Leitsatz (amtlich)
›Der in einer Wertsachenversicherung vertraglich vorausgesetzte Standard an Sicherheit wird nicht dadurch deutlich unterschritten und damit der Versicherungsfall herbeigeführt, daß der Versicherungsnehmer einen besonders teuren Wagen fährt, ihn in Lyon vor einem hell erleuchteten, großen Hotel verschlossen und unter Betätigung der Alarmanlage abgestellt und dabei einen wertvollen Gegenstand (Leopardenmantel) so im Wageninneren beläßt, daß er vollständig von einem unscheinbaren Wäschesack verdeckt ist.‹
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin unterhielt bei der. Beklagten eine Wertsachenversicherung, der die allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Juwelen, Schmuck- und Pelzsachen im Privatbesitz (AVB Schmuck und Pelze 1976) zugrunde lagen. Versichert war u.a. ein Leopardenmantel mit einer Versicherungssumme von 55.000 DM.
Nach der Darstellung der Klägerin wurde ihr dieser Leopardenmantel auf einer Urlaubsreise von H nach Spanien bei einem kurzen Aufenthalt in Lyon am Abend des 23. März 1986 aus dem Pkw ihres Ehemannes, einem Fahrzeug des Typs Porsche-Carrera Targa, gestohlen: Sie hätten zwischen 19 Uhr und 19.30 Uhr den Pkw vor dem Hotel R, einem der größten Hotels der Stadt, abgestellt und nach einem Quartier und einem Garagenplatz gefragt. An der Rezeption des Hotels habe man ihnen gesagt, daß zur Zeit ein Garagenplatz nicht verfügbar sei, vielleicht aber noch im Laufe des Abends frei werde. Man habe ihnen geraten, den Wagen in den hell erleuchteten Eingangsbereich des Hotels zu stellen; dort werde das Fahrzeug auch durch die im Hotelempfang beschäftigten Personen beaufsichtigt. Sie hätten indessen ohne Garagenplatz im Hotel R nicht übernachten wollen und hätten sich entschlossen abzuwarten, ob noch ein Platz freiwürde, und zunächst zu Abend zu essen. Der Ehemann der Klägerin habe sein Fahrzeug im hell erleuchteten Bereich unmittelbar gegenüber dem Hoteleingang geparkt, ordnungsgemäß verschlossen und die serienmäßig eingebaute Alarmanlage angestellt. Der Leopardenmantel habe im Wageninneren auf dem Fußboden der Rücksitze gelegen und sei mit einem unscheinbaren Wäschesack gegen Sicht von außen völlig abgedeckt gewesen. Bei ihrer Rückkehr vom Essen um 20.45 Uhr sei ein Seitenfenster des Pkw eingedrückt und u.a. der Leopardenmantel entwendet gewesen.
Die Beklagte hat den Eintritt eines Versicherungsfalls bestritten und hilfsweise geltend gemacht, die Klägerin habe ihn jedenfalls grob fahrlässig selbst herbeigeführt.
