Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzanspruch gegen Notar. Amtspflichtverletzung bei der Beurkundung eines Kaufvertrags über zwei Wohnungen. Übersehen einer Grundschuldbelastung. Mitverschulden. Beweislast des Geschädigten für haftungsausfüllenden Ursachenzusammenhang. Dauer des Rücktrittsrechts des Käufers bei nicht lastenfreiem Erwerb
Leitsatz (redaktionell)
1. Übersieht ein Notar bei der Beurkundung eines Kaufvertrags über zwei Eigentumswohnungen eine Grundschuld, zu deren Beseitigung der Verkäufer außerstande war, so liegt darin eine schuldhafte Amtspflichtverletzung, die zum Schadensersatz führt. Den Ursachenzusammenhang zwischen dieser Amtspfichtverletzung und dem entstandenen Schaden muss der Geschädigte beweisen.
2. Geht man davon aus, dass der Käufer bei Kenntnis der übersehenen Grundschuld vom Erwerb der beiden Eigentumswohnungen Abstand genommen hätte, richtet sich der Schadensersatzanspruch auf die fehlgeschlagenen Aufwendungen für den Kauf, also auch Vertragskosten, Grunderwerbsteuer und Notar- und Grundbuchkosten.
3. Bei der Vorteilsausgleichung haben Vorteile, die bei Dritten entstehen, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben.
4. Werden die Eigentumswohnungen zu einem erheblich geringeren Preis weiterverkauft und besteht das Rücktrittsrecht des neuen Käufers nur so lange, als der Rücktrittsgrund – hier die Grundschuld – andauert, ist dem Verkäufer ein Mitverschulden am entstandenen Schaden zuzurechnen, wenn er Länge und Zeitpunkt des Fristablaufs zur Vorlage der Löschungsbewilligung der Gegenseite nicht rechtzeitig mitteilt und dadurch die Löschungsbewilligung verspätet vorgelegt wird.
Normenkette
BNotO § 19 Abs. 1; ZPO § 287; BGB §§ 249, 254 Abs. 2 S. 1 Alt. 2; ZPO a.F. §§ 139, 278
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 5. November 2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den beklagten Notar wegen Amtspflichtverletzung bei der Beurkundung eines Kaufvertrags über zwei Eigentumswohnungen – Übersehen einer Grundschuld von 300.000 DM, zu deren Beseitigung der Verkäufer außerstande war – auf Schadensersatz in Anspruch. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das erste Revisionsurteil des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 9. November 2000 verwiesen (IX ZR 310/99 = LM BNotO § 19 Nr. 77 = NJW-RR 2001, 1428). Nach der Aufhebung des ersten Berufungsurteils hat die Klägerin im erneuten Berufungsverfahren ihren Anspruch in Höhe von 144.152,03 DM nebst Zinsen weiterverfolgt. Das Berufungsgericht hat ihr hiervon 76.023,03 DM nebst Zinsen zugesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten, der weiterhin die vollständige Klageabweisung anstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt im Umfang der Anfechtung durch den Beklagten zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
1. Aus der – nicht mehr streitigen – schuldhaften Amtspflichtverletzung des beklagten Notars und dem Fehlen anderweitiger Ersatzmöglichkeiten für die Klägerin ergibt sich, daß der Beklagte – vorbehaltlich der Frage eines Mitverschuldens der Klägerin (dazu unten II) – die Klägerin im Wege des Schadensersatzes (§ 19 Abs. 1 BNotO) so stellen muß, wie sie stünde, wenn der Beklagte sich pflichtgemäß verhalten hätte. Es kommt also darauf an, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Notars (hier: Hinweis auf die als Grundschuldbelastung existierende Grundschuld) genommen hätten, insbesondere wie die Klägerin darauf reagiert hätte, und wie ihre Vermögenslage dann wäre. Diesen haftungsausfüllenden Ursachenzusammenhang zwischen Haftungsgrund und Schaden hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Anspruchsteller darzulegen und zu beweisen, wobei die Beweisführung durch die Anwendung des § 287 ZPO und die Regeln über den Beweis des ersten Anscheins erleichtert wird (vgl. BGH, Urteile vom 27. Mai 1993 – IX ZR 66/92 – NJW 1993, 2744, 2746 und vom 18. November 1999 – IX ZR 402/97 – NJW 2000, 664, 677).
2. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Klägerin im Falle der Offenlegung der bei der Beurkundung vom 23. Oktober 1992 übersehenen Grundschuld vom Erwerb der beiden Eigentumswohnungen in Würzburg Abstand genommen hätte, und spricht auf dieser Grundlage der Klägerin die (fehlgeschlagenen) Aufwendungen für dieses Geschäft als Schadensersatz zu (Differenz zwischen dem Kaufpreis von 280.000 DM und dem späteren Verkaufserlös von 179.000 DM: 101.000 DM plus 3.152,03 DM Vertragskosten plus 5.600 DM Grunderwerbsteuer plus 1.951 DM Notar- und Grundbuchkosten, abzüglich 35.680 DM Mieteinnahmen = 76.023,03 DM). Soweit der Beklagte geltend mache, die Klägerin hätte die beiden Grundstücke auch bei Offenlegung der Grundschuld gekauft, trage er als Schädiger die Beweislast „dafür, daß der Schaden auch bei einem rechtmäßigen Verhalten seinerseits eingetreten wäre”.
a) Die hiergegen gerichtete Rüge der Revision ist im Ergebnis unbegründet. Die Revision hat zwar darin Recht, daß es im vorliegenden Zusammenhang – anders als es im Urteil des Berufungsgerichts anklingt – nicht um Fragen des sogenannten rechtmäßigen Alternativverhaltens (vgl. Palandt/Heinrichs BGB 61. Aufl. Vorbem. vor § 249 Rn. 105 ff), sondern um den grundsätzlich vom Geschädigten darzulegenden haftungsausfüllenden Ursachenzusammenhang geht (vgl. BGH, Urteile vom 21. November 1996 – IX ZR 220/95 – NJW-RR 1997, 562 und vom 13. April 2000 – IX ZR 432/98 – NJW 2000, 2110). Indessen spricht im Streitfall angesichts dessen, daß der Verkäufer der Eigentumswohnungen, J. F. , nach seinen Vermögensverhältnissen außerstande war, die auf dem Kaufgegenstand lastende Grundschuld zu beseitigen, zumindest eine tatsächliche Vermutung für die Richtigkeit des Vortrags der Klägerin, bei Offenlegung der Grundschuld den Kaufvertrag nicht abgeschlossen zu haben. Der Beklagte hat nichts entgegengesetzt, was diesen Vortrag entkräften könnte.
Soweit die Revision in diesem Zusammenhang rügt, das Berufungsgericht habe hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast seine Hinweispflicht nach §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO a.F. verletzt, braucht darauf im Revisionsverfahren schon deshalb nicht näher eingegangen zu werden, weil das angefochtene Urteil ohnehin der Aufhebung unterliegt (siehe unten II.), so daß der Beklagte Gelegenheit hat, im erneuten Berufungsverfahren sein Vorbringen zu ergänzen.
b) Ohne Erfolg beanstandet die Revision auch, daß das Berufungsgericht es abgelehnt hat, vom Schaden der Klägerin einen Betrag von 80.000 DM (Teil des Kaufpreises von 280.000 DM für die gekauften beiden Eigentumswohnungen) abzusetzen, der aufgrund einer Abtretung des Verkäufers, J. F. , an die Ehefrau des Geschäftsführers der Klägerin überwiesen wurde. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat bereits im ersten Revisionsurteil ausgesprochen, daß dieser Vorgang nicht ohne weiteres den Schluß darauf zulasse, die Klägerin habe im wirtschaftlichen Ergebnis nur 200.000 DM gezahlt. Dem widerspricht die Revision nicht.
