Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 26.05.1976) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. Mai 1976 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen der Klägerin zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte führte zu Beginn des Jahres 1975 im Auftrage der Stadt B. und des Zweck verband es Abwasserreinigung B. (ZAB) Erdaushubarbeiten für den Bau eines Ortskanals und eines Verbindungssammlers in B. durch. Im Zuge der Arbeiten für den Verbindungssammler, die vom ZAB vergeben wurden, beschädigte sie durch einen von einem ihrer Arbeiter geführten Bagger ein Stromkabel, das u.a. den Betrieb der Klägerin versorgte. Dadurch kam es bei dieser zu einer 32 Minuten dauernden Unterbrechung der Stromzufuhr und somit zu einem Arbeitsstillstand, von dem 1.385 Beschäftigte betroffen waren.
Die Klägerin begehrt deswegen von der Beklagten Schadensersatz. Von dem mit 24.617 DM bezifferten Gesamtschaden macht sie im vorliegenden Rechtsstreit nur einen Teilbetrag von 5.000 DM geltend.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und auf die Widerklage der Beklagten festgestellt, daß der Klägerin Ansprüche auch insoweit nicht zustehen, als diese mit der Klage noch nicht geltend gemacht wurden.
Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt diese ihren Klageanspruch und den Antrag auf Abweisung der Widerklage weiter.
Entscheidungsgründe
I.
1. Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch der Klägerin wegen unerlaubter Handlung aus § 823 Abs. 1 BGB, weil nicht ein durch diese Norm geschütztes Rechtsgut verletzt sei, es sich vielmehr bei den von der Klägerin während des Stromausfalls ohne entsprechende Arbeitsleistung aufgewandten Löhnen nur um einen Vermögensschaden handele. Es verneint dabei auch die Annahme eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.
Aber auch § 823 Abs. 2 BGB scheide als Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Schadensersatz aus, weil § 18 Abs. 3 der Landesbauordnung für Baden-Württemberg, der dem Schutz von Stromkabeln im Zuge von Baumaßnahmen dient, nicht den Charakter eines Schutzgesetzes zugunsten der an das öffentliche Stromnetz angeschlossenen Abnehmer elektrischer Kraft habe.
2. All dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats.
a) Der Senat hat bereits mehrfach zu den Voraussetzungen Stellung genommen, die erfüllt sein müssen, um einen ersatzpflichtigen Eingriff in einen Gewerbebetrieb bejahen zu können (BGHZ 29, 65; 41, 123; 66, 388, 393). Die dabei herausgestellten Grundsätze ergeben im Streitfall, daß die Beschädigung des Stromkabels durch den von der Beklagten eingesetzten Bagger nicht als Angriff gegen den Gewerbebetrieb der Klägerin selbst gerichtet angesehen werden kann, weil es an dem Erfordernis der Betriebsbezogenheit fehlt. In seiner schon erwähnten Entscheidung BGHZ 29, 65, 74 hat der Senat in einem ähnlich gelagerten Fall hierzu ausgeführt, daß ebensowenig wie die Verletzung von Angestellten eines Betriebes oder die Zerstörung von zum Betriebe gehörenden Kraftfahrzeugen die Unterbrechung des zu einem Unternehmen führenden Stromkabels durch einen Baggerführer in Beziehung gerade zu diesem Gewerbebetrieb steht, weil die Lieferung elektrischen Stroms über ein Kabel und der Anspruch darauf keine dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wesenseigentümliche Eigenheit darstellt, zumal gleiche rechtliche Beziehungen auch zwischen den anderen, am selben Stromkabel angeschlossenen Abnehmern und dem Stromversorgungsunternehmen bestehen. Weitere Ausführungen hierzu sind im Streitfall schon um deswillen nicht veranlaßt, weil die Revision selbst nicht einen gegenteiligen Standpunkt vertritt.
b) In seinem Urteil vom 8. Juni 1976 (BGHZ 66, 388) hat der Senat unter Aufgabe der früher vertretenen Auffassung (vgl. z.B. Urteil vom 12. März 1968 – VI ZR 178/66 = VersR 1968, 593) bereits ausgesprochen, daß § 18 Abs. 3 der Landesbauordnung für Baden-Württemberg (und die nach gleichem Muster gestalteten Vorschriften der Bauordnungen anderer Länder) keine Schutzgesetze zugunsten von Stromabnehmern sind, die bei Beschädigung eines Versorgungskabels durch Stromausfall Vermögensschaden erleiden. Danach begegnen die Erwägungen des Berufungsgerichts, dem das vorgenannte Senatsurteil offensichtlich noch nicht bekannt war, keinen rechtlichen Bedenken. Im übrigen greift auch die Revision insoweit das Berufungsurteil nicht an.