Die auf Zahlung von 55.000 DM nebst Zinsen gerichtete Klage haben beide Vorinstanzen abgewiesen. Der Senat hat die Revision der Klägerin im Hinblick auf die Haftungsbeschräng in Ziffer 6.3 der AVB Schmuck und Pelze 1976 nur insoweit angenommen, als die Klage in Höhe von 20.000 DM abgewiesen worden ist. In diesem Umfang verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Der Berufungsrichter hält die Beklagte für leistungsfrei, weil die Klägerin sich grob fahrlässig verhalten habe (§ 61 VVG). Das Belassen wertvoller Gepäckstücke und Gegenstände im Innenraum eines abgeschlossenen Pkw's sei schon für sich betrachtet leichtsinnig, weil es die Gefahr des Diebstahls erheblich erhöhe. Das müsse umso mehr bei einem so auffälligen und besonders teueren Wagentyp gelten, wie ihn der Ehemann der Klägerin fahre. Risikoerhöhend komme hinzu, daß die Klägerin und ihr Ehemann sich mit diesem Fahrzeug im südlichen Ausland befunden hätten, wo bekanntermaßen eine gesteigerte Diebstahlsgefahr bestehe und sie sofort als vermögende Reisende hätten erkannt werden können. Diese sehr erhebliche Diebstahlsgefahr sei zusätzlich durch den Eintritt der Dunkelheit gesteigert worden. Es entlaste die Klägerin nicht, daß ihr Ehemann den Wagen in den hell erleuchteten Eingangsbereich des Hotels und unter eine Straßenlaterne gestellt habe. Dieses Licht habe offensichtlich keineswegs ausgereicht, um den Täter davon abzuhalten, das Fahrzeug aufzubrechen und den Mantel mitzunehmen. Daß die Tat habe ausgeführt werden können, ohne daß sie vor der Rückkehr der Klägerin zum Pkw aufgefallen sei, zeige deutlich, die unzureichend der Pkw geschützt gewesen sei. Es sei grob fahrlässig, daß die Klägerin in diesem ohnehin gefährdeten Pkw ihren sehr wertvollen Pelz belassen habe. Das Belassen wertvoller Gepäckstücke im Wageninneren sei an sich schon geeignet, in besonderem Maße den Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens zu begründen, weil jeder auf Vermeidung einer Schädigung bedachte Mensch den Umfang der anzuwendenden Sorgfalt umso mehr steigere, als er an Wert einzubüßen befürchten müsse. Wer einen so teueren Pelz wie die Klägerin mit sich führe, habe alles ihm Zumutbare zu tun, um die Gefahr eines Diebstahls zu vermeiden. Die Klägerin hätte den Pelz deshalb entweder mit sich nehmen oder ihn zumindest im Austausch gegen den weniger wertvollen Koffer in dem abgeschlossenen Gepäckraum des Pkw's aufbewahren müssen. Wer so wertvolle Gegenstände mit auf Reisen nehme, müsse eventuelle Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen. Daß sie den Mantel unter einem Wäschesack verborgen habe, entlaste die Klägerin nicht. Das Abdecken des Mantels vermindere die Diebstahlsgefahr nicht, sondern habe sogar die Aufmerksamkeit Unbefugter anziehen können.
Diese Ausführungen sind von Rechtsfehlern beeinflußt.
1. Der Versicherer ist nach § 61 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeifuhrt. Ein Herbeiführen des Versicherungsfalles in diesem Sinne liegt nach der Rechtsprechung des Senats vor, wenn der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten - Tun oder Unterlassen - den als vertragsgemäß vorausgesetzten Standard an Sicherheit gegenüber der Diebstahlsgefahr deutlich unterschritten hat (Urteile vom 5. Oktober 1983, IVa ZR 19/82 VersR 1984, 29, 30 und vom 14. Juli 1986, IVa ZR 22/85 = VersR 1986, 962). Mit diesem tatbestandlichen Erfordernis des § 61 VVG setzt sich der Berufungsrichter nicht auseinander. Seine tatsächlichen Feststellungen reichen auch nicht aus, ein Herbeiführen des Versicherungsfalles in diesem Sinne zu bejahen. Dazu genügt es nicht, daß der Ehemann der Klägerin einen besonders teueren Wagen fuhr und ihn im "südlichen Ausland", was immer auch der Tatrichter darunter verstehen mag, vor einem hell erleuchteten Hotel abstellt und dadurch sofort als vermögender Reisender erkannt wird. Daß die Klägerin in guten Vermögensverhältnissen lebte, war der Beklagten bei Abschluß der Juwelen- und Pelzversicherung bekannt. Das Abstellen des Wagens in der belebten und beleuchteten Hauptstraße eines zivilisierten Nachbarlandes unter Betätigung der üblichen Schließvorrichtungen und unter Einstellen einer Alarmanlage kann