Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 23.07.2020; Aktenzeichen 2040 Js 8455/20 6 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 23. Juli 2020 im Fall II.2 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung sowie gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Führen eines Schlagrings zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Rz. 2
Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren Raubes nach § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB im Fall II.2 der Urteilsgründe. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel ist sowohl nur zu Ungunsten des Angeklagten als auch teilweise zu seinen Gunsten (§ 301 StPO) begründet.
I.
Rz. 3
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 4
1. Am 23. Januar 2020 erwarb der Angeklagte von dem Geschädigten zum Preis von 4.500 EUR eine Uhr, von der er – wie von dem Verkäufer beabsichtigt – davon ausging, es handele sich um eine echte Rolex Submarine, Baujahr 1986. Tatsächlich war die Uhr gefälscht. Hiervon erfuhr der Angeklagte am 24. Januar 2020 anlässlich einer Prüfung des Kaufgegenstandes durch einen Juwelier. Er beschloss deshalb, den Geschädigten unter Druck zu setzen, um ihn zur Rückerstattung des Kaufpreises zu veranlassen.
Rz. 5
a) In Umsetzung dieses Vorhabens schrieben der Angeklagte und dessen Freund dem Geschädigten am 24. Januar 2020 abwechselnd Textnachrichten, in denen sie ihm unter anderem ein „massaka” in Aussicht stellten, sollte er nicht an der Wohnanschrift seiner getrennt lebenden Ehefrau erscheinen und den Kaufpreis zurückerstatten. Sie drohten ihm auch mit der Mitnahme seiner Töchter. Das spätere Tatopfer kam diesem Ansinnen indes nicht nach (Fall II.1 der Urteilsgründe).
Rz. 6
b) Erbost über das Verhalten des Geschädigten fasste der Angeklagte den Entschluss, sich an diesem zu rächen und ihm eine „Abreibung” zu erteilen. Er ging deshalb zum Schein auf ein neues Verkaufsangebot des späteren Tatopfers ein, um es zu einem Treffen zu veranlassen und anlässlich dieser Gelegenheit unter Verwendung eines Schlagrings zusammenzuschlagen. Der arglose Geschädigte ließ sich hierauf ein. Als er am 3. Februar 2020 vor der Wohnung seiner getrennt lebenden Ehefrau auf den Angeklagten wartete, ging dieser unvermittelt auf ihn zu, drückte ihn gegen einen Pkw, nahm seinen Kopf mit dem linken Arm in den Schwitzkasten und schlug mehrfach mit der Faust der rechten Hand, an der er den Schlagring trug, gegen den Kopf des Opfers. Dieses erlitt hierdurch zwei Platzwunden. Im Zuge der körperlichen Auseinandersetzung ließ der Geschädigte versehentlich sein Handy zu Boden fallen. Schließlich gelang es ihm, sich loszureißen und in Richtung Hauseingang zu laufen. Der Angeklagte folgte ihm und schubste ihn mehrfach gegen die Hauswand. Zur zusätzlichen Demütigung des Geschädigten entschloss er sich sodann, das Geschehen auf Video zu dokumentieren. Vor laufender Kamera beschimpfte er das Opfer und drohte ihm. Schließlich fasste der Angeklagte spontan den Entschluss, Bargeld und andere Wertgegenstände – insbesondere das Handy – des Geschädigten an sich zu nehmen, um sich hierdurch mit Blick auf den ihm zustehenden Anspruch auf Kaufpreisrückerstattung schadlos zu halten, gegebenenfalls auch durch Weiterveräußerung des Mobiltelefons. Er forderte das Opfer deshalb auf, seine Taschen zu entleeren und Handy, Geldbörse und sonstige Wertsachen zu übergeben. Der Geschädigte kam dem nach und übergab dem Angeklagten unter anderem sein Portemonnaie mit 61 US-Dollar. Hinsichtlich des Mobiltelefons wies er ihn darauf hin, dass dieses auf dem Bürgersteig liege. Währenddessen beschimpfte ihn der Angeklagte weiter, fragte nach dem von ihm gezahlten Kaufpreis und stellte dem Opfer in Aussicht, es umzubringen, sollte es noch einmal jemanden betrügen. Sodann begab er sich zurück zum Bürgersteig und nahm das zu Boden gefallene Handy an sich (Fall II.2 der Urteilsgründe).
Rz. 7
2. Das Landgericht hat den Sachverhalt rechtlich als versuchte Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung (§ 240 Abs. 1, 3, §§ 241, 22, 23, 25 Abs. 2, § 52 StGB [Fall II.1 der Urteilsgründe]) und gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Führen eines Schlagrings (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 1, Nr. 3, § 240 Abs. 1, § 52 StGB, § 52 Abs. 1 Nr. 1 Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.2 WaffG [Fall II.2 der Urteilsgründe]) gewürdigt. Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen schweren Raubes (§§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB) im Fall II.2 der Urteilsgründe hat es indes verneint, da er das Mobiltelefon nicht „weggenommen” im Sinne des § 249 StGB habe. Der Hinweis des Opfers zum Auffindeort des Handys stelle vielmehr eine Vermögensverfügung nach §§ 253, 255 StGB dar. Eine Verurteilung wegen räuberischer Erpressung komme nicht in Betracht, weil eine Absicht rechtswidriger „Zueignung” des Angeklagten mit Blick auf seine berechtigte Forderung gegen den Geschädigten aus dem Verkauf der Uhr nicht habe festgestellt werden können.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 8
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat vollumfänglich Erfolg.
