Leitsatz (amtlich)
a) Rechtsmittelrücknahme und Rechtsmittelverzicht sind in Scheidungssachen nicht schon deswegen unwirksam, weil die zu einer dem Gesetz widersprechenden Lösung der Ehe führen und dadurch in Gegensatz zu den Vorschriften der Zivilprozeßordnung über den Eheschutz treten. Der aussergerichtlich dem Gegner erklärte Rechtsmittelverzicht wird nicht dadurch unbeachtlich, daß die Partei ihre Einstellung zu der erfolgten Scheidung nachträglich ändert und das Rechtsmittelverfahren mit dem Ziele der Eheerhaltung betreibt.
b) Der außergerichtliche Rechtsmittelverzicht muß durch Einrede in das Rechtsmittelverfahren eingeführt werden; ihr kann der Rechtsmittelkläger die Gegeneinrede des Rechtsmißbrauchs entgegensetzen (LM ZPO §514 Nr. 3). Die Gegeneinrede kann darauf gestützt werden, daß der Entschluß, die weittragende außergerichtliche Erklärung ohne Zuziehung eines Anwalts abzugeben, auf einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der freien Entschließung beruhe. Ob die Gegeneinrede auch auf andere Gründe gestützt werden kann, bleibt offen.
Normenkette
ZPO §§ 514-515, 566
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 14.12.1965) |
LG Aurich |
Tenor
Das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 14. Dezember 1965 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien haben 1960 geheiratet. Aus ihrer Ehe sind 1961 und 1963 Kinder, zuletzt Zwillinge, hervorgegangen.
Im April 1965 erhob der Ehemann Klage auf Scheidung aus §43 EheG mit der Begründung, die Beklagte weigere sich hartnäckig und grundlos, die eheliche Gemeinschaft fortzusetzen. Den gleichen Vorwurf werde die Beklagte gegen ihn erheben. Weitere Gründe für das Scheidungsverlangen sollten nicht vorgetragen werden. Im Verhandlungstermin werde eine Vereinbarung der Parteien zu Protokoll gegeben werden.
In der Verhandlung vor dem Landgericht erschienen nur die Anwälte. Sie vereinbarten zu gerichtlichem Protokoll unter anderem, daß der Kläger der Beklagten für den Fall der Scheidung aus beiderseitigem Verschulden eine Unterhaltsrente von 170,- DM zahle, ihre eine Unterkunft zur Verfügung stelle und die elterliche Gewalt über die Kinder ausüben solle. Zur Sache trugen die Anwälte vor, daß "jeweils der Gegner sich unbegründet weigere, die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen". Sie beantragten für den Kläger, die Ehe aus dem Verschulden der Beklagten zu scheiden, für die Beklagte, den Kläger mitschuldig zu erklären. Das Landgericht bestimmte einen Termin zur Verkündung seiner Entscheidung.
Noch vor diesem Termin erklärte die Beklagte die Anfechtung des Vergleichs. Der Kläger habe ihr - seinen wirklichen Absichten zuwider - erklärt, er werde sie nach Annahme einer Stellung, die er nur als Lediger erlangen könne, wieder heirateten. Dieses Versprechen sei die Grundlage ihrer Einlassung zur Klage gewesen. Sie werde nach Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragen, die Klage abzuweisen.
In einem am folgende Tage eingehenden Schriftsatze nahm die Beklagte ihren Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zurück. Sie zeigte an, daß die Parteien am 11. Mai 1965 vor dem Notar eine neue Vereinbarung für den Fall der Scheidung aus beiderseitigem Verschulden getroffen hätten. Zur Sache ließ sie erklären, daß sie bei der Weigerung bleibe, die eheliche Gemeinschaft mit dem Kläger fortzusetzen.
