Entscheidungsstichwort (Thema)
Verurteilung Zug-um-Zug bei fehlerhafter Anlageberatung durch Steuerberater
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei fehlerhafter Anlageberatung durch einen Steuerberater kann der Anleger ggf. Schadenersatz in der Form der Erstattung sämtlicher Aufwendungen Zug um Zug gegen Übertragung des Anlageobjektes auf den Anlageberater verlangen.
2. Eine solche Schadensabwicklung kann im Einzelfall auch dann unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung zulässig sein, wenn die Anlage praktisch wertlos ist.
Normenkette
BGB §§ 249, 675; StBerG § 33
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 20.11.1987; Aktenzeichen 24 U 135/86) |
LG Dortmund (Urteil vom 24.04.1986; Aktenzeichen 2 O 651/85) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. November 1987 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Beklagte war bis zum Jahre 1985 Steuerberater des Klägers. Der Kläger verlangt von ihm Schadensersatz mit der Begründung, er habe ihn vor dem Kauf eines Abschreibungsobjektes unzureichend beraten.
Im Jahre 1974 hatte der Kläger mit einem Partner einen Schreinereibetrieb gegründet. Seit 1977 ist er Alleininhaber. Die steuerliche Beratung und die Buchführung des Unternehmens hatte ab Mai 1974 eine Steuerberatersozietät übernommen, der der Beklagte angehörte. Seit 1. September 1979 beriet er den Kläger allein. Die Bruttoeinkünfte des Klägers lagen in den Jahren 1979, 1981 und 1982 etwas über 100.000 DM jährlich, im Jahre 1983 etwas darunter. Im Jahre 1980 betrugen sie über 265.000 DM. Der Kläger suchte daher in diesem Jahr nach einer Möglichkeit, Steuern zu sparen. Er hatte bereits früher zwei Abschreibungsobjekte gekauft. Im Dezember 1980 entschloß sich der Kläger unter Mitwirkung des Beklagten zum Erwerb eines Grundstückes in Krefeld. Der Gesamtaufwand für dieses als Ersterwerbermodell gestaltete Objekt belief sich auf 727.610 DM zuzüglich eines Eigenanteils von 72.261 DM und Beratungs- und Vermittlungsgebühren in Höhe von 24.496,50 DM. Der Erwerb wurde durch Kredite der Westdeutschen Landesbank finanziert. Die Aufwendungen für das Grundstück überstiegen die Einnahmen erheblich. Die Verluste summierten sich bis zum Jahr 1986 auf über 340.000 DM und steigen jährlich weiter an.
Der Kläger ist der Ansicht, daß ihm der Beklagte schadensersatzpflichtig sei. Der Beklagte habe ihn bei dem Erwerb beraten und dabei seine Pflichten verletzt. Da ihm die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers bekannt gewesen seien, sei der Beklagte verpflichtet gewesen, ihm wegen der hohen auf ihn zukommenden Aufwendungen von dem Erwerb abzuraten. Wäre das geschehen, hätte er auf das Objekt verzichtet. Der Kläger verlangt nunmehr, so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn er das Objekt nicht erworben hätte. Er fordert die Zahlung der ihm bisher entstandenen Aufwendungen und die Freistellung von den zukünftigen Verpflichtungen Zug um Zug gegen die Übertragung des Eigentums an dem Objekt in Krefeld auf den Beklagten.
