aussage des Zeugen 1. die zeitliche Verzögerung durch die Operation selbst keine Rolle für die Ablehnung des Vertrags gespielt hat, sondern hierfür die Verschlechterung der fußballerischen Leistungen des Klägers infolge der Verbrennung maßgeblich war. Das Berufungsgericht hätte daher die Zeugenaussagen umfassend würdigen müssen.
III. Da mithin die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts keinen Bestand haben kann, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Umstände nach § 287 ZPO wird das Berufungsgericht auch auf die von ihm bisher noch nicht gewürdigten Risiken einzugehen haben, die nach dem Sachverständigengutachten durch die Hautverbrennung entstanden sind, nämlich erhöhtes Risiko für das Auftreten von Rezidiven, Nachblutungen oder das Einreißen von Narbensträngen. Diese Risiken konnten sich zum einen auf den vom Kläger behaupteten Willensentschluß des Vereins zur Vertragsablehnung auswirken und zum anderen auch einen nachvollziehbaren Grund für die vom Kläger vorgetragenen Ängste und Hemmungen bilden, welche sich entscheidend auf die Herabminderung seiner Leistungsfähigkeit als Profispieler ausgewirkt haben sollen. Das Berufungsgericht wird deshalb auch erneut zu erwägen haben, ob die Einholung des vom Kläger hierzu angeregten psychologischen Sachverständigengutachtens erforderlich ist, um hinreichende tatsächliche Grundlagen für die Überzeugungsbildung nach § 287 ZPO zu gewinnen. Soweit das Berufungsgericht die Einholung eines derartigen Gutachtens mit der Begründung unterlassen hat, es fehle an den erforderlichen Anknüpfungspunkten, weist die Revision zutreffend darauf hin, daß der Klägervortrag sich schon im Hinblick auf die dargelegten Risiken entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht auf "vage Andeutungen" beschränkt.
Fundstellen
Haufe-Index 2993200 |
NJW 1993, 2383 |
BGHR BGB § 823 Abs. 1 Kausalität 1 |
MDR 1993, 848 |
VersR 1993, 969 |