Das Landgericht schied die Ehe durch ein am 12. Mai 1965 ohne erneute mündliche Verhandlung verkündetes Urteil "aus beiderseitigem Verschulden". Die Parteien hätten sich nach ihrer glaubhaften Erklärung völlig auseinandergelebt; ihre Entfremdung sei unüberbrückbar. Ohne dazu berechtigende Gründe hätten beide hartnäckig die Wiederaufnahme der Lebensgemeinschaft verweigert und dadurch beide die Ehe schuldhaft unheilbar zerrüttet.
Gegen dieses Urteil legte die Beklagte mit dem Ziele der Abweisung der Klage Berufung ein. In Schriftsätzen vom 11. Juni und vom 1. Juli 1965 bat sie um Nachprüfung, ob die vom Landgericht gegebene Begründung eine Scheidung überhaupt trage. Im Übrigen, so ließ sie vortragen, sei es allein der Kläger, der sich von der Ehe abgewandt habe, und zwar wegen einer Erkrankung der Beklagten. Daß sie selbst die Fortsetzung verweigere, habe sie unter dem Druck des Klägers wahrheitswidrig erklären lassen. Auch ihr Entschluß, den Antrag auf Wiedereröffnung der Verhandlung zurückzunehmen, beruhe auf Drohungen des Klägers. Ihre vorübergehende Bereitwilligkeit, auf sein Scheidungsverlangen einzugehen, erkläre sich zugleich auch durch ihren angegriffenen Gesundheitszustand nach Beseitigung eines Hirntumors.
Am 7. August 1965 unterschrieb die Beklagte ein vom Kläger verfaßtes Schreiben, in dem sie ihre Berufungsanwälte beauftragte, "dem Oberlandesgericht mitzuteilen, daß sie ihre Berufung zurücknehmen möchte". Dieses Schreiben überließ sie dem Kläger, der es ihren Anwälten übermittelte.
Die Anwälte der Beklagten nahmen die Berufung nicht zurück. Der Kläger stellte sich in dem weiteren Verfahren auf den Standpunkt, die Beklagte habe in der Unterredung vom 7. August 1965 auf ihr Rechtsmittel verzichtet, mindestens sich aber verpflichtet, die Berufung zurückzunehmen.
Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision beantragt der Kläger, die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen. Die Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig.
Das Oberlandesgericht hat die Zulässigkeit einer Sachentscheidung im Berufungsverfahren bejaht, obwohl es davon ausgeht, daß die Beklagte im Laufe des Berufungsverfahrens gegenüber dem Kläger auf Rechtsmittel gegen das landgerichtliche Urteil verzichtet habe. Im Revisionsverfahren handelt es sich daher um die Unzulässigkeit der Berufung im Sinne des §547 Abs. 2 ZPO.
Die Beklagte hält die Revision für unzulässig. Der Rechtsmittelverzicht könne nicht anders behandelt werden als die Rücknahme des eingelegten Rechtsmittels: der Beschluß, durch den im Falle der Berufungsrücknahme der Berufungskläger des eingelegten Rechtsmittels für verlustig erklärt werde, sei aber nach §515 Abs. 3 Satz 3 ZPO der Revision entzogen, und zwar selbst dann, wenn die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung streitig gewesen sei. Die Beklagte beruft sich auf BGHZ 46, 112.
Es mag auf sich beruhen, ob diese Entscheidung den Widerspruch befriedigend löst, daß zwar alle formellen Erfordernisse der Einlegung und Begründung einer Berufung vom Revisionsgericht nachzuprüfen wären (§§519 b Abs. 2, 547 Abs. 2 ZPO), nicht aber die Rechtswirksamkeit einer Berufungsrücknahme. Denn jedenfalls können die Wirkungen eines außergerichtlichen Rechtsmittelverzichts auf das anhängige Berufungsverfahren nicht durch einen Beschluß nach §515 Abs. 3 Satz 2 ZPO ausgesprochen werden. Diese Vorschrift regelt das Verfahren im Falle einer bestimmten, von Anwälten gegenüber dem Gericht abzugebenden Erklärung, der Zurücknahme der Berufung, und macht nur für diese (in aller Regel eindeutige) Prozeßhandlung hinsichtlich der Anfechtung eine Ausnahme von §519 b, 547 ZPO.
