Tenor
Auf die Revision des Rechtsanwalts wird das Urteil des Sächsischen Anwaltsgerichtshofs vom 30. Juni 2000 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Senat des Anwaltsgerichtshofs zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Anwaltsgericht hat den Rechtsanwalt mit Urteil vom 26. Juni 1998 und mit Urteil vom 30. Juni 1999 jeweils eines Verstoßes gegen die allgemeinen Berufspflichten für schuldig befunden und gegen ihn eine Geldbuße von 50.000,– DM bzw. ein Vertretungsverbot für das Gebiet des Strafrechts für drei Jahre verhängt. Gegen diese Urteile hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt und diese in der Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Der Anwaltsgerichtshof hat die beiden Verfahren verbunden und den Rechtsanwalt aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen. Dagegen wendet sich die Revision des Rechtsanwalts mit Verfahrensrügen und der Sachrüge.
Das Rechtsmittel erweist sich zum Schuldspruch als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, hat aber zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg.
1. Nach den Urteilsfeststellungen hat sich der Anwaltsgerichtshof trotz der Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch für befugt gehalten, den Schuldspruch der anwaltsgerichtlichen Urteile nachzuprüfen. Denn er hat seiner Entscheidung nicht die anwaltsgerichtlichen Feststellungen der Urteile vom 26. Juni 1998 und 30. Juni 1999 als bindend gemäß § 327 StPO, sondern die nach § 118 Abs. 3 BRAO als bindend erachteten Schuldfeststellungen der in den Strafverfahren gegen den Rechtsanwalt ergangenen Urteile des Landgerichts Dresden vom 9. Dezember 1993, 12. Juli 1996 und 16. Oktober 1998 zugrundegelegt (UA S. 6). Diese Auffassung, die der Senat von Amts wegen nachzuprüfen hat, ist zutreffend (BGH, Beschluß vom 3. Oktober 1983 – AnwSt(R) 3/83 = BRAK-Mitt. 1984, 37).
Auch im anwaltsgerichtlichen Verfahren kann zwar eine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden mit der Folge, daß die Feststellungen des angefochtenen Urteils zum Schuldspruch, auch wenn sie gegen § 118 Abs. 3 BRAO verstoßen, für das Rechtsmittelgericht bindend sind. Die Berufungsbeschränkung ist aber unwirksam, wenn die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils zum Schuldspruch so lückenhaft sind, daß sie keine taugliche Grundlage für die Entscheidung des Berufungsgerichts bilden. Dies hat zur Folge, daß das Berufungsgericht eigene Schuldfeststellungen zu treffen hat. So lag der Fall hier. Die Feststellungen des anwaltsgerichtlichen Urteils vom 26. Juni 1998 lassen schon die dem Rechtsanwalt vorgeworfenen Straftaten nicht ausreichend erkennen.
2. Der Anwaltsgerichtshof hat danach, wie ausgeführt, zulässig eigene Feststellungen getroffen. Es kann dahinstehen, ob ein Hinweis auf die Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung erteilt worden ist. Eine entsprechende Rüge ist nicht erhoben worden. Im übrigen kann ausgeschlossen werden, daß der Rechtsanwalt sich bei Erteilung eines solchen Hinweises anders als geschehen gegen den Schuldspruch hätte verteidigen können.
Auf die Verfahrensrügen kommt es, soweit sie Widersprüche und Abweichungen zwischen den anwaltsgerichtlichen Urteilen und den Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs rügen, deshalb nicht an. Soweit die Revision mit der Verfahrensrüge einen Verstoß gegen die Bindungswirkung des § 118 Abs. 3 BRAO rügt, weil der Anwaltsgerichtshof bei der Wiedergabe des als bindend erachteten Strafurteils – insoweit abweichend vom Strafurteil – davon ausgegangen sei, daß die Zeugin B. in Anwesenheit des Rechtsanwalts ihre Falschaussage abgegeben habe, kann dahinstehen, ob die Rüge, die den nur zeitweiligen, nach § 247 StPO erfolgten Ausschluß des Rechtsanwalts von der Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht vorträgt, zulässig ausgeführt ist. Jedenfalls kann ausgeschlossen werden, daß der Rechtsfolgenausspruch von dieser Abweichung von den bindenden Feststellungen beeinflußt ist. Der Anwaltsgerichtshof hat lediglich die dem Rechtsanwalt „im Rahmen” der fortgesetzten Hauptverhandlung vermittelte Kenntnis von der vorangegangenen Verhaftung der Zeugin berücksichtigt. Schließlich greift auch die von der Revision erhobene Aufklärungsrüge nicht durch. Der Anwaltsgerichtshof hat sich zur Motivation der Falschaussage des Rechtsanwalts auf dessen eigene Angaben in der Hauptverhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof gestützt. Eine Beiziehung der Strafakten im Verfahren gegen den Angeklagten R. drängte sich danach nicht auf.
