Leitsatz (amtlich)
a) § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG erfaßt auch das entgeltliche Überlassen von Betäubungsmitteln an Minderjährige und steht in diesem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln.
b) § 180 Abs. 2 StGB setzt in beiden Alternativen voraus, daß es zu einer der dort bezeichneten sexuellen Handlungen tatsächlich gekommen ist.
Verfahrensgang
LG Waldshut-Tiengen (Entscheidung vom 14.12.1995) |
Tenor
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 14. Dezember 1995 im Schuldspruch dahin geändert, daß er
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des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in sieben Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Überlassen von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch an eine Minderjährige und in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Überlassen von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch,
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der Förderung sexueller Handlungen einer Minderjährigen in drei Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlichen Fällen und in diesem und einem weiteren Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und mit unerlaubtem Überlassen von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch an eine Minderjährige,
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der versuchten Förderung sexueller Handlungen einer Minderjährigen sowie
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der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr
schuldig ist.
II.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
III.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten des "unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubter Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch an Minderjährige in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger in zwei tateinheitlichen Fällen; des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch in drei Fällen; des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in einem Fall; der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger in zwei Fällen sowie der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr" schuldig gesprochen und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es eine Maßregel nach §§ 69 ff StGB angeordnet.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat nur in geringem Umfang Erfolg; im übrigen ist es unbegründet.
I.
Zur Rüge der Nichtanwendbarkeit deutschen Strafrechts:
Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, daß der Angeklagte wegen unbefugten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt worden ist. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB sind diese Taten dem deutschen Strafrecht unterworfen, weil sie von einem Deutschen im Ausland begangen wurden und auch am Tatort mit Strafe bedroht sind. Dafür reicht es aus, wenn die konkrete Tat im Sinne des § 264 StPO am Ort ihrer Begehung unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt mit Strafe bedroht ist (vgl. RGSt 5, 424; 40, 402, 404; BGHSt 2, 160, 161; BGH NJW 1954, 1086; Tröndle in LK StGB 10. Aufl. § 7 Rdn. 4; Lackner StGB 21. Aufl. § 7 Rdn. 2; Niemöller NStZ 1993, 171).
In der Schweiz ist der unbefugte Besitz von Betäubungsmitteln grundsätzlich strafbar nach Art. 19 Ziffer 1 des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel (BetmG) vom 3. Oktober 1951 in der Fassung vom 20. März 1975 (AS 1975 1220 f.), und zwar auch, soweit es sich um geringfügige Mengen handelt. Allerdings sind durch die Revision des Betäubungsmittelgesetzes im Jahre 1975 (siehe dazu Alfred Schütz, Die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel vom 3. Oktober 1951 in der Fassung vom 20. März 1975, S. 170 f.; Heine in Meyer, Betäubungsmittelstrafrecht in Westeuropa, S. 579 f.) zwei Vorschriften eingeführt worden, die den Betäubungsmittelkonsumenten privilegieren: Art. 19 a BetmG sieht in Ziffer 1 für den Konsum als solchen im Grundsatz bloße Übertretungssanktionen vor, in Ziffer 2 Straffreistellungsmöglichkeiten für leichtere Fälle; nach Art. 19 b erster Satzteil BetmG sind Handlungen, die den eigenen Konsum geringfügiger Mengen von Betäubungsmitteln vorbereiten, gänzlich straflos. Dies betrifft jedoch nur die Vorbereitung des eigenen oder gemeinsamen Konsums geringfügiger Mengen, ändert aber nichts daran, daß der vorsätzliche unbefugte Konsum von Betäubungsmitteln auch nach der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes von 1975 grundsätzlich strafbar ist. So hat das Schweizerische Bundesgericht in der Entscheidung BGB 103 IV 276 f. ausgeführt, daß der vorsätzliche unbefugte Konsum von Betäubungsmitteln auch nach der Revision des BetmG "prinzipiell strafbar bleibe"; in der Entscheidung BGE 108 IV 196 hat es bekräftigt, Art. 19 b BetmG sage nicht, "dass der Eigenkonsum geringfügiger Mengen von Betäubungsmitteln straflos bleibe; diese Bestimmung bezieht sich nur auf Vorbereitungshandlungen, die im Hinblick auf den Eigenkonsum der Droge erfolgen".
