Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung von Anwartschaften aus einer Kapitallebensversicherung beim Zugewinnausgleich
Leitsatz (amtlich)
a) Die Anwartschaft aus einer Kapitallebensversicherung ist beim Zugewinnausgleich nur dann mit dem sogenannten Rückkaufswert anzusetzen, wenn am Stichtag (§ 1384 BGB) die Fortführung des Versicherungsvertrags nicht zu erwarten ist und auch durch eine Stundung der Ausgleichsforderung (§ 1382 BGB) nicht ermöglicht werden kann (Abgrenzung zu BGHZ 67, 262).
b) Zur Bewertung bei voraussichtlicher Fortführung des Versicherungsverhältnisses (Fortführung von BGHZ 118, 242).
Normenkette
BGB § 1376 Abs. 2, §§ 1382, 1384; ZPO § 287 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Urteil vom 10.03.1994) |
AG Hamburg |
Tenor
Die Revision gegen das Schlußurteil des 1. Senats für Familiensachen des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 10. März 1994 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien heirateten am 24. Februar 1955; am 15. Februar 1985 wurde der Ehefrau (Antragsgegnerin) der Scheidungsantrag des Ehemannes (Antragsteller) zugestellt.
Das Amtsgericht – Familiengericht – schied durch Verbundurteil die Ehe der Parteien, regelte den Versorgungsausgleich und verurteilte den Ehemann zur Zahlung nachehelichen Unterhalts sowie eines Zugewinnausgleichsbetrages von 68.793,50 DM. Hiergegen legten beide Parteien Berufung ein. Soweit die Rechtsmittel die Ehescheidung, den nachehelichen Unterhalt und den Versorgungsausgleich betrafen, entschied das Oberlandesgericht darüber durch Teilurteil, das inzwischen rechtskräftig ist. Durch Schlußurteil setzte es auf die Berufung des Ehemannes den von ihm an die Ehefrau zu zahlenden Zugewinnausgleich auf einen Betrag von 65.073,81 DM herab.
Mit der – zugelassenen – Revision erstrebt der Ehemann die weitere Herabsetzung des von ihm zu zahlenden Zugewinnausgleichs auf einen Betrag von 50.549,81 DM. Er vertritt die Auffassung, daß eine von ihm im Jahre 1955 abgeschlossene Kapitallebensversicherung in seinem Endvermögen nur mit dem Rückkaufswert von 52.276 DM anzusetzen sei und nicht mit einem Wert von 81.324 DM, wie ihn das Berufungsgericht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Im Revisionsverfahren allein noch streitig ist die Bewertung der Anwartschaft des Ehemannes aus dem von ihm im September 1955 abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag in seinem Endvermögen (§ 1376 Abs. 2 BGB). Hinsichtlich seines Anfangsvermögens wurden die Feststellungen des Berufungsgerichts innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nicht angegriffen. Die Versicherungssumme belief sich bei einem Eintrittsalter von 29 Jahren und monatlichen Prämien von 100 DM auf 52.282 DM, zahlbar im Todesfall oder mit Ablauf des 1. Januar 1986. Unstreitig sind dem Ehemann daraus im Januar 1986 einschließlich der Gewinnanteile mehr als 83.000 DM ausbezahlt worden.
2. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, daß ein Wertansatz mit dem Rückkaufswert am 15. Februar 1985 (§ 1384 BGB) zu gering sei, im wesentlichen wie folgt begründet: Bei dem Rückkaufswert handle es sich um einen bloßen Liquidationswert, der dann nicht maßgebend sein könne, wenn eine Auflösung des Versicherungsverhältnisses kurz vor seinem vertragsmäßigen Ende durch nichts veranlaßt sei und auch extrem unwirtschaftlich wäre. Der Ehemann habe sich am Stichtag nicht in einer finanziellen Zwangslage befunden, die die Notwendigkeit einer vorzeitigen Kündigung des Vertrages hätte nahelegen können. Er habe ein gutes Einkommen gehabt und sei Eigentümer eines unbelasteten Baugrundstücks im Verkehrswert von 260.000 DM gewesen, das einer Bank notfalls als Sicherheit für die Finanzierung der Zugewinnausgleichsschuld hätte dienen können. Deswegen sei sein Anrecht aus der Lebensversicherung mit dem wirtschaftlichen Wert zu veranschlagen, den es am Stichtag unter Zugrundelegung einer Fortführung des Vertragsverhältnisses bis zur Endfälligkeit (1. Januar 1986) gehabt habe.
