Entscheidungsstichwort (Thema)
schwere räuberische Erpressung
Leitsatz (amtlich)
1. Waffe im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1a und Abs. 2 Nr. 1 StGB ist ein gefährliches Werkzeug, das nach seiner Beschaffenheit und nach seinem Zustand zur Zeit der Tat bei bestimmungsgemäßer Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen.
2. Der Begriff des „Verwendens” im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt nicht voraus, daß der Einsatz des objektiv gefährlichen Tatmittels eine konkrete Gefahr erheblicher Verletzungen anderer begründet.
Normenkette
StGB 1998 § 250
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hagen vom 3. April 1998 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung (§§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F.) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.
Der Erörterung bedarf nur, ob § 250 StGB in der Fassung des Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998, in Kraft getreten am 1. April 1998, gegenüber dem vom Landgericht angewandten § 250 Abs. 1 StGB in der zur Tatzeit (Oktober 1997) geltenden Fassung das mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB ist. Das ist nicht der Fall:
1. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte den Entschluß gefaßt, sich durch einen Banküberfall Geld zu verschaffen. Als er in dieser Absicht mit einer geladenen, Gas nach vorne verschießenden Gaspistole in der Hand die Schalterhalle einer Sparkasse betrat, befand sich dort zu seiner Überraschung niemand. Der schußsicher verglaste Kassenschalter und der teilverglaste Kunden-Service-Schalter waren nicht besetzt. In der Annahme, ein Kunde habe die Schalterhalle betreten, begab sich die Angestellte K. aus dem für Kunden nicht einsehbaren Frühstücksraum in den Kassenschalterbereich. Der Angeklagte richtete die Waffe auf sie und rief: „Geld her, oder ich warte auf einen Kunden.” Die Angestellte, die „sich bereits im Bereich des schußsicher verglasten Kassenraums befand, hatte in diesem Moment weniger Angst um ihre eigene Person, wohl aber Angst vor einer von ihr befürchteten Geiselnahme” und kam daher der Aufforderung des Angeklagten nach.
2. Bei diesem – rechtsfehlerfrei festgestellten – Sachverhalt hat das Landgericht auf die Tat des Angeklagten zu Recht § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. angewandt, der eine Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren für den Fall androhte, daß der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub eine Schußwaffe bei sich führte. Verglichen mit jener Vorschrift erweist sich § 250 StGB n.F. bei der gebotenen konkreten Betrachtung im Ergebnis nicht als milderes Gesetz, weil der Angeklagte durch die Bedrohung der Angestellten mit der geladenen Gaspistole den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB n.F. erfüllt hat, der ebenfalls eine Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren vorsieht.
a) Bei der vom Angeklagten zur Tatbegehung eingesetzten geladenen Gaspistole, die Gas nach vorne verschießt und deswegen Schußwaffe nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. ist (vgl. BGHR StGB § 250 Abs. 1 Nr. 1 Schußwaffe 1 und 3), handelt es sich um eine Waffe im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB n.F. (BGH, Beschlüsse vom 21. April 1998 - 1 StR 165/98 -, vom 14. Juli 1998 - 1 StR 272/98 - und vom 19. Januar 1999 - 4 StR 668/98). Das gilt auch dann, wenn – was nach den getroffenen Feststellungen zwar nicht sicher, aber möglich ist – die einzige außer dem Angeklagten anwesende Person, die Angestellte K., sich während der gesamten Dauer der Tat durchgehend hinter schußsicherem Glas befand, mit der Folge, daß eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr nicht bestand. Waffe im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1a und Abs. 2 Nr. 1 StGB n.F. ist ein gefährliches Werkzeug, das nach seiner Beschaffenheit und nach seinem Zustand zur Zeit der Tat bei bestimmungsgemäßer Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen. Diese Voraussetzung erfüllt die vom Angeklagten benutzte Gaspistole, wie generell jede funktionsfähige und einsatzbereite (geladene) Schußwaffe (so auch BGH, Beschluß vom 26. Februar 1999 - 3 ARs 1/99). Darauf, ob die nach Beschaffenheit und Zustand des Tatmittels bei bestimmungsgemäßer Verwendung gegebene Gefährlichkeit aufgrund anderer Umstände der Tatsituation für den konkreten Einzelfall ausnahmsweise ausgeschlossen werden kann, kommt es für den Begriff der Waffe nicht an.
