Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Berichtigung des Grundbuchs zugunsten der Mitglieder einer ungeteilten Erbengemeinschaft

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Die Frage, ob die Geltendmachung eines zivilrechtlichen Mangels wegen eines engen inneren Zusammenhangs mit dem vom Vermögensgesetz erfaßten staatlichen Unrecht ausgeschlossen ist, stellt sich nur, wenn der Sachvortrag die Voraussetzungen eines im Vermögensgesetz geregelten Restitutionstatbestands erfüllt.
  2. Der Umstand, daß ein von einem Vertreter getätigter Grundstücksveräußerungsvertrag infolge fehlender Vollmacht zivilrechtlich unwirksam ist, erfüllt auch dann nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 VermG, wenn dem beurkundenden Notar der Mangel bewußt war; hinzutreten müssen weitere, den Veräußerer diskriminierende Umstände, durch die das Geschäft, gemessen an den in der DDR gültigen Rechtsvorschriften und den sie tragenden ideologischen Grundvorstellungen, den Charakter einer Manipulation erhielt.
 

Normenkette

VermG § 1 Abs. 3; BGB § 894

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Kläger werden das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 27. September 1995 aufgehoben und das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 11. Mai 1994 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, der Berichtigung des Grundbuchs dahin zuzustimmen, daß in ungeteilter Erbengemeinschaft im Grundbuch von L., Bestandsblatt ... Flurstück 215/2 der Gemarkung L. als Eigentümer eingetragen werden

  1. Dr. Claus P. in S.,
  2. Dr. Franz P. in S.,
  3. Käte O. in O.
  4. Franz Walther F. in L.,
  5. Joachim F. in L.,
  6. Hanns-Dietrich F. in L.,
  7. Dr. Jürgen H. in B.
  8. Rudolf H. in A.,
  9. Diederich H. in R. und
  10. Almuth M. geb. H., in F.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

 

Tatbestand

Ida Elisa Rosa P. und Ida Charlotte V. waren Mitglieder einer ungeteilten Erbengemeinschaft, in deren Eigentum zwei Grundstücke in der Gemarkung L., Flurstücke 215 m und 215/2, standen. Mit notariellem Vertrag vom 2. Mai 1973 wurden das Flurstück 215 m und mit notariellem Vertrag vom 22. Oktober 1973 das Flurstück 215/2 jeweils an das "Eigentum des Volkes, Rechtsträger: Rat der Stadt L." veräußert. Dabei trat in beiden Fällen auf seiten der Verkäufer ein weiteres Mitglied der Erbengemeinschaft, Walther F., auf, und zwar u.a. "in Vollmacht für Frau Ida Elisa Rosa P.", die in der Bundesrepublik bei ihrem Sohn wohnte und dorthin legal ausgereist war.

Eine Veräußerungsvollmacht der Frau P. existierte nicht. Der amtierende Notar hatte eine bei den Grundakten befindliche, von Frau P. am 14. Mai 1954 Herrn F. erteilte Vollmacht "für alle Rechtsgeschäfte, die sich aus der Verwaltung meines Grundbesitzes ergeben" der Beurkundung zugrunde gelegt.

Frau P. und Frau V. sind verstorben und wurden von Dr. L. P. beerbt, der die Erbteile mit notariellem Vertrag vom 28. Juni 1991 an die Kläger zu jeweils gleichen Teilen übertrug.

Die Kläger sind der Ansicht, die Eigentumsübertragungen aus dem Jahre 1973 seien infolge fehlender Vollmacht der Frau P. unwirksam. Sie machen, zunächst nur hinsichtlich des Flurstücks 215/2, einen Grundbuchberichtigungsanspruch mit dem Ziel geltend, daß als Eigentümer in das Grundbuch die im einzelnen aufgeführten 10 Mitglieder der ungeteilten Erbengemeinschaft eingetragen werden. Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihren bisherigen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, der geltend gemachte Grundbuchberichtigungsanspruch nach § 894 BGB werde durch die Regelungen des Vermögensgesetzes verdrängt. Die Grundstücksveräußerung erfülle nämlich den Restitutionstatbestand des § 1 Abs. 3 VermG. Der vorgetragene Unwirksamkeitsgrund, das Fehlen der Veräußerungsvollmacht, stehe in engem inneren Zusammenhang mit dem staatlichen Unrecht und rechtfertige daher nicht die zivilrechtliche Rückabwicklung.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

1.