II.
Das Berufungsgericht verneint entgegen der von der Klägerin schon in der Klageschrift vertretenen Auffassung auch einen vertraglichen Anspruch sowohl aus eigenem als auch aus abgetretenem Recht. Dabei hat es allerdings seiner rechtlichen Beurteilung die dem unstreitigen Sachverhalt entsprechende und nicht angefochtene Feststellung zugrunde gelegt, daß anläßlich einer Ortsbesichtigung in Anwesenheit je eines Vertreters des ZAB, der Stadt B. und der Parteien von dem Betriebsleiter der Klägerin und dem Vertreter der Stadt nachdrücklich auf das im Bereich der bevorstehenden Erdarbeiten verlegte Hauptstromkabel und auf dessen Bedeutung für den Betrieb der Klägerin hingewiesen worden war. Dabei sei von dem beauftragten Bauführer W. der Beklagten zugesagt worden, in der Nähe dieses Kabels nicht mit einem Bagger, sondern nur mit der Hand graben zu lassen.
Die Angriffe der Revision gegen diese rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts und insbesondere gegen die Ablehnung einer Einbeziehung der Klägerin in den Schutzbereich des zwischen dem ZAB einerseits und der Beklagten andererseits geschlossenen Werkvertrages greifen – jedenfalls im Ergebnis – nicht durch.
1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß auch an einem Vertrag nicht unmittelbar beteiligte Personen in dessen Schutzbereich mit einbezogen werden können mit der Folge, daß sie zwar nicht, wie dies dem echten Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 Abs. 1 BGB eigentümlich ist, einen eigenen Leistungsanspruch erwerben, daß ihnen aber ein vertraglicher Schadensersatzanspruch erwächst, falls der Schuldner durch schuldhaftes vertragswidriges Handeln ihnen einen Schaden zufügt (vgl. hierzu BGHZ 49, 350, 353 und BGH Urt. v. 29. November 1974 – V ZR 73/73 – NJW 1975, 344 [jeweils m.w.Nachw.] sowie die Senatsurteile vom 24. Februar 1954 – VI ZR 315/52 = VersR 1954, 223; vom 21. September 1955 – VI ZR 118/54 = VersR 1955, 740; vom 25. April 1956 – VI ZR 34/55 = VersR 1956, 419; vom 15. Mai 1959 – VI ZR 109/58 = VersR 1959, 645; vom 26. November 1968 – VI ZR 212/66 = BGHZ 51, 91, 96 [unter Hinweis auf das Urteil vom 18. Juni 1968 – VI ZR 120/67 = VersR 1968, 889]).
Die in dieser Rechtsprechung entschiedenen Fälle stimmen darin überein, daß die Einbeziehung Dritter, am Vertragsschluß selbst nicht Beteiligter in den vertraglichen Schutzbereich, die von den Vertragsschließenden nicht ausdrücklich vereinbart war, sich aus Sinn und Zweck des jeweiligen Vertrages und dessen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben erfolgten Auslegung (§ 157 BGB) ableiten ließ (vgl. BGHZ 56, 269, 273), wobei letztlich das Innenverhältnis zwischen Gläubiger und einbezogenem Dritten, nicht dasjenige zwischen den Vertragsparteien ausschlaggebend war (so insbesondere BGHZ 51, 96). Um einer nicht mehr erträglichen und mit den Grundsätzen von Treu und Glauben im Blick auf den Schuldner einer vertraglichen Leistung nicht mehr zu vereinbarenden Ausweitung vertraglicher Sorgfaltspflichten zu steuern, hat der Senat wiederholt darauf hingewiesen, daß nur dann eine Erstreckung der Sorgfalts- und Obhutspflichten über den Kreis der Vertragsgenossen hinaus in Betracht kommt, wenn der berechtigte Gläubiger – im Streitfall der ZAB – sozusagen für das Wohl und Wehe des Dritten mitverantwortlich ist, weil er ihm Schutz und Fürsorge zu gewähren hat (so insbesondere BGHZ 51, 91, 96; Senatsurteil vom 26. März 1974 – VI ZR 103/72 = VersR 1974, 860). Dieses Erfordernis, das notwendig ist, um die Grenze zwischen vertraglicher Haftung und einer Haftung aus unerlaubter Handlung nicht in unzuträglicher und dem gesetzgeberischen Willen entgegenstehender Weise zu verwischen, wird in aller Regel nur dann als erfüllt angesehen werden können, wenn zwischen Vertragsgläubiger und dem Dritten ein Rechtsverhältnis mit personenrechtlichem Einschlag besteht, wie es vor allem bei familien-, arbeits- oder mietrechtlichen Beziehungen der Fall ist (vgl. BGHZ 51, 96).