Rz. 9
1. Die Revision ist wirksam auf Fall II.2 der Urteilsgründe und den Ausspruch über die Gesamtstrafe beschränkt.
Rz. 10
Zwar ist das Rechtsmittel unbeschränkt eingelegt, jedoch ist unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV, wonach der Staatsanwalt seine Revision stets so rechtfertigen soll, dass klar ersichtlich ist, in welchen Ausführungen des angefochtenen Urteils er eine Rechtsverletzung erblickt und auf welche Gründe er seine Rechtsauffassung stützt, der Umfang des Anfechtungswillens durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteile vom 11. Juni 2014 – 2 StR 90/14, BGHR StPO § 244 Abs. 1 Antrag 9 Rn. 7 f.; vom 18. Dezember 2014 – 4 StR 468/14, NStZ-RR 2015, 88 f.; vom 29. November 2018 – 3 StR 405/18, juris Rn. 4, jeweils mwN). Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung hat die Beschwerdeführerin zu erkennen gegeben, dass sie ausschließlich die rechtliche Würdigung des Landgerichts im Fall II.2 der Urteilsgründe angreift.
Rz. 11
2. Der Schuldspruch im Fall II.2 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer ist auf der Basis der von ihr getroffenen Feststellungen rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, es liege hinsichtlich des Handys keine Wegnahme im Sinne des § 249 StGB vor.
Rz. 12
Die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach dem äußeren Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens des Verletzten. Wird dieser gezwungen, die Wegnahme der Sache durch den Täter selbst zu dulden, so liegt Raub vor; wird er dagegen zur Vornahme einer vermögensschädigenden Handlung, mithin einer Weggabe, genötigt, so ist – sofern eine Absicht rechtswidriger Bereicherung gegeben ist – eine räuberische Erpressung anzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2018 – 5 StR 606/17, juris Rn. 13 mwN).
Rz. 13
Noch zutreffend hat die Strafkammer angenommen, dass der Geschädigte durch das versehentliche Zu-Boden-Fallen des Handys den Gewahrsam daran nicht verlor, sondern lediglich eine Gewahrsamslockerung eingetreten war. Jedoch hält die Bewertung, der Hinweis auf den Auffindeort des Handys stelle eine Vermögensverfügung im Sinne der §§ 253, 255 StGB dar, rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn in der Preisgabe des Ortes, an dem der begehrte Gegenstand zu finden ist, liegt noch keine Gewahrsamsübertragung. Vielmehr wird dem Täter lediglich die Möglichkeit zum Gewahrsamsbruch und damit der eigentlichen vermögensschädigenden Handlung durch das Ansichnehmen des jeweiligen Gegenstandes eröffnet (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ-RR 2010, 46, 48; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 366/05, NStZ 2006, 38; vom 2. Dezember 2010 – 4 StR 476/10, NStZ-RR 2011, 80; vom 3. Juli 2013 – 4 StR 186/13, juris; vom 24. April 2018 – 5 StR 606/17, juris Rn. 13).
Rz. 14
Nachdem das Landgericht – unter Zugrundelegung seiner rechtlichen Bewertung folgerichtig – zu den weiteren Tatbestandsmerkmalen des (besonders) schweren Raubs (§ 249 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Alternative 1 bzw. § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) – insbesondere zum Einsatz des Schlagrings als Nötigungsmittel – bislang keine vollständigen Feststellungen getroffen hat, war die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.2 der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben. Dies zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich. Das neue Tatgericht wird auch Gelegenheit haben, hinsichtlich der von dem Angeklagten erzwungenen Herausgabe der 61 US-Dollar näher darzulegen, inwieweit dieser davon ausging, berechtigt zu sein, die ihm zustehende Forderung auf Rückzahlung des Kaufpreises durch Ansichnahme des Bargelds durchzusetzen.
Rz. 15
3. Das Landgericht hat es überdies versäumt, für die unter Ziffer II.2 der Urteilsgründe festgestellte Tat vom 3. Februar 2020 eine Einzelstrafe festzusetzen. Das Urteil war daher insoweit zugunsten des Angeklagten aufzuheben (§ 301 StPO, vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2013 – 2 StR 369/13, juris Rn. 2).
Unterschriften
Schäfer, Wimmer, Paul, Anstötz, Erbguth
Fundstellen
Haufe-Index 14803510 |
NStZ 2022, 7 |
ZAP 2021, 1128 |
NStZ-RR 2021, 6 |
RÜ 2021, 789 |
StRR 2021, 21 |