Die Frage, ob der zivilrechtliche Mangel, nämlich das Fehlen einer die Veräußerung umfassenden Vollmacht der Frau P., in engem inneren Zusammenhang mit dem vom Vermögensgesetz erfaßten staatlichen Unrecht steht, stellt sich nicht. Es fehlt nämlich schon an einem Sachvortrag der Kläger, der es rechtfertigt, die Grundstücksveräußerung unter einen Restitutionstatbestand des Vermögensgesetzes zu subsumieren. In Betracht kommt insoweit allenfalls § 1 Abs. 3 VermG. Voraussetzung dafür ist, daß die Grundstücksveräußerung als Folge unlauterer Machenschaften erscheint.

a)

Für eines der gesetzlichen Regelbeispiele, Machtmißbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung, ergeben sich hier keine Anhaltspunkte. Nach dem Klägervorbringen in der Berufungsinstanz, auf das in den Feststellungen des Berufungsurteils Bezug genommen wird, war Hintergrund des Grundstücksverkaufs, daß die Stadt L. die Flächen für ihr Eigenheim-Bauprogramm benötigte. Es drohte damit eine Enteignung nach § 14 AufbauG (v. 6. September 1950, GBl I S. 965). Darin liegt jedoch im Regelfall keine Nötigung im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG. Enteignungen nach dem Aufbaugesetz (oder später nach dem Baulandgesetz vom 15. Juni 1984, GBl I S. 201) sind, wenn keine besonderen, diskriminierenden Umstände hinzutreten, hinzunehmen. Sie werden vom Vermögensgesetz nicht erfaßt (Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, 2. Aufl., § 13 Rdn. 20; Neuhaus, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, Vermögensgesetz, § 1 Rdn. 112; vgl. auch BVerwG, ZOV 1993, 361, 363).

Solche besonderen Umstände sind hier nicht erkennbar und werden auch von der Revisionserwiderung nicht aufgezeigt. Der die zivilrechtliche Unwirksamkeit des Geschäfts begründende Verfahrensfehler genügt dazu allein nicht (Neuhaus aaO; vgl. auch BVerwG, VIZ 1994, 27), solange das Veräußerungsgeschäft ansonsten den in der DDR gültigen Rechtsvorschriften und den sie tragenden ideologischen Grundvorstellungen entsprach (vgl. BVerwG, ZOV 1993, 361, 363). Damit entbehrt die Feststellung des Berufungsgerichts, die bewußte Außerachtlassung der bei der Beurkundung durch den Notar zu beachtenden materiellen und formellen Erfordernisse hätten der Durchsetzung der sozialistischen Interessen gedient, der Grundlage, soweit damit zugleich die Wertung verbunden wird, das Veräußerungsgeschäft stelle eine unlautere, die Verkäufer diskriminierende Machenschaft dar. Sie kann - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - auch nicht damit begründet werden, daß die Kläger selbst vorgetragen haben, bei der Veräußerung sei "nicht alles mit rechten Dingen zugegangen". Dieses Vorbringen stellt nur eine wertende Einschätzung der damaligen Vorgänge durch die Kläger dar. Konkrete Tatsachen, die unter den Tatbestand des § 1 Abs. 3 VermG subsumiert werden könnten, enthält es nicht. Außerdem ergibt sich aus dem Sachzusammenhang, daß die Kläger damit lediglich die damals von der Beklagten noch bestrittene Behauptung untermauern wollten, bei der Beurkundung habe entgegen der vom Notar niedergelegten Bestätigung keine die Veräußerung rechtfertigende Vollmacht vorgelegen. Sie wollten, gestützt auf den Umstand, daß der notarielle Vertrag in den Grundakten nicht aufzufinden war, die Zweifel an der Wirksamkeit der Übertragung verstärken, um die Vermutung des § 891 BGB zu widerlegen. Auch der Umstand, daß der amtierende Notar den Vertrag in Kenntnis der fehlenden Veräußerungsvollmacht beurkundet hat, verleiht dem Geschäft noch nicht den Charakter einer unlauteren Machenschaft. Es fehlt an einem Element, das den Vertrag für die Verkäuferseite als Unrecht erscheinen läßt. Die Verkäufer waren mit dem Geschäft einverstanden. Sie haben sich dazu nicht unter dem Eindruck einer Zwangslage entschieden, die, gemessen an den Rechtsvorschriften der DDR, rechtswidrig gewesen wäre.