Auch die Auffassung der Beklagten, die Zulässigkeit der Sachentscheidung im Berufungsverfahren sei jedenfalls dann der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen, wenn die Sachentscheidung selbst nicht revisibel sei, findet in Gesetz und Rechtsprechung keine Stütze. §§519 b Abs. 2 und 547 Abs. 2 ZPO dienen nicht nur der Prüfung, ob das Berufungsgericht die Sachentscheidung zu Recht verweigert hat. Sie sichern nach einhelliger Meinung auch die Partei, die ein obsiegendes Urteil erstritten hat, gegen eine Nachprüfung dieses Urteils, die in der Prozeßordnung nicht vorgesehen ist.
Die Revision des Klägers ist begründet.
Mit Recht entnimmt der Berufungsrichter dem Verhalten der Beklagten am 7. August 1965 die Erklärung, daß es endgültig bei der Scheidung der Ehe durch das Landgericht bleiben solle, und sieht darin einen Rechtsmittelverzicht gegenüber dem Kläger. Anders können das von der Beklagten unterzeichnete Schreiben und seine Überlassung an den Kläger nicht verstanden werden. Der erkennende Senat - der die tatsächlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit des Rechtsmittels selbständig zu prüfen hat (BGHZ 6, 370) - schließt sich der Darstellung des Klägers an, da die Einlassung der Beklagten über die Entstehung und die Überlassung der Urkunde offensichtlich falsch ist.
Die Begründung, mit der der Berufungsrichter diesem Berufungsverzicht die Rechtswirksamkeit abgesprochen hat, läßt sich jedoch nicht halten. Er führt aus, ein Rechtsmittelverzicht könne allerdings (auch in Ehesachen) gemäß §514 ZPO von der Partei selbst und gegenüber der anderen Partei erklärt werden (BGHZ 2, 112; 4, 314). Der Verzicht der Beklagten sei aber im Rahmen eines die Scheidung in unzulässiger Weise erleichternden Abkommens über die Folgen der Scheidung erklärt worden. Er habe mit diesen Abmachungen in einem unmittelbaren Zusammenhang gestanden, da ihre Wirksamkeit entscheidend vom Rechtsmittelverzicht der Beklagten abgehangen habe. Auf diese Weise miteinander verflochten bildeten Unterhaltsvereinbarung und Rechtsmittelverzicht ein einheitliches Ganzes; es liege ein Gesamtabkommen über die Zahlung von Unterhalt gegen Hergabe eines Berufungsverzichts mit dem Ziele einer ungesetzlichen Scheidung vor.
Diese rechtliche Würdigung findet in den festgestellten Vorgängen keine Grundlage. Rechte und Pflichten aus dem Abkommen der Parteien entstanden nur unter der Bedingung, daß ihre Ehe rechtskräftig geschieden wurde. Den Parteien kam es auf die Lösung der Ehe und nicht etwa darauf an, ihrem Unterhaltsabkommen durch ein bestimmtes Verhalten in dem Eherechtsstreit zur Wirksamkeit zu verhelfen. Sie haben sich aber nicht einmal im voraus verpflichtet, die erstrebte Lösung der Ehe gelten zu lassen und keine Rechtsmittel gegen ein ihren damaligen Wünschen entsprechendes Urteil einzulegen. Von einer rechtlichen Einheit ihres Abkommens mit ihren demnächstigen Entschließungen in der Scheidungssache konnte deshalb keine Rede sein.
Nachdem die Ehe geschieden worden war, lag es bei der Beklagten, ob sie das Urteil anfocht und die Anfechtung wieder fallen ließ. Bei ihrem Berufungsverzicht mag - unter anderem - das Bestehen einer Unterhaltsvereinbarung mitgesprochen haben. Eines Angebots des Klägers und einer Vereinbarung hierüber bedurfte es nicht mehr. Auch in der Unterredung vom 7. August 1965 ist kein "Gesamtabkommen" über Zahlung von Unterhalt gegen Rechtsmittelverzicht getroffen worden. Die Wirksamkeit dieses Verzichts hängt entgegen der Annahme des Berufungsrichters nicht von der Rechtswirksamkeit des während der ersten Instanz getroffenen Abkommens ab.
