Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 06.12.2000) |
Tenor
I. Die Revision des Angeklagten T. gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 6. Dezember 2000 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
II. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 6. Dezember 2000 dahin abgeändert, daß dieser Angeklagte wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt ist.
Die Sache wird, soweit der Angeklagte S. verurteilt ist, zur Verhandlung und Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung sowie über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten S. wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung sowie der Vergewaltigung für schuldig befunden. Den Angeklagten T. hat es deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, den Angeklagten S. zu einer solchen von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das Rechtsmittel des Angeklagten S. hat teilweise Erfolg, das des Angeklagten T. erweist sich insgesamt als unbegründet.
A. Revision des Angeklagten T.
I.
Hinsichtlich des Angeklagten T. ist entgegen der Auffassung der Revision im Fall II. 1. der Urteilsgründe (Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zum Nachteil des Zeugen K.) Verfolgungsverjährung nicht eingetreten, da die Verjährung rechtzeitig durch die Anordnung der Bekanntgabe, daß gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, unterbrochen worden ist (§ 78 c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB).
Die Bekanntmachung der Einleitung der Ermittlungen bedarf keiner besonderen Form, sie kann auch dem bevollmächtigten Verteidiger gegenüber erfolgen (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 78 c Rdn. 21 m.w.N.). Sie muß dem Beschuldigten nur deutlich machen, daß gegen ihn wegen einer bestimmten Tat ein Ermittlungsverfahren geführt wird. Bereits mit Schreiben der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Dortmund vom 14. August 1996 war dem Verteidiger des Angeklagten T. auf dessen Akteneinsichtsgesuch unter Angabe des Aktenzeichens mitgeteilt worden, daß gegen seinen Mandanten ein Ermittlungsverfahren geführt wird. Zwar konnte nicht schon hierdurch die Verjährung gemäß § 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB unterbrochen werden, da das Schreiben keine Angaben über den Gegenstand der Ermittlungen enthielt. Jedoch wurden nach weiteren erfolglosen Akteneinsichtsgesuchen auf Anordnung der Staatsanwaltschaft vom 25. Mai 1998 und vom 24. Juni 1998 dem Verteidiger Ablichtungen der Protokolle über die polizeilichen und richterlichen Vernehmungen der Belastungszeuginnen Edyta C. und Agniszka D. vom 5., 6. und 13. Juli 1995 zugesandt. Aus diesen Protokollen ergab sich eindeutig, daß gegen den Angeklagten T. unter anderem auch wegen des Vorfalls zum Nachteil des Zeugen K. vom 26. Januar 1995 ermittelt wurde. Mit der Anordnung der Übersendung der Vernehmungsprotokolle wurde damit die hier jeweils maßgebliche Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) rechtzeitig vor der am 15. Mai 2000 erfolgten Anklageerhebung unterbrochen.
II.
1. Die vom Angeklagten T. zu § 229 Abs. 1 StPO erhobene Verfahrensrüge ist aus den Erwägungen der Zuleitungsschrift des Generalbundesanwalts vom 11. Juli 2001 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2. Auch die zu § 338 Nr. 3 StPO erhobene Rüge sowie die auf „Verstöße gegen § 29 Abs. 1 und 2 StPO i.V.m. dem Gebot des fairen Verfahrens” gestützten Beanstandungen haben keinen Erfolg.
