Leitsatz (amtlich)
Eine nach Aufhebung der „Anordnung Nr. 2” am 14. November 1989 erfolgte staatliche Treuhand-Verwaltung über Vermögenswerte von Bürgern, die die DDR ohne Genehmigung verlassen hatten, steht der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche nicht entgegen.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 1 Buchst. c, § 4 Abs. 2; BGB § 985
Verfahrensgang
OLG Naumburg |
LG Halle (Saale) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 26. Februar 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger waren in ehelicher Vermögensgemeinschaft im Grundbuch von D. als Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks eingetragen. Der Kläger zu 2 verließ im Jahre 1988 ohne Genehmigung die DDR. Mit notariellem Vertrag vom 24. November 1989 verkauften die Klägerin zu 1 und R. S. „als Bereichsleiterin für den Rat der Stadt H. … in Vertretung für W. R.” (scil. Kläger zu 2) das Grundstück an die Eheleute K.. Auf Antrag des „Rats der Stadt H.” vom 7. Juni 1990 bestellte dieser sich mit Urkunde vom 18. Juni 1990, rückwirkend zum 1. November 1989, aufgrund der Anordnung Nr. 2 über die Behandlung des Vermögens von Personen, die die DDR nach dem 10. Juni 1953 verlassen, vom 20. August 1958 (GBl. I S. 664) zum Treuhänder über den „Miteigentumsanteil zu 1/2” des Klägers zu 2 an dem Grundstück. Am 20. Juni 1990 wurden die Eheleute K. als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen.
Die Kläger haben die Eheleute auf Übereignung des Grundstücks, später auf Grundbuchberichtigung sowie auf Räumung und Herausgabe in Anspruch genommen. Hierbei wurden sie von dem Beklagten in erster Instanz als Prozeßbevollmächtigtem, in zweiter Instanz als Verkehrsanwalt vertreten. Dieser hatte auftragsgemäß in die vom Amt zur Regelung offener Vermögensfragen beigezogenen Grundakten Einsicht genommen. Die Klage blieb erfolglos. Das Oberlandesgericht ging davon aus, daß der Rat der Stadt H. bei der Beurkundung des Kaufvertrags zum Treuhänder über das Vermögen des Klägers zu 2 bestellt war. Den wirklichen Zeitpunkt der Bestellung hatte der Beklagte nicht vorgetragen.
Die Kläger nehmen den Beklagten wegen schuldhafter Verletzung des Anwaltsvertrags auf Schadensersatz in Anspruch. Sie haben beantragt, ihn zur Zahlung von 15.387,11 DM nebst Zinsen (bereits aufgewandte Kosten des Vorprozesses) sowie zur Freistellung von den Gerichtskosten und von dem Vergütungsanspruch des zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten zu verurteilen, sowie festzustellen, daß der Beklagte zum Ersatz des weiteren Schadens verpflichtet ist, der dadurch entstanden ist, daß er im Vorprozeß den Vortrag unterlassen hat, der Rat der Stadt H. sei am 24. November 1989 nicht zum Treuhänder hinsichtlich des „Miteigentumsanteils” des Klägers zu 2 bestellt gewesen. Die Klage ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben.
Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht stellt, unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Urteils erster Instanz, fest, daß sich die Bestallungsurkunde vom 18. Juni 1990 bei den von dem Beklagten eingesehenen Akten befunden habe. Wie dieses ist es der Auffassung, daß der Rechtsstreit mit den Käufern einen anderen Ausgang genommen hätte, wenn der Beklagte den Zeitpunkt, zu dem die Urkunden ausgestellt wurden, vor Gericht vorgetragen hätte. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz verneint es aber die Ursächlichkeit der Unterlassung für den entstandenen Schaden, da nach der nunmehrigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 130, 231) für die gegen die Käufer erhobenen Ansprüche der Rechtsweg zu den Zivilgerichten verschlossen sei. Die Kläger seien auf die Geltendmachung des Rückübertragungsanspruchs wegen Veräußerung eines Vermögenswertes durch den staatlichen Verwalter an Dritte (§ 1 Abs. 1 Buchst. c VermG) verwiesen gewesen.
Dies hält den Angriffen der Revision nicht stand.
II.
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG nicht vor.
