Verfahrensgang
Thüringer OLG (Entscheidung vom 06.03.2003) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt im Wege der Anfechtungsklage die Feststellung, nicht der Vater des am 10. Januar 1986 geborenen Beklagten zu sein.
Die Mutter des Beklagten, die in der gesetzlichen Empfängniszeit Geschlechtsverkehr mit dem Kläger hatte, hatte diesem versichert, daß er der Vater des Beklagten sei. Am 11. Oktober 1989 erkannte der Kläger an, der Vater des Beklagten zu sein. Die Kindesmutter stimmte der Vaterschaftsanerkennung mit notarieller Urkunde vom gleichen Tage zu. Seitdem zahlt der Kläger Unterhalt für den Beklagten.
Im Sommer 2001 erfuhr der Kläger von der Möglichkeit, eine private DNA-Vaterschaftsanalyse fertigen zu lassen. Etwa gleichzeitig wurde er von seiner Schwester darauf aufmerksam gemacht, daß sowohl zwischen ihm als auch der Kindesmutter einerseits und dem Beklagten andererseits äußerlich und wesensmäßig keinerlei Ähnlichkeit bestehe. Daraufhin veranlaßte der Kläger eine DNA-Vaterschaftsanalyse, auf deren Grundlage die Gutachterin am 1. Oktober 2001 zu dem Ergebnis kam, eine Vaterschaft des Klägers sei offensichtlich unmöglich.
Dieser Analyse lagen zum einen Mundschleimhautabstriche des Klägers selbst und zum anderen Haarwurzeln zugrunde, von denen der Kläger behauptet, sie stammten von dem Beklagten. Es handele sich um Haare, die seine Schwester dem Beklagten bei der Entfernung einer Zecke versehentlich ausgerissen habe. Durch das Gutachten habe er erstmalig von Umständen erfahren, die eindeutig gegen seine Vaterschaft sprächen.
Der Beklagte bestreitet, daß die Haare von ihm stammen, und widerspricht der Verwertung des ohne seine Einwilligung eingeholten Gutachtens.
Das Amtsgericht wies die Anfechtungsklage des Klägers ab. Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung u.a. in FamRZ 2003, 944 ff. veröffentlicht ist, wies die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurück. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
1. Das Berufungsgericht verneint, wie auch schon das Amtsgericht, die Schlüssigkeit der Anfechtungsklage. Die Behauptung des Klägers, das Kind sei weder ihm noch der Kindesmutter ähnlich, sei für sich allein noch nicht geeignet, den hierfür erforderlichen Anfangsverdacht, das Kind stamme nicht von ihm, zu begründen. Auch das außergerichtlich eingeholte DNA-Gutachten sei hierzu nicht geeignet. Dessen Ergebnis könne nämlich aus prozessualen Gründen im Anfechtungsverfahren nicht verwertet werden, weil das untersuchte Material, soweit es von dem bei Gutachtenerstattung bereits 15-jährigen Beklagten stamme, ohne dessen Zustimmung und damit in rechtswidriger Weise erlangt sei. Denn die heimliche DNA-Analyse des genetischen Materials eines anderen verletze dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht in seiner Ausformung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG). Dem stehe zwar ein Recht des Klägers auf Kenntnis des Bestehens oder Nichtbestehens seiner Vaterschaft gegenüber. Die Abwägung dieser beiden gegenläufigen Grundrechtspositionen ergebe aber nicht, daß das Grundrecht des Beklagten auf informationelle Selbstbestimmung dahinter zurückstehen müsse.
2. Dies hält den Angriffen der Revision stand.
Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteile vom 22. April 1998 - XII ZR 229/96 - FamRZ 1998, 955, 956 und vom 30. Oktober 2002 - XII ZR 345/00 - FamRZ 2003, 155, 156) reicht das bloße Vorbringen des Klägers, er sei nicht der Vater des Kindes und ein gerichtliches Sachverständigengutachten werde seine Vaterschaft ausschließen, für eine Vaterschaftsanfechtungsklage nicht aus. Vielmehr muß der Kläger Umstände vortragen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Zweifel an der Abstammung des Kindes von dem als Vater geltenden Kläger zu wecken und die Möglichkeit der Abstammung des Kindes von einem anderen Mann als nicht ganz fernliegend erscheinen zu lassen.