Diesen Rügen liegt – soweit für die Beurteilung von Bedeutung – folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Die Verteidigung des Angeklagten T. hatte in der Hauptverhandlung vom 11. September 2000 die Vernehmung von insgesamt 19 in Jugoslawien wohnhaften Zeugen zum Beweis dafür beantragt, daß der Angeklagte sich zu den Tatzeiten in Jugoslawien aufgehalten habe. Das Landgericht hat diesen Beweisantrag wegen Unerreichbarkeit der Beweismittel mit Beschluß vom 25. September 2000 abgelehnt, da zum damaligen Zeitpunkt der Rechtshilfeverkehr mit der Bundesrepublik Jugoslawien auf Tötungsdelikte beschränkt war. Nachdem die Verteidigung mitgeteilt hatte, daß alle 19 Alibizeugen bereit seien, bei Erteilung eines Visums nach Deutschland zu reisen und dort vor Gericht auszusagen, wandte sich der Vorsitzende der erkennenden Strafkammer in einem Schreiben an die zuständigen diplomatischen Stellen mit der Bitte, den von der Verteidigung benannten Zeugen schnellstmöglich für die Teilnahme an der Hauptverhandlung Visa zu erteilen. Zum Hauptverhandlungstermin vom 30. Oktober 2000 erschien daraufhin als einer der benannten Zeugen der Zeuge Dobro Ta.. Dieser wurde vernommen und anschließend vereidigt. Danach erklärte der Vertreter der Staatsanwaltschaft dem Zeugen die Festnahme wegen Verdachts des Meineides; der Zeuge wurde durch Gerichtswachtmeister abgeführt. Zu Beginn des Fortsetzungstermins vom 6. November 2000 teilte der Verteidiger des Angeklagten T. mit, er stelle drei weitere der bereits benannten Zeugen, nämlich nunmehr die Zeugen M., Ku. und Z.. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin, „Beamte der Wachtmeisterei zur Durchführung hilfspolizeilicher Maßnahmen hinzuzuziehen”. Der Vorsitzende gab diesem Antrag nach einer kurzen Unterbrechung statt. Sodann erschienen die Zeugen M., Ku. und Z. in Begleitung eines deutschen Rechtsanwalts als Rechtsbeistand. Nach ihrer Belehrung, aber noch vor Beginn ihrer Vernehmung lehnten zunächst der Verteidiger des Angeklagten T., danach auch der des Mitangeklagten S. den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Ablehnungsgesuche begründeten beide Angeklagten im wesentlichen mit der Heranziehung der zwei Justizwachtmeister und den hierdurch auf die benannten Zeugen ausgeübten „Verfolgungsdruck”. Danach wurde auf Anordnung des Vorsitzenden die Hauptverhandlung unterbrochen und Fortsetzungstermin auf den 15. November 2000 bestimmt. Anschließend gab der Vorsitzende eine in der Sitzungsniederschrift festgehaltene Erklärung des Inhalts ab, daß zwar an sich gemäß § 29 Abs. 2 StPO hätte weiterverhandelt werden können, er dies aber in Anbetracht der gegebenen besonderen Umstände nicht für angebracht halte; „über die Rechtmäßigkeit der Anwesenheit der beiden Wachmeister [müsse] deshalb im Ablehnungsverfahren entschieden werden”. Gegen die Anordnungen des Vorsitzenden wurden ausweislich des Sitzungsprotokolls Einwendungen nicht erhoben. Die Sitzungsniederschrift endet mit dem Vermerk, daß angeregt wurde, die Zeugen zu dem neuen Termin erneut zu stellen. Die Ablehnungsgesuche wurden mit Beschluß vom 14. November 2000 als unbegründet zurückgewiesen. Die Zeugen Ku., M. und Z. konnten im weiteren Verfahren nicht mehr vernommen werden, da sie weder zum Fortsetzungstermin vom 15. November 2000 noch zu einem der weiteren Folgetermine erschienen.
a) Die zu § 338 Nr. 3 StPO erhobene Rüge greift nicht, da die Strafkammer das gegen den Vorsitzenden gerichtete Ablehnungsgesuch zu Recht als unbegründet zurückgewiesen hat. Allein der Umstand, daß der Vorsitzende als der für die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung Verantwortliche (vgl. § 176 GVG) dem Antrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft auf Hinzuziehung von zwei Justizwachtmeistern entsprochen hat, vermag bei verständiger Würdigung aus der Sicht des Angeklagten noch nicht die Besorgnis zu rechtfertigen, der Richter habe ihm gegenüber in der Sache selbst bereits eine innere Haltung angenommen, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Hieran ändert auch nichts, daß die Justizwachtmeister der Unterstützung möglicher staatsanwaltschaftlicher Maßnahmen gegen die erschienenen Zeugen dienen sollten. Derartige – möglicherweise ungeschickte, aber rechtlich zulässige – Maßnahmen liegen im alleinigen Verantwortungsbereich des sie anordnenden Staatsanwalts; sie können bei vernünftiger Würdigung nicht dem die Aufgaben nach § 176 GVG wahrnehmenden Richter zugerechnet werden.
