Entscheidungsstichwort (Thema)
versuchter Totschlag
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 14. Mai 2001 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf die Sachrüge und eine Verfahrensrüge gestützte Revision bleibt erfolglos.
1. Folgendes ist festgestellt:
Der Angeklagte hielt sich häufig im Obdachlosenmilieu auf, wo er als spendabel geschätzt wurde. Auch am 5. September 2000 hatte er mit G. V., E. D. und anderen Bekannten den ganzen Tag im Freien gezecht, wobei er die Getränke bezahlt hatte. Am Spätnachmittag forderte er E. D. mit den Worten: „Du Schlampe gehst jetzt einkaufen!” auf, weitere Getränke zu besorgen und schwenkte dabei vor ihrem Gesicht ein „Bowie-Messer” (Klingenlänge 15,5 cm). V. trat an ihn heran, und erklärte ihm, daß er – der Angeklagte – seine – V. s – Verlobte nicht als Schlampe zu bezeichnen habe und gab ihm dabei einen leichten Schlag ins Gesicht. Daraufhin beschwichtigte der Angeklagte, es sei schon alles in Ordnung. Für kurze Zeit kehrte darauf Ruhe ein; E. D. entfernte sich, während V. beim Angeklagten stehen blieb.
Plötzlich und unerwartet stieß der Angeklagte das Messer, das er immer noch in der Hand gehalten hatte, V. in horizontaler Stichführung mit einem kräftigen und gezielten Stich in die linke Brust. V. brach sofort zusammen. Mit den Worten: „Ich kann noch mehr!” stach der Angeklagte noch zweimal auf den zusammenbrechenden V. ein und fügte ihm zwei weitere (oberflächliche) Verletzungen im Bereich des Schulterblatts und des Oberarms zu. Als die völlig überraschte E. D. laut um Hilfe rief, trat der Angeklagte beiseite. Kurz darauf wurde er noch am Tatort festgenommen. Bei seiner Festnahme erklärte er gegenüber den Polizeibeamten, mehrfach auf V. eingestochen zu haben; wörtlich sagte er unter anderem: „Wenn er verreckt, hat er Pech gehabt. …. Die Alte ist schuld, der G. kann nichts dafür.”
V., der eine Herzmuskelverletzung im Bereich des rechten Ventrikels erlitten hatte, konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden.
2. Der Generalbundesanwalt und die Revision meinen im wesentlichen übereinstimmend, die Strafkammer habe den Tötungsvorsatz allein aus dem äußeren Tatgeschehen geschlossen und damit nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Zwar liege es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. hierzu zusammenfassend nur Eser in Schönke/Schröder StGB, 26. Aufl. § 212 Rdn. 5 m.w.N.) bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, daß der Täter mit der Möglichkeit des Todes seines Opfers rechne und diesen Erfolg auch billigend in Kauf nehme, wenn er sein Verhalten gleichwohl fortsetze. Im Hinblick auf die hohe Hemmschwelle gegenüber einer Tötung könne es aber im Einzelfall auch so sein, daß der Täter die Gefahr des Todes entweder nicht erkenne, oder zumindest ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraue, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Die für die Bejahung eines Tötungsvorsatzes erforderliche Gesamtwürdigung aller Umstände sei nicht vorgenommen, insbesondere habe sich die Strafkammer nicht mit dem Fehlen eines nachvollziehbaren Motivs für eine so schwer wiegende Straftat auseinandergesetzt, und auch nicht geprüft, ob der Angeklagte trotz seiner erheblichen Alkoholisierung (die zur Bejahung der Voraussetzungen von § 21 StGB führte) erkennen konnte, daß er einen möglicherweise tödlichen Stich setzte.
3. Der Senat sieht keinen durchgreifenden Rechtsfehler.
Angesichts der Feststellungen nicht nur zum Tat-, sondern auch zum Nachtatgeschehen (zu deren Bedeutung vgl. Eser aaO) waren weitere Ausführungen zu Erkenntnisfähigkeit, Hemmschwelle und dem voluntativen Element des Vorsatzes jedenfalls nicht zwingend geboten.