a) Bei Beurkundung des Kaufvertrags mit den Eheleuten K. bestand keine Grundlage mehr für die Verhängung der Treuhandverwaltung über Vermögenswerte des Klägers zu 2. Die Anordnung Nr. 2 war durch § 3 der Anordnung zur Regelung von Vermögensfragen vom 11. November 1989 (GBl I S. 247) mit Wirkung vom 14. November 1989 außer Kraft gesetzt worden. Dies verkennt das Berufungsgericht zwar nicht, meint aber, entscheidend sei, daß zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers zu 2 aus der DDR eine staatliche Verwaltung auf der Grundlage der Anordnung Nr. 2 möglich und der Rat der Stadt ein tauglicher Verwalter gewesen sei. Allein die Möglichkeit, daß der Vermögenswert des Klägers zu 2 in staatliche Verwaltung genommen werden konnte, reicht indessen nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 130, 231) nicht aus (ebenso BVerwG, Buchholz 428 § 36 Nr. 1; Urt. v. 29. April 1999, 7 C 18.98). Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG könnte allenfalls dann als erfüllt angesehen werden, wenn man, was das Berufungsurteil nicht erörtert, bereits die am 7. November 1989 unter Bezugnahme auf die Anordnung Nr. 2 erfolgte Bevollmächtigung von R. S. zum Abschluß des Grundstückskaufvertrags als Treuhänderbestellung ansehen wollte. Dagegen konnten durch die in der Urkunde vom 18. Juni 1990 vorgenommene Rückdatierung der Treuhänderbestellung auf den 1. November 1989, also auf einen Zeitpunkt vor dem Außerkrafttreten der Anordnung Nr. 2, die Wirkungen der Verwaltung nicht mehr herbeigeführt werden. Sollte die Erklärung des seit 17. Mai 1990 (Inkrafttreten der Kommunalverfassung der DDR) nicht mehr bestehenden Rates der neu entstandenen Stadt H. überhaupt zuzurechnen sein (vgl. Art. 231 § 8 Abs. 2 EGBGB), so ging sie inhaltlich ins Leere.
b) Die vermögensrechtlichen Wirkungen der Vollmachtserteilung können im Ergebnis offen bleiben, denn das Berufungsgericht läßt weiterhin unberücksichtigt, daß der Restitutionstatbestand nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht bereits mit der Veräußerung des Vermögenswertes als solcher erfüllt ist. Die Veräußerung führt das durch die Anordnung der Verwaltung begonnene Unrecht fort (vgl. Senat BGHZ 130, 231, 241) und vertieft dieses. Der Restitutionstatbestand setzt daher ein eigenständiges Handeln des staatlichen Verwalters voraus, das auf den Entzug des Eigentums an dem Vermögenswert gerichtet sein muß. Kein Vermögensunrecht liegt vor, wenn der Verwalter an einem Veräußerungsgeschäft, das rechtlich ohne seine Teilnahme nicht möglich war, nur mitgewirkt hat, ohne aber das Geschäft selbst zu betreiben (BVerwG ZIP 1996, 522; VIZ 1998, 147). Der Vortrag beider Parteien in den Tatsacheninstanzen ergibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Rat der Stadt H. den Verkauf betrieben, insbesondere sich im Sinne der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte „gewissermaßen des Eigentums (des Klägers zu 2) bemächtigt” hätte.
2. Im übrigen besteht kein Anlaß, dem Kläger die Berufung auf zivilrechtliche Mängel des Kaufvertrags wegen des Restitutionstatbestandes des § 1 Abs. 1 c VermG zu versagen. Der Vorrang des Vermögensgesetzes ist nach der Rechtsprechung des Senats um des sozialverträglichen Ausgleichs zwischen dem Rückerstattungsinteresse des Berechtigten und dem Schutz des redlichen Erwerbs willen gerechtfertigt, der in der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juli 1990 (Anlage III des Einigungsvertrags) angelegt ist und in § 4 Abs. 2 und 3 VermG seinen gesetzlichen Ausdruck gefunden hat (BGHZ 118, 34, 38 ff). Derjenige, der im Sinne dieser Vorschrift einen Vermögenswert redlich erworben hat, genießt nicht nur gegenüber dem Rückerstattungsanspruch selbst, sondern auch gegenüber Ansprüchen des Berechtigten Schutz, die darauf zurückzuführen sind, daß die Schädigungshandlung, über ihren Unrechtsgehalt hinaus, auch noch an einem zivilrechtlichen Mangel leidet. Dieser besondere Schutz findet aber dort seine Grenzen, wo der fehlerhafte Erwerb auch im System des funktionierenden Sozialismus keinen Bestand gehabt hätte. In solchen Fällen ist der Erwerb mit dem allgemeinen Verkehrsrisiko belastet, das derjenige, der seinen Erwerb auf eine Unrechtshandlung zurückführt, mit jedem anderen teilt, der am Rechtsverkehr in der DDR teilgenommen hatte (BGHZ 120, 204). Zivilrechtlich unbeachtlich bleiben damit nur Mängel, die wegen ihres Zusammenhangs mit dem Unrecht oder, weil sie typischer Weise hierbei aufgetreten sind, den Bestand des Erwerbs nicht gefährdet hätten (BGHZ 130, 231). Als zeitliche Grenze für das auf diese Umstände gestützte Vertrauen des Erwerbers hat der Senat allgemein den „Umbruch im Herbst 1989” angesehen (BGHZ 118, 34, 40). Das Vermögensgesetz in seiner ursprünglichen Fassung setzte mit dem 18. Oktober 1989, dem Rücktritt Honneckers, einen Stichtag, denn nach