Wenn aber ein Straftatbestand des Tatortrechts auf das Täterverhalten zutrifft, so führt dies zur umfassenden Geltung aller Vorschriften des deutschen Strafrechts (vgl. auch Niemöller a.a.O. S. 172 m.w.N.). Folglich kommt es nur auf die Strafbarkeit der Betäubungsmitteltat schlechthin, nicht auf ihre rechtliche Einordnung im einzelnen an, so daß auch die tateinheitlichen Verurteilungen wegen unerlaubten Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch an eine Minderjährige in drei Fällen (Fall II 4) sowie wegen unerlaubten Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch in den Fällen II 5, 6 und 9 nicht zu beanstanden sind, die als selbständige Taten nach Art. 19 b 2. Satzteil BetmG nicht strafbar wären.
II.
Die Sachbeschwerde führt nur zu einer Änderung des Schuldspruches bezüglich der Fälle II 3 und 8 sowie des Falles II 7 der Urteilsgründe.
1.
Nach den Feststellungen hat der Angeklagte in den Fällen II 3 und 8 Alexandra K. Kokain als Entgelt für die Ausübung des Geschlechtsverkehrs übergeben. Daher erfüllt sein Verhalten jeweils den Tatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG (vgl. BGH NJW 1980, 1344; NStZ 1982, 519; Körner BtMG 4. Aufl. § 29 Rdn. 209 m.w.N.); der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG tritt hier insoweit als Auffangtatbestand zurück (vgl. Körner a.a.O. Rdn. 854, 855 m.w.N.). Tateinheitlich damit hat sich der Angeklagte jeweils der Förderung sexueller Handlungen einer Minderjährigen - im Fall II 8 in zwei tateinheitlichen Fällen - nach § 180 Abs. 2 StGB und des unerlaubten Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch an eine Minderjährige gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG schuldig gemacht.
Entgegen der vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 20. April 1996 unter Berufung auf Körner (a.a.O. § 29 a Rdn. 10) vertretenen Ansicht ist § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG auch dann erfüllt, wenn das Überlassen des Rauschgiftes entgeltlich erfolgte (so auch Joachimski BtMG 6. Aufl. § 29 a Rdn. 3). Der Grund für die Einführung dieses Verbrechenstatbestandes mit einem Höchstmaß von 15 Jahren Freiheitsstrafe durch das Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 15. Juli 1992 (BGBl I 1302) war die Erkenntnis, daß die unerlaubte Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige ein besonderes Unrecht beinhaltet, das nachdrücklicherer Ahndung als durch die bereits vorhandenen Strafvorschriften bedarf. Mit der Neufassung sollte auch Art. 3 Abs. 5 Buchstabe e) des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen vom 20. Dezember 1988 entsprochen werden, wonach der Umstand, daß Minderjährige in Mitleidenschaft gezogen oder benutzt werden, als besonders schwerwiegender Umstand bei der Bewertung der Straftaten anzusehen ist (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 12/989 S. 55). Die besondere Schutzwürdigkeit der Minderjährigen besteht aber gleichermaßen bei entgeltlicher und unentgeltlicher Abgabe von Betäubungsmitteln. Es wäre zudem ein ungereimtes und nicht hinnehmbares Ergebnis, wenn die uneigennützige Abgabe den Verbrechenstatbestand des § 29 a BtMG erfüllen, die entgeltliche Abgabe aber nur ein Vergehen nach § 29 BtMG darstellen würde.
Der Senat ändert die Schuldsprüche entsprechend von unerlaubtem Besitz auf unerlaubtes Handeltreiben von Betäubungsmitteln ab; § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldspruch nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
2.