Es mag dahinstehen, unter welchen konkreten Umständen trotz eines aus nächster Nähe geführten kräftigen Messerstichs in die Herzregion von einem mehr als allenfalls vagen Vertrauen auf das Ausbleiben eines tödlichen Erfolgs ausgegangen werden kann oder sonst Zweifel am Tötungsvorsatz bestehen können (vgl. BGH NStZ 1999, 507; vgl. zusammenfassend auch Altvater, Rechtsprechung des BGH zu den Tötungsdelikten, NStZ 2001, 19, NStZ 2000, 18, 19). Hier hat der Angeklagte mit einem Messerstich in den Oberkörper nicht nur eine generell äußerst gefährliche Handlung vorgenommen, sondern er hat auf die Herzregion gezielt, also willentlich gerade dorthin gestochen. Dies spricht für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz (vgl. BGHSt 39, 168, 181), dem der Umstand, daß er auf den zusammenbrechenden V. nach dem ersten Stich noch weiter eingestochen hat, nicht entgegensteht.
Die schon genannte Äußerung, es sei Pech für V., wenn er „verrecke”, spricht in ihrem Zusammenhang auch nicht etwa dafür, daß der Angeklagte den Tod V. s als unglückliche und von ihm eigentlich ungewollte Folge seines Verhaltens angesehen hätte. Vielmehr zeigt seine Äußerung, daß V. nichts „dafür” könne und über die „Schuld” der „Alten”, daß das „Pech” V. s darin liege, daß er wegen des Stichs möglicherweise sterben müsse, obwohl er selbst aus der Sicht des Angeklagten keinen Anlaß zu dem Stich gegeben hatte. Unter diesen Umständen waren auch Erwägungen dazu, daß sich aus dem Verhältnis zwischen V. und dem Angeklagten kein Grund für ein Tötungsdelikt erkennen läßt, nicht geboten.
4. Hinsichtlich des Vorsatzes macht die Revision darüber hinaus mit einer Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) geltend, der gehörte Sachverständige sei nicht zur Auswirkung des Alkohols auf die Willensbildung befragt worden. Wäre dies geschehen, wäre ein Schuldspruch allein wegen gefährlicher Körperverletzung zumindest nicht auszuschließen gewesen. Auch unbeschadet der Fragen, unter welchen Voraussetzungen eine Aufklärungsrüge auf die Nichtausschöpfung eines Beweismittels gestützt werden kann (vgl. hierzu Kuckein in KK 4. Aufl. § 344 Rdn. 53 m.w.N.) und ob das nach Auffassung der Revision von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwartende Beweisergebnis hinreichend bestimmt mitgeteilt ist (vgl. hierzu Kuckein aaO Rdn. 51 m.w.N.), geht diese Rüge ins Leere. Angesichts der gesamten Feststellungen zu dem Verhalten des Angeklagten brauchte sich die Strafkammer zu weiteren Beweiserhebungen über die Auswirkungen des Alkohols auf den Vorsatz des (zwar stark alkoholisierten, aber auch in hohem Maße alkoholgewohnten) Angeklagten nicht gedrängt zu sehen.
5. Auch im übrigen hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Ergänzend ist lediglich zu bemerken, daß die von der Revision vermißte nähere Erörterung einer Unterbringung gemäß § 64 StGB nicht geboten war. Der Angeklagte neigt zwar zu Alkoholmißbrauch – von dem er sich, anders als weitgehend von seinem früheren Drogenkonsum – auch nicht gelöst hat und er ist häufig vorbestraft. Seit 1996 wurde er jedoch nur mit Geldstrafen belegt, neben Drogendelikten vor allem wegen Beförderungserschleichung und Diebstahl. Ein Zusammenhang mit seiner Neigung zum Alkoholmißbrauch ist hier jedoch ebenso wenig zu erkennen, wie bei seinen früheren, in den Urteilsgründen näher geschilderten, inzwischen mehr als zehn Jahre zurückliegenden schwerwiegenderen Straftaten. § 64 StGB eröffnet nicht allgemein die Unterbringung behandlungsbedürftiger Täter; die Maßnahme ist vielmehr abhängig von der künftigen Entwicklung des Angeklagten als Straftäter (BGH StV 1996, 538 m.w.N.). Anhaltspunkte für die Gefahr weiterer hangbedingter erheblicher Straftaten sind jedoch weder aus den Urteilsgründen noch sonst erkennbar.
Unterschriften
Schäfer, Wahl, Boetticher, Schluckebier, Kolz
Fundstellen
Haufe-Index 668055 |
NStZ 2002, 541 |