Sie meint jedoch, da die Ehefrau des Geschäftsführers der Klägerin den Betrag von 80.000 DM vom Verkäufer „ohne den Kaufvertragsabschluß nicht erhalten hätte”, läge darin – bei Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin – ein mit dem schädigenden Ereignis ursächlich verknüpfter Vermögensvorteil einer der Klägerin nahestehenden Person, die die Klägerin sich anrechnen lassen müsse. Dem folgt der Senat nicht. Zweifelhaft ist schon, ob der vorliegende Sachverhalt ausreicht, um einen für die Vorteilsausgleichung maßgeblichen „Vorteil” der Adressatin der 80.000 DM anzunehmen; der Beklagte behauptet nicht, daß die Ehefrau des Geschäftsführers der Klägerin keinen fälligen Zahlungsanspruch gegen J. F. in dieser Höhe hatte. Jedenfalls haben bei der Vorteilsausgleichung Vorteile, die bei Dritten entstehen, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Das mag im Einzelfall unbillig sein und ausnahmsweise zu einer Anrechnung führen, wenn das schädigende Ereignis darin besteht, daß ein Vermögensgegenstand nicht dem Geschädigten, sondern einer ihm nahestehenden Person zufließt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 1979 – VI ZR 212/77 – NJW 1979, 2033; MünchKomm/Oetker BGB 4. Aufl. 249 Rn. 225). Dafür reicht jedoch die bloße Tatsache der Zahlung eines Teils des von einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung geschuldeten Kaufpreises aufgrund einer Abtretung des Verkäufers an die Ehefrau des Geschäftsführers dieser Gesellschaft nicht aus.
II.
Mit Erfolg wendet sich die Revision jedoch gegen die Behandlung der Frage eines Mitverschuldens der Klägerin bei der Entstehung und Entwicklung des Schadens (§ 254 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 BGB) durch das Berufungsgericht.
1. Der Schaden der Klägerin aufgrund der Amtspflichtverletzung des Beklagten bei dem Kaufvertrag vom 23. Oktober 1992 wäre vermieden worden, wenn die Verträge vom 14. Dezember 1994 zur Durchführung gekommen wären, durch die die Klägerin die beiden gekauften Eigentumswohnungen für je 160.000 DM an die LV-Vermögensverwaltung GmbH & Co. KG (im folgenden: LVG) weiterverkaufte.
a) In § 3 C dieser Kaufverträge heißt es:
„Insbesondere verpflichtet sich der Verkäufer auch, dafür zu sorgen, daß die Gesamtgrundschuld Abt. III Nr. 2 (die streitgegenständliche Grundschuld) gelöscht wird. Sollte der Verkäufer dem Käufer nicht bis spätestens zum Ablauf des 29.12.1994 nachgewiesen haben, daß ihm, der amtierenden Notarin, … (dem Beklagten) oder dem Grundbuchamt Würzburg die Löschungsbewilligung hinsichtlich der Grundschuld Abteilung III Nr. 2 verfügungsfrei vorliegt, so ist der Käufer danach jederzeit berechtigt, ohne Abmahnung durch einfache schriftliche Erklärung an die amtierende Notarin von diesem Kaufvertrag zurückzutreten; Telefax genügt der Schriftform. Das Rücktrittsrecht besteht nur, solange der Rücktrittsgrund andauert ..”.
b) Im ersten Revisionsurteil des IX. Zivilsenats vom 9. November 2000 ist hierzu ausgeführt:
„Nach dem – bislang, soweit ersichtlich, unbestritten gebliebenen – Vortrag des Beklagten wurde er von der Klägerin nicht über den genauen Inhalt der beiden am 14. Dezember 1994 beurkundeten Kaufverträge unterrichtet. Insbesondere hatte er von der knapp bemessenen Rücktrittsfrist keine Kenntnis. Den Zeitpunkt des Fristablaufs durfte die Klägerin dem Beklagten nicht vorenthalten. Zwar hatten ihre Anwälte ihm unter dem 28. November 1994 geschrieben, die Klägerin werde die Immobilien bis spätestens 15. Dezember 1994 veräußern. Gleichzeitig hatten sie angekündigt, dem Käufer werde ein Rücktrittsrecht für den Fall eingeräumt werden, daß der Erwerb nicht lastenfrei erfolgen könne. Die Länge der Frist, innerhalb deren das Rücktrittsrecht auszuüben war, hatten sie aber nicht mitgeteilt. Es bestand deshalb die Gefahr, daß der Beklagte die Freistellung der Immobilien von der Grundschuld nicht fristgemäß bewirkte, obwohl ihm dies grundsätzlich möglich gewesen wäre. Daß der Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 8. Dezember 1994 in Aussicht gestellt hatte, die Abwicklung werde noch in diesem Jahr erfolgen, durfte die Klägerin nicht zum Anlaß nehmen, dem Beklagten zu verschweigen, daß die von ihr mit dem Erwerber vereinbarte Frist bereits am 29. Dezember 1994 ablaufe.