Aber auch von seinen Hilfserwägungen wird das angefochtene Urteil nicht getragen.
Allerdings beruht die Scheidung der Ehe auf einer Verletzung der Gesetze, wie der Berufungsrichter mit Recht feststellt. Der Vortrag der Parteien im landgerichtlichen Verfahren besagte nicht mehr, als daß die Parteien ihre eheliche Lebensgemeinschaft nicht fortführen wollten und übereingekommen seien, sich scheiden zu lassen. Für die Feststellung des Landgerichts, daß die Beklagte die Ehe durch eine schwere Verfehlung schuldhaft so tief zerrüttet, insbesondere den Kläger durch hartnäckige grundlose Verweigerung einer "Wiederaufnahme" der ehelichen Gemeinschaft so tief verletzt habe, daß er die Scheidung verlangen könne (§43 EheG), fehlt jede Grundlage. Das Landgericht hat nicht geprüft, wann die Beklagte einen solchen Entschluß gefaßt und wie sie ihn kundgegeben oder bestätigt hat; daher konnte es auch nicht folgern, daß die Weigerung der Beklagten, die Gemeinschaft mit dem Kläger "wiederaufzunehmen", eine Veränderung in der Einstellung des Klägers zu seiner Ehe bewirkt hat. Selbst wenn es diese Feststellung zu Recht getroffen hätte, wäre weiter zu prüfen gewesen, ob dem Scheidungsbegehren nicht die Vorschrift des §43 Satz 2 EheG entgegenstand. Nicht erkennbar ist auch der Gesichtspunkt, unter welchem das Landgericht die Ehe "aus beiderseitigem Verschulden geschieden" hat. Widerklage auf Scheidung hatte die Beklagte nicht erhoben. Aber auch für eine Schuldfeststellung gegen den Kläger blieb kein Raum, wenn er die hartnäckige und grundlose Weigerung der Beklagten mit seiner Abwendung von der Ehe beantwortet hätte.
In Wahrheit zielte das Vorbringen der Parteien unmißverständlich auf eine Lösung der Ehe ohne Rücksicht auf die Ursachen der Zerrüttung und das Verschulden der Beklagten und unter Beiseiteschiebung der Voraussetzungen des §48 Abs. 1 und Abs. 3 EheG. Auf dieses Verlangen der Eheleute hat sich das Landgericht eingelassen.
Aus der Gesetzwidrigkeit des Scheidungsurteils folgt aber nicht, wie der Berufungsrichter angenommen hat, daß die Beklagte das Berufungsverfahren ungeachtet ihres Rechtsmittelverzichts mit dem Ziele der Aufrechterhaltung ihrer Ehe weiterbetreiben könnte.
Das Berufungsgericht nimmt an, diese Prozeßhandlung könne keine Wirksamkeit entfalten, weil sie die Scheidung ohne Feststellung eines gesetzlichen Scheidungsgrundes ermöglichen solle und damit unmittelbar gegen die Vorschriften der Zivilprozeßordnung zum Schütze der Ehe verstoße. Daß die Beklagte, so wird ausgeführt, ihr Rechtsmittel zurücknehmen und hierdurch den vom Gesetz mißbilligten Erfolg herbeiführen könne, stehe dem nicht entgegen. Mit Recht setze sie der Berufung des Klägers auf ihre Rechtsmittelverzicht die Einrede des Rechtsmißbrauchs entgegen.