3. Dies hält den Angriffen der Revision stand.
a) Es wird bereits überwiegend vertreten, daß beim Zugewinnausgleich der Ansatz des Rückkaufswerts als eines wirtschaftlich ungünstigen Liquidationswerts dann ungerechtfertigt sei, wenn im Einzelfall die vorzeitige Kündigung des Versicherungsverhältnisses am Bewertungsstichtag weder tatsächlich erfolgt noch zwangsläufige Folge des Ausgleichs sei. Hingewiesen wird auf die erheblichen Abschläge aufgrund von § 176 Abs. 4 VVG (sog. Stornoabzug) bei der Berechnung des Rückkaufswerts, die bei einer Fortführung des Vertragsverhältnisses entfielen. Könne am Stichtag die Fortführung prognostiziert werden, sei daher ein Wert in die Ausgleichsbilanz einzustellen, der sich nicht an dem bloßen Liquidationswert, sondern an einem nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten bemessenen Zeitwert ausrichte (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1993, 192; Soergel/Lange BGB 12. Aufl. § 1376 Rdn. 11; MünchKomm/Gernhuber 3. Aufl. § 1376 Rdn. 20; BGB RGRK/Finke 12. Aufl. § 1374 Rdn. 7; Johannsen/Henrich/Jaeger Eherecht 2. Aufl. § 1376 Rdn. 11; Baumeister in FamGB § 1376 Rdn. 44; Schwab Handbuch des Scheidungsrechts 3. Aufl. Teil VII 65; Voit, Bewertung der Kapitallebensversicherung im Zugewinnausgleich – 1992 – S. 81 ff; a.A. – ohne nähere Begründung – Staudinger/Thiele BGB 12. Aufl. § 1374 Rdn. 7; Erman/Heckelmann BGB 9. Aufl. § 1375 Rdn. 2).
b) Soweit in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beim Zugewinnausgleich auf den Rückkaufswert einer Lebensversicherung abgehoben wurde (vgl. BGHZ 67, 262, 264; Senatsurteil vom 14. Januar 1981 – IVb ZR 525/80 – FamRZ 1981, 239; BGH, Urteil vom 22. März 1984 – IX ZR 69/83 – FamRZ 1984, 666), boten die zugrundeliegenden Fallgestaltungen keinen Anlaß für die Prüfung der Frage, ob der Ansatz eines höheren Wertes in Frage kommt (vgl. auch Voit a.a.O. S. 81). Von der Entscheidung vom 22. März 1984 (aaO) ist der Senat bereits in anderem Zusammenhang abgerückt (vgl. BGHZ 117, 70); für Anrechte aus Kapitalversicherungen mit gespaltenem Bezugsrecht hat er die Anknüpfung an den Rückkaufswert aufgegeben, und zwar sowohl für das Anrecht des Versicherungsnehmers als auch für das Bezugsrecht des anderen Ehegatten (vgl. BGHZ 118, 242, 247 ff m. Anm. Voit FamRZ 1993, 508 und Finger EzFamR BGB § 1375 Nr. 4).
