Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. November 2002 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tat-einheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu fünf Jahren Freiheitsstrafe und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Nebenklägerin verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Staatsanwaltschaft und Nebenklägerin haben ihre Revisionen vor Beginn der Hauptverhandlung zurückgenommen.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte vergewaltigte die Nebenklägerin anläßlich einer Besichtigung ihrer Wohnung, an welcher er Interesse als Nachmieter vorgegeben hatte: Er drückte die Frau auf eine Matratze, entkleidete sie und führte mit ihr gegen ihren Willen gewaltsam den Geschlechtsverkehr aus. Die erhebliche Intensität des lange andauernden Sexualakts führte zu massiven Unterleibsverletzungen der Nebenklägerin. Der Angeklagte hatte ihre Verletzung zu Beginn des Geschlechtsverkehrs bewußt in Kauf genommen. Er ließ sich von dessen weiterer Durchführung auch nicht dadurch abbringen, daß die vor Schmerzen schreiende Frau stark blutete und sich mehrfach übergeben mußte.
Nach am ersten Hauptverhandlungstag begonnener Zeugenvernehmung der Nebenklägerin hat der Angeklagte den Tathergang am zweiten Hauptverhandlungstag gestanden; dem war im Rahmen einer Absprache zur Verfahrensbeendigung die Zusage einer Strafobergrenze von fünf Jahren Freiheitsstrafe durch die Strafkammer vorausgegangen. Vor Beginn der Zeugenvernehmung der Nebenklägerin am ersten Hauptverhandlungstag war der Angeklagte auf den Vorschlag einer Verständigung, wonach ihm für den Fall der Vermeidung einer Zeugenvernehmung der Nebenklägerin eine Strafobergrenze von vier Jahren Freiheitsstrafe zugesichert werden sollte, noch nicht eingegangen. Er hatte sich zunächst dahin eingelassen, die Nebenklägerin habe freiwillig mit ihm sexuell verkehrt; ihre Verletzungen habe er versehentlich verursacht.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Angeklagten ist ungeachtet seiner Zustimmung zur einverständlichen Sacherledigung nicht etwa insgesamt unzulässig (vgl. BGHSt 43, 195; 45, 227), indes unbegründet.
1. Die Verfahrensrügen versagen. Dabei bedarf die Frage keiner Vertiefung, ob aus der Mitwirkung des Angeklagten an der Verfahrensabsprache durchgreifende Zweifel an der Statthaftigkeit einzelner Rügen hergeleitet werden könnten.
a) Die Rüge aus § 338 Nr. 5 StPO scheitert an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Revision hat es unterlassen, den Antrag der Vertreterin der Nebenklägerin auf vorübergehende Entfernung des Angeklagten nach § 247 StPO und das darin in Bezug genommene ärztliche Attest vollständig vorzutragen. Deren Kenntnis wäre für eine umfassende Beurteilung der – im übrigen, soweit sonst ersichtlich, rechtsfehlerfrei angenommenen – Voraussetzungen des § 247 Satz 2 StPO unerläßlich. Zudem verschweigt die Revision, die insbesondere die Zurückweisung von Einwänden der Verteidigung am zweiten Verhandlungstag gegen die fortdauernde Anwendung des § 247 StPO beanstandet, daß es zu einer solchen Verfahrensweise anschließend – mangels Fortsetzung der Zeugenvernehmung der Nebenklägerin nach dem Geständnis des Angeklagten – gar nicht mehr gekommen ist.
b) Die Rüge aus § 338 Nr. 6 StPO scheitert insgesamt an § 171b Abs. 3 GVG, § 336 Satz 2 StPO. Außerdem beanstandet die Revision auch insoweit insbesondere die Zurückweisung der gegen den Öffentlichkeitsausschluß erhobenen Einwände der Verteidigung am zweiten Verhandlungstag, verschweigt indes, daß die Öffentlichkeit danach gar nicht mehr ausgeschlossen worden ist, da die Zeugenvernehmung der Nebenklägerin anschließend nicht fortgesetzt wurde.
c) Die Verständigungspraxis der Strafkammer steht im Einklang mit den Grundsätzen von BGHSt 43, 195, 207 f. Sie erweist sich in Verfahren der hier vorliegenden Art als besonders sachgerecht, in denen ein hinreichendes Geständnis des Angeklagten der durch ein gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerichtetes Gewaltverbrechen Geschädigten eine stark belastende Aussage ersparen soll. Die gegen die Verfahrensweise der Strafkammer vorgebrachten, auf Verletzung des § 261 StPO gestützten Einwände der Revision sind haltlos (vgl. auch BGH NStZ 1999, 571, 572).
d) Nach dem Geständnis des Angeklagten war die Strafkammer nach § 244 Abs. 2 StPO ersichtlich nicht mehr gehalten, die von der Verteidigung beantragten Beweise zu erheben; der zuvor gefaßte gegenteilige Beschluß war durch die veränderte Verfahrenssituation prozessual überholt. Dem veränderten Prozeßverhalten von Angeklagtem und Verteidigern war schlüssig der Verzicht auf die am ersten Verhandlungstag gestellten Beweisanträge zu entnehmen.
2. Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch sind frei von sachlichrechtlichen Fehlern zum Nachteil des Angeklagten. Die – in den Einzelheiten nicht einmal erheblichen – Feststellungen zur Tatdauer widerstreiten keinem Erfahrungssatz. Die erheblichen Tatfolgen für die Nebenklägerin waren selbstverständlich strafschärfend zu berücksichtigen. Die ersichtlich unter der Schwelle des § 21 StGB liegende alkoholische Beeinträchtigung des Angeklagten wurde strafmildernd bewertet (UA S. 11). Die verletzende Art der Befragung der Nebenklägerin durch die Verteidigung hat die Strafkammer ausdrücklich nicht strafschärfend gewertet (UA S. 13); aus der nicht zu beanstandenden Begründung der Strafzumessung kann Gegenteiliges nicht hergeleitet werden. Daß die Strafkammer am ersten Verhandlungstag eine niedrigere Strafobergrenze in Aussicht gestellt hatte, war fraglos sachgerecht, da zu diesem Zeitpunkt noch die Chance bestand, der Nebenklägerin die Zeugenvernehmung gänzlich zu ersparen; damit wäre ein erheblich gewichtigerer Strafmilderungsgrund zum Tragen gekommen.
III.
Obgleich die Voraussetzungen des – von Landgericht und Staatsanwaltschaft in erster Instanz ersichtlich übersehenen – Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 4 Nr. 2 lit. a StGB nach den Urteilsfeststellungen erfüllt sind, sieht sich der Senat hier zu einer entsprechenden Schuldspruchänderung zum Nachteil des Angeklagten (vgl. BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 4), der das Verschlechterungsverbot nicht entgegenstünde (vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 358 Rdn. 18), nach der in der Hauptverhandlung erster Instanz gefundenen Verständigung nicht veranlaßt.
Es ist nicht angezeigt, den Angeklagten entgegen § 473 Abs. 1 Satz 2 StPO von den notwendigen Auslagen der Nebenklägerin im Blick auf die von dieser ursprünglich selbst auch eingelegten Revision freizustellen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 473 Rdn. 11), da die Nebenklägerin ihr Rechtsmittel mehr als eine Woche vor Beginn der Hauptverhandlung zurückgenommen hat.
Unterschriften
Basdorf, Gerhardt, Raum, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2559226 |
StraFo 2003, 384 |
www.judicialis.de 2003 |