b) Zu Unrecht sieht die Revision einen „Verstoß gegen § 29 Abs. 1 und 2 StPO i.V.m. dem Gebot des fairen Verfahrens” darin, daß die Hauptverhandlung nach Stellung der Ablehnungsgesuche unterbrochen und nicht unmittelbar mit der Vernehmung der Zeugen fortgesetzt worden ist.
aa) Ein Verstoß gegen § 29 Abs. 1 StPO liegt nicht vor. Nach dieser Bestimmung hat ein abgelehnter Richter vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten. Dies ist so zu verstehen, daß er nicht nur das Recht, sondern die Pflicht hat, unaufschiebbare Amtshandlungen vorzunehmen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 29 Rdn. 2). Unaufschiebbar sind dabei nach allgemeiner Ansicht Handlungen, die wegen ihrer Dringlichkeit nicht anstehen können, bis ein Ersatzrichter eintritt (vgl. Wendisch in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 29 Rdn. 14; Pfeiffer in KK 4. Aufl. § 29 Rdn. 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 29 Rdn. 4). Hierzu können auch Zeugenvernehmungen gehören, wenn anderenfalls der Verlust des Beweismittels droht (vgl. Wendisch aaO; Pfeiffer aaO, zum Fall der Vernehmung eines todkranken Zeugen).
Ob eine Amtshandlung unaufschiebbar im Sinne des § 29 Abs. 1 StPO ist, unterliegt indes nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung. Dem Richter ist bei der Beurteilung des Begriffs der Unaufschiebbarkeit ein Spielraum einzuräumen; es genügt, daß seine Entscheidung vertretbar und nicht ermessensfehlerhaft ist (vgl. Wendisch aaO § 29 Rdn. 43; Pfeiffer aaO § 29 Rdn. 14; Paulus in KMR 8. Aufl. § 29 Rdn. 4 und 27; Lemke in HK-StPO 3. Aufl. § 29 Rdn. 18). Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Verfahrensweise des Landgerichts aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Den drei betroffenen Zeugen, darunter zwei Rechtsanwälten, war – nachdem der Vorsitzende die Erteilung entsprechender Visa veranlaßt hatte – die Einreise nach Deutschland ohne erkennbare Schwierigkeiten möglich. Die Revision trägt selbst vor, daß sie von vorneherein geplant hatten, noch zwei weitere Tage, das heißt bis zum 8. November 2000, in Deutschland zu bleiben, und daß sie ihren Aufenthalt auch noch bis zum 10. November 2000 hätten ausdehnen können. Es mußte daher aus der Sicht der erkennenden Strafkammer nicht die Besorgnis bestehen, die offensichtlich aussagebereiten Zeugen könnten an dem Erscheinen zu einem späteren Termin gehindert oder aus sonstigen Gründen zu einer Zeugenaussage nicht mehr bereit sein. Allein der Umstand, daß ein Zeuge von weither anreisen muß, vermag noch nicht die Unaufschiebbarkeit seiner Vernehmung im Sinne des § 29 Abs. 1 StPO zu begründen (vgl. auch Wendisch aaO § 29 Rdn. 15).
bb) Vergeblich rügt die Revision auch eine Verletzung des § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO.
