Entscheidungsstichwort (Thema)
Beseitigungs-/Unterlassungsanspruch bei Bordellbetrieb
Leitsatz (amtlich)
Eine das sittliche Empfinden von Nachbarn verletzende Nutzung eines Grundstücks durch einen Mieter, die nach außen nicht wahrnehmbar ist, begründet keinen Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch nach §§ 1004, 906 BGB gegen den Vermieter.
Normenkette
BGB §§ 1004, 906
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 18.06.1984) |
LG Oldenburg |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 18. Juni 1984 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer des mit einem Einfamilienreihenhaus bebauten Grundstücks Cloppenburger Straße 423 d in O. Das Nachbargrundstück Cloppenburger Straße 423 c hat die Beklagte an die Eheleute T. vermietet. Nach der Behauptung des Klägers betreibt Frau T. in dem Haus mit Billigung oder Duldung der Beklagten ein Bordell. Der Kläger sieht dadurch seine minderjährige Tochter und die minderjährigen Kinder weiterer Nachbarn sittlich gefährdet und den Wert seines Hausgrundstücks gemindert. Außerdem gehe von den Besuchern des Bordells eine erhebliche Lärmbeläsigung aus. Der Kläger verlangt von der Beklagten, dafür Sorge zu tragen, daß im Haus Cloppenburger Straße 423 c nicht mehr der gewerblichen Unzucht nachgegangen werde.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit die Klage auf immaterielle Beeinträchtigungen gestützt ist. Diese Beschränkung ist unzulässig.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Zulassung der Revision auf einen Teil des Streitstoffs beschränkt werden, wenn es dem Berufungsgericht prozessual möglich wäre, diesen Teil in einem gesonderten Verfahrensabschnitt durch Teil- oder Grundurteil zu entscheiden (s. nur BGHZ 76, 397, 398 f; BGH Urt. v. 30. Oktober 1981, V ZR 190/80, WM 1981, 1357; und v. 7. Juli 1983, III ZR 119/82, NJW 1984, 615).
Nach der auch vom Senat für richtig gehaltenen Auffassung des Berufungsgerichts möchte der Kläger mit seinem Begehren erreichen, daß in dem Nachbarhaus kein Bordell unterhalten wird; ihm geht es also nicht lediglich darum, daß einzelne, von der Nutzung des Nachbarhauses ausgehende störende „Nebenwirkungen” unterbunden werden. Die Frage, welche mit dem Betrieb eines Bordells verbundene Belästigungen oder Störungen im Rahmen des § 1004 BGB Berücksichtigung finden können, betrifft nur einzelne Elemente des prozessualen Anspruchs, über die nicht durch Teil- oder Grundurteil entschieden werden könnte.
Das Berufungsurteil ist daher im ganzen überprüfbar.
II.
Das Berufungsgericht hält die Klage unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt für begründet. Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg:
1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß die Beklagte im Rahmen des § 1004 Abs. 1 BGB für Störungshandlungen ihrer Mieterin verantwortlich gemacht werden kann; es ist nämlich nicht dargetan, daß es der Beklagten unmöglich wäre, ihre Mieterin von einem fremdes Eigentum beeinträchtigenden Gebrauch der Mietsache abzuhalten (Senatsurt. v. 11. November 1966, V ZR 191/63, NJW 1967, 246; 7. April 1967, V ZR 14/65, LM BGB § 1028 Nr. 1; und v. 2. März 1984, V ZR 155/83, WM 1984, 820, 821).
2. Das Berufungsgericht verneint gleichwohl einen Abwehranspruch des Klägers aus § 1004 BGB und beruft sich hierbei vor allem auf Rechtsprechung des Reichsgerichts, wonach von einem Grundstück ausgehende Störungen sittlicher Art keine das Eigentum an den Nachbargrundstücken beeinträchtigende Einwirkungen im Sinne der §§ 1004, 906 BGB seien.
Dem angefochtenen Urteil ist darin zuzustimmen, daß der Kläger wegen der „bordellartigen Vorgänge” im Nachbarhaus nicht schon deshalb die Eigentumsfreiheitsklage mit Erfolg erheben kann, weil das sittliche Empfinden der Nachbarschaft verletzt wird.