Diese Darlegung knüpft an bestimmte Erwägungen des Reichsgerichts und des erkennenden Senats an, ohne allerdings aus dem angenommenen Grundsatz widerspruchslose Konsequenzen zu ziehen. Geht man nämlich davon aus, daß die Vorschriften der Zivilprozeßordnung zum Schütze der Ehe gegen ungesetzliche Auflösung Prozeßhandlungen wirkungslos machen, die einer ungesetzlichen Scheidung Bestand verleihen, dann kann weder ein vor dem Gericht erster Instanz erklärter Rechtsmittelverzicht, noch ein dem Gegner außergerichtlich erklärter Rechtsmittelverzicht, noch die Zurücknahme des eingelegten Rechtsmittels die Nachprüfung des Fehlurteils unzulässig machen. Wären diese Prozeßhandlungen unwirksam, weil sie eine ungesetzliche Scheidung herbeiführen sollen, so bedürfte es keiner "Gegeneinrede des Rechtsmißbrauchs", um sie aus dem Wege zu räumen. Es wäre vielmehr der Partei, die die ungesetzliche Lösung der Ehe einmal angefochten hat, von vorneherein unmöglich, das Rechtsmittelverfahren abzubrechen und es bei der Scheidung ihrer Ehe durch den Spruch der Vorinstanz bewenden zu lassen.
Diese Auffassung wäre jedoch unvereinbar mit der gesetzlichen Ausgestaltung des Scheidungsverfahrens.
Die Zivilprozeßordnung legt die Anfechtung einer richterlichen Entscheidung auch in Scheidungssachen in die Hand der Parteien; sie kennt kein Verfahren zur Beseitigung ungesetzlicher Scheidungsurteile gegen deren Willen. Vielmehr führt die prozessuale Untätigkeit der Eheleute gegenüber dem ergangenen Urteil allemal zur Lösung ihrer Ehe, auch wenn sie nicht hätten geschieden werden dürfen. Gesichtspunkte des Eheschutzes könnten die Gerichte, wenn die Eheleute geschieden bleiben wollen, deshalb nur zur Geltung bringen, wenn eine Partei zunächst geschwankt und sich - möglicherweise aus durchaus ehefremden Erwägungen - zur Anfechtung entschlossen oder wenn wenigstens einer der Prozeßbevollmächtigten vorsorglich ein Rechtsmittel eingelegt hatte. Von dieser Prozeßlage, in der es einer Prozeßhandlung der Partei bedürfte, um das Rechtsmittelverfahren wieder abzubrechen, und in der ihre Prozeßhandlung noch einer richterlichen Nachprüfung unterworfen werden könnte, hinge es ab, ob der Richter dem Vorhaben, es bei der ungesetzlichen Scheidung zu belassen, entgegentreten könnte oder nicht.
Lösung oder Erhaltung einer Ehe können aber nicht davon abhängen, ob die Parteien das ungesetzliche Urteil ohne Anfechtung hinnehmen oder ob eine von ihnen es zunächst angefochten hat. Es kann keinen Unterschied machen, ob die Rechtsbeständigkeit des Scheidungsurteils durch absichtliches Verstreichenlassen der Rechtsmittelfrist oder durch Rechtsmittelverzicht oder durch Rücknahme eines eingelegten Rechtsmittels erreicht wird. Die Partei ist, da sie nicht gezwungen werden kann, im Allgemeininteresse an der Erhaltung von Ehen, in denen kein Auflösungsgrund vorliegt, von einem Rechtsmittel Gebrauch zu machen, auch berechtigt, auf Rechtsmittel zu verzichten oder das von ihr in Gang gesetzte Rechtsmittelverfahren nach ihrer freien Entschließung zu beenden.
Die Entscheidungen des Reichsgerichts und des erkennenden Senats in RGZ 118, 171 und BGHZ 20, 198, an welche der Berufungsrichter anzuknüpfen scheint, beruhen nicht auf dem allgemeinen Grundsatze, daß eine Prozeßhandlung unwirksam sei, die eine ungesetzliche Lösung der Ehe ermöglichen soll.
