Leitsatz (amtlich)
Die Verjährungsvoraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs sind auch dann gegenüber mehreren Gesamtschuldnern selbständig und unabhängig voneinander zu prüfen, wenn zum einen Organe und Mitarbeiter eines in der Rechtsform einer juristischen Person betriebenen Unternehmens, zum anderen dieses Unternehmen selbst haftungsrechtlich in Anspruch genommen werden.
Normenkette
BGB §§ 425, 852
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main |
LG Frankfurt am Main |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 29. September 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klageabweisung gegenüber den Beklagten zu 2 bis 6 bestätigt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der am 31. August 1982 geborene Kläger nimmt die Beklagten auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen der Zerstörung seines Milchzahngebisses in Anspruch. Zu dieser sei es gekommen, weil ihm in den beiden ersten Lebensjahren im Wege des „Dauernuckelns” ein Kinderteeprodukt der früheren Beklagten zu 1 zugeführt worden sei; dabei sei eine ebenfalls von dieser Beklagten vertriebene Plastik-Saugflasche zum Einsatz gekommen, auf welcher gebotene Warnhinweise gefehlt hätten.
Im Jahre 1985 erfuhr die Mutter des Klägers seitens der behandelnden Zahnärzte, daß die Zahnschäden auf den Genuß von Kindertee zurückzuführen sein könnten. Im Herbst 1993 wurde sie auf einer Veranstaltung der zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse auf mögliche Schadensersatzpflichten des Teeherstellers hingewiesen; hierauf nahm sie Rechtsrat in Anspruch.
Mit seiner am 4. Januar 1996 bei Gericht eingegangenen Klage hat der Kläger Schadensersatz zum einen von der früheren Beklagten zu 1, zum andern jedoch auch von deren als Beklagte zu 2 bis 6 verklagten leitenden Mitarbeitern begehrt, die nach Ansicht des Klägers (zum Teil als Mitglieder des Vorstandes, zum Teil als Prokuristen, Abteilungsleiter etc.) für Entwicklung, Herstellung und Vertrieb des schadensursächlichen Kindertees und für die Verletzung hieraus resultierender Pflichten gegenüber den Verbrauchern haftungsrechtlich mitverantwortlich seien.
Das Landgericht hat die Klage auf die seitens der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung hin abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit seiner gegen die Beklagten zu 2 bis 6 geführten Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die zunächst auch gegenüber der Beklagten zu 1 eingelegte Revision wurde zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält – in Übereinstimmung mit dem Landgericht – die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche für verjährt. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 BGB habe spätestens am 1. Januar 1986 zu laufen begonnen; Verjährung sei daher am 31. Dezember 1988 eingetreten, da es zu keiner rechtzeitigen Unterbrechung gekommen sei.
Die Mutter des Klägers habe – nach entsprechenden Hinweisen durch die behandelnden Zahnärzte – jedenfalls Ende 1985 die erforderliche Kenntnis davon gehabt, daß der Genuß des Kindertees und die Art seiner Verabreichung ursächlich für die Zahnschäden gewesen sei. Seit dieser Zeit habe sie auch wissen können, daß die Beklagte zu 1 als Herstellerin des Tees und Vertreiberin der Nuckel- und Saugflaschen als Schädigerin in Betracht komme. Tatsächlich sei der Mutter aber überhaupt nicht bewußt gewesen, daß sich der Kläger als Geschädigter wegen Schadensersatzes an die Beklagten hätte wenden können. Dieser Umstand hindere jedoch den Lauf der Verjährungsfrist nicht. Denn letztere beginne nur dann nicht zu laufen, wenn der Geschädigte beziehungsweise sein gesetzlicher Vertreter die Rechtskenntnis habe, daß ihm ein Schadensersatzanspruch zustehe. Habe er dagegen keinerlei Kenntnis von einem möglichen Schadensersatzanspruch und bilde diese Unkenntnis das Hindernis, von den Schädigern Kenntnis zu erlangen, so beginne der Lauf der Verjährungsfrist mit Kenntnis des Schadens.