Der Beklagte hat bestritten, dem Kläger zum Erwerb der Anlage geraten zu haben. Der Kläger sei aufgrund seiner beiden früheren Beteiligungen an Bauherrenmodellen bereits über die Besonderheiten von Steuersparmodellen informiert gewesen. Wegen des für das Jahr 1980 zu erwartenden Gewinns habe er an dem Erwerb eines weiteren Objekts Interesse gehabt. Die Tätigkeit des Beklagten habe sich nur auf die steuerliche Prüfung und Beratung beschränkt. Er sei nicht dafür verantwortlich, daß der Kläger die Belastungen aus dem Objekt nicht tragen könne. Die Finanzierung liege im Risikobereich des Erwerbers. Insoweit habe ihn keine Beratungspflicht getroffen. Außerdem erhebe er die Einrede der Verjährung.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr im wesentlichen stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben. Es hat zwar ohne Rechtsfehler eine Beratungspflicht des Beklagten auch in wirtschaftlicher Hinsicht angenommen. Jedoch fehlen hinreichende Feststellungen zur Frage einer schuldhaften Verletzung dieser Pflicht. Bei der Prüfung der vom Beklagten erhobenen Verjährungseinrede ist die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes unberücksichtigt geblieben. Schließlich geht das Berufungsgericht auf die Frage eines Mitverschuldens des Klägers nicht ein, obwohl sich eine Prüfung aufdrängte.
1. Das Berufungsgericht sieht den Beklagten als den umfassend beauftragten individuellen Berater des Klägers an, weil ihm neben der steuerlichen Beratung auch die Betreuung der vom Kläger vorher erworbenen beiden Steuersparobjekte anvertraut gewesen sei und er den Kläger auch darüber hinaus in wirtschaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten wiederholt beraten habe. Es stützt sich weiter auf die Tatsache, daß die Verhandlungen mit dem Anlagevermittler über den Erwerb des hier in Rede stehenden Anlageobjektes in Gegenwart des Beklagten in dessen Büro stattfanden und dort auch der Auftrag unterzeichnet wurde. Wenn das Berufungsgericht unter Würdigung der von ihm im einzelnen dargelegten Gesamtumstände zu der Auffassung gelangt ist, der Kläger habe – für den Beklagten erkennbar – davon ausgehen dürfen, daß der Beklagte nicht nur die steuerlichen Aspekte berücksichtigen, sondern auch seine wirtschaftlichen Verhältnisse in Betracht ziehen werde, so ist das aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Art und Umfang der Pflichten des steuerlichen Beraters bestimmen sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles (BGH, Urteile vom 9. Dezember 1981 – IVa ZR 42/81, WM 1982, 128 m.w.N. sowie vom 4. März 1987 – IVa ZR 222/85, WM 1987, 661, 662). Das Vorbringen der Revision erschöpft sich in diesem Punkt in unzulässigen Angriffen gegen die tatrichterliche Würdigung des Sachverhalts.
2. Das Berufungsgericht ist nach dem Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme davon ausgegangen, daß der Beklagte dem Kläger bei den Verhandlungen nicht „besonders zugeraten” hat. Es stützt sich dabei ersichtlich auf die Angaben des dazu als Zeugen vernommenen Anlagevermittlers, der bekundet hat, der Beklagte habe dem Kläger während der Verhandlungen gesagt, er solle es sich gut überlegen, er solle hinfahren und sich die Sache ansehen. Das Berufungsgericht sieht deshalb eine Vertragsverletzung allein in der Tatsache, daß der Kläger dem Beklagten nicht vom Erwerb des Objektes abgeraten hat, obwohl der Erwerb des weiteren Abschreibungsobjektes über die bereits vorhandenen Anlagen hinaus „für den Betrieb ruinöse Folgen haben” mußte, „falls nicht mit einer weiteren auf Dauer erkennbaren Steigerung der Betriebserträge und des Gewinns zu rechnen war”. Die Erwägungen, die dazu in dem angefochtenen Urteil angestellt werden, sind jedoch lückenhaft. Sie tragen für sich allein die Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung seitens des Beklagten noch nicht.