Für andere Vermögensgegenstände hat der Senat mehrfach ausgesprochen, daß eine liquidationsrechtliche Bewertung zum Stichtag nur gerechtfertigt erscheint, wenn die Liquidation zwangsläufige Folge des Zugewinnausgleichs ist und Abhilfe auch nicht durch eine Stundung gemäß § 1382 BGB geschaffen werden kann (vgl. für Grundstücke zuletzt Senatsurteil vom 7. Juli 1993 – XII ZR 35/92 – FamRZ 1993, 1183, 1185 m.w.N.; für Unternehmen Senatsurteil vom 7. Mai 1986 – IVb ZR 42/85 – FamRZ 1986, 776, 779 f; für Gesellschaftsanteile Senatsurteil vom 1. Oktober 1986 – IVb ZR 69/85 – FamRZ 1986, 1196, 1197). Es liegt nahe, diesen Grundsatz auch auf die Bewertung der Anwartschaft aus einer Kapitallebensversicherung zu übertragen. Der Rückkaufswert stellt den Betrag dar, den der Versicherer im Falle der vorzeitigen Kündigung des Versicherungsverhältnisses, die jederzeit möglich ist, zu zahlen hat (in § 176 Abs. 1 VVG als „auf die Versicherung entfallende Prämienreserve” bezeichnet). Dabei erhält der Versicherte in der Regel nur einen Teil der gezahlten Prämien zurück, und zwar um so weniger, je kürzer der Vertrag gedauert hat (vgl. BGHZ 28, 78, 82; Tonndorf/Horn, Lebensversicherung von A–Z, 11. Aufl. 1991, Stichwort Rückkaufswert; Voit a.a.O. S. 47). Grund dafür ist u.a., daß ein Teil der Prämien für die Abdeckung des Versicherungsrisikos sowie der Abschluß- und Verwaltungskosten verbraucht ist; ferner wird je nach Geschäftsplan der gemäß § 176 Abs. 4 VVG zulässige Stornoabzug vorgenommen, der den Versicherer vor den finanziellen Nachteilen einer vorzeitigen Kündigung bewahren und derartigen Vertragsauflösungen generell vorbeugen soll (vgl. für den Versorgungsausgleich Senatsbeschluß vom 13. November 1985 – IVb ZB 131/82 – FamRZ 1986, 344; Voit a.a.O. Seite 78). Ein anschauliches Beispiel bietet insoweit ein vom OLG Düsseldorf entschiedener Fall (veröffentlicht NJW-RR 1993, 801), in dem bei einer Kündigung nach einer Laufzeit von 43 Monaten von insgesamt 23.430 DM an geleisteten Prämien lediglich 5.678,32 DM als Rückkaufswert zu erstatten waren. Der vorliegende Fall, in dem der Bewertungsstichtag kurz vor dem Vertragsende lag, macht ebenfalls deutlich, daß die Wertunterschiede, um die es sich handelt, erheblich sein können (Rückkaufswert rund 52.000 DM bei Auszahlung von rund 83.000 DM nach etwa zehn Monaten). Auch wenn eine Versicherung mit Gewinnbeteiligung abgeschlossen worden ist und sich der Rückkaufswert entsprechend erhöht (vgl. Tonndorf/Horn aaO), liegt dieser in der Regel bei voraussichtlicher Fortführung des Vertragsverhältnisses bis zum vorgesehenen Ablauf deutlich unter dem „wirklichen Wert” (vgl. dazu Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 – IVb ZR 62/84 – FamRZ 1986, 37, 40). Bei Ansatz des niedrigeren Wertes würde deshalb der Zweck des Zugewinnausgleichs, den anderen Ehegatten an dem während der Ehe gemeinsam Geschaffenen angemessen zu beteiligen, nicht selten verfehlt. Der Rückkaufswert ist daher im Anschluß an die oben zu a) angeführte überwiegende Meinung nur dann in die Zugewinnausgleichsbilanz aufzunehmen, wenn im Einzelfall bei objektiver Betrachtung die Fortführung des Versicherungsverhältnisses nicht zu erwarten ist und auch durch eine Stundung der Ausgleichsforderung gemäß § 1382 BGB nicht ermöglicht werden kann. Handelt es sich darum, daß die weitere Prämienzahlung nicht gesichert erscheint, kann auch die Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung gemäß § 174 VVG in Betracht gezogen werden, sofern dies wirtschaftlich sinnvoll ist und zu einem höheren Wert als dem Rückkaufswert führt (vgl. Voit a.a.O. Seite 133).
Der Einwand der Revision, mit einer solchen Handhabung werde das Stichtagsprinzip des Zugewinnausgleichs verlassen, ist unbegründet. Eine auf den Stichtag bezogene Prognose zur Frage der Fortführung des Versicherungsverhältnisses trägt diesem Prinzip hinreichend Rechnung. Im vorliegenden Fall lag bei der Kürze der verbleibenden Laufzeit und dem beträchtlichen Unterschied zwischen dem Rückkaufswert und dem bei Vertragsende zu erwartenden Auszahlungsbetrag auf der Hand, daß der Vertrag nicht vorzeitig gekündigt werden würde, zumal der Ehemann die monatlichen Prämienzahlungen von 100 DM ohne weiteres aufbringen konnte. Unter diesen Umständen ist nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht den Ansatz des Rückkaufswerts abgelehnt und einen Wert für maßgebend angesehen hat, der unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten dem wirklichen Wert der Anwartschaft des Ehemannes am Stichtag zumindest näher kommt.