Die Mutter des Klägers habe erstmals 1993 anläßlich einer Veranstaltung der Allgemeinen Ortskrankenkasse davon erfahren, daß es Schadensersatzansprüche gegen den Hersteller solcher Tees geben könnte. Daß die zuvor bestehende Unkenntnis von möglichen Schadensersatzansprüchen tatsächlich der Hinderungsgrund gewesen sei, die Beklagten in Anspruch zu nehmen, werde durch die Tatsache verdeutlicht, daß der Mutter des Klägers der Genuß des von der Beklagten zu 1 hergestellten und vertriebenen Tees mit der Nuckelflasche als Ursache der Schäden bekannt gewesen sei, sie aber dennoch über acht Jahre hinweg keine Veranlassung gesehen habe, sich wegen Schadensersatzes an die Beklagte zu 1 zu wenden oder sich auch nur rechtlich beraten zu lassen.
II.
Diese Überlegungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision nicht stand. Sie tragen nicht die rechtliche Beurteilung, die mit der Klage geltend gemachten Schadensersatzansprüche seien gegenüber den Beklagten zu 2 bis 6 verjährt.
1. Es kann dahinstehen, ob das Berufungsurteil – wie die Revision meint – bereits im Hinblick auf § 551 Nr. 7 ZPO wegen fehlender Begründung durchgreifenden Bedenken begegnet, soweit es um die Verjährung der gegen die Beklagten zu 2 bis 6 gerichteten Ansprüche des Klägers geht. Selbst wenn man die Begründungsüberlegungen, auf die das Berufungsurteil hinsichtlich der Verjährung der Ansprüche gegenüber der Beklagten zu 1 gestützt ist, auch auf die restlichen Beklagten beziehen will, vermögen sie jedenfalls in der Sache keine rechtlich tragfähige Grundlage für die Abweisung der Klage gegenüber den Beklagten zu 2 bis 6 zu geben.
2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts (die nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist), mögliche Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte zu 1 als Herstellerin und Vertreiberin des Kindertees und der Saugflasche seien verjährt, hat keine rechtlichen Auswirkungen auf die nunmehr noch im Raume stehenden Ansprüche gegenüber den übrigen Beklagten. Die Revision weist zu Recht darauf hin, daß die Voraussetzungen für den Lauf der Verjährungsfrist und den Verjährungseintritt für jeden Beklagten selbständig zu prüfen sind.
a) Der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist setzt nach § 852 Abs. 1 BGB die Kenntnis des Geschädigten nicht nur vom Schaden, sondern auch von der Person des Ersatzpflichtigen voraus. Kommen mehrere Personen als Schädiger in Betracht, so richtet sich der Verjährungsbeginn gegenüber jedem einzelnen dieser möglichen Schuldner danach, wann der Geschädigte von der Person des betreffenden Schädigers Kenntnis erlangt hat (vgl. Senatsurteil vom 8. Januar 1963 – VI ZR 35/62 – VersR 1963, 285, 286; RGRK/Kreft, Rdn. 63 zu § 852 BGB). Dementsprechend kann die Verjährungsfrist hinsichtlich mehrerer Schuldner, auch wenn sie aus demselben Schadensereignis für denselben Schaden nebeneinander verantwortlich sind, zu unterschiedlichen Zeitpunkten beginnen und ablaufen.
b) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung gilt insoweit auch nichts anderes, wenn es sich bei den mehreren für eine Ersatzpflicht in Betracht kommenden Verantwortlichen einerseits um ein (in Form einer juristischen Person betriebenes) Unternehmen und andererseits um Personen handelt, die dessen Organe oder (leitende) Mitarbeiter sind, für welche das Unternehmen über § 31 BGB oder § 831 BGB einzustehen hat. Der nach § 823 Abs. 1 BGB haftende Mitarbeiter und sein nach § 831 BGB einstandspflichtiger Geschäftsherr treten dem Geschädigten ebenso als Gesamtschuldner gegenüber (§ 840 BGB) wie die über § 31 BGB haftende juristische Person und ihr deliktisch unmittelbar verantwortliches Organ (vgl. MünchKomm/Reuter, 3. Aufl., Rdn. 27 zu § 31 BGB). Demgemäß kann die Verjährung eines Anspruchs nur gegenüber demjenigen Gesamtschuldner wirken, hinsichtlich dessen ihre Voraussetzungen im einzelnen festgestellt sind (§ 425 Abs. 2 BGB). Die persönliche Verantwortlichkeit des unmittelbar deliktisch Handelnden steht nicht nur im Falle des § 831 BGB, sondern auch im Rahmen der Organhaftung nach § 31 BGB als eigene und selbständige Haftung neben derjenigen des Unternehmens (vgl. für den Fall des Geschäftsführers einer GmbH Senatsurteil vom 12. März 1996 – VI ZR 90/95 – VersR 1996, 713, 714 m.w.N.); auch hier kommt eine automatische Parallelität der Behandlung der Verjährungsvoraussetzungen nicht in Betracht.
