Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 31.07.2003) |
Tenor
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 31. Juli 2003, soweit es die Angeklagten M. K. und S. K. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat die Angeklagten M. K. und S.
K. der Beihilfe zum Totschlag für schuldig befunden, die Angeklagte M.
K. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten S. K. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Den Mitangeklagten T. E. hat es wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision der Nebenkläger betreffen die Angeklagten M. und S. K.. Die Staatsanwaltschaft sieht einen Rechtsfehler des Urteils darin, daß diese Angeklagten wegen Beihilfe zum Totschlag und nicht wegen Beihilfe zum Mord – unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB – verurteilt worden sind. Die Nebenkläger halten die Verurteilung dieser Angeklagten wegen Beihilfe zum Totschlag für fehlerhaft und erstreben ihre Verurteilung wegen in Mittäterschaft begangenen Mordes.
Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben mit der Sachrüge Erfolg. Auf die von den Nebenklägern erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht an.
I.
Das Landgericht hat im wesentlichen folgendes festgestellt:
Die Angeklagte M. K. ist die Tochter des Mitangeklagten S. K.. Sie ist in Deutschland geboren und hat hier eine Ausbildung als Arzthelferin absolviert. Im Sommer 2001 hatte sie den Mitangeklagten T. E. in der Türkei kennengelernt und sich mit ihm Ende 2001 verlobt. Vor ihrer Bekanntschaft mit T. E. hatte sie ohne Wissen ihrer Eltern u. a. eine – auch intime – Beziehung mit dem späteren Tatopfer V. Kü. unterhalten. Als T. E. davon im Januar 2002 erfuhr, wollte er zunächst die Verlobung lösen. In der Folge versöhnte er sich wieder mit M. K.. Er war jedoch sehr eifersüchtig und befragte sie immer wieder intensiv nach ihren Beziehungen zu V. Kü., beschimpfte und schlug sie. Sie erklärte T. E.
wahrheitswidrig, daß V. Kü. sie vergewaltigt habe. Die Beziehung zu V. Kü. hatte sie bis zuletzt nicht vollständig abgebrochen. Spätestens am Abend des 24. Mai 2002 beschloß T. E., das spätere Tatopfer V. Kü.
„fertigzumachen”, d. h. ihn soweit zu bringen, daß er für immer aus dem Leben der M. K. verschwände. M. K. sollte V. Kü.
deshalb an einen ungestörten Ort locken. Ob T. E. zu diesem Zeitpunkt bereits die Tötung des V. Kü. plante, hat sich nicht feststellen lassen, er beabsichtigte jedoch eine Schußwaffe mitzunehmen und teilte dies auch M. K. mit. Noch in der Nacht wurde auch S. K. in diesen Plan eingeweiht. Auf Aufforderung des T. E. bergab ihm dieser 200 Euro zum Erwerb einer Waffe, die T. E. sodann im Beisein der M. K. in F. besorgte. Zwischenzeitlich war es zu Anrufen und zum Austausch von SMS zwischen M. K. und V. Kü. gekommen. Gegen 5.00 Uhr holte M. K. das spätere Tatopfer, das sich aufgrund der vorangegangenen Kontakte Hoffnung auf einen intimen Verkehr mit ihr noch in jener Nacht machte, mit dem Fahrzeug ihres Vaters ab. T. E. hatte sich in dem Kofferraum versteckt, wobei die Rückbank entriegelt war und sich jederzeit umklappen ließ. V. Kü. setzte sich auf den Beifahrersitz, ohne T. E. zu bemerken. S. K. folgte mit dem Fahrzeug seiner Tochter seinem von M. K. gesteuerten Wagen. Sowohl M.
K. als auch S. K. waren bereit, V. Kü. an einen einsamen Ort zu verbringen, um ihn dort T. E. zu überlassen. Daß das Treffen für V. Kü. tödlich enden könnte, nahmen sie billigend in Kauf, auch wenn ihnen ein solcher Ausgang unwillkommen war.