Mit Recht weist die Revision darauf hin, daß das Berufungsgericht für die Frage, ob die Liquiditätslage des Betriebes den Abzug des als Eigenkapital und für Beratungs- und Vermittlungsgebühren aufzubringenden Betrages von insgesamt 96.757,50 DM erlaubte, auf die Zahlen der Bilanz per 31. Dezember 1980 abstellt, ohne zu prüfen, ob das Eigenkapital von 72.261 DM nicht – wie in der Klageschrift vorgetragen – noch im Jahre 1980 gezahlt wurde und deshalb in der Bilanz bereits berücksichtigt ist. Die Vereinbarkeit einer derartigen Zahlung mit der Liquiditätslage des Betriebes hätte im übrigen zutreffend nur beurteilt werden können, wenn die durch die Aufwendungen zu erzielende Steuerersparnis berücksichtigt worden wäre. Auch die zu erwartenden Belastungen an Zinsen und Nebenkosten, die die Mieterträge jährlich um rund 20.000 DM übersteigen, besagen für sich allein nichts.
Auf die entscheidende Frage, ob der Betrieb des Klägers aus der Sicht vom Dezember 1980 die sich aus dem Erwerb des weiteren Objektes ergebenden zusätzlichen Belastungen voraussichtlich tragen konnte, ist das Berufungsgericht nur unzureichend eingegangen. Es wirft dem Beklagten lediglich vor, den Kläger nicht auf die „auf ihn zukommende Dauerbelastung aus Zinsen und Nebenkosten, die die Mieterträge um rund 20.000 DM jährlich überstiegen”, hingewiesen zu haben. Ob derartige Belastungen „ruinös” oder tragbar sind, läßt sich jedoch nur anhand der Ertragslage des Betriebes und der Zukunftserwartungen beurteilen. Das Berufungsgericht hätte deshalb im einzelnen darlegen müssen, welche Bedeutung dem ungewöhnlich guten Betriebsergebnis des Jahres 1980, das den Anlaß für den Erwerb der weiteren Anlage bildete, für die Beurteilung der künftigen Ertragslage zukam. Es hätte in diesem Zusammenhang insbesondere die zwischen den Parteien streitige Frage klären müssen, ob dieses Betriebsergebnis durch die unterlassene Abschreibung einer uneinbringlichen Forderung von rund 100.000 DM verfälscht war und deshalb keine Rückschlüsse auf zukünftige Gewinne in entsprechender Größenordnung zuließ.
Bei der Frage, ob der Beklagte seine Pflichten schuldhaft verletzt hat, durfte auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß im Jahre 1980 Immobilien allgemein noch als wertbeständige Anlagegüter angesehen wurden, die man notfalls ohne Verlust wieder veräußern konnte (vgl. BGH, Urteil vom 4. März 1987 – IVa ZR 222/85, aaO). Es konnte deshalb aus damaliger Sicht den Parteien möglicherweise wirtschaftlich nicht unvernünftig erscheinen, einen hohen Gewinn des Jahres 1980 steuerlich durch den Erwerb eines Abschreibungsobjekts zu neutralisieren und sich bei rückläufiger Ertragslage von einem der insgesamt drei Projekte zu trennen.
3. Auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Verjährung der Schadensersatzansprüche halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Das Berufungsgericht gelangt zu dem Ergebnis, daß sich der Beklagte nicht auf Verjährung berufen könne. Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 68 StBerG habe zwar mit der fehlerhaften Beratung im Dezember 1980 begonnen. Auf den Ablauf der Frist könne sich der Beklagte jedoch nicht berufen, weil er es unterlassen habe, den Kläger über den Ablauf der Verjährungsfrist und das Bestehen einer Schadensersatzpflicht ihm gegenüber zu belehren. Da das Mandatsverhältnis erst im Laufe des Jahres 1985 beendet worden sei und der Kläger bereits im Dezember 1985 Klage erhoben habe, sei jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt die Verjährungsfrist nicht abgelaufen. Diese habe wegen der unterlassenen Belehrung frühestens im Dezember 1983 begonnen.
