Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 22.10.2021; Aktenzeichen 6 U 185/21) |
LG Osnabrück (Entscheidung vom 19.05.2021; Aktenzeichen 12 O 1673/20) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 22. Oktober 2021 - mit Ausnahme der begehrten Freistellung von Zinsen aus den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten und unter Zurückweisung des Rechtsmittels insoweit - aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 45.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Mai 2018 - teilweise kreditfinanziert - von einem Händler einen neuen VW Tiguan 2.0 TDI, der mit einem Motor der Baureihe EA 288 ausgerüstet ist.
Rz. 2
Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Erstattung der Kaufpreisanzahlung und geleisteten Darlehensraten nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie Freistellung von weiteren Darlehensraten zu verurteilen. Er hat ferner die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Die Revision hat im tenorierten Umfang Erfolg.
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 5
Der Kläger habe einen Schadensersatzanspruch weder nach § 826 BGB noch auf anderer Grundlage. Es könne wegen der Tatbestandswirkung der gültigen EG-Typgenehmigung bereits nicht festgestellt werden, dass das Fahrzeug des Klägers von der Beklagten mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet worden sei. Die Beklagte könnte sich zwar auf die Tatbestandswirkung nicht berufen, wenn sie sich die EG-Typgenehmigung erschlichen und das KBA getäuscht hätte. Eine solche Ausnahmesituation liege hier aber nicht vor. Weder stehe auf Grund einer bestandskräftigen Entscheidung des KBA fest, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem konkret erworbenen Fahrzeug installiert sei, noch bestehe auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers die Möglichkeit, dass das KBA künftig eine solche Entscheidung treffen werde. Vielmehr halte das KBA die vom Kläger kritisierten Funktionen des Motors nach umfassenden Untersuchungen ausdrücklich nicht für unzulässige Abschalteinrichtungen.
II.
Rz. 6
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht stand.
Rz. 7
1. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB abgelehnt.
Rz. 8
a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, kann zwar die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung einem solchen Anspruch eines Fahrzeugerwerbers nicht entgegengehalten werden (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 10 bis 17; Urteil vom 13. November 2023 - VIa ZR 387/22, juris Rn. 8). Mit dieser Begründung hätte das Berufungsgericht daher nicht von der Berücksichtigung des entsprechenden Vortrags des Klägers absehen dürfen.
Rz. 9
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat das KBA allerdings die von dem Kläger gerügten Funktionen im Rahmen seiner Untersuchungen überprüft und nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestuft. Damit bleibt kein Raum für die Annahme, die Beklagte habe eine dieser Funktionen im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und unter billigender Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes implementiert; ebenso scheidet ein Schädigungsvorsatz aus (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2024 - VII ZR 610/21, juris Rn. 15).
Rz. 10
2. Die Revision hat wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus den vorstehenden Gründen nicht näher erwogen hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Rz. 11
Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Rz. 12
Die Berufungsentscheidung ist im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich - mit Ausnahme der auf den Freistellungsanspruch geltend gemachten Zinsen (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2017 - XI ZR 508/15, NJW-RR 2017, 942 Rn. 34; Urteil vom 12. Oktober 2017 - IX ZR 267/16, NJW 2018, 1006 Rn. 28; Urteil vom 16. Oktober 2023 - VIa ZR 1139/22, juris Rn. 11; Urteil vom 25. Juni 2024 - VIa ZR 213/23 juris Rn. 13) - auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Rz. 13
Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Möhring Krüger
Wille Liepin
Fundstellen
Dokument-Index HI16721613 |