3. Demgegenüber ist der Rechtsfolgenausspruch auf die Sachrüge aufzuheben.
Die Ausschließung aus der Anwaltschaft ist die schwerste anwaltsgerichtliche Maßnahme. Sie kommt nach Art 12 Abs. 1 GG nur in Betracht, wenn sie als Ahndung schwerer Pflichtverletzungen zum Schutze eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts, nämlich der Interessen der Allgemeinheit an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und der Wahrung des Vertrauens der Rechtsuchenden in die Integrität des Anwaltsstandes geeignet und erforderlich ist und wenn eine Gesamtabwägung ergibt, daß mildere Maßnahmen nach § 114 Abs. 1 Nr. 1-4 BRAO nicht ausreichen. Zur Vermeidung unverhältnismäßiger Eingriffe in die Berufsfreiheit hat der Tatrichter eine Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit und Gesamtverhalten anzustellen. Sie muß zur Rechtfertigung einer Ausschließung zu der Prognose führen, daß der Betroffene als Rechtsanwalt untragbar ist, weil von ihm eine Gefährdung der Rechtspflege ausgeht (Senatsbeschluß vom 27. Mai 1991 – AnwSt(R) 3/91 = BRAK-Mitt. 1991, 229).
Dies hat der Anwaltsgerichtshof nicht verkannt. Insbesondere hat er nicht unbeachtet gelassen, daß das Fehlverhalten des Rechtsanwalts nicht unmittelbar dem beruflichen Bereich zuzuordnen ist. Ausgehend von den Gefahren, die der Rechtspflege aber gerade durch Aussagedelikte drohen, hat er im Rahmen der Gesamtwürdigung zu Recht berücksichtigt, daß der Rechtsanwalt zweimal – ohne äußeren Zusammenhang – wegen eines Aussagedelikts verurteilt worden ist und daß das zweite Aussagedelikt nur kurz nach der ersten Verurteilung wegen Anstiftung zur Falschaussage begangen wurde. Er hat ferner in die Abwägung einbezogen, daß es sich nicht um spontane Taten gehandelt habe, sondern der Rechtsanwalt im ersten Fall die Falschaussage der von ihm angestifteten Zeugin bewußt in seine Verteidigungslinie eingebaut und dabei auf eine junge, unerfahrene und unsichere Frau unter Inkaufnahme ihrer strafrechtlichen Verwicklung eingewirkt habe, obwohl er sogar von deren Verhaftung im Rahmen der fortgesetzten Hauptverhandlung erfahren habe, und daß er im zweiten Fall mit seiner Berufung als Nebenkläger und der dabei begangenen Falschaussage eine höhere Bestrafung und damit eine bessere Ausgangsposition für einen Schmerzensgeldanspruch erreichen wollte.
Auf diese – gegen den Rechtsanwalt sprechenden – Umstände hat der Anwaltsgerichtshof die von ihm verhängte Maßnahme jedoch nicht allein gestützt. Als maßgebend für eine fehlende positive Zukunftsprognose hat der Anwaltsgerichtshof vielmehr darüber hinaus das Verhalten des Rechtsanwalts in der Hauptverhandlung angesehen, bei dem er keine Einsicht in die Verwerflichkeit seines Tuns gezeigt habe. Diese Wertung begegnet durchgreifenden Bedenken.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf einem Angeklagten im Strafverfahren nicht zum Nachteil gereichen, daß er die Tat bestreitet und infolgedessen auch keine Schuldeinsicht und Reue zeigt. Dies gilt auch für eine Prognoseentscheidung, wenn der Schuldspruch rechtskräftig ist.
Die grundsätzlich folgenlose Hinnahme von wahrheitswidrigen Angaben eines Beschuldigten, wie sie im Strafverfahren anerkannt ist, ist allerdings für das disziplinargerichtliche Verfahren nicht unbestritten. So haben die Beamtendisziplinarsenate (BVerwGE 46, 116) anders als die Wehrdienstsenate (BVerwGE 33, 170) des Bundesverwaltungsgerichts eine auch aus der Beamtenstellung folgende Wahrheitspflicht des Beamten angenommen, wenn er denn nicht von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht.
Ob auch im anwaltsgerichtlichen Verfahren generell keine negativen Schlüsse aus einem Prozeßverhalten des Rechtsanwalts gezogen werden dürfen, muß der Senat nicht entscheiden. Immerhin ist der Rechtsanwalt in Aufsichts- und Beschwerdesachen zur wahrheitsgemäßen Beantwortung von Fragen des Vorstands verpflichtet, wenn er sich nicht auf sein Auskunftsverweigerungsrecht bei Gefahr der Selbstbelastung beruft (§ 56 Abs. 1 BRAO). Jedenfalls dann, wenn sich die anwaltsgerichtliche Maßnahme als existenzbedrohend für das berufliche Dasein des Rechtsanwalts auswirken kann – was insoweit oft weit gravierender ist als die strafrechtliche Ahndung –, muß der Konfliktlage des Rechtsanwalts Rechnung getragen werden und darf ihm ein bloßes (wahrheitswidriges) Bestreiten nicht angelastet werden. Andernfalls wäre der Rechtsanwalt einem indirekten Geständniszwang ausgesetzt, um nachteilige Folgen aus seinem Verteidigungsverhalten zu vermeiden, wenn er sich denn überhaupt verteidigen will. Dem steht auch nicht entgegen, daß der Rechtsanwalt wegen Taten, die ihm als standesrechtliche Pflichtverletzungen angelastet werden, bereits rechtskräftig im Strafverfahren verurteilt ist und die Feststellungen des Strafurteils für das anwaltsgerichtliche Verfahren bindend sind. Dies allein rechtfertigt es nicht, sein Bestreiten als Ausdruck von Rechtsfeindschaft und Gefährlichkeit zu deuten.
Unterschriften
Hirsch, Fischer, Ganter, Otten, Salditt, Christian, Wosgien
Fundstellen
Haufe-Index 564860 |
NJOZ 2001, 856 |