Bedenken bestehen bereits gegen die Zulässigkeit dieser Rüge, da es der Angeklagte bzw. sein Verteidiger ausweislich der Sitzungsniederschrift unterlassen haben, die Entscheidung des Vorsitzenden, nicht von der Möglichkeit der Fortsetzung der Hauptverhandlung nach § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch zu machen, zu beanstanden und einen Gerichtsbeschluß gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen. Es entspricht allgemeiner Rechtsauffassung, daß die Entscheidung, die Hauptverhandlung nach Stellung eines Befangenheitsgesuchs fortzusetzen, eine Maßnahme im Sinne des § 238 Abs. 1 StPO darstellt mit der Folge, daß sie mit der Revision in zulässiger Weise nur beanstandet werden kann, wenn hierüber eine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt worden ist (vgl. BGH, Urt. vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 210/82; Wendisch aaO § 29 Rdn. 33; Pfeiffer aaO § 29 Rdn. 14; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 29 Rdn. 16). Es liegt daher nahe, daß dies dann auch für die – umgekehrte – Fallkonstellation zu gelten hat, daß die Verhandlung auf Anordnung des Vorsitzenden nicht fortgesetzt, sondern bis zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch unterbrochen wird.
Diese Frage bedarf hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da die Rüge jedenfalls sachlich nicht begründet ist.
Nach § 29 Abs. 1 StPO gilt der Grundsatz, daß der abgelehnte Richter sich aller Amtshandlungen zu enthalten hat, die nicht unaufschiebbar sind. Zwar kann ausnahmsweise, wenn ein erkennender Richter nach Beginn der Hauptverhandlung abgelehnt wird, diese gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO in den dort bezeichneten zeitlichen Grenzen bis zur Entscheidung über die Ablehnung fortgesetzt werden, falls die Entscheidung über die Ablehnung eine Unterbrechung der Hauptverhandlung erforderlich machen würde. Zweck dieser durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 eingefügten Regelung ist es, Verfahrensverzögerungen aufgrund von ersichtlich unbegründeten oder jedenfalls im Ergebnis wenig aussichtsreichen Ablehnungsgesuchen zu begegnen (vgl. die Begr. der Bundesregierung zum Gesetzentwurf, BTDrucks. 8/976 S. 22/23 und 34; Rieß NJW 1978, 2265, 2268; Schroeder NJW 1979, 1527, 1528 f.). Die Entscheidung über die Fortsetzung der Hauptverhandlung hat der Vorsitzende im Rahmen der Sachleitung (vgl. BTDrucks. 8/976 S. 34) nach pflichtgemäßen Ermessen zu treffen. Die hier getroffene Entscheidung, die Hauptverhandlung nicht fortzusetzen, sondern – dem Grundsatz des § 29 Abs. 1 StPO folgend – bis zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch zu unterbrechen, läßt danach Rechtsfehler nicht erkennen. Insbesondere kann von einer fehlerhaften Ermessensausübung oder gar willkürlichen Entscheidung keine Rede sein. Der Vorsitzende hat – wie seine Erklärung, „über die Rechtmäßigkeit der Anwesenheit der beiden Wachtmeister [müsse] … im Ablehnungsverfahren entschieden werden”, zeigt – das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch jedenfalls nicht als offensichtlich unbegründet angesehen. Dies sprach gegen eine Fortsetzung der Hauptverhandlung (vgl. auch Paulus in KMR aaO § 29 Rdn. 9). Hinzu kommt, daß mit dem Befangenheitsantrag seitens des Angeklagten gerade gerügt worden war, der Vorsitzende übe durch die Zuziehung von zwei Justizwachtmeistern in unzulässiger Weise Druck auf die vom Angeklagten benannten Alibizeugen aus. In Anbetracht dieses Umstandes konnte es auch nicht im wohlverstandenen Interesse des Angeklagten liegen, daß nach Stellung der Ablehnungsanträge unter der Verhandlungsleitung gerade des abgelehnten Richters mit der Vernehmung dieser – für den Angeklagten wichtigen – Zeugen in der mit dem Ablehnungsgesuch beanstandeten Weise fortgefahren wird. Die Revision trägt auch selbst nicht vor, eine solche Verfahrensweise beantragt oder auch nur angeregt zu haben.
cc) Keinen Erfolg hat auch die in diesem Zusammenhang von der Revision weiterhin erhobene Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.