keinesfalls als Unterschreiten des vertraglich vorgesehenen Sicherheitsstandards angesehen werden. Als erhöhtes Risiko kommt also nur das Belassen wertvoller Gepäckstücke im Innenraum des Pkw's in Frage. Der Berufungsrichter meint insoweit, das sei immer leichtsinnig, weil es die Gefahr des Diebstahls erheblich erhöhe. Er unterscheidet dabei nicht danach, ob diese wertvollen Gegenstände sichtbar sind oder nicht, meint sogar, das Abdecken unter einem Wäschesack vermindere die Diebstahlsgefahr nicht, sondern könne unter Umständen geeignet sein, die Aufmerksamkeit Unbefugter anzuziehen. Dem folgt der Senat nicht. Zwar ist die Gefahr eines Diebstahls erfahrungsgemäß deutlich erhöht, wenn im Innenraum eines Pkw stehlenswert erscheinende Gegenstände von außen sichtbar liegen. Denn das kann potentielle Täter leichter veranlassen, ins Wageninnere, das weniger geschützt ist als der Kofferraum, einzudringen und diese Gegenstände zu entwenden. Läßt ein Versicherungsnehmer derartige Gegenstände in einem Lkw unter Umständen zurück, die einen Diebstahl nach Örtlichkeit, Tageszeit und ähnlichem nahelegen, so wird regelmäßig der vereinbarte Sicherheitsstandard deutlich unterschritten sein. Ein gleiches gilt aber nicht, wenn von außen keine für einen Dieb verlockenden Gegenstände sichtbar sind. Denn dann kann nicht ohne weiteres damit gerechnet werden, ein möglicher Täter werde ein derartiges Fahrzeug wesentlich eher als ein im Innenraum leeres auf den Verdacht hin aufbrechen, es könne sich darunter etwas Wertvolles verbergen. Die Auffassung des Berufungsrichters würde darauf hinauslaufen, daß der Vowurf grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls auch den trifft, der unter einem Wäschesack oder einer Decke einen geringwertigen Gegenstand im Innenraum seines Pkw liegen läßt, wenn dieser Gegenstand dann gestohlen wird. Das hält der Senat nicht für angängig. Er ist der Auffassung, daß der vereinbarte Sicherheitsstandard regelmäßig erst dann deutlich unterschritten wird, wenn ein Gegenstand der erfahrungsgemäß Diebe anzulocken geeignet ist, im Wageninneren erkennbar ist.
2. Die Leistungsfreiheit des Versicherers nach § 61 VVG setzt ferner voraus, daß sich der Versicherungsnehmer bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles grob fahrlässig verhalten hat. Das bedeutet, daß die im Verkehr erforderliche Sorgfalt durch ein auch subjektiv unentschuldbares Fehlverhalten in hohem Maße außer acht gelassen worden ist. Es muß sich auch in subjektiver Hinsicht um ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden handeln. Grobe Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn das Nächstliegende, das, was jedem in der gegebenen Situation einleuchtet, außer acht gelassen wird. Das Berufungsurteil läßt nicht sicher erkennen, ob der Tatrichter von diesem richtig verstandenen Begriff der groben Fahrlässigkeit ausgegangen ist. Er verlangt von einem Versicherungsnehmer, der einen so teueren Pelz mit sich führt, er habe alles ihm Zumutbare zu tun, um die Gefahr eines Diebstahls zu vermeiden; wer so wertvolle Gegenstände mit auf Reisen nehme, müsse eventuelle Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen. Danach kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Tatrichter den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt hat. Das Berufungsgericht würdigt auch nicht, daß die Klägerin und ihr Ehemann ja nach ihrer Darstellung immerhin einiges getan hatten, um das Gepack zu sichern. Sie hatten die Übernachtung in dem Hotel davon abhängig gemacht, daß ihnen noch ein Garagenplatz zur Verfügung gestellt werden würde, hatten den Wagen auf Anraten des Hotelpersonals im hellerleuchteten Blickfeld des Hoteleingangs abgestellt, wo das Hotelpersonal angeblich achtgeben wollte, hatten die wertvollen Gegenstände nach außen abgedeckt und die Alarmanlage in Betrieb genommen. Inwiefern dennoch das Urteil gerechtfertigt sein soll, sie hätten das Nächstliegende und jedem Einleuchtende außer Acht gelassen, hätte unter diesen Umständen zumindest einer eingehenden Begründung bedurft. Dabei rügt die Revision zu Recht, daß der Tatrichter verfahrensfehlerhaft maßgebliche Umstände nicht in seine Beurteilung miteinbezogen hat.