Im Fall II 7 der Urteilsgründe hat sich der Angeklagte nicht der vollendeten, sondern der versuchten Förderung sexueller Handlungen einer Minderjährigen schuldig gemacht. Nach dem festgestellten Sachverhalt ist es zwischen Karina S. und dem ihr durch den Angeklagten vermittelten "Freier" nicht zu der vereinbarten Durchführung des Geschlechtsverkehrs oder sonstigen sexuellen Handlungen der von § 180 Abs. 2 StGB vorausgesetzten Art gekommen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegt eine vollendete Tat nach § 180 Abs. 2 StGB nur vor, wenn die dort bezeichneten sexuellen Handlungen, denen durch Vermittlung Vorschub geleistet worden ist, tatsächlich vorgenommen worden sind. Zwar ist dies nach einhelliger Ansicht (vgl. Laufhütte in LK StGB 11. Aufl. § 180 Rdn. 4 m.w.N.; Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform BT-Drucks. VI/3521 S. 44) für ein vollendetes Vorschubleisten durch Vermittlung nach § 180 Abs. 1 StGB nicht erforderlich. Es ist jedoch nicht zwingend, daß der Begriff des Vorschubleistens in beiden Absätzen den gleichen Inhalt haben muß. Vielmehr folgt aus der Fassung des Tatbestandes des § 180 Abs. 2 StGB, der die Merkmale des Bestimmens und des Vorschubleistens durch Vermittlung gleichrangig nebeneinanderstellt, daß die Vollendung nicht bereits mit der Vornahme der Vermittlungshandlung eintritt (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 180 Rdn. 25; Horn in SK-StGB § 180 Rdn. 37; Laufhütte a.a.O. Rdn. 16; a.A. Dreher/Tröndle StGB 47. Aufl. § 180 Rdn. 17). Andernfalls würde dies nämlich, da das Bestimmen nach einhelliger Ansicht (vgl. nur Lenckner a.a.O. Rdn. 21; Horn a.a.O. Rdn. 28; Laufhütte a.a.O. Rdn. 15; Dreher/Tröndle a.a.O. Rdn. 16) voraussetzt, daß es zu den im Tatbestand beschriebenen Sexualkontakten gekommen ist, dazu führen, daß zur Vollendung der Tat einerseits eine vollendete Anstiftung ("Bestimmen") erforderlich ist, andererseits eine nur versuchte Beihilfe ("Vorschubleisten") ausreichen würde (Horn a.a.O. Rdn. 37). Für eine derartige Differenzierung besteht kein einsichtiger Grund.
Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend von vollendeter auf versuchte Förderung sexueller Handlungen einer Minderjährigen ab; § 265 StPO steht dem auch hier nicht entgegen.
3.
Die von dem Beschwerdeführer des weiteren erhobenen Beanstandungen sind - wie auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 20. April 1996 zutreffend bemerkt hat - unbegründet:
a)
Bei den festgestellten Mengen der Betäubungsmittel handelt es sich ersichtlich um zugunsten des Angeklagten angenommene Mindestwerte, die auf den von den Zeugen in der Hauptverhandlung gemachten Angaben beruhen.
b)
Zur Erörterung des § 29 Abs. 5 BtMG bestand keine Veranlassung: 1 g Kokain übersteigt die "geringe Menge" (vgl. Körner a.a.O. § 29 Rdn. 1269 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte). Im übrigen sprachen auch die einschlägige Vorstrafe und die Vielzahl der dem Angeklagten zur Last liegenden Taten gegen die Anwendung dieser Vorschrift.
c)
Entgelt im Sinne des § 180 Abs. 2 StGB war hier die Hingabe des Kokains, wie sich beispielsweise aus der Aussage der Zeugin Alexandra K. ergibt, daß sie den Geschlechtsverkehr ohne Erhalt von Kokain nicht ausgeführt hätte (UA 9). Wie der Beschwerdeführer unter Hinweis auf § 11 Abs. 1 Nr. 9 StGB zutreffend selbst bemerkt, reicht dies zur Erfüllung des Tatbestandes aus (vgl. BGHR StGB § 180 Abs. 2 Entgelt 1; Lackner StGB 21. Aufl. § 180 Rdn. 7: "auch Sachwerte").
III.
Die Änderung der Schuldsprüche in den Fällen II 3 und 8 der Urteilsgründe läßt die Strafaussprüche unberührt, weil nur eine andere Alternative derselben Vorschrift angewendet wird. Im Fall II 7 der Urteilsgründe setzt der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Einzelstrafe auf die Mindestfreiheitsstrafe von einem Monat fest. Angesichts der Erwägungen, mit denen das Landgericht die Verhängung kurzzeitiger Freiheitsstrafen zur Einwirkung auf den Angeklagten für unerläßlich im Sinne des § 47 StGB erachtet hat (UA 17), ist auszuschließen, daß der Tatrichter auf eine Geldstrafe erkannt hätte.
Eine Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe ist nicht geboten. Bei der Höhe der Einsatzstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie der Anzahl und der Höhe der weiteren Einzelstrafen schließt der Senat die Möglichkeit aus, daß die Herabsetzung der Einzelstrafe im Fall II 7 der Urteilsgründe die Höhe der Gesamtstrafe beeinflussen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 3018921 |
NJW 1997, 334 |
NJW 1997, 334-335 (Volltext mit amtl. LS) |
NStZ 1997, 179 |
NStZ 1997, 86 |
NStZ 1997, 89-90 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1996, 1282-1283 (Volltext mit amtl. LS) |
NJ 1997, 54-55 (amtl. Leitsatz) |
StV 1996, 664 |
StV 1996, 664-665 |