b) Diese Ausführungen sind nur teilweise zutreffend. Der im Dezember 1980 entstandene Primärhaftungsanspruch verjährt nach § 68 StBerG in drei Jahren, unabhängig davon, ob der Geschädigte Kenntnis von der Pflichtverletzung und seinem Schaden erlangt hat. Zum Ausgleich der kurzen Verjährungsfrist und zum Schutz der Interessen der Mandanten der Steuerberater muß dieser jedoch, wenn ihm ein Fehler unterlaufen ist, hierauf und auf die Regreßmöglichkeit hinweisen. Erst ein Verstoß gegen diese Pflicht führt zum Sekundäranspruch, der ebenfalls nach § 68 StBerG in drei Jahren verjährt (BGHZ 94, 380, 387 f.; 83, 17 f.; BGH Urteil vom 1. Oktober 1987 – IX ZR 202/86, WM 1988, 127, 128). Der Sekundäranspruch setzt jedoch eine neue, schuldhafte Pflichtverletzung voraus. Er kann nur entstehen, wenn diese zu einer Zeit begangen wurde, in der der Primäranspruch noch hätte durchgesetzt werden können, also insbesondere noch nicht verjährt war (BGHZ 94, 380, 387).
Hierzu enthält das angefochtene Urteil keine Feststellungen. Nur wenn der Steuerberater bei der weiteren Ausübung der Tätigkeit für seinen Auftraggeber begründeten Anlaß zu der Prüfung hat, ob er seinem Klienten durch einen Beratungsfehler Schaden zugefügt hat, kommt eine weitere, den Sekundäranspruch auslösende Pflichtverletzung in Betracht (vgl. BGHZ 94, 380, 386 m.w.N.). Ob die weitere Wahrnehmung des Mandates dem Beklagten in der Folgezeit bis Dezember 1983 derartige Erkenntnisse vermittelte, läßt sich nur beantworten, wenn zuvor die Gründe, die ihn zum Abraten vom Erwerb des Objektes hätten veranlassen müssen, im einzelnen geklärt sind.
4. Sollte die erneute Prüfung ergeben, daß dem Kläger dem Grunde nach ein unverjährter Anspruch auf Schadensersatz zusteht, drängt sich die Frage eines Mitverschuldens des Klägers auf. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß der dem Beklagten zu machende Vorwurf allenfalls dahin geht, dem Kläger nicht abgeraten zu haben. Er stand dem Kläger, der eine Entscheidung in seinem eigenen unternehmerischen Bereich zu treffen hatte, in der Beurteilung der wirtschaftlichen Aspekte nicht als ein mit überlegener Sachkunde ausgestatteter Fachmann gegenüber (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BGH, Urteile vom 12. März 1986 – IVa ZR 183/84, WM 1986, 675, 677 sowie vom 4. März 1987 – IVa ZR 222/85, WM 1987, 661, 663). Ein Verzicht auf die eigene Prüfung der wirtschaftlichen Tragbarkeit im Vertrauen auf die Autorität des Beklagten hätte hier vor allem dann weniger nahegelegen, wenn dieser dem Kläger lediglich geraten hatte, sich die Sache gut zu überlegen. Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens wird auch zu berücksichtigen sein, daß die rückläufige Ertragslage des Betriebes schon recht bald eine Prüfung nahelegte, ob alle drei Abschreibungsobjekte weiterhin tragbar erschienen und größerer Schaden möglicherweise durch alsbaldige Veräußerung des einen oder anderen hätte vermieden werden können.
5. Die naheliegende Möglichkeit eines Mitverschuldens des Klägers läßt eine nähere Auseinandersetzung mit der grundsätzlichen Frage, unter welchen Voraussetzungen der Anleger Schadensersatz in der Form der Erstattung sämtlicher Aufwendungen Zug um Zug gegen Übertragung des Anlageobjektes auf den Anlageberater verlangen kann, entbehrlich erscheinen. Der Bundesgerichtshof hat eine solche Schadensabwicklung auch bei der Beraterhaftung im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung zugelassen, wenn die Anlage praktisch wertlos war (vgl. BGHZ 100, 117). Diese Rechtsprechung darf jedoch nicht dahin mißverstanden werden, daß zur Vereinfachung der Schadensberechnung in jedem Fall fehlerhafter Anlageberatung durch eine derartige Zug-um-Zug-Verurteilung das volle Anlegerrisiko auf den Berater verlagert werden dürfte.
Fundstellen