Die Revision sieht den „fair trial” – Grundsatz dadurch verletzt, daß der Vorsitzende nach Stellung der Ablehnungsgesuche im Termin vom 6. November 2000 den Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung erst auf den 15. November 2000 anberaumt hat. Sie vertritt die Auffassung, der erkennenden Strafkammer sei es möglich gewesen, vorher, spätestens jedoch am Freitag, den 10. November 2000, weiter zu verhandeln; bis zu diesem Zeitpunkt wären – so das Revisionsvorbringen – die Zeugen notfalls auch in Deutschland geblieben und hätten vernommen werden können. Durch die verspätete Terminierung habe das Gericht die Zeugen „unerreichbar gemacht”.
Mit diesem Vorbringen kann der Beschwerdeführer jedoch in der Revisionsinstanz nicht mehr gehört werden.
Die Anordnung der Unterbrechung der Hauptverhandlung und die Bestimmung des Termins zu ihrer Fortsetzung stellen Maßnahmen der Verhandlungsleitung im Sinne des § 238 Abs. 1 StPO dar, die durch den Vorsitzenden erfolgen. Gegen Entscheidungen des Vorsitzenden, die die Verhandlungsleitungen betreffen, kann jeder Prozeßbeteiligte, der sich durch sie sachlich beschwert fühlt (vgl. hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 238 Rdn. 21; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 238 Rdn. 13), gemäß § 238 Abs. 2 StPO das Gericht anrufen, das über die erhobenen Beanstandungen durch Beschluß entscheidet.
Zwar trägt die Revision vor, die Anordnung des Vorsitzenden sei von beiden Angeklagten und deren Verteidigern „unter Hinweis auf die berufliche Situation der Zeugen. …. beanstandet [worden]”. Die Beanstandung von Maßnahmen der Verhandlungsleitung stellt jedoch eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne des § 273 Abs. 1 StPO dar und ist daher in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen (h.M., vgl. BGHSt 3, 199, 202; Gollwitzer aaO § 238 Rdn. 37; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 273 Rdn. 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 238 Rdnr. 16). Da die Sitzungsniederschrift vorliegend die Erhebung von Einwendungen gegen die Anordnung des Vorsitzenden, die Hauptverhandlung bis zum 15. November 2000 zu unterbrechen, nicht ausweist, ist aufgrund der besonderen (negativen) Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) davon auszugehen, daß Einwendungen seitens der Verteidigung auch nicht erhoben worden sind (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 274 Rdn. 14). Besondere Umstände, die die Annahme rechtfertigen könnten, daß die Beweiskraft des Protokolls entfällt, (vgl. hierzu BGH NJW 2001, 3794) sind nicht ersichtlich; die Revision trägt solche auch nicht vor. Dem Senat ist daher insoweit auch die – von der Revision angeregte – Beweiserhebung im Wege des Freibeweises verwehrt.
Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge, mit der eine Sachleitungsanordnung des Vorsitzenden beanstandet wird, grundsätzlich voraus, daß der Beschwerdeführer das Gericht gemäß § 238 Abs. 2 StPO angerufen hat (vgl. nur Tolksdorf in KK 4. Aufl. § 238 Rdn. 17; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 238 Rdn. 22 jeweils mit Nachweisen); wer davon absieht, verliert insoweit das Recht auf Revision. Einer der Ausnahmefälle, in denen die Revision unbeschadet der Nichtanrufung des Gerichts zulässig ist (vgl. hierzu BGHSt 42, 73, 77 f.; Tolksdorf aaO § 238 Rdn. 18), liegt ersichtlich nicht vor. Insbesondere war es dem Beschwerdeführer möglich und auch zumutbar, bereits in der Hauptverhandlung unter Hinweis auf den nunmehr im Revisionsverfahren behaupteten drohenden Verlust der Beweismittel einen Gerichtsbeschluß herbeizuführen. Anhaltspunkte dafür, daß etwa durch die Dauer der Unterbrechung eine Vernehmung der Zeugen vom Vorsitzenden „gezielt” verhindert werden sollte, bestehen nicht.