§ 1004 Abs. 1 BGB setzt eine Beeinträchtigung des Eigentums voraus. Bei der Anwendung dieser Vorschrift auf das Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn hat sich bereits das Reichsgericht an dem Einwirkungsbegriff des § 906 BGB orientiert und ausgesprochen, daß der sich gestört fühlende Grundstückseigentümer nur solche vom Nachbargrundstück ausgehenden Einwirkungen verbieten könne, die entweder auf das Grundstück und die dort befindlichen Sachen schädigend einwirkten oder auf dem Grundstück sich aufhaltende Personen derart belästigten, daß ihr gesundheitliches Wohlbefinden gestört oder ein körperliches Unbehagen bei ihnen hervorgerufen werde; hingegen sollen die §§ 1004 Abs. 1, 906 BGB nicht eingreifen, wenn auf dem Nachbargrundstück nur das Schamgefühl oder das ästhetische Empfinden verletzende Vorgänge sichtbar werden (grundlegend RGZ 76, 130, 131/132). In Fortführung dieser Rechtsprechung hat der Senat entschieden, daß jedenfalls das Darbieten eines nur das ästhetische Empfinden des Nachbarn verletzenden Anblicks nicht nach § 1004 Abs. 1 BGB unterbunden werden kann (BGHZ 51, 396, 398/399). Hieran hat er auch in der Folgezeit trotz kritischer Stimmen in der Literatur festgehalten (BGHZ 54, 56, 60; Senatsurt. v. 15. November 1974, V ZR 83/73, NJW 1975, 170; in der letztgenannten Entscheidung hat der Senat offengelassen, ob dies ausnahmslos auch in besonders krassen Fällen zu gelten habe).
Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, von den in den angeführten Entscheidungen dargelegten Grundsätzen abzuweichen.
Voraussetzung dafür, daß überhaupt von einer ideellen – sittlichen oder auch nur ästhetischen – Immission gesprochen werden kann, ist, daß der zu beanstandende Zustand oder Vorgang vom Nachbargrundstück aus sinnlich wahrgenommen werden kann. Dieser Gesichtspunkt wird gerade in den älteren Entscheidungen der Oberlandesgerichte herausgestellt, in denen im Hinblick auf „moralische” Immissionen ein von der späteren Reichsgerichtsrechtsprechung abweichender Standpunkt vertreten wird (OLG Colmar OLGE 5, 386, 387; OLG Celle SeuffA 60, 18, 19). Daher hat auch bei Vorgängen, die das Schamgefühl verletzen, ein Abwehranspruch des Nachbarn nach § 1004 Abs. 1 BGB jedenfalls dann auszuscheiden, wenn dessen seelisches Empfinden nicht durch die Wahrnehmung dieser Vorgänge beeinträchtigt wird, sondern lediglich dadurch, daß er hiervon Kenntnis erlangt (vgl. Erman/Hagen, BGB 7. Aufl. § 906 Rdn. 3 a.E.). Dies gilt selbst dann, wenn durch das Bekanntwerden dieser der sinnlichen Wahrnehmung entzogenen Ereignisse auf dem Nachbargrundstück das Grundstück des sich gestört fühlenden Eigentümers in der allgemeinen Wertschätzung leiden sollte (a.A. wohl Westermann, Sachenrecht 5. Aufl. § 36 I 1 a). Der beanstandete, sinnlich nicht wahrnehmbare Vorgang oder Zustand auf dem Grundstück des Nachbarn wird nicht allein dadurch zu einer Einwirkung im Sinne des § 906 BGB und einer Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 BGB, daß er einen Wertverlust der Sache zur Folge hat (vgl. auch BGHZ 54, 56, 61).
Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, daß die Räume, in denen die Mieterin T. im Hause Cloppenburger Straße 423 c ein Bordell betreiben soll, vom Grundstück des Klägers aus eingesehen oder die Vorgänge im Haus auf sonstige Weise von außen wahrgenommen werden können. Des weiteren fehlen Feststellungen darüber, daß die „Kunden” der Frau T. oder diese selbst außerhalb der Wohnung ein anstößiges oder schamverletzendes Verhalten an den Tag legen. Die Revision zeigt diesbezüglich auch keinen übergangenen Sachvortrag auf.