Daran fehlt es, ohne daß es hier schon einer Entscheidung bedarf, welche Anforderungen an die Umstände, mit denen ein Anfangsverdacht zu begründen ist, im einzelnen gegebenenfalls weiterhin zu stellen sind.
a) Die Auffassung des Berufungsgerichts, die vom Kläger ohne nähere Konkretisierung behauptete mangelnde Ähnlichkeit des Kindes mit ihm und der Kindesmutter reiche für einen solchen Anfangsverdacht nicht aus, hält der revisionsrechtlichen Prüfung stand und wird von der Revision auch nicht angegriffen.
b) Entgegen der Auffassung der Revision begründet auch nicht schon die Weigerung des Beklagten, die Einholung des DNA-Gutachtens nachträglich zu genehmigen und in seine Verwertung einzuwilligen, als solche einen die Anfechtungsklage schlüssig machenden Anfangsverdacht. Sie stellt auch keine Beweisvereitelung dar. Insbesondere vermag der Senat sich nicht der von Mutschler (FamRZ 2003, 74, 76 a.E.) vertretenen Ansicht anzuschließen, allein die Weigerung der Mutter oder des Kindes, auf Bitten des (gesetzlichen) Vaters an einer DNA-Begutachtung mitzuwirken, könne je nach den Umständen des Falles einen ausreichenden Anfangsverdacht der Nichtvaterschaft begründen. Denn ein solches Verhalten ist Ausfluß des - negativen - informationellen Selbstbestimmungsrechts. Dieses würde ausgehöhlt, wenn die Weigerung, an einer außergerichtlichen Begutachtung mitzuwirken, die Vaterschaftsanfechtungsklage eröffnen würde, mit der Folge, daß die Informationen, die dieses Grundrecht schützen will, immer dann im Rahmen einer gerichtlichen Beweisaufnahme preisgegeben werden müßten, wenn dies dem Willen des Betroffenen zuwiderläuft und die freiwillige Preisgabe deshalb zuvor abgelehnt wurde.
Erst recht kann hier die Weigerung des Beklagten, der Verwertung bereits rechtswidrig erlangter Informationen nachträglich zuzustimmen, nicht als ein die Anfechtungsklage eröffnender Umstand angesehen werden. Denn wenn das Gesetz eine Verpflichtung, Untersuchungen zum Zwecke der Feststellung der Abstammung zu dulden, nur unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, kann ihre Verweigerung nicht dazu herangezogen werden, diese Voraussetzungen zu bejahen.
c) Auch die Vorlage eines heimlich eingeholten DNA-Gutachtens ist hier zur Darlegung eines Anfangsverdachts nicht geeignet.
Denn auch die vom Berufungsgericht vorgenommene Abwägung, daß das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Beklagten nicht hinter dem Interesse des Klägers an der Feststellung seiner Nichtvaterschaft zurückstehen müsse, hält der revisionsrechtlichen Prüfung stand.
aa) Jede Untersuchung und Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters greift in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Persönlichkeitsrecht, hier in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, ein. Dieses darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weiter gehen als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerläßlich ist (vgl. BVerfG NJW 2001, 2320, 2321). Welcher Stellenwert diesem Grundrecht beizumessen ist, ergibt sich beispielsweise aus der gesetzlichen Einschränkung des § 81 g StPO in Verbindung mit § 2 des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes (DNA-IFG vom 7. September 1998 BGBl. I 2646), die eine Feststellung und Speicherung des DNA-Identifizierungsmusters eines verurteilten Straftäters nur zuläßt, wenn Grund zu der Annahme besteht, daß gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind.