2. Zu Unrecht meint die Revision, das Berufungsgericht habe gegen diese Grundsätze verstoßen, wenn es im Streitfall die Voraussetzungen für eine Einbeziehung der Klägerin in den Schutzbereich des zwischen der Beklagten und dem ZAB geschlossenen Werkvertrages nicht für erfüllt angesehen hat.
a) Es fehlt hier das besondere, durch die Verantwortung des ZAB für das „Wohl und Wehe” der Klägerin gekennzeichnete Rechtsverhältnis. Diese war von der Sicht des Vertragsgläubigers aus nur einer von ihrer Anzahl nach unbestimmten Stromabnehmern, die durch eine Kabelbeschädigung betroffen werden konnten. Der Senat hat indes bereits in seinem Urteil vom 3. November 1961 (VI ZR 254/60 = VersR 1962, 86, 88) zum Ausdruck gebracht, daß sich die Ausweitung der Vertragspflichten schon darum verbietet, weil durch mangelhafte Arbeitsausführung oder Vernachlässigung von Sicherungsmaßnahmen alle möglichen Personen – Hauseigentümer, Mieter, Gewerbetreibende usw. – geschädigt werden konnten, der Vertragsschutz sich daher auf einen nicht mehr zu übersehenden unbegrenzten Personenkreis erstrecken würde. Der Umstand allein, daß möglicherweise ein Stromausfall den Betrieb der Klägerin besonders hart traf und zu einem erheblichen Vermögensschaden führte, rechtfertigt noch nicht die Annahme, daß es dem ZAB oblag, für deren „Wohl und Wehe” Sorge zu tragen, weil eine Schädigung der Klägerin auch diesen, den ZAB, hätte treffen können. Selbst wenn man ein gewisses Interesse dieses Vertragsgläubigers an der Nichtbeschädigung des Stromkabels bejahen wollte, so ist dies doch nur allgemeiner Art und nicht etwa nur oder überwiegend auf die Belange der Klägerin bezogen, die vom Gläubiger hätte Fürsorge beanspruchen können.
b) Die vor Beginn der Arbeiten, aber einige Monate nach dem Abschluß des Vertrages zwischen dem ZAB und der Beklagten durchgeführte Ortsbesichtigung, während der der anwesende Bauführer W. nach Hinweis auf die besonderen Nachteile der Klägerin im Falle einer Stromkabelbeschädigung ein Graben von Hand zugesagt hatte, vermochte entgegen der Auffassung der Revision nicht zu einer Änderung oder Ergänzung dieses Vertrages zu führen. Im Berufungsurteil ist – wohl schon mangels einer dahingehenden Behauptung der Klägerin – nicht festgestellt, daß der von der Beklagten zu dieser Besprechung und Einweisung entsandte Bauführer bevollmächtigt war, rechtsverbindlich für seine Arbeitgeberin zu handeln. Aus den Umständen könnte eine solche Bevollmächtigung schon deshalb nicht gefolgert werden, weil Ortsbesichtigungen dieser Art üblicherweise nur die technische Durchführung der im bereits abgeschlossenen Vertrag festgelegten Arbeiten betreffen; vertragsabändernde Abreden pflegen hierbei nicht getroffen zu werden. Dies übersieht die Revision, wenn sie, ohne sich mit der Frage der Vertretungsmacht des Bauführers der Beklagten zu befassen, davon ausgeht, die Klägerin sei sogar kraft ausdrücklicher vertraglicher Abrede in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen worden.