Diese Umstände sind aber ersichtlich von erheblicher Bedeutung für den Grad des Verschuldens. Die Revision beanstandet ferner zu Recht die pauschale Annahme des Tatrichters im "südlichen Ausland" bestehe bekanntermaßen eine gesteigerte Diebstahlsgefahr. Ein so undifferenzierter Erfahrungssatz kann nicht anerkannt werden. Die Revision wirft zu Recht die Frage auf, ob die Diebstahlsgefahr in Lyon größer ist als etwa in Hamburg. Die herrschende Dunkelheit wertet das Berufungsgericht als riskoerhöhend, ohne hinreichend zu würdigen, daß der Wagen nach der Darstellung der Klägerin auf einer belebten Straße im hell erleuchteten Eingangsbereich eines großen Hotels abgestellt war. Dieser letztere Umstand kann nicht mit der Bemerkung abgetan werden, das Licht habe offensichtlich nicht ausgereicht, den Diebstahl zu verhindern. Mit dem Eintritt des Versicherungsfalls kann nicht ein erhöhtes Risiko begründet werden. Ferner begegnet die Annahme eines auch subjektiv erheblich gesteigerten Verschuldens Bedenken. Es kann nicht damit begründet werden, der Versicherungsnehmer habe es versäumt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Gefahr eines Diebstahls zu vermindern. Der Tatrichter hätte sich fragen müssen, ob es wirklich als schlechthin unentschuldbar anzusehen ist, daß die Klägerin den Mantel nicht mit ins Restaurant genommen oder ihn im Kofferraum des Pkw's im Austausch gegen einen Koffer untergebracht hat. Dabei wäre zu bedenken gewesen, daß Mäntel auch in Restaurants erfahrungsgemäß bisweilen der Diebstahls- oder Verwechslungsgefahr ausgesetzt sind, und daß der Koffer im Innenraum des Pkw möglicherweise nicht vollständig hätte abgedeckt werden können. Zudem hätte das Umpacken vor aller Augen potentielle Diebe möglicherweise gerade aufmerksam machen können.
3. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderem Grunde als richtig dar. Der Berufungsrichter geht unausgesprochen zu Recht davon aus, daß die Beklagte nicht nach der sogenannten "Kofferraumklausel" der Ziff. 5.1.4 der Versicherungsbedingungen leistungsfrei ist. Es handelt sich dabei nicht um einen Risikoausschluß, sondern um eine verhüllte Obliegenheit (vgl. die Senatsurteile VersR 1979, 343, 344 und 1986, 781). Auf die Obliegenheitsverletzung kann sich die Beklagte nicht berufen, weil sie den Versicherungsvertrag nicht gekündigt hat (§ 6 Abs. 1 Satz 3 VVG).
Das Berufungsurteil wird deshalb aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung, ob ein Versicherungsfall vorliegt und ob § 61 VVG eingreift, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 2992959 |
TranspR 1989, 158 |
BGHR VVG § 61 Fahrlässigkeit, grobe 2 |
BGHR VVG § 61 Sicherheitsstandard 1 |
NJW-RR 1989, 213 |
MDR 1989, 337 |
VRS 76, 273 |
VersR 1989, 141 |