Das Reichsgericht behandelt einen Verzicht, der vor Einlegung der Berufung dem Gericht erster Instanz angezeigt worden war, deswegen als unwirksam, weil er prozeßrechtlich das erfüllen solle, was in einem gegen die guten Sitten verstoßenden Vertrage zuvor bedungen worden sei. Es handelte sich um die Hergabe eines Berufungsverzichts gegen eine größere Summe Geldes. Wie das Reichsgericht die einseitige, nicht annahmebedürftige Verzichtserklärung einer an sich zur Anfechtung des Urteils entschlossenen Partei behandelt hätte, wenn keine Gegenleistung zugesagt worden wäre oder wenn der Entschluß, es bei der Lösung der Ehe durch das ergangene Urteil zu belassen, lediglich dadurch mitbestimmt worden wäre, daß die Folgen der Scheidung in erster Instanz bereits vorsorglich vertraglich geregelt worden waren, läßt sich dieser Entscheidung nicht entnehmen.
In dem BGHZ 20, 198 zugrunde liegenden Falle hatte der Beklagte, dessen Ehe 1944 in Breslau geschieden und dessen Berufung infolge der Kriegsverhältnisse nicht mehr zur Entscheidung gekommen war, versucht, nach zehnjährigem weiteren Zusammenleben mit der Klägerin dem Scheidungsurteil zur Rechtskraft zu verhelfen, indem er seine Berufung zurücknahm und zusätzlich auf Rechtsmittel verzichtete. Unter diesen außergewöhnlichen Umständen hat der erkennende Senat beide Prozeßhandlungen des Beklagten als wirkungslos angesehen und der Klägerin gestattet, das Berufungsverfahren zum Zwecke des Klageverzichts fortzuführen. Das Urteil betont ausdrücklich, das Gesetz lasse es im allgemeinen zu, daß ein Ehegatte durch Rücknahme seines Rechtsmittels ein Scheidungsurteil rechtskräftig werden lasse und daß er es mithin in der Hand habe, durch seine Erklärung die Auflösung der Ehe herbeizuführen. Das Gesetz habe aber so außergewöhnliche Verhältnisse, wie sie der Entscheidungsfall bot, nicht regeln können. Auch diese Entscheidung des erkennenden Senats beruht daher nicht auf dem Grundsätze, daß Prozeßhandlungen schon dann unwirksam sind, wenn sie in unmittelbaren Gegensatz zu den Vorschriften der Zivilprozeßordnung über den Eheschutz treten.
Die Rechtsmittelrücknahme und der Rechtsmittelverzicht sind im Scheidungsverfahren daher nicht schon deswegen unwirksam, weil sie im gegebenen Falle zu einer Auflösung der Ehe ohne gesetzlichen Scheidungsgrund führen würden. Die Ungesetzlichkeit des angefochtenen Scheidungsurteils begründet nicht die Gegeneinrede des Rechtsmißbrauchs gegen die Einrede des außergerichtlichen Rechtsmittelverzichts.
Die Rechtsprechung hat sich auch nicht dazu entschlossen, den außergerichtlichen Rechtsmittelverzicht in Scheidungssachen im Hinblick auf die Gefahr übereilter oder ohne anwaltliche Beratung abgegebener Erklärungen die Wirksamkeit überhaupt zu versagen. In der Tat besteht kein Grund, zum Schütze einzelner Parteien gegen leichtfertige Entschließungen nach richterlicher Scheidung ihrer Ehe auch solchen Ehegatten die Möglichkeit eines außergerichtlichen Verzichts auf Anfechtung abzuschneiden, die sich - anwaltlich beraten oder nach eigener sorgfältiger Prüfung - dafür entscheiden, es bei der Lösung ihrer Ehe zu belassen.
