Leitsatz (amtlich)
Zur Statthaftigkeit der Revision gegen ein zweites Versäumnisurteil.
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 06.06.1977) |
LG Wuppertal |
Tenor
Auf die Revision der Antragsgegnerin wird das 2. Versäumnisurteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. Juni 1977 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Antragsgegnerin (früher Beklagten) gegen das Urteil des Landgerichts, durch das die Ehe der Parteien geschieden wurde, durch Versäumnisurteil vom 2. Mai 1977 zurückgewiesen, weil in dem ordnungsgemäß bekanntgegebenen Termin zur mündlichen Verhandlung für die Antragsgegnerin niemand erschienen war. Gegen dieses Versäumnisurteil hat die Antragsgegnerin form- und fristgerecht Einspruch eingelegt. Da in dem ordnungsgemäß bekanntgegebenen Termin zur mündlichen Verhandlung für die Antragsgegnerin abermals niemand erschien, hat das Oberlandesgericht durch 2. Versäumnisurteil vom 6. Juni 1977 den Einspruch der Antragsgegnerin gegen das Versäumnisurteil vom 2. Mai 1977 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Revision. Sie bringt vor, ein Fall der Säumnis habe nicht vorgelegen, weil ihr zweitinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter am 6. Juni 1977 auf dem Weg zum Gericht einen schweren Autounfall erlitten habe, so daß er in bewußtlosem Zustand in das Krankenhaus habe eingeliefert werden müssen und nicht imstande gewesen sei, seinen Sozius oder einen anderen Anwalt mit der Wahrnehmung des Termins zu beauftragen.
Der Antragsteller beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet.
Sie richtet sich mit der Behauptung, daß ein Fall der Versäumung nicht vorgelegen habe, gegen ein zweites Versäumnisurteil des Oberlandesgerichts und ist daher gemäß §§ 566, 513 Abs. 2 ZPO statthaft, ohne daß es einer Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht bedurfte (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 12. Aufl. § 143 I 3 c ß). Das ergibt sich aus der nach § 566 ZPO auf die Revision entsprechend anzuwendenden Neufassung des § 513 Abs. 2 ZPO, dessen durch die Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976 (BGBl. I, 3281) neu hinzugefügter Satz 2 bestimmt, daß für die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil, die darauf gestützt wird, daß ein Fall der Versäumung nicht vorgelegen habe, die Wertgrenze des § 511 a ZPO nicht gilt. Diese Neuregelung ist auf den vorliegenden Fall anzuwenden, weil sie am 1. Juli 1977 in Kraft getreten und die Revision am 8. Juli 1977 eingelegt worden ist.
Vor der Änderung des § 513 Abs. 2 ZPO war in Rechtsprechung und Literatur streitig, ob für die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil der ersten Instanz das weitere Zulässigkeitserfordernis der Berufungssumme (§ 511 a ZPO) galt oder nicht (vgl. BAG NJW 1973, 870 = AP Nr. 2 zu § 566 ZPO mit Anm. Vollkommer; Stein/Jonas/Grunsky ZPO 20. Aufl. § 513 Rdn. 4, jeweils m.w.N.). Diese Streitfrage hat der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 513 Abs. 2 ZPO in dem Sinne entschieden, daß diese Zulassungsbeschränkung nicht gilt.
In vermögensrechtlichen Streitigkeiten bedeutet das für die Revision gegen ein zweites Versäumnisurteil des Oberlandesgerichts, daß es für die Statthaftigkeit der nicht zugelassenen Revision auf den Wert der Beschwer nicht ankommt, daß also insoweit die Zulässigkeitsbeschränkungen des § 546 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht gelten. Denn wegen der Bedeutungslosigkeit der Berufungssumme für die Statthaftigkeit der Revision kann die in § 566 ZPO angeordnete entsprechende Anwendung des § 513 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur auf die dem § 511 a ZPO funktional entsprechende Zulässigkeitsschranke in § 546 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzielen, mithin auf die Wertgrenze von 40.000,- DM bis zu der die Statthaftigkeit der Revision von der Zulassung abhängt. Diese Begrenzung gilt jedenfalls seit der Neufassung des § 513 Abs. 2 ZPO für die Revision gegen ein zweites Versäumnisurteil nicht.
Bei dieser Rechtslage hinsichtlich der vermögensrechtlichen Streitigkeiten kann bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten an dem Erfordernis der Revisionszulassung gemäß § 546 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Revision gegen ein zweites Versäumnisurteil nicht festgehalten werden, zumal eine derartige Revisionszulassung äußerst selten vorkommen wird, weil die Fälle des später angefochtenen zweiten Versäumnisurteils in der Regel solche sind, in denen das Gericht - wie im vorliegenden Fall - die mit dem Rechtsmittel gegen die Annahme der Säumnis vorgebrachten Tatsachen noch nicht gekannt hat. Die in § 566 ZPO angeordnete entsprechende Anwendung der für die Berufung geltenden Vorschriften muß zu dem Ergebnis führen, daß in diesem Fall die Zulässigkeitsbeschränkung des § 546 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht gilt, weil auch die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil der ersten Instanz in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten unbeschränkt statthaft ist. Für dieses Ergebnis spricht ferner, daß der Gesetzgeber die einzige in der Berufungsinstanz nach der Ansicht eines Teils der Rechtsprechung und Literatur vorhandene Schranke des § 511 a ZPO aufgehoben und damit zu erkennen gegeben hat, daß der von einem zweiten Versäumnisurteil betroffenen, in Wahrheit aber nicht säumig gewesenen Partei mit Hilfe eines Rechtsmittels die Möglichkeit gegeben werden muß, ohne weitere Beschränkungen die gebotene Sachprüfung durch das Gericht zu erreichen. Es besteht kein Anlaß, diesen Grundgedanken nicht auch auf die Revisionsinstanz zu übertragen. An der von dem Bundesarbeitsgericht a.a.O. vertretenen Auffassung, daß bei einem, von dem Berufungsgericht erlassenen, zweiten Versäumnisurteil die Revision nur bei Zulassung durch das Berufungsgericht statthaft sei, kann daher nicht festgehalten werden.
Eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl. I, 61) ist nicht erforderlich, da die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, von der abgewichen wird, auf der früheren gesetzlichen Regelung beruht.
Die von dem Antragsteller für seine Ansicht, daß die Revision unstatthaft sei, herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs in LM Nr. 1 zu § 341 ZPO betrifft einen anders gelagerten Sachverhalt, nämlich die Frage der Statthaftigkeit der Revision gegen ein Urteil, durch das der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil als unzulässig verworfen worden ist, und ist daher nicht einschlägig.
Die zulässige Revision ist auch begründet.
Nach dem unstreitigen Vorbringen der Antragsgegnerin hat ihr zweitinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter, der den Termin vom 6. Juni 1977 wahrnehmen wollte, auf dem Weg zum Gericht einen so schweren Autounfall erlitten, daß er in bewußtlosem Zustand in das Krankenhaus eingeliefert werden mußte und nicht mehr imstande war, seinen Sozius oder einen anderen Anwalt mit der Wahrnehmung des Termins zu beauftragen. Es lag daher ein Fall unabwendbarer Säumnis vor, in dem ein Versäumnisurteil nicht ergehen durfte (BGH in NJW 1976, 196). Das Berufungsurteil konnte daher keinen Bestand haben. Da dem Scheidungsbegehren des Antragstellers nicht ohne Beweisaufnahme hätte stattgegeben werden können, mußte das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 3018743 |
NJW 1979, 166-167 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1979, 127 (Volltext mit amtl. LS) |
ZZP 1979, 370-371 |