3. Dem Berufungsgericht ist weiter darin zuzustimmen, daß die Unterhaltung eines Bordells in dem Hause Cloppenburger Straße 423 c, auch wenn sie mit Wissen der Beklagten erfolgt, keinen Abwehranspruch aus unerlaubter Handlung auszulösen vermag.
a) Ein Anspruch wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers, das nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein „sonstiges Recht” im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist (s. nur BGHZ 13, 334, 338; 30, 7, 11), kommt nicht in Betracht, weil sich die die allgemeine Sittenordnung mißachtende Prostitutionsausübung im Nachbarhaus nicht unmittelbar gegen den Kläger richtet (vgl. BGHZ 64, 178, 182).
b) § 823 Abs. 2 BGB scheidet als Anspruchsgrundlage ebenfalls aus. Außerhalb des Geltungsbereiches einer aufgrund des Art. 297 EGStGB ergangenen Sperrbezirksverordnung ist die Prostitution, auch wenn sie in Wohngebieten stattfindet, nicht ohne weiteres strafbar oder ordnungswidrig (vgl. §§ 184 a, 184 b StGB, § 120 OWiG); sie stellt nach heutigem Rechtsverständnis auch nicht mehr ohne weiteres einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne der polizeilichen Generalklausel (hier: §§ 1, 2 NdsSOG) dar (Wettling, GewArch 1982, 258, 259 mit Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung). Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich nicht, daß die Mieterin T. einer bestehenden Sperrbezirksverordnung zuwider gehandelt hat. Es kann daher unentschieden bleiben, oh die Über- oder Belassung von Räumlichkeiten zur Prostitutionsausübung in einem Sperrbezirk gesetzwidrig ist (vgl. hierzu BayObLG NJW 1981, 2766), und ob eine Sperrbezirksverordnung im Sinne des Art. 297 EGStGB ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist. Des weiteren kann den Feststellungen des Berufungsgerichts auch nicht die Erfüllung der Voraussetzungen des § 184 b StGB entnommen werden.
c) Soweit das Berufungsgericht einen Anspruch aus § 826 BGB verneint hat, ist dem im Ergebnis zuzustimmen.
Der Abschluß des Mietvertrages mit den Eheleuten T. war nicht sittenwidrig (vgl. BGH, Urt. v. 17. April 1970, I ZR 124/66, NJW 1970, 1179). Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist schon nicht zu entnehmen, daß die Beklagte die beabsichtigte Nutzung des Hauses durch die Mieter bei Vertragsschluß gekannt hat. Ob in der Fortsetzung des Mietverhältnisses nach Kenntnisnahme von dem zu beanstandenden Verhalten der Mieterin T., welches zu einer Wertminderung des Grundstücks des Klägers geführt haben soll, ein Sittenverstoß im Sinne des § 826 BGB liegt, kann nicht allgemein beantwortet werden. Die Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen führt nicht allein deswegen zum Sittenverstoß, weil dadurch ein anderer geschädigt wird (vgl. Staudinger/Schäfer, BGB 12. Aufl. § 826 Rdn. 59). Läßt jedoch die Wahrnehmung eigener Interessen jede billige Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen anderer Personen außer acht, so kann ein Sittenverstoß vorliegen (vgl. BGHZ 20, 43, 50; 27, 172, 180; Staudinger/Schäfer aaO Rdn. 63). Ein derart anstößiges Verhalten der Beklagten kann aber jedenfalls angesichts ihres – unstreitigen – Angebots, den Versuch einer Auflösung des Mietverhältnisses bei Übernahme des Kostenrisikos durch den Kläger zu unternehmen, nicht bejaht werden.
4. Das Berufungsgericht hat in Ergebnis zutreffend auch einen Anspruch des Klägers aus §§ 906, 1004 BGB wegen des vom Nachbargrundstück ausgehenden Lärms verneint. Soweit dem Berufungsurteil entnommen werden könnte, es sei Sache des Klägers, darzulegen und zu beweisen, sein Grundstück werde wesentlich beeinträchtigt, wäre dies fehlerhaft. Daß ein Grundstück durch Lärm nur unwesentlich beeinträchtigt wird, muß der Störer vortragen und beweisen (vgl. Senatsurt. v. 16. Oktober 1970, V ZR 10/68, LM BGB § 906 Nr. 36, und v. 4. Dezember 1970, V ZR 79/68, WM 1971, 278, 280). Dem vom Lärm betroffenen Grundstückseigentümer obliegt es nur, eine Lärmbeeinträchtigung darzulegen. Gleichwohl kann das Berufungsurteil aufrechterhalten bleiben, denn das Berufungsgericht hat zutreffend eine substantiierte Darlegung der angeblichen Lärmbelästigungen durch den Kläger verneint. Bei dieser Situation kann es offen bleiben, ob der Klageantrag die Abwehr von Lärmbelästigungen umfaßt.
5. Die Revision ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Dr. Thumm, Dr. Eckstein, Hagen, Linden, Lambert-Lang
Fundstellen
Haufe-Index 731138 |
BGHZ |
BGHZ, 307 |
NJW 1985, 2823 |
Nachschlagewerk BGH |
JZ 1986, 145 |