Leitsatz (amtlich)
›a) Die Widerklage gegen einen Dritten ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil dieser Dritte bereits als Streithelfer des Beklagten am Rechtsstreit beteiligt ist.
b) Auf eine parteierweiternde Widerklage im ersten Rechtszug sind auch dann die Vorschriften über die Klageänderung entsprechend anwendbar, wenn das Gericht vor Erhebung der Widerklage bereits umfassend Beweis erhoben hat. Der neue Widerbeklagte darf in seiner Verteidigung durch Handlungen oder Unterlassungen des alten Widerbeklagten nicht beeinträchtigt werden. Er hat gegebenenfalls ein Recht auf Ergänzung oder Wiederholung der bisher durchgeführten Beweisaufnahme.‹
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf |
LG Düsseldorf |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Widerklage der Beklagten gegen den Widerbeklagten zu 2.
Die Beklagten beauftragten den Kläger mit Dachdecker- und Abdichtungsarbeiten für ein umzubauendes Wohn- und Geschäftshaus in D. Der Kläger hat nach Abnahme seiner Arbeiten Restwerklohn in Höhe von 20.087,17 DM geltend gemacht. Die Beklagten haben sich zunächst mit einem Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln der Abdichtung verteidigt. Nach einem Sachverständigengutachten zum Grund haben sie ihrem Architekten den Streit verkündet, der dem Rechtsstreit auf ihrer Seite beigetreten ist. Nach Eingang eines Gutachtens zur Höhe der zu erwartenden Mängelbeseitigungskosten haben sie Widerklage gegen den Kläger und ihren Streithelfer, den Widerbeklagten zu 2, erhoben. Sie haben Schadensersatz in Höhe von 161.185 DM sowie Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden begehrt.
Das Landgericht hat die Klage durch Teilversäumnisurteil und die Widerklage gegen den Widerbeklagten zu 2 durch weiteres Teilurteil abgewiesen. Die Widerklage, der der Widerbeklagte zu 2 nicht zugestimmt habe, sei als sachdienlich zuzulassen. Sie sei allerdings unbegründet, da die Beklagten schon vor Erhebung der Widerklage ihre Ansprüche abgetreten hätten. Die Berufung der Beklagten, die diese auf eine Rückabtretung der Ansprüche an sie stützten, hatte keinen Erfolg; das Oberlandesgericht hat die Widerklage als unzulässig mit der Begründung abgewiesen, die Zustimmung des Widerbeklagten zu 2 zur Erhebung der Widerklage sei erforderlich gewesen, die dieser habe verweigern dürfen. Dagegen wendet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht führt aus:
Bedenken bezüglich der örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts oder der anderweitigen Rechtshängigkeit seien nicht gegeben. Es sei grundsätzlich zulässig, eine Widerklage auf eine bisher am Rechtsstreit nicht beteiligte Partei zu erstrecken; das entspreche einem praktischen Bedürfnis. Auf eine solche parteierweiternde Widerklage seien im ersten Rechtszug grundsätzlich die Regeln über die Klageänderung anzuwenden. Das Landgericht habe die Erweiterung an sich als sachdienlich erachten dürfen. Die Regeln der Klageänderung seien allerdings nicht stets geeignet, die Interessen der in einen Rechtsstreit neu hereingezogenen Partei ausreichend zu wahren. Der Schutz, der jedem Beklagten zukomme, liefe weitgehend leer, wenn sich der neue Beklagte in einen bereits weitgehend geförderten Rechtsstreit einbeziehen und an die ohne seine Mitwirkung hervorgebrachten Beweisergebnisse binden lasse müsse. Im zweiten Rechtszug werde eine Parteierweiterung grundsätzlich nur bei Zustimmung des neuen Beklagten zugelassen. Dies müsse auch dann gelten, wenn sich der Rechtsstreit in erster Instanz nicht mehr in seinem Anfangsstadium befinde. Das sei hier der Fall. Da sämtliche, die Tatsachen einer Haftung des Widerbeklagten zu 2 betreffenden Beweise bereits erhoben seien, sei ihm die Einlassung auf die Widerklage nicht zuzumuten; seine Verweigerung der Zustimmung sei daher nicht rechtsmißbräuchlich.
II. Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Die Verfahrensrügen der Revisionserwiderung zur örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts sowie zur anderweitigen Rechtshängigkeit hält der Senat nicht für durchgreifend; er sieht von einer Begründung ab, § 565 a ZPO.