Während der Fahrt tauschte M. K. mit dem im Kofferraum befindlichen T. E. SMS aus. Als ihr Handy herunterfiel, hielt sie auf dem Gelände einer Tankstelle, um es aufzuheben. T. E., in dem Glauben, die einsame Stelle sei erreicht, stieg daraufhin aus dem Kofferraum in den Fahrzeugraum. Als V. Kü. dies bemerkte, versuchte er zu fliehen. Da T. E. befürchtete, daß V. Kü. in diesem Fall für ihn nicht mehr erreichbar wäre, schoß er V. Kü. mit Tötungsabsicht durch die rechte hintere Seitenscheibe des Autos von hinten in den Kopf. M. K. schrie auf, zog aber den mit dem Oberkörper aus dem Fahrzeug lehnenden V. Kü. wieder in das Fahrzeug und fuhr davon. S. K., der in der Nähe gehalten hatte, folgte ihr. Nach kurzer Beratung fuhren sie in ein Waldstück, wo der tödlich verletzte V. Kü. abgelegt wurde und kurze Zeit später verstarb.
Das Landgericht hat das Geschehen für den Mitangeklagten T. E. als Mord aus niedrigen Beweggründen gewertet. Ihm sei klar gewesen, daß dessen Beziehung zu M. K. noch nicht endgültig beendet gewesen sei. Er habe V. Kü. als Konkurrenten angesehen, der aus dem Leben der M. K. habe verschwinden müssen. Die Ehe mit M. K. sei für ihn lebenswichtig gewesen, weil nur sie ihm eine wirtschaftliche Lebensgrundlage in Deutschland ermöglichte. Als V. Kü. ihn im Auto bemerkt habe und fliehen wollte, habe er sein Ziel nur noch durch dessen Tötung erreichen können.
Entscheidungsgründe
II.
Die Wertung des Landgerichts, die Angeklagten M. K. und S. K. hätten sich lediglich der Beihilfe zum Totschlag schuldig gemacht, begegnet in zweifacher Hinsicht durchgreifenden Bedenken.
1. Das Landgericht hat – wie die Staatsanwaltschaft zu Recht rügt – verkannt, daß nach ständiger Rechtsprechung Mord und Totschlag als selbständige Tatbestände anzusehen sind, die nicht im Verhältnis von Grundtatbestand und Qualifikationstatbestand stehen (BGHSt 1, 368, 370, 371; 22, 375, 377, 378). Der Gehilfe eines Mordes, der selbst ein täterbezogenes, die Strafbarkeit des Haupttäters nach § 211 StGB begründendes Mordmerkmal nicht verwirklicht, jedoch erkennt, daß dieses beim Haupttäter vorliegt, ist deshalb wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen, wobei das Fehlen strafbegründender besonderer persönlicher Merkmale beim Gehilfen zur Anwendung des § 28 Abs. 1
StGB führt. Niedrige Beweggründe, von deren Vorliegen das Landgericht bei dem Haupttäter T. E. ausgeht, sind täterbezogene Merkmale, welche die Strafbarkeit begründen (vgl. BGHSt 22, 375, 378; BGH StV 1984, 69).
Die Verurteilung der Angeklagten M. K. und S. K. wegen Beihilfe zum Totschlag kann danach schon aus diesem Grunde keinen Bestand haben. Soweit auf der Grundlage der Wertung als Beihilfe zum Mord der doppelt gemilderte Strafrahmen in Betracht kommt, wird auf die Ausführungen des Senats zu den Revisionen der Angeklagten M. K. und S. K. verwiesen, die der Senat durch Beschluß vom heutigen Tage nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen hat.
2. Aber auch die Begründung des Landgerichts, mit der es bei M. K. und S. K. eine mittäterschaftliche Tatbegehung ablehnt, ist nicht rechtsbedenkenfrei.
Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Täter begeht, ist in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfaßt sind, zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können sein der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so daß Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Betroffenen abhängen (st. Rspr.; BGHSt 37, 289, 291 m.w.N.; BGH StV 1998, 540; BGH, Beschl. vom 17. August 2004 – 5 StR 591/03). In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tatrichter einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Hat der Tatrichter die genannten Maßstäbe erkannt und den Sachverhalt vollständig gewürdigt, ist danach die tatrichterliche Beurteilung auch dann nicht zu beanstanden, wenn ein anderes
Ergebnis möglich gewesen wäre. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
a) Das Landgericht hat hinsichtlich der Angeklagten M. K.
ausgeführt, Mittäterschaft habe nicht vorgelegen. Zwar habe die Angeklagte einen erheblichen Tatbeitrag geleistet, denn sie habe das Tatopfer dazu gebracht, in das Fahrzeug zu steigen, in dem sich der Angeklagte T. E. versteckt hatte. Sie habe jedoch dem Angeklagten T. E. die Entscheidung überlassen, ob und wann er die Schußwaffe gegen V. Kü. einsetze. Nachdem V. Kü. in das Fahrzeug eingestiegen sei, habe es auch nicht in ihrer Macht gelegen, seine von ihr nicht gewünschte, wenn auch für möglich gehaltene und akzeptierte Tötung zu verhindern. Sie habe deshalb weder Tatherrschaft noch subjektiven Täterwillen gehabt.
Diese Ausführungen berücksichtigen nicht, daß die Angeklagte mehrere Möglichkeiten gehabt hätte, um die Tat zu verhindern. Abgesehen davon, daß das Tatopfer nur durch ihre Mitwirkung in das Fahrzeug gelockt werden konnte, hätte sie V. Kü., selbst nachdem er eingestiegen war, noch warnen und ihm die Flucht ermöglichen können.
Aber auch soweit das Landgericht ein eigenes Tatinteresse der Angeklagten abgelehnt hat, trifft dies auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht zu. Die Angeklagte erhoffte sich von dem Ergebnis der von allen Angeklagten geplanten Auseinandersetzung mit V. Kü. die endgültige Lösung dieser Beziehung, die für T. E. ein dauernder Stein des Anstoßes war und die er ihr ständig vorwarf. Da ihr dieses Ziel wichtiger war als das Leben des V. Kü., hatte sie ein eigenes Tatinteresse. Daß ihr der Tod des V. Kü. an sich unerwünscht war und sie eine andere Lösung vorgezogen hätte, steht dem nicht entgegen (vgl. auch BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatinteresse 5).
b) Gleiches gilt auch für die Verneinung eines eigenen Tatinteresses bei dem Angeklagten S. K.. Auch er erhoffte sich eine Lösung der familiären Probleme und nahm die ihm an sich unerwünschte Tötung des V.
Kü. zur Erreichung dieses Ziels in Kauf. Soweit das Landgericht im übrigen ausgeführt hat, daß sich sein Tatbeitrag darin erschöpft habe, T. E. bei der geplanten Auseinandersetzung Beistand zu leisten und deshalb mit dem Fahrzeug hinterher zu fahren, hat es nicht berücksichtigt, daß der Angeklagte dem Mitangeklagten T. E. in der Tatnacht 200 Euro zum Kauf einer Waffe gegeben und damit ebenfalls einen gewichtigen Tatbeitrag geleistet hat.
In die gebotene umfassende Würdigung des Sachverhalts hätte das Landgericht diese Gesichtspunkte, auch wenn sie nur indizielle Bedeutung haben, einbeziehen müssen. Das Urteil kann daher, soweit es die Angeklagten M. K. und S. K. betrifft, keinen Bestand haben.
3. Der neue Tatrichter wird auf der Grundlage seiner Feststellungen zu würdigen haben, ob auch bei diesen Angeklagten unter Berücksichtigung ihres eigenen Tatinteresses von niedrigen Beweggründen auszugehen ist. Angesichts der Tatsache, daß das Tatopfer in eine Falle gelockt wurde, ist auch die Annahme einer heimtückischen Begehungsweise nicht fernliegend (BGHSt 22, 77 f.).
Unterschriften
Bode, Detter, Otten, Rothfuß, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2557723 |
JA 2005, 412 |