3. Die Verjährungsfrist für eventuelle Ansprüche der Klägerin gegenüber den Beklagten zu 2 bis 6 konnte daher erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, ab welchem der Kläger (beziehungsweise seine sorgeberechtigte Mutter) die erforderliche Kenntnis hinsichtlich der Person dieser möglichen Ersatzpflichtigen hatte, also jedenfalls deren Namen, Anschrift und Aufgabenstellung im Betrieb kannte (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 1997 – VI ZR 408/96 – VersR 1998, 378, 379 f.). Auch bei dem Organ einer juristischen Person kann die deliktsrechtliche Verantwortlichkeit für die Verletzung der Rechtsgüter Dritter nämlich in erheblichem Umfang von der betrieblichen Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung abhängen (vgl. z.B. BGHZ 133, 370, 377 f.).
Das Berufungsgericht hat keinerlei Feststellungen dazu getroffen, ab wann die Mutter des Klägers über die insoweit erforderliche Kenntnis bezüglich der Beklagten zu 2 bis 6 verfügte. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß dies früher als drei Jahre vor Klageeinreichung der Fall gewesen sein könnte.
4. Der Revisionserwiderung ist zwar zuzugeben, daß ausnahmsweise – dem Rechtsgedanken des § 162 BGB folgend – der Fristbeginn i.S.d. § 852 Abs. 1 BGB auch dann zu bejahen sein kann, wenn der Geschädigte einen den Lauf der Verjährung auslösenden Kenntnisstand positiv nicht besessen, wohl aber die Möglichkeit gehabt hat, sich die erforderlichen Kenntnisse in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe zu beschaffen (st. Rspr., vgl. z.B. BGHZ 133, 192, 198 f.). Dies gilt aber nur dann, wenn der Geschädigte die Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis geradezu verschließt und es versäumt, eine gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit wahrzunehmen, so daß das Sichberufen auf die Unkenntnis als Förmelei erscheint, weil jeder andere in der Lage des Geschädigten unter denselben konkreten Umständen die Kenntnis gehabt hätte (vgl. Senatsurteile vom 20. September 1994 – VI ZR 336/93 – NJW 1994, 3092, 3093, vom 17. November 1998 – VI ZR 32/97 – VersR 1999, 585, 587 und vom 18. Januar 2000 – VI ZR 375/98 – VersR 2000, 503, 504).
Von einer derartigen Fallgestaltung kann vorliegend nicht ausgegangen werden, und zwar auch nicht hinsichtlich derjenigen Beklagten, die im Schädigungszeitpunkt nicht nur leitende Angestellte, sondern Vorstandsmitglieder der früheren Beklagten zu 1 waren. Es ist den getroffenen Feststellungen keinerlei Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß die Mutter des Klägers Namen, Anschrift und Zuständigkeitsbereich der im vorliegenden Zusammenhang für eine Haftung in Frage kommenden Vorstandsmitglieder auf eine derart einfache und für jeden selbstverständliche Weise jederzeit hätte in Erfahrung bringen können, daß die Berufung auf die Nichtkenntnis als unzulässig erscheinen könnte. Erst recht gilt dies hinsichtlich derjenigen Beklagten, die – ohne Vorstandsmitglieder zu sein – als Abteilungsleiter oder Prokuristen im Rahmen der Herstellung und des Vertriebs der Teeprodukte tätig waren.