2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Widerbeklagte zu 2 könne in diesem Rechtsstreit nur mit seiner Zustimmung in Anspruch genommen werden, begegnet durchgreifenden Bedenken. Der verfahrensrechtlich gebotene Schutz des Widerbeklagten zu 2 erfordert nicht, bei fehlender Zustimmung die parteierweiternde Widerklage als unzulässig abzuweisen.
a) Die Zweifel der Revision, ob hier überhaupt eine parteierweiternde Widerklage gegen einen Dritten vorliege, da der Widerbeklagte zu 2 bereits als Streithelfer der Beklagten am Prozeß beteiligt gewesen sei, sind allerdings unbegründet. Dritter im Sinne einer parteierweiternden Widerklage ist jede Person, die weder Kläger noch Beklagter des anhängigen Verfahrens ist (Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl. § 33 Rdn. 29; MünchKomm zur ZPO/Schilken, § 67 Rdn. 2). Der Widerbeklagte zu 2 hatte als Streithelfer der Beklagten lediglich die ihm nach den §§ 74 Abs. 1, 67 ZPO zustehenden Rechte; er war damit nicht Partei des Rechtsstreits.
Entgegen den Bedenken der Revisionserwiderung führt die Beteiligung des Widerbeklagten zu 2 als Streithelfer der Beklagten nicht zur Unzulässigkeit der Widerklage (vgl. dazu Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl. § 67 Rdn. 22 i.V.m. § 33 Rdn. 29 ff; Roth NJW 1988, 2977, 2982). Zweck der Streitverkündung ist es u.a., dem Streitverkündeten vor Augen zu führen, daß er bei ungünstigem Prozeßausgang in Anspruch genommen werden kann. Die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme des Streitverkündeten können sich schon im laufenden Prozeß ergeben. Dann besteht kein Grund, eine Widerklage auszuschließen.
b) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind auf die parteierweiternde Widerklage im ersten Rechtszug die Vorschriften über die Klageänderung entsprechend anwendbar (u.a. Senat, Urteil vom 13. November 1975 - VII ZR 186/73 = BGHZ 65, 264, 267 f). Davon geht auch das Berufungsgericht aus. Seine Auffassung, dies gelte grundsätzlich nur für Prozesse im Anfangsstadium, läßt sich allerdings den vom ihm zitierten Entscheidungen nicht entnehmen. In dem Urteil vom 17. Oktober 1963 - II ZR 77/61 = BGHZ 40, 185, 187 wird diese Einschränkung lediglich im Referat des dort nachzuprüfenden Berufungsurteils erwähnt. In dem weiter zitierten Urteil vom 20. Mai 1981 - VIII ZR 270/80 = NJW 1981, 2642, 2644 wird die Berücksichtigung des Verfahrensstandes nur in einem obiter dictum unter dem Blickwinkel der Sachdienlichkeit erwähnt.
Es besteht kein Anlaß, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen. Ihre Rechtfertigung liegt in der Prozeßwirtschaftlichkeit. Es liegt nahe, den einmal begonnenen Prozeß mit einer neuen oder neu hinzugekommenen Partei jedenfalls im ersten Rechtszug auch ohne deren Zustimmung fortsetzen zu können, sofern dies sachdienlich ist. Damit soll der Streit im Rahmen des bereits anhängigen Rechtsstreits bereinigt und dadurch einem neuen Prozeß vorgebeugt werden (vgl. BGH Urteil vom 26. Mai 1986 - II ZR 237/85 = NJW-RR 1987, 58).
Die Prozeßökonomie kann allerdings im Einzelfall mit dem Anspruch eines neu in den Rechtsstreit einbezogenen Beklagten kollidieren, sich uneingeschränkt verteidigen zu können, wenn es um die Bindung des neuen Beklagten an das bisherige Prozeßergebnis geht, insbesondere an die von ihm nicht beeinflußten Beweiserhebungen. Dazu hat der Bundesgerichtshof auf die vom Schrifttum vorgeschlagenen Wege hingewiesen (Urteil vom 13. November 1961 - II ZR 202/60 = NJW 1962, 347 unter Bezugnahme auf de Boor, Zur Lehre vom Parteiwechsel und vom Parteibegriff, S. 105 ff, S. 110; Nikisch, Zivilprozeßrecht, S. 461 f und Rosenberg, ZZP 70, 1 ff, 7). Danach sollen die Ergebnisse des bisherigen Prozesses grundsätzlich verwertbar bleiben. Der neue Beklagte soll jedoch eine Ergänzung einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme oder ihre Wiederholung verlangen können.