3. Wie ein solcher Wert zu ermitteln ist, wird verschieden beurteilt. Überwiegend wird vorgeschlagen, auf den Kapitalwert der eingezahlten Prämien abzustellen (vgl. RGRK/Finke aaO; Johannsen/Henrich/Jaeger aaO), teilweise zuzüglich bislang angefallener Gewinnanteile (vgl. Soergel/Lange aaO; Baumeister aaO) sowie abzüglich des Anteils, der auf den gewährten Versicherungsschutz entfällt (vgl. MünchKomm/Gernhuber aaO). Das Oberlandesgericht Stuttgart (aaO) will dem Rückkaufswert die Überschußbeteiligung hinzuschlagen. Voit (a.a.O. Seite 85 f) hält eine Bewertung anhand der tatsächlich gezahlten Prämien wegen ihres Risikoanteils für ungeeignet und befürwortet den Ansatz des Betrages, der als Einmalprämie für eine im übrigen der abgeschlossenen entsprechende Versicherung zu zahlen wäre (a.a.O. S. 137; ders. FamRZ 1992, 1385, 1387). Bei dieser Methode soll aber von Bedeutung sein, ob der Gesundheitszustand des Versicherten am Stichtag von dem des Durchschnitts in seiner Gefahrengruppe negativ abweicht (a.a.O. S. 135 ff); wegen der dadurch bedingten praktischen Schwierigkeiten wird eine Realteilung empfohlen (a.a.O. S. 138 ff).
Da das Gesetz die Art und Weise der Bewertung nicht regelt, ist es Sache des – gegebenenfalls sachverständig beratenen – Tatrichters, im Einzelfall eine geeignete Bewertungsart sachverhaltspezifisch auszuwählen und anzuwenden. Es handelt sich letztlich um eine Schätzung im Rahmen des § 287 Abs. 2 ZPO. Diese kann nach allgemeinen Grundsätzen vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder sonst auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Nach dem Vorangegangenen versteht sich von selbst, daß der Rückkaufswert stets die untere Grenze bildet, dabei aber der Stornoabzug gemäß § 176 Abs. 4 VVG bei prognostizierter Fortführungsmöglichkeit nicht zu berücksichtigen ist. Eine Realteilung, wie sie von Voit (aaO) vorgeschlagen wird, kann gegebenenfalls unter Heranziehung von § 1383 BGB oder in beiderseitigem Einvernehmen in Betracht kommen.
Vorliegend hat sich das Berufungsgericht dafür entschieden, von dem im Januar 1986 tatsächlich ausbezahlten Betrag auszugehen und zur Ermittlung des Zeitwerts am Stichtag einen Abschlag zu machen. Ihm lag eine Auskunft des Versicherers vom 25. Oktober 1983 vor, wonach bis Ende 1983 ein Schlußgewinnanteil von 29.133 DM erreicht war, der unter der Voraussetzung weiterer monatlicher Prämienzahlungen von 100 DM voraussichtlich um jährlich 909 DM anwachsen würde. Versicherungssumme zuzüglich Gewinnanteile stellten sich danach bei Vertragsende auf 83.233 DM, was mit dem unstreitigen Vortrag der Ehefrau übereinstimmte, der Ehemann habe tatsächlich „über 83.000 DM” erhalten. Den vorzunehmenden Abschlag hat das Berufungsgericht mit dem Gewinnanteil für ein Jahr (909 DM) zuzüglich den Prämien für März bis Dezember 1985 (1.000 DM) bemessen, so daß sich als maßgebender Betrag 81.324 DM (83.233 DM – 1.909 DM) ergab. Diese Wertermittlung läßt keinen Rechtsverstoß zum Nachteil des Ehemannes erkennen. Es handelt sich um eine vorsichtige Schätzung, die noch den Wert unterschreitet, der in der angeführten Auskunft des Versicherers als schon im Dezember 1983 erreicht bezeichnet wird (81.415 DM).
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Zysk, Gerber, Sprick
Fundstellen
Haufe-Index 1128077 |
BGHZ |
BGHZ, 298 |
NJW 1995, 2781 |
Nachschlagewerk BGH |
DNotZ 1996, 462 |