diesem Zeitpunkt war ein redlicher Erwerb von Grundstücken oder Gebäuden ausgeschlossen. Hiervon kann nach der Ergänzung der Vorschrift durch das 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14. Juli 1992 (GBl. I S. 1257), insbesondere der Einbeziehung des Erwerbs auf der Grundlage des Verkaufsgesetzes vom 7. März 1990 (GBl. I S. 157) in den sozialverträglichen Ausgleich (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. b VermG), nicht mehr allgemein ausgegangen werden. Andererseits bietet die zeitliche Öffnung des redlichen Erwerbs keinen Anlaß, Geschäftsmängel, die zufolge des Umbruchs der Verhältnisse ab Herbst 1989 zwischenzeitlich zum allgemeinen Verkehrsrisiko in der DDR zählten, von der Beachtung durch das Zivilrecht auszuschließen. Dies würde verkennen, daß der redliche Erwerb in erster Linie dazu dient, der Rückgängigmachung wirksamer Unrechtsgeschäfte, die das Vermögensgesetz erst ermöglicht, sozialverträgliche Grenzen zu setzen. Es ist vielmehr darauf abzustellen, ob der aufgetretene Mangel unter den neuen tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen den Erwerb erschüttert hätte. Dies ist bei der Bestellung eines staatlichen Verwalters wegen ungenehmigten Verlassens der DDR nach der Aufhebung der Anordnung Nr. 2 der Fall. Die Abkehr von der Vermögensrepressalie war rechtlich Ausdruck der gesellschaftlichen Veränderungen, die sich im Zuge des Sturzes der Regierung Honnecker und der Öffnung der DDR-Grenzen am 9. November 1989 vollzogen hatten. Der gerichtlichen Durchsetzung der Mangelfolgen stand kein die Rechtswirklichkeit beherrschendes Staatsinteresse an der Aufrechterhaltung der rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage im Wege. Diese Sicht liegt auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde, das die Nichtbeteiligung des Westeigentümers am Enteignungsverfahren (vgl. Senat BGHZ 129, 112) in der Zeit nach dem 18. Oktober 1989 – anders als in der Zeit davor (VIZ 1997, 160) – als einen den rechtlichen Erfolg der Enteignung hindernden Mangel ansieht. Auf die Darstellung der Einzelabschnitte im Umbau von Verfassung und Gesetz während der Endzeit der DDR in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. April 1999 (VIZ 1999, 523) wird Bezug genommen.
3. Mit dem Restitutionstatbestand des § 1 Abs. 3 VermG (unlautere Machenschaften) hat sich das Berufungsgericht zu Recht nicht näher befaßt. Daß der Kaufvertrag mit den Eheleuten K. ausreisebedingt, insbesondere darauf zurückzuführen gewesen wäre, daß die Klägerin zu 1 die DDR verlassen wollte, ist in den Tatsacheninstanzen nicht vorgetragen worden. Bei einer ausreisebedingten Veräußerung nach der Verkündung der Anordnung zur Regelung von Vermögensfragen im Gesetzblatt, am 23. November 1989, käme zudem nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, die Annahme einer unlauteren Machenschaft nur noch ausnahmsweise, nämlich bei Hinzutreten besonderer Umstände, für die hier nichts ersichtlich ist, in Betracht (BVerwGE 100, 310).
III.
Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif und daher zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO).
Aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts, die die Revision als ihr günstig hinnimmt, ist zwar von einer schuldhaften Verletzung der Anwaltspflichten des Beklagten auszugehen. Daß die bei den auftragsgemäß eingesehenen Akten befindliche Bestallungsurkunde nachträglich erstellt worden war, hätte dem Beklagten auffallen müssen. Daß zu diesem Zeitpunkt die Anordnung Nr. 2 nicht mehr in Kraft war, hätte dem Beklagten als Anwalt bekannt sein müssen. Schwierigere, durch die Rechtsprechung noch zu klärende Fragen der Überleitung des DDR-Rechts stehen insoweit nicht im Raume. Die Schadenspositionen, die den Zahlungs- und Befreiungsansprüchen zugrundeliegen, sind unstreitig. Der Feststellungsantrag hat den Schaden zum Gegenstand, der den Klägern bei einem negativen Ausgang des Restitutionsverfahrens um das streitige Grundstück entsteht. Auch er begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Der Beklagte hat sich aber den Vortrag der Eheleute K. im Vorprozeß zu eigen gemacht, im Urkundstermin vom 24. November 1989 habe eine notariell beurkundete Verkaufsvollmacht des Klägers zu 2 an die Klägerin zu 1 vorgelegen, diese sei zum Gegenstand der Verhandlung gemacht und von der Notarin vorgelesen worden. Trifft dies zu, kommt eine Genehmigung des vollmachtlosen Handelns von R. S. durch den Kläger zu 2, vertreten durch die Klägerin zu 1 (§ 59 ZGB), in Frage.
Unterschriften
Wenzel, Vogt, Tropf, Schneider, Lemke
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 14.01.2000 durch Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 556303 |
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
VIZ 2000, 289 |
WM 2000, 1105 |
ZAP-Ost 2000, 196 |
NJ 2000, 485 |
OVS 2000, 160 |