3. Auch den übrigen Verfahrensrügen bleibt der Erfolg versagt.
a) Soweit beanstandet wird, § 245 Abs. 1 StPO sei verletzt, weil eine Vernehmung der Zeugen M., Ku. und Z. im Termin vom 6. November 2000 nicht erfolgt ist, ist die Rüge unbegründet. Insoweit kann – ungeachtet, ob ein Anwendungsfall des § 245 Abs. 1 StPO überhaupt gegeben ist – auf die Ausführungen zu § 29 Abs. 1 und 2 StPO [siehe oben unter II. 2. b)] Bezug genommen werden.
b) Die zu § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO erhobene Rüge dringt ebenfalls nicht durch.
Bedenken bestehen bereits im Hinblick auf ihre Zulässigkeit. Die Rüge läßt nämlich nicht eindeutig erkennen, gegen welche konkrete Handlungen oder Unterlassungen des Gerichts der Vorwurf fehlerhafter Verfahrensweise erhoben wird und inwiefern gegen das Gesetz verstoßen worden sein soll (vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 344 Rdn. 24 m.N.). Die allgemeine Schilderung des gesamten Verfahrensganges verbunden mit dem Hinweis, dieser begründe einen – nicht näher ausgeführten – Verstoß gegen eine Verfahrensnorm, genügt grundsätzlich nicht. Die eingangs in der Revisionsbegründung angekündigte Konkretisierung der „Stoßrichtung” der Rügen (RB 4) ist insoweit nicht erfolgt.
Die Rüge vermag aber – selbst wenn man sie so deutet, daß sie sich gegen die Annahme der Unerreichbarkeit im Beschluß des Landgerichts vom 29. November 2000 richtet – auch in der Sache nicht durchzugreifen. Die Auffassung der Strafkammer, daß die im Beweisantrag des Angeklagten vom 11. September 2000 benannten Zeugen unerreichbar im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 3 StPO sind, läßt in Anbetracht der Tatsachen, daß ein Rechtshilfeverkehr zwischen Deutschland und der Bundesrepublik Jugoslawien zum damaligen Zeitpunkt für die hier fraglichen Delikte unstreitig nicht bestand und die benannten Zeugen auch zu einer Aussage vor einem Gericht in Deutschland nicht bereit waren, keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen. Zudem durfte das Landgericht in diesem Zusammenhang den eingeschränkten Beweiswert einer kommissarischen Vernehmung berücksichtigen (vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 244 Rdn. 65).
c) Die erhobene Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) genügt schließlich nicht den Zulässigkeitsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil sie bereits nicht erkennen läßt, gegen welche konkrete Handlungen oder Unterlassungen des Gerichts der Vorwurf der fehlerhaften Verfahrensweise erhoben wird.
III.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der allgemein erhobenen Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
B. Revision des Angeklagten S.
1. Der Senat hat in der Hauptverhandlung auf Antrag des Generalbundesanwalts durch Beschluß das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte S. wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung verurteilt worden ist. Dies führt zur entsprechenden Änderung des Schuldspruchs und zum Wegfall der wegen dieser Straftaten verhängten Einzelstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe.
2. Die weiter gehende Revision erweist sich als unbegründet. Die – gleichlautend zu den Rügen des Angeklagten T. – erhobenen Verfahrensrügen haben aus den bereits oben unter A. II. genannten Gründen keinen Erfolg. Zur – nicht ausgeführten – Sachrüge hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Angeklagte ist
damit wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Insoweit verweist jedoch der Senat die Sache zur Verhandlung und Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung der erkannten Freiheitsstrafe (§ 56 Abs. 1, 2 StGB) an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück, da nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, daß das Landgericht bei Verhängung einer aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt hätte.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanović, Ernemann,
Fundstellen
Haufe-Index 2559933 |
NStZ 2002, 429 |
DAR 2003, 297 |
DAR 2003, 301 |