Entscheidungsstichwort (Thema)
Totschlag
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 20. Juni 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags wegen Notwehr freigesprochen. Mit ihrer auf die Verletzung des § 264 StPO gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft nicht gegen den Freispruch, sondern beanstandet, daß die angeklagte Tat nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG geprüft worden ist. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Anklage vom 27. Januar 2000 legt dem Angeklagten zur Last, mit bedingtem Vorsatz P. erschossen zu haben, wobei im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt wird, daß er mit ihm in der Tatwohnung zusammengetroffen war, um ein Betäubungsmittelgeschäft abzuwickeln.
2. Nach den Feststellungen traf sich der Angeklagte am 31. Dezember 1999 mit P. in der Wohnung, um 200 Gramm Kokain zu kaufen. Dabei führte er zur Bezahlung des Rauschgifts Bargeld in Höhe von 20.000 DM und eine geladene Pistole, die er zu seinem Schutz bei der Abwicklung von Betäubungsmittelgeschäften erworben hatte, mit sich. Nachdem P. das Geld gezählt und dem Angeklagten zurückgegeben hatte, versetzte er dem Angeklagten unvermittelt von hinten einen Schlag in das Genick und anschließend einen weiteren Schlag in das Gesicht, so daß dieser zu Boden fiel und auf dem Rücken zum Liegen kam. Als P. sich zu dem Angeklagten hinbeugte, um auf ihn einzudringen, ging der Angeklagte davon aus, daß P. ihn weiter zusammenschlagen, das Bargeld entwenden sowie ihm die Waffe entreißen und mit dieser auf ihn schießen werde. Deshalb gab er in Verteidigungsabsicht einen Schuß in Richtung des P. ab, durch den dieser tödlich verletzt wurde.
3. Die Revision rügt zu Recht einen Verstoß gegen § 264 StPO.
a) Die Tat im verfahrensrechtlichen Sinne, die gemäß § 264 StPO Gegenstand der Urteilsfindung ist, umfaßt den von der zugelassenen Anklage betroffenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Zu ihr gehört nicht nur der in der Anklage dem Angeklagten zur Last gelegte Geschehensablauf, sondern darüber hinaus dessen gesamtes Verhalten, soweit es mit dem durch die Anklage umschriebenen geschichtlichen Vorkommnis bei natürlicher Betrachtung einen einheitlichen Vorgang bildet (vgl. BGHSt 32, 215, 216 m.w.Nachw.; BGHR StPO § 264 I Tatidentität 28; BGH StV 1981, 127, 128; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 264 Rdn. 2 m.w.Nachw.).
b) Das vom Angeklagten am 31. Dezember 1999 angebahnte Kokaingeschäft, bei dem er die Pistole mit sich führte, gehört unter Berücksichtigung dieser Grundsätze zu der angeklagten Tat, so daß auch das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Gegenstand des Verfahrens ist. Zwischen diesem Delikt und dem angeklagten Totschlag besteht ein enger zeitlicher, räumlicher, sachlicher und persönlicher Zusammenhang. Die Straftaten gingen in derselben Wohnung zeitlich ineinander über. Das gerade in Gang befindliche Betäubungsmittelgeschäft war für P. der Anlaß und die Gelegenheit, den Angeklagten anzugreifen und ihm mit Gewalt das für die Bezahlung des Kokains vorgesehene Geld wegzunehmen. Der tödliche Schuß wurde aus der zur Sicherung des Rauschgiftgeschäfts mitgeführten Waffe abgegeben. Eine Trennung des Tatgeschehens in das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln einerseits und die Tötung andererseits wäre eine unnatürliche Aufspaltung und Würdigung eines einheitlichen Lebensvorgangs (vgl. BGH NStZ 1996, 563, 564). Bereits Verhandlungen über den Erwerb von Betäubungsmitteln sind als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln anzusehen, sofern der Erwerber diese – wie hier – gewinnbringend weiterverkaufen will (vgl. BGHR BtMG § 29 I Nr. 1 Handeltreiben 4; Weber, BtMG § 29 Rdn. 92 ff.). Soweit von der Strafkammer vor dem 31. Dezember 1999 abgewickelte Rauschgiftgeschäfte des Angeklagten festgestellt worden sind, bilden diese mit dem in der Anklage umschriebenen geschichtlichen Vorkommnis keinen einheitlichen Vorgang und gehören deshalb nicht mehr zu der angeklagten Tat.
c) Das Landgericht war – nach einem Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts (§ 265 StPO) – gemäß § 264 StPO von Amts wegen, also ohne einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft und ohne Bindung an die Einschätzung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, verpflichtet, den Unrechtsgehalt der prozessualen Tat auszuschöpfen. Innerhalb derselben prozessualen Tat ist nämlich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft grundsätzlich unteilbar (vgl. BGH StV 1981, 127, 128; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 264 Rdn. 7 a).
4. Die Verletzung des § 264 StPO zwingt zur Aufhebung des gesamten gegen den Angeklagten ergangenen Urteils, obwohl die Feststellungen der Strafkammer zur Notwehr den Freispruch vom Vorwurf des Totschlags tragen. Da zwischen dem bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und einem dabei begangenen Tötungsdelikt Tateinheit besteht (vgl. BGH, Urt. vom 17. Januar 2001 – 2 StR 437/00 und 2 StR 438/00), kommt eine Beschränkung der Revision auf das bewaffnete Handeltreiben nicht in Betracht (vgl. Kuckein in KK 4. Aufl. § 344 Rdn. 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO § 318 Rdn. 13, § 344 Rdn. 7). Auch können die Feststellungen des Landgerichts zum Tatgeschehen nicht aufrechterhalten werden, weil die Feststellungen zu dem Rauschgiftgeschäft nicht unter dem den Angeklagten belastenden Gesichtspunkt des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln getroffen worden sind und zwischen dem bewaffneten Handeltreiben und der daraus entstandenen Tötung ein untrennbarer Zusammenhang besteht.
Unterschriften
Kutzer, Winkler, Pfister, von Lienen, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 584827 |
NStZ 2001, 440 |