Dieser Ansatz trifft zu. Ausgehend von einer Bindungswirkung wird das Gericht auf Antrag des neuen Beklagten gegebenenfalls ergänzend oder wiederholend Beweis erheben müssen. Der neue Beklagte kann eine Wiederholung der Beweisaufnahme dann verlangen, wenn er sonst in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wäre. Auch kann beispielsweise der neue Beklagte mit einem Beweismittel nicht mit der Begründung präkludiert sein, der ursprüngliche Beklagte könne damit nicht mehr gehört werden. Das ermöglicht eine dem Schutz des neuen Beklagten gerecht werdende Fortsetzung des Rechtsstreits.
Das Berufungsgericht konnte und mußte mithin die Frage entscheiden, ob den Bedenken des Widerbeklagten zu 2, er habe auf die Auswahl des Sachverständigen keinen Einfluß gehabt, Bedeutung zukommt. § 404 ZPO sieht keine Pflicht des Gerichts vor, die Parteien anzuhören, wer als Sachverständiger gewählt werden soll; es wird aber Anregungen der Parteien nachzugehen haben. Erweisen sich die vom Widerbeklagten zu 2 erhobenen Einwendungen als bedenkenswert, so wird rückschauend zu prüfen sein, ob das Gericht vor einer Beauftragung diesen Bedenken Rechnung getragen hätte. Ist dies zu bejahen, so ist ein neues Gutachten einzuholen. Ergibt sich des weiteren aus dem Sachvortrag des Widerbeklagten zu 2, daß bereits seine Teilnahme an den Ermittlungen des Sachverständigen im Rahmen seines ersten Gutachtens gemäß § 404 a Abs. 4 ZPO geboten gewesen wäre, so muß die Beweisaufnahme insoweit wiederholt werden. Schließlich kann der Widerbeklagte zu 2 das Gericht durch neuen erheblichen Sachvortrag zu einer ganz oder teilweise erneuten Begutachtung veranlassen und auch auf diese Weise auf die Abfassung von Beweisfragen Einfluß nehmen.
III. Nach alledem kann das angefochtene Urteil nicht bestehenbleiben; es ist aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden.
Es ist derzeit nicht möglich, über die Zulässigkeit der Widerklage abschließend zu befinden. Dabei konnte der Senat die Frage, ob das Berufungsgericht die vom Landgericht bejahte Sachdienlichkeit der parteierweiternden Widerklage überprüfen durfte, offenlassen (vgl. einerseits z.B. BGH Urteil vom 20. Januar 1987 - X ZR 70/84 = NJW-RR 1987, 1084, 1085 und Roth NJW 1988, 2977, 2978 sowie andererseits z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 19. Aufl., § 268 Rdn. 1). Das Berufungsgericht hat jedenfalls im Ergebnis mit dem Landgericht die Sachdienlichkeit bejaht; etwa durchgreifende Bedenken sind auch im Revisionsverfahren nicht aufgezeigt worden.
Die Revisionserwiderung hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, daß die Widerkläger Gewährleistungsansprüche geltend machen, die sie bereits vor Rechtshängigkeit dieses Prozesses an die Firma M. G. GmbH & Co. KG abgetreten hatten. Diese hatte ihrerseits Gewährleistungsansprüche aus diesem Vertrag gegen den Widerbeklagten zu 2 gerichtlich geltend gemacht (10 O 473/91 LG Mönchengladbach). Sollte das Berufungsgericht feststellen, daß diese Ansprüche sich inhaltlich ganz oder teilweise decken, so wird es zu prüfen haben, ob die Widerklage trotz der späteren Rückabtretung dieser Ansprüche an die Widerkläger im Hinblick auf § 265 Abs. 2 ZPO ganz oder teilweise mangels Prozeßführungsbefugnis unzulässig ist (vgl. Thomas/Putzo aaO., § 265 Rdn. 12).
Fundstellen
Haufe-Index 2993360 |
BGHZ 131, 76 |
BGHZ, 76 |
DB 1996, 272 |
NJW 1996, 196 |
BGHR ZPO § 263 Parteierweiterung 1 |
BGHR ZPO § 67 Widerklage 1 |
BauR 1996, 147 |
DRsp IV(413)238Nr. 4a |
NJW-RR 1996, 636 |
WM 1996, 602 |
JuS 1996, 461 |
MDR 1996, 194 |
VersR 1996, 912 |
ZfBR 1996, 40 |