Erheblich ist ferner der – unbestritten gebliebene – Vortrag des Beklagten, seine Anwälte hätten mit Schreiben vom 27. Dezember 1994 den gegnerischen Anwälten mitgeteilt, die Löschungsbewilligung sei heute bei uns eingegangen. Man dürfe aber erst darüber verfügen, wenn die Abfindungszahlung, deren Überweisung sofort veranlaßt worden sei, bei der Grundpfandgläubigerin eingegangen sei. Sobald die Grundpfandgläubigerin den Eingang der Zahlung bestätige, werde die Löschungsbewilligung an die Anwälte der Klägerin weitergeleitet werden. Dies werde innerhalb weniger Tage der Fall sein. Dieses Schreiben ist am 29. Dezember 1994 bei den Anwälten der Klägerin eingegangen. In Anbetracht des Umstandes, daß der Beklagte und seine anwaltlichen Vertreter nicht wissen konnten, daß die Rücktrittsfrist an eben diesem Tage ablief, wären die Anwälte der Klägerin verpflichtet gewesen, die Gegenseite – telefonisch, durch Fax oder E-Mail – darauf aufmerksam zu machen, daß alles, was später erfolgte, zu spät sein würde. Eine solche Nachricht ist unterblieben. Wäre sie erfolgt, hätte die Zahlung möglicherweise – z.B. durch Blitz-Giro – beschleunigt werden können. Wäre sie spätestens am 30. Dezember 1994 bei der Grundpfandgläubigerin eingegangen und hätte der Beklagte daraufhin der LVG noch an diesem Tage – vor Absendung des Telefax – bestätigt, daß ihm die Löschungsbewilligung verfügungsfrei vorliege, wäre die Ausübung des Rücktrittsrechts bereits ausgeschlossen gewesen (§ 3 C Abs. 1 Satz 3 der Kaufverträge).”
2. a) Hierzu führt das Berufungsgericht nunmehr aus: Ein Mitverschulden auf seiten der Klägerin sei vom Beklagten nicht dargetan. Dieser trage nur vor, wenn die Klägerin ihn genauestens über die Bestimmungen des mit der LVG abgeschlossenen Kaufvertrags, insbesondere auch über den Ablauftermin des Rücktrittsrechts, informiert hätte, wäre die Abwicklung seinerseits beschleunigt erfolgt, was unschwer möglich gewesen wäre, z.B. durch Blitz-Überweisung, Eilbriefe, Faxe oder ähnliche Beschleunigungsmittel. Der Beklagte behaupte aber gar nicht, daß bei einer solchen beschleunigten Abwicklung der Rücktritt der LVG vermieden worden wäre. Insoweit käme es auch gemäß § 3 C der Kaufverträge vom 14. Dezember 1994 auf das Datum des 29. und nicht auf das des 30. Dezember 1994 an (Hinweis auf Satz 1 und Satz 2 der Regelung). Der Beklagte hätte also vortragen müssen, die Vorlage der verfügungsfreien Löschungsbewilligung hinsichtlich der betreffenden Grundschuld wäre ihm bis zum Ablauf des 29. Dezember 1994 möglich gewesen.
b) Diese Ausführungen tragen, wie die Revision mit Recht rügt, die Verwerfung des Mitverschuldenseinwands nicht, weil sie die Regelung in § 3 C Satz 3 der Kaufverträge vom 14. Dezember 1994 übergehen, wonach das Rücktrittsrecht der Käuferin nur so lange bestand, als der Rücktrittsgrund andauerte, der Rücktritt mithin bis zu seiner Ausübung (also bis zum Telefax der LVG vom 30. Dezember 1994, 15.10 Uhr) durch Nachweis des Vorliegens der Löschungsbewilligung hinsichtlich der Grundschuld vermieden werden konnte.
3. Der Fehler des Berufungsgerichts nötigt zur Aufhebung seines Urteils, soweit es zum Nachteil des Beklagten erkannt hat. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß bei richtiger Sicht der Vertragslage (§ 3 C S. 1-3 des Vertrages vom 14. Dezember 1994) das bisherige – und gegebenenfalls bei zutreffender Erörterung dieses Punktes in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ergänzte – Vorbringen des Beklagten zu einer anderen Würdigung der Mitverschuldensfrage durch das Berufungsgericht geführt hätte.
Unterschriften
Rinne, Wurm, Streck, Schlick, Dörr
Fundstellen