Auf die Frage, ob der ZAB durch ausdrückliche Vereinbarung die Einbeziehung der Klägerin in den Schutzbereich seines mit der Beklagten geschlossenen Vertrages hätte bewirken können – das Berufungsurteil ist in diesem Punkte unklar –, brauchte hier nicht näher eingegangen zu werden. Aus gleichem Grunde erübrigt sich eine Prüfung des Sachverhalts dahin, ob etwa im Zuge der Ortsbesichtigung, an der auch ein Beauftragter der Klägerin teilgenommen hat, durch die Zusage des Bauführers, im Bereich des Stromkabels vom Einsatz des Baggers abzusehen, unmittelbar zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits eine gesonderte Vereinbarung zustande kam mit der Folge, daß die Klägerin daraus den Klageanspruch hätte herleiten können.
c) Somit muß der Ortsbesichtigung eine den Werkvertrag zwischen Beklagter und ZAB beeinflussende Wirkung abgesprochen werden. Daher ist sie als bloßer Teil der dem Beginn der Bauarbeiten dienenden Einweisung, die der ZAB schuldete, um der Beklagten die notwendigen Maßnahmen zum Schütze von Versorgungskabeln (neben Stromkabeln auch noch Fernmeldeleitungen, § 317 StGB) zu ermöglichen, trotz des besonderen Hinweises auf einen der Klägerin im Falle der Stromunterbrechung drohenden Schaden nicht geeignet, in Durchbrechung der oben hervorgehobenen Grundsätze zu deren Einbeziehung in den vertraglichen Schutzbereich zu führen. Wollte man nämlich dem Vertragsgläubiger gestatten, auch noch nach Vertragsschluß durch einseitige Erklärung gegenüber dem Schuldner oder auch einem nicht einmal mit Vertretungsmacht ausgestatteten Beauftragten dieses Schuldners den Kreis der in den Schutzbereich einzubeziehenden Dritten zu bestimmen, so würde letzterer nicht mehr in der Lage sein, im wesentlichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses das übernommene Risiko zu überschauen.
3. Das Berufungsgericht hat auch zu Recht einen der Klägerin vom ZAB abgetretenen Ersatzanspruch nach den Grundsätzen über die Drittschadensliquidation verneint. Die Voraussetzungen hierfür (BGHZ 51, 91, 93 ff), liegen nicht vor. Es fehlt an besonderen Rechtsbeziehungen zwischen dem ZAB, dem aus dem Vertrag mit der Beklagten berechtigten Gläubiger, und der Klägerin, die die Annahme rechtfertigen könnten, daß der entstandene Schaden rechtlich nicht den Gläubiger, sondern sie treffe. Nur dann muß der Ersatzpflichtige dem Gläubiger das Gläubigerinteresse auch aufgrund von dessen rechtlicher Interessen Verknüpfung mit einem Dritten ersetzen, wenn das Gläubigerinteresse im Augenblick der Rechtsverletzung statt beim Gläubiger bei diesem Dritten entstanden oder auf diesen übergegangen ist. Das gilt – mit wenigen Ausnahmen (z.B. BGHZ 40, 91, 100) – dann, wenn der Gläubiger für Rechnung des Dritten kontrahiert hatte (z.B. BGHZ 25, 250, 258) oder wenn die Sache, die in die Obhut des Schuldners gelangt ist, nicht dem Gläubiger sondern dem Dritten gehörte (so BGHZ 15, 224). Eine derartige Sachlage liegt hier aber nicht vor (vgl. auch Senatsurteil vom 9. Dezember 1958 – VI ZR 199/57 – VersR 1959, 150, 153, insoweit in BGHZ 29, 65 nicht abgedruckt). Ob sich eine ähnliche Rechtslage dann ergeben kann, wenn dem Vertragspartner erkennbar gerade zum Schütze des Dritten besondere Sorgfaltspflichten vertraglich auferlegt sind, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn eine solche Vereinbarung läßt sich, wie oben ausgeführt, nicht feststellen.
Weitere Ausführungen zu diesem vom Berufungsgericht zu Recht abgelehnten Haftungsgrund sind schon um deswillen nicht veranlaßt, weil die Klägerin selbst insoweit auf ihre frühere Ansicht nicht mehr zurückgekommen ist.
Unterschriften
Dr. Weber, Dunz, Dr. Steffen befindet sich in Urlaub Dr. Weber, Dr. Kullmann, Dr. Deinhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1502195 |
NJW 1977, 2208 |