Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 8. Januar 2001 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt; deren Vollstreckung hat es zur Bewährung ausgesetzt. Mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts beanstandet die Beschwerdeführerin den Strafausspruch; sie wendet sich insbesondere gegen die Annahme eines minder schweren Falles. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Der Angeklagte hat in der Tatnacht den D. Straßenstrich aufgesucht und vereinbarte mit der Gelegenheitsprostituierten K. Oral- und Vaginalverkehr für 100 DM. Er fuhr mit ihr zum D. Hafen, in seinem Auto lagen griffbereit eine geladene Gaspistole und ein Paar Handfesseln. Als die Zeugin K., am Fahrziel angekommen, die Beifahrertüre verriegelt, von dem Angeklagten das vereinbarte Geld verlangte, zog dieser die Gaspistole und richtete sie in kurzem Abstand auf ihren Hinterkopf. Mit der Bemerkung, er wolle nicht bezahlen, forderte er die Zeugin auf sich auszuziehen. Während des folgenden ungeschützten Oralverkehrs hielt der Angeklagte weiterhin die Waffe auf den Kopf des Opfers gerichtet. Um sodann den Vaginalverkehr von hinten zu erzwingen, lud er die Pistole durch und hielt sie gegen den Mund der Zeugin. Anschließend legte er die Pistole beiseite, fesselte der Zeugin die Hände mit den Handschellen auf dem Rücken, um Gegenwehr zu verhindern, und führte ohne Kondom für die Geschädigte schmerzhaften Analverkehr bis zum Samenerguß aus.
Das Landgericht hat seiner Verurteilung § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB (Oral- und Analverkehr) zugrundegelegt und die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Gewalt) und Nr. 2 (Drohung) bejaht. Außerdem hat es § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB (Verwenden der Gaspistole) als erfüllt angesehen. Bei der Bestrafung ist es von dem nach § 177 Abs. 5 StGB (minder schwerer Fall) herabgesetzten Strafrahmen (ein Jahr bis zehn Jahre) ausgegangen und hat auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren erkannt.
II.
1. Der Schuldspruch nach § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB ist im Ergebnis frei von rechtlichen Bedenken und deshalb auch die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch wirksam erfolgt. Zwar läßt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, daß bei der eingesetzten Gaspistole das Gas nach vorne austritt. Aber angesichts des besonderen Umstandes des Falles – der Angeklagte lud die Gaspistole durch und hielt sie sodann der Geschädigten gegen den Mund – liegt in dem konkreten Einsatz der Pistole zumindest eine Verwendung als gefährliches Werkzeug. Denn auch für den Fall, daß das Gas zur Seite ausgetreten wäre, ist die so verwendete Gaspistole geeignet, ernstliche Gesichtsverletzungen des Tatopfers herbeizuführen.
2. Die Strafzumessung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat bei der zur Annahme eines minder schweren Falles erforderlichen Gesamtbetrachtung (vgl. nur BGHSt 26, 97, 98 f.) wesentliche, den Angeklagten belastende Umstände nicht erkennbar in seine Abwägung einbezogen.
a) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte neben dem Qualifikationstatbestand des Absatzes 4 Nr. 1 auch die Voraussetzungen des Absatzes 3 Nr. 2 erfüllt, weil er zur gewaltsamen Verhinderung von Widerstandshandlungen des Opfers Handschellen bei sich geführt und dann auch verwendet hat. Das darin liegende eigenständige Unrecht wird von Absatz 4 nicht umfaßt und stellt deshalb hier einen zusätzlichen wesentlichen Strafschärfungsgrund dar, der über den Gefährlichkeits- und Gefährdungsaspekt des Absatzes 1 Nr. 1 hinausgeht.