5. Dem Berufungsurteil ist zu entnehmen, daß das Berufungsgericht Feststellungen zur konkreten Kenntnis von der Person der Beklagten zu 2 bis 6 als Ersatzpflichtigen deshalb bereits aus Rechtsgründen nicht für erforderlich erachtete, weil der Mutter des Klägers überhaupt nicht bewußt gewesen sei, daß sich der Kläger als Geschädigter wegen Schadensersatzes an diese Beklagten hätte wenden können. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Lauf der Verjährungsfrist beginne bereits mit der Kenntnis des Schadens, wenn der Geschädigte keinerlei Kenntnis von einem möglichen Schadensersatzanspruch habe und diese Unkenntnis das Hindernis bilde, von den Schädigern Kenntnis zu erlangen. Gegen diese Überlegungen wendet sich die Revision mit Erfolg.
Die Auffassung des Berufungsgerichts kann nicht auf die im Berufungsurteil hierzu angeführte Entscheidung des BGH vom 17. März 1966 – III ZR 263/64 – VersR 1966, 632, 634 gestützt werden: In jenem Urteil wird darauf abgestellt, daß auch im Bereich des § 852 BGB der Rechtssatz des Inhalts, daß Gesetzesunkenntnis stets und unter allen Umständen schade, nicht ausnahmslos und insbesondere dann nicht gelte, wenn die Unkenntnis von Rechtssätzen und Rechtsgrundsätzen das Hindernis bilde, von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis zu nehmen. Zu Lasten des Geschädigten gehe es allerdings, wenn die Person des Ersatzpflichtigen tatsächlich bekannt sei und zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs nichts fehle als die Kenntnis der Rechtsnorm, die den Zugriff gegen den Schädiger zulasse. Aus diesen Grundsätzen folgt für den vorliegenden Fall:
Hätte die Mutter des Klägers Namen und Anschrift der Beklagten zu 2 bis 6 und deren betriebliche Stellung tatsächlich gekannt, so wäre es für den Lauf der Verjährungsfrist nicht von Bedeutung gewesen, daß sie aus mangelnder Rechtskenntnis von der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs abgesehen hätte. Solange sie aber Namen, Anschriften und Stellung dieser Beklagten nicht kannte (und davon ist hier mangels gegenteiliger Feststellungen für die Zeit bis drei Jahre vor Klageeinreichung auszugehen), verbleibt es dabei, daß die Verjährungsfrist mangels der gebotenen Kenntnis von der Person des Schädigers nicht zu laufen begann; bei einer solchen Sachverhaltsgestaltung ist es ohne rechtlichen Einfluß, ob der Geschädigte die für die Verfolgung eventueller Ansprüche erforderliche Rechtskenntnis hatte oder nicht. § 852 Abs. 1 BGB macht den Verjährungsbeginn von der gebotenen Tatsachenkenntnis abhängig; fehlt diese, dürfen keine hypothetischen Überlegungen dahin angestellt werden, wie sich der Geschädigte – aus welchen Gründen auch immer – verhalten hätte, wenn er die Kenntnis gehabt hätte.
III.
Das Berufungsurteil kann auch nicht aus anderen Gründen aufrechterhalten werden, da die Frage, ob eine deliktsrechtliche Haftung der Beklagten zu 2 bis 6 in Betracht kommt, mangels jeglicher Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilt werden kann.
Die angefochtene Entscheidung war daher, soweit darin die Klageabweisung gegenüber den Beklagten zu 2 bis 6 wegen Verjährung bestätigt worden ist, aufzuheben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. v. Gerlach, Dr. Dressler, Wellner, Diederichsen
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 12.12.2000 durch Böhringer-Mangold, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 519152 |
BB 2001, 332 |
DB 2001, 977 |
DStZ 2001, 335 |
NJW 2001, 964 |
BGHR 2001, 192 |
EWiR 2001, 299 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 1026 |
ZAP 2001, 253 |
ZIP 2001, 379 |
DAR 2001, 161 |
JA 2001, 448 |
JZ 2001, 711 |
MDR 2001, 506 |
VersR 2001, 381 |
LL 2001, 381 |