Ebensowenig bestünde aber Anlaß, einer Partei, die in freier Entscheidung durch Rechtsmittelverzicht gegenüber dem Prozeßgegner Klarheit über das wechselseitige Verhältnis schaffen wollte, ein Abrücken von ihrer Erklärung zu gestatten, wenn sie demnächst ihre Auffassung ändert und ihre Ehe aufrechtzuerhalten wünscht. Eine allgemeine Unverbindlichkeit des außergerichtlichen Rechtsmittelverzichts bei Sinneswandel läßt sich nicht rechtfertigen. Die Lage des Ehegatten, der sich seines Anfechtungsrechts begibt, unterscheidet sich wesentlich von der Lage des erfolgreichen Scheidungsklägers, dem die Rechtsprechung ein Rechtsmittel zum Zwecke der Rücknahme seiner Klage oder zum Zwecke des Klageverzichts gewährt (RG DR 44, 84; BGHZ 30, 67). Mit der Einlegung eines Rechtsmittels verfügt er in diesem Falle ebenso wie mit der Erhebung der Klage über seinen eigenen Scheidungsanspruch. Der Rechtsmittelverzicht bedeutet hingegen eine Verfügung gegenüber dem Gegner, die die gerichtliche Auseinandersetzung beenden und den Rechtsfrieden herstellen soll. Deswegen kann die Wirkung einer solchen Verfügung nicht in das Belieben der Partei gestellt werden.
Ob es im übrigen sinnvoll wäre, in dieser Weise den außergerichtlichen Rechtsmittelverzicht zu privilegieren, bliebe zweifelhaft. Gerade in Fällen, in denen offensichtlich kein Grund zur Scheidung vorlag, müßte der Partei, die sich übereilt zur Verzichtserklärung gegenüber dem Gericht oder zur Rücknahme eines eingelegten Rechtsmittels entschlossen hat, das gleiche Recht gewährt werden, bei besserer Besinnung die Nachprüfung des Urteils zur Erhaltung ihrer Ehe zu betreiben. Ihre günstigere Stellung im Falle des außergerichtlichen Verzichts ergäbe sich nicht aus der Sache, insbesondere nicht aus dem Wandel der persönlichen Einstellung zu ihrer Ehe. Die Möglichkeit, an der bereits geschiedenen Ehe trotz Rechtsmittelverzichts festzuhalten, würde vielmehr allein auf dem Verfahrensgang beruhen, nämlich darauf, daß ihre außergerichtliche Erklärung durch Einrede des Gegners in das Verfahren eingeführt werden muß und alsdann für unbeachtlich erklärt werden könnte, während Rechtsmittelverzicht und -rücknahme gegenüber dem Gericht ohne weiteres eine Nachprüfung des Scheidungsurteils unzulässig machen.
Nach alledem kann daher der Berufung des Rechtsmittelbeklagten auf den außergerichtlichen Verzicht des Rechtsmittelklägers weder die materielle Gesetzwidrigkeit der Scheidung noch der Wunsch der Eheerhaltung entgegengesetzt werden. Einwendungen gegen die Wirksamkeit dieser außergerichtlichen einseitigen und nicht annahmebedürftigen Prozeßhandlung können sich nur auf die Umstände ihres Zustandekommens gründen.
Dafür kommen zunächst diejenigen Umstände in Betracht, die auch die Unwiderruflichkeit anderer Prozeßhandlungen zur Herbeiführung der Rechtskraft beseitigen, also die jenigen, die zu einem Wiederaufnahmeverfahren nach §580 ZPO führen können (RG DR 43, 620). Hingegen schlagen die Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe des bürgerlichen Rechts nicht durch. Insofern unterscheidet sich die Verzichtserklärung gegenüber dem Gegner nicht von den Prozeßhandlungen gleicher Zielrichtung, die der Prozeßbevollmächtigte gegenüber dem Gericht vornimmt; etwas anderes gilt allein für die Verpflichtungserklärungen der Prozeßparteien im Rahmen eines Vertrages, der die Nichtanfechtung des Scheidungsurteils zum Gegenstande hat.