b) Die Kammer berücksichtigt zwar zum Nachteil des Angeklagten die „hohe impressive Wirkung” der mehrfach zur Erzwingung von Oral- und Analverkehr eingesetzten Waffe. Sie hat aber nicht erkennbar bedacht, daß der Angeklagte das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB – mit einer Strafrahmenuntergrenze von zwei Jahren – zweifach verwirklicht hat. Zwar schließt das Vorliegen von Regelbeispielen nach Absatz 2 die Annahme eines minder schweren Falles nach Absatz 5 mit einer Strafrahmenuntergrenze von einem Jahr nicht grundsätzlich aus, steht aber vielfach entgegen. Soweit der Tatrichter im Falle der Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des Absatzes 4 einen minder schweren Fall im Sinne des Absatzes 5 annehmen will, hat er, wenn ein Regelbeispiel nach Absatz 2 gegeben ist, besonders darauf Bedacht zu nehmen, daß Absatz 2 einen schärferen Strafrahmen als Absatz 5 zweiter Halbsatz vorsieht. Andernfalls entstünde nämlich ein Wertungswiderspruch, weil derjenige Täter, der zusätzlich noch einen Qualifikationstatbestand erfüllt, im Falle der Verwirklichung eines Regelbeispieles günstiger gestellt wäre als derjenige Täter, der kein Qualifikationsmerkmal verwirkt hat. Bei dem Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB n.F. liegt die Rechtfertigung für die regelmäßig erhöhte Strafe in der besonderen Schwere der erzwungenen sexuellen Handlung, während der Qualifikationstatbestand des Absatzes 4 eine Vergewaltigung nicht voraussetzt (vgl. BGH NStZ 2000, 419). Wählt der Tatrichter danach den Strafrahmen des Absatzes 5, so hat er die Untergrenze des § 177 Abs. 2 StGB n.F. zu beachten, wenn dieser Strafrahmen ohne das Vorliegen der Qualifikation des Absatzes 4 gegeben wäre. Mit diesem systematischen Zusammenhang hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Dem Urteil sind auch keine schuldmindernden Umstände zu entnehmen, deren außergewöhnliches Gewicht eine Abweichung von der in Absatz 2 genannten Strafuntergrenze rechtfertigen könnten.
c) Einen weiteren Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten stellt es hier dar, daß die Kammer der grundsätzlichen Bereitschaft der Zeugin zu sexuellen Handlungen gegen Bezahlung „ausschlaggebende” (UA S. 9) Bedeutung für die Annahme eines minder schweren Falles beigemessen hat. Diese Argumentation des Landgerichts ähnelt den Erwägungen der Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Beschl. vom 20. März 2001 – 4 StR 79/01, NStZ 2001, 369 – zum Abdruck in BGHSt bestimmt), wonach für die Annahme eines besonders schweren Falles über die Verwirklichung eines Regelbeispieles des Absatzes 2 zum Nachteil einer Prostituierten hinaus zusätzlich weitere entwürdigende Umstände erforderlich sind, die eine besondere Erniedrigung des Opfers durch die sexuellen Handlungen ergeben. Ob dieser Rechtsprechung gefolgt werden kann – der Senat teilt die Bedenken des 2. Strafsenats hiergegen (vgl. BGH bei Pfister NStZ-RR 2000, 358 Nr. 36; BGH NStZ-RR 1998, 326; vgl. auch die Rechtsprechung des 5. Strafsenats NStZ 2001, 29) – kann offen bleiben, weil die Feststellungen die strafmildernde Bewertung der grundsätzlichen Bereitschaft des Tatopfers im vorliegenden Fall nicht tragen. Denn das Landgericht hat übersehen, daß zwischen dem Angeklagten und Opfer einvernehmlich nur Geschlechtsverkehr in Form des Oral- und Vaginalverkehrs vereinbart war. Der Angeklagte hat aber über die vereinbarten Sexualpraktiken hinaus auch den für die Zeugin schmerzhaften Analverkehr erzwungen, der nicht von der grundsätzlichen Bereitschaft der Geschädigten erfaßt war.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Miebach, Pfister, von Lienen, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 634734 |
NStZ 2001, 646 |