b)

Der Sachvortrag erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der Generalklausel des § 1 Abs. 3 VermG, die auch dann gegeben sein können, wenn - wie hier - eines der Regelbeispiele nicht eingreift. Nicht anders als die Beispiele erfaßt die Generalklausel nur solche Fälle, in denen das Veräußerungsgeschäft von inkriminierendem Charakter ist. Daran fehlt es vorliegend sowohl - wie dargelegt - nach dem Kläger - als auch nach dem Beklagtenvortrag. Aus deren Sicht haftete dem Veräußerungsvertrag kein Element der Manipulation an. Die Beklagte hatte vielmehr - worauf die Revision zu Recht hinweist - vorgetragen, daß für die Käuferseite nicht einmal erkennbar gewesen sei, daß Vollmachten gefehlt haben könnten.

2.

Die Kläger können Berichtigung des Grundbuchs zugunsten der Mitglieder der ungeteilten Erbengemeinschaft verlangen, da das Grundbuch unrichtig ist, §§ 894, 2039 Satz 1 BGB. Der Grundstückskaufvertrag vom 22. Oktober 1973, der eine Auflassung enthielt, §§ 873, 925 BGB, war schwebend unwirksam, da dem Handelnden eine Vollmacht der mitberechtigten Frau P. fehlte, § 177 BGB. Eine Genehmigung seitens Frau P. ist nicht erfolgt; sie hat von dem Vertrag keine Kenntnis erhalten. Für eine Genehmigung durch Dr. L. P., der die Vertretene 1975 beerbt hat, ergeben sich keine Anhaltspunkte. Mit Inkrafttreten des Zivilgesetzbuchs der DDR am 1. Januar 1976 kann von einer Genehmigung auch aus Rechtsgründen nicht mehr ausgegangen werden. Sie hätte, da nunmehr das ZGB anzuwenden war, § 1 Abs. 1 Satz 1 EGZGB, der Form des zu genehmigenden Geschäfts bedurft (vgl. Kommentar zum ZGB, herausgegeben vom Ministerium der Justiz, § 59 Anm. 1.1.) und gilt nach zwei Wochen ab Kenntnis von dem Vertragsschluß als verweigert, § 59 Abs. 1 Satz 2 ZGB. Die Beklagte ist gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 a VZOG passivlegitimiert (vgl. Senat, Urt. v. 29. März 1996, V ZR 326/94, vorgesehen für BGHZ 132, 245 = WM 1996, 864 = ZIP 1996, 1059 = NJW 1996, 1890).

Die Berufung auf den Formmangel ist auch nicht treuwidrig, § 242 BGB. Daß der Vertrag mangels Vollmacht unwirksam sein könnte, hatte bei Vertragsschluß niemand erkannt, weder auf Käufer- noch auf Verkäuferseite. Ein widersprüchliches Verhalten, das im Einzelfall die Berufung auf die Unwirksamkeit als unbeachtlich erscheinen lassen kann (s. nur Senat, BGHZ 85, 315, 318 m.w.N.), ist daher weder den Klägern noch ihren Rechtsvorgängern anzulasten. Soweit Dr. L. P. im Vorfeld der Grundstückskaufverträge gegenüber dem später für Frau P. handelnden Mitglied der Erbengemeinschaft in einem Brief zum Ausdruck gebracht hatte, daß er einem Verkauf des Grundstücks nicht entgegentreten wolle, kann ihm als späteren Erben der Frau P. schon deswegen nicht der Einwand treuwidrigen Verhaltens entgegengehalten werden, weil diese Äußerungen innerhalb der Familie geblieben sind und daher nicht geeignet waren, bei der Beklagten ein schützenswertes Vertrauen auf die Beständigkeit des Rechtsgeschäfts hervorzurufen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

 

Unterschriften

Hagen

Lambert-Lang

Tropf

Krüger

Klein

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456267

MDR 1997, 441

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