Diesem Schutz des Grundrechts eines jeden Menschen, die Untersuchung seines Genoms grundsätzlich von seiner Zustimmung abhängig zu machen, dienen auch Art. 5 der Allgemeinen Erklärung zum menschlichen Genom und zu den Menschenrechten (UNESCO Universal Declaration on the Human Genome and Human Rights) vom 11. November 1997; Art. II-68 der Verfassung der Europäischen Union (Amtsblatt C 310/43 vom 16. Dezember 2004); Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und, soweit es sich um das Recht eines Kindes handelt, Art. 8 Abs. 1 und Art. 16 der UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 (BGBl. 1992 II 121).
bb) Dies ist auch bei der Verwertung von Beweisen oder Kenntnissen im gerichtlichen Verfahren zu beachten, gleichgültig, ob es sich um einen Strafprozeß oder Zivilprozeß handelt. Denn der Richter hat kraft Verfassungsgebots zu prüfen, ob von der Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften im Einzelfall Grundrechte berührt werden. Trifft dies zu, dann hat er diese Vorschriften im Lichte der Grundrechte auszulegen und anzuwenden (vgl. BVerfG NJW 1991, 2411 f. m.w.N.) und darf dies nicht als praxisfern (vgl. Huber FamRZ 2004, 825, 826) oder als Ausfluß einer "verfassungsrechtlichen Überhöhung" (vgl. Spickhoff FamRZ 2003, 1581 f.) abtun.
So dürfen rechtswidrig erlangte Kenntnisse aus dem heimlichen Mithören eines Telefonats nur ganz ausnahmsweise in einem gerichtlichen Verfahren verwertet werden, etwa dann, wenn sich der Beweisführer in einer notwehrähnlichen Situation befindet oder erpresserischen Drohungen oder einem kriminellen Angriff auf seine berufliche Existenz auf andere Weise nicht begegnen kann. Demgegenüber reicht allein das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, nicht aus (vgl. BVerfG NJW 2002, 3619, 3624; BGH, Urteil vom 18. Februar 2003 - XI ZR 165/02 - NJW 2003, 1727, 1728).
Demgemäß ist eine ohne Wissen des Betroffenen vorgenommene DNA-Analyse beispielsweise auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht geeignet, eine Verdachtskündigung zu rechtfertigen, sondern unterliegt einem Verwertungsverbot (vgl. VGH Baden-Württemberg NJW 2001, 1082; vgl. auch EuGH NJW 1994, 3005 ff.: Aufhebung einer Entscheidung, soweit sie auf einem anläßlich einer Einstellungsuntersuchung ohne Einwilligung vorgenommenen Lymphozytentest beruht).
cc) Dies führt dazu, daß heimlich veranlaßte DNA-Vaterschaftsanalysen rechtswidrig (vgl. Palandt/Diederichsen BGB 64. Aufl. Einf. vor § 1591, Rdn. 11) und im Vaterschaftsanfechtungsverfahren gegen den Willen des Kindes oder seines gesetzlichen Vertreters nicht verwertbar sind (vgl. Bohnert FPR 2002, 383, 389; Musielak-Foerste ZPO 4. Aufl. § 286 Rdn. 7), und zwar auch nicht zur schlüssigen Darlegung von Zweifeln an der Vaterschaft im Sinne des § 1600 b BGB (vgl. Zöller/Greger ZPO 25. Aufl. § 286 Rdn. 15 b a.E.; im Ergebnis ebenso OLG Köln FamRZ 2004, 1987 a.E.), weil auch dies einen erneuten Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht und die informationelle Selbstbestimmung des Kindes bedeuten würde (vgl. Rittner/Rittner NJW 2002, 1745, 1751).
d) Dieser Auffassung entsprechen offenbar auch Überlegungen der Bundesregierung, "heimliche" Vaterschaftsgutachten im Rahmen eines künftigen Gendiagnostikgesetzes (Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen) insgesamt zu verbieten (Nachweise bei Staudinger/Rauscher BGB [2004] Einl. zu §§ 1589 ff. Rdn. 113 a.E.).