Da es aber einer Prozeßhandlung des Gegners - einer Verfahrenseinrede - bedarf, um den außergerichtlichen Rechtsmittelverzicht zur Geltung zu bringen und die richterliche Entscheidung über die Unzulässigkeit des Rechtsmittelverfahrens herbeizuführen, ist Raum für die Prüfung, ob das Verhalten des Rechtsmittelbeklagten mit Treu und Glauben vereinbar ist. Stellt sich die Berufung auf den außergerichtlichen Rechtsmittelverzicht als Rechtsmißbrauch dar, so ist die Einrede unbeachtlich. Regelmäßig werden die Umstände, die die Einrede als mit Treu und Glauben unvereinbar erscheinen lassen, vom Rechtsmittelkläger (als "Gegeneinrede") vorgebracht werden; erforderlich ist dies nicht, da einem Rechtsmißbrauch, der anderweitig zur Kenntnis des Gerichts kommt, auch von amtswegen keine Folge gegeben werden darf. Der Senat hat die Verfahrenswirkungen des außergerichtlichen Rechtsmittelverzichts in seinem Urteil LM Nr. 3 zu §514 ZPO (vollständig in ZZP 66, 148) eingehend dargelegt.
Unbestreitbar folgt auch die Möglichkeit, die Umstände, die zu dieser außergerichtlichen Prozeßhandlung geführt haben, in weiterem Umfange zu berücksichtigen als die Umstände, unter denen es zu einer anwaltlichen Erklärung gegenüber dem Gericht gekommen ist, allein aus dieser Eigentümlichkeit des Verfahrensganges. Insbesondere kann der Entschluß einer Partei, ihren Anwalt zur Rechtsmittelrücknahme oder zum Rechtsmittelverzicht anzuweisen, ebenso übereilt und auch im übrigen von den gleichen Umständen beeinflußt sein wie die Verzichtserklärung gegenüber dem Gegner. Ein Unterschied in der Sache besteht aber darin, daß der Anwalt an der Prozeßhandlung gegenüber dem Gericht notwendig beteiligt ist und eingreifen kann, sofern er es für richtig hält, seine Partei zu beraten, während der außergerichtliche Verzicht und auch ohne seine Kenntnis und seinen Beistand Zustandekommen kann.
Es liegt daher nahe, eine Priviligierung des außergerichtlichen Rechtsmittelverzichts auch nur unter diesem der unterschiedlichen Sachlage entsprechenden Gesichtspunkt in Erwägung zu ziehen. Hat die Partei ihr Vorhaben mit ihrem Anwalt beraten oder ihn wenigstens davon unterrichtet oder ist der Anwalt an dem außergerichtlich dem Gegner erklärten Verzicht beteiligt, dann unterscheidet sich diese Prozeßhandlung nicht mehr von der schriftsätzlichen oder mündlichen Erklärung, die er auf Weisung seiner Partei gegenüber dem Gericht abgibt; ob er die Partei beraten und ob die Partei sich seines Rates bedient hat, muß im einen wie im ändern Falle unerheblich bleiben.
Bei der Bedeutung, die die Entscheidung der Partei über den Bestand ihrer Ehe regelmäßig für sie selbst und ihre Kinder und gegebenenfalls auch für den anderen Ehegatten besitzt, muß aber der Verzicht auf anwaltlichen Beistand aus einer freien Entschließung der Parteien erwachsen. War diese Entschließung schwerwiegend beeinträchtigt, dann kann die Berufung auf den Rechtsmittelverzicht mit den guten Sitten unvereinbar sein. Voraussetzung dafür ist nicht notwendig, daß der Rechtsmittelbeklagte, der die Verzichtseinrede erhebt, die andere Partei zum Verzicht auf anwaltlichen Beistand bewogen oder diesen Verzicht gefördert hat. Die Berufung auf einen Rechtsmittelverzicht, der zur Auflösung der Ehe führt, ist auch dann mit Treu und Glauben unvereinbar, wenn sich Inzwischen herausgestellt hat, daß sich der Ehepartner in einem seine freie Entschließung schwerwiegend beeinträchtigenden Zustande, beispielsweise der