Allerdings ist dieser Begriff in der bisherigen Rechtsprechung zu § 250 StGB n.F. verschiedentlich – dem Wortlaut nach enger – dahin bestimmt worden, daß (nur) objektiv gefährliche Tatmittel erfaßt seien, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Art ihrer Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet seien, erhebliche Verletzungen zuzufügen (vgl. u.a. BGH NStZ 1998, 567; NStZ-RR 1998, 294; StV 1998, 422, 486). Damit sollte der Waffenbegriff aber ersichtlich nicht in der Weise eingeschränkt werden, daß eine grundsätzlich gefährliche, geladene Schußwaffe, die Waffe im Sinne des § 250 StGB n.F. ist, diese Eigenschaft (zeitweise) verliert, sofern – etwa mangels Anwesenheit anderer Personen oder aus sonstigen Gründen – aktuell keine konkrete Verletzungsgefahr besteht. Erkennbares Anliegen jener Entscheidungen war es vielmehr nur, mit der nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck des Gesetzes gebotenen Begrenzung des Waffenbegriffs (durch Ausklammerung objektiv ungefährlicher waffenähnlicher Gegenstände, wie Spielzeugpistolen, Schußwaffenattrappen und ungeladener Schußwaffen) nicht zugleich den Weg für die Anwendung des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB im Falle einer – nach den konkreten Einsatzbedingungen – objektiv gefährlichen Verwendung solcher Gegenstände zu versperren (vgl. BGHSt 44, 103). Gegen eine Definition der Waffe i.S.d. § 250 StGB n.F. in der Weise, daß über die abstrakte Gefährlichkeit bei bestimmungsgemäßem Gebrauch hinaus auch die Feststellung einer – nach der Art der Benutzung in der Tatsituation – konkreten Gefahr erforderlich ist, spricht im übrigen, daß der Vorschrift in ihren Absätzen 1 und 2 naheliegender Weise ein einheitlicher Waffenbegriff zugrundeliegt, der Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr 1a (Beisichführen einer Waffe) für die Berücksichtigung eines konkreten Einsatzes oder einer Einsatzabsicht aber keinen Raum läßt.
b) Indem der Angeklagte die Pistole während des Überfalls in der Hand hielt und mit ihr die Angestellte K. bedrohte, hat er die Waffe im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB n.F. verwendet. Ein tatbestandsmäßiges Verwenden einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs setzt nicht voraus, daß der Täter diese Gegenstände als Mittel der Gewaltausübung einsetzt. Der Einsatz als Drohmittel genügt (BGH StV 1998, 485, 487; BGH, Beschluß vom 19. August 1998 - 3 StR 333/98; offen gelassen in BGH, Beschlüsse vom 23. April 1998 - 1 StR 180/98 - und vom 1. Juli 1998 - 1 StR 183/98 und 1 StR 185/98).
Der Umstand, daß die einzige während der Tat in dem Schalterraum anwesende Person, die Angestellte K. sich möglicherweise durchgehend in dem durch schußsicheres Glas geschützten Kassenbereich befand und gegebenenfalls damit vor jeder Beeinträchtigung durch einen etwaigen Schuß aus der Gaspistole sicher war, steht, auch soweit es das Tatbestandsmerkmal „Verwenden einer Waffe” anbelangt, der Anwendung des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB n.F. nicht entgegen. Der Senat hält insoweit an der in seinem Anfragebeschluß vom 3. Dezember 1998 in dieser Sache (BGH StV 1999, 151) geäußerten Rechtsauffassung, für ein „Verwenden” des Tatmittels sei erforderlich, daß dessen abstrakte (potentielle) Gefährlichkeit bei dem in Frage stehenden Einsatz in der Weise zum Tragen komme, daß eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr vorliege, die Drohung also jederzeit in die Realisierung der angedrohten Gewalteinwirkung umschlagen könne, nicht fest. Er verschließt sich insoweit nicht der Auffassung der anderen Senate, die einer weiten Auslegung des Begriffs den Vorzug geben. Danach setzt das genannte Tatbestandsmerkmal nicht voraus, daß der Einsatz des objektiv gefährlichen Tatmittels eine konkrete Gefahr erheblicher Verletzungen anderer begründet.
Die Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB n.F. steht einer weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Verwenden” nicht entgegen. Diese ist auch nicht bereits in der restriktiven Auslegung des Waffenbegriffs durch die Rechtsprechung angelegt:
Die erforderliche enge, eine objektive Gefährlichkeit des Tatmittels verlangende Auslegung des Merkmals Waffe findet ihre Rechtfertigung darin, daß der Einsatz einer Pistolenattrappe oder einer Scheinwaffe als Drohmittel unter allen denkbaren Bedingungen, auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Eskalation des Geschehens, notwendigerweise ungefährlich ist; die Möglichkeit eines Einsatzes als Schlagwerkzeug, die aber kein Verwenden einer Waffe als Waffe wäre, sondern möglicherweise ein Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs darstellt, ändert daran nichts. Setzt der Täter aber eine schußbereite, scharfe Waffe ein, so läßt sich die Gefahr erheblicher Verletzungen letztlich nicht einmal dann ausschließen, wenn sich – wie etwa hier – die einzige während der eigentlichen Tatphase anwesende Person hinter schußsicherem Glas befindet. Auch in einer solchen Konstellation, in der plötzlich Kunden die Bank betreten können oder in der der Täter beim Verlassen der Bank auf Dritte stoßen kann, die sich ihm in den Weg stellen, läßt sich die Anwendung des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB mit seinem erhöhten Strafrahmen rechtfertigen.
Für eine Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Verwenden”, die – ohne weitere Einschränkungen – jedes Benutzen bei der Anwendung von Gewalt oder als Drohmittel genügen läßt, sprechen auch praktische Gründe der Rechtsanwendung: Da der Einsatz einer Waffe als Drohmittel als tatbestandsmäßige Handlung ausreicht, eine konkrete Leibesgefahr infolge des Waffeneinsatzes also nicht erforderlich ist, andererseits jedem Waffeneinsatz eine abstrakte Gefährlichkeit innewohnt, wäre jeder Versuch, das Tatbestandsmerkmal des „Verwendens” in der Weise einschränkend auszulegen, daß es einen erhöhten – wie auch immer näher zu bestimmenden – Grad von Gefährlichkeit der Tatsituation voraussetzt, mit der Notwendigkeit verbunden, auf Abgrenzungskriterien zurückzugreifen, die nicht trennscharf sein können und die Praxis vor erhebliche Schwierigkeiten stellen würden (Dencker in Dencker/Struensee/Nelles/Stein, Einführung in das 6. Strafrechtsreformgesetz 1998 S. 14 Rdn. 26).
c) Daß nach allem § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB n.F. auch in Fällen anwendbar ist, in denen nach den Umständen der Tatsituation eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr ausgeschlossen werden kann, mag mit Blick auf die von der Vorschrift angedrohte Strafe („Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren”), die der für einen vollendeten Totschlag entspricht, Anlaß zu Zweifeln geben, ob dem 6. Strafrechtsreformgesetz die angestrebte Harmonisierung der Strafrahmen in diesem Bereich gelungen ist. Dem Fehlen einer konkreten Gefahr wird der Tatrichter gegebenenfalls im Rahmen der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall (§ 250 Abs. 3 StGB n.F.) in Betracht kommt, Rechnung tragen können. Angesichts der Gründe, mit denen das angefochtene Urteil die Annahme eines minder schweren Falles ablehnt, kann der Senat hier indes ausschließen, daß das Landgericht zur Strafrahmenwahl anders entschieden hätte, wenn es – was anscheinend nicht geschehen ist – in seine Abwägung auch den Umstand einbezogen hätte, daß weder die vom Angeklagten bedrohte Kassiererin noch andere Personen konkret gefährdet waren.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Tolksdorf, Kuckein, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 540339 |
BGHSt |
BGHSt, 92 |
NJW 1999, 2198 |
EBE/BGH 1999, 178 |
NStZ 1999, 617 |
Nachschlagewerk BGH |
JZ 1999, 1060 |
Kriminalistik 1999, 615 |
StV 1999, 375 |