Derartige Bestrebungen sind auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland festzustellen, ohne daß die nachstehend angeführten Beispiele Anspruch auf Vollständigkeit erheben:
In Belgien zielen mehrere Gesetzesinitiativen darauf ab, private DNA-Analysen auf Veranlassung des Vaters und/oder der Mutter zuzulassen, dies jedoch nur innerhalb des ersten Lebensjahres des Kindes, sowie auf Betreiben des Kindes innerhalb einer Frist von vier Jahren nach Eintritt seiner Volljährigkeit; im übrigen sollen private Analysen unzulässig sein (vgl. z.B. Art. 5, 6 und 16 der Proposition de loi visant à réglementer l'usage des analyses génétiques à des fins d'identification en matière de filiation, Chambre des Représentants de Belgique Dokument Nr. 51 0066/001); in Frankreich sind außergerichtliche DNA-Analysen ohne Zustimmung des Betroffenen untersagt (vgl. Art. 16-11 Code Civil, Art. 145-15 und Art. 145-20 des Code de la Santé publique, eingefügt durch Gesetz Nr. 94-654 vom 29. Juli 1994 - Loi relative au don et à l'utilisation des éléments et produits du corps humain, à l'assistance médicale, à la procréation et au diagnostic prénatal, i.V.m. Art. 226-28 Code Pénal); in Großbritannien sind DNA-Analysen ohne Zustimmung des Betroffenen verboten (section 45 Human Tissue Act 2004); in Kanada (Provinz Quebec) bedürfen DNA-Analysen grundsätzlich der Zustimmung des Betroffenen und unterliegen andernfalls vor Gericht dem Verwertungsverbot des Art. 2858 Code Civil du Québec (vgl. Obadia, L'incidence des tests d'ADN sur le droit québécois de la filiation, McGill Law Journal 2000, 483, 502, 507); in der Schweiz sollen außergerichtliche DNA-Analysen ohne Zustimmung des Betroffenen untersagt werden (vgl. Art. 5, 6, 32, 34 und 36 des Bundesgesetzes über genetische Untersuchungen beim Menschen - GUMG - vom 8. Oktober 2004 Bundesblatt 2004, 5483; Ablauf der Referendumsfrist: 27. Januar 2005).
e) Dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Kindes steht auch ein ebenfalls aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuleitendes Recht des Vaters oder Scheinvaters auf Kenntnis seiner Vaterschaft (vgl. BVerfG FamRZ 2003, 816, 820 unter C I 3 c; vgl. auch Senatsurteil vom 20. Januar 1999 - XII ZR 117/97 - FamRZ 1999, 716) nicht entgegen. Dieses ist nicht als höherwertig anzusehen (vgl. Rittner/Rittner aaO. 1749; einschränkend Erman/Holzhauer BGB 11. Aufl. § 1600 b Rdn. 8; a.A. Reichelt/Schmidt/Schmidtke FamRZ 1995, 777, 779 unter B I b; Staudinger/Rauscher aaO. Einl. zu §§ 1589 ff. Rdn. 116). Das zeigt sich schon daran, daß seine Durchsetzung im Vaterschaftsanfechtungsverfahren u.a. durch die gesetzliche Fristenregelung des § 1600 b BGB wesentlich eingeschränkt ist, während das aus dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Kindes folgende Recht, der Erhebung oder Verwertung genetischer Daten zu widersprechen, demgegenüber keiner zeitlichen Schranke unterworfen ist. Auch hat der Gesetzgeber sich bei der Kindschaftsrechtsreform im Jahre 1997 dagegen entschieden, in jedem Fall die biologische Abstammung eines Kindes zu klären, und statt dessen hingenommen, daß die biologische Vaterschaft zugunsten des Kindeswohls unter anderem dann in den Hintergrund tritt, wenn ein Kind aufgrund seiner Geburt in der Ehe der Mutter bereits in einem Familienverbund aufwächst (vgl. Rittner/Rittner aaO. 1749).
Zudem verleiht das Recht auf Kenntnis der eigenen Vaterschaft oder Nichtvaterschaft selbst dann, wenn es dem Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gleichzustellen wäre, noch kein Recht auf Verschaffung solcher Kenntnis (vgl. Senatsurteil BGHZ 156, 153, 164 f. m.N.).
Das Interesse des Vaters oder Scheinvaters, sich Gewißheit über seine Vaterschaft zu verschaffen, kann auch dann nicht als höherrangig angesehen werden, wenn es der Abwehr zivilrechtlicher Ansprüche, denen er als gesetzlicher Vater ausgesetzt ist, dienen soll.
Fundstellen
FamRZ 2005, 342 |
FamRZ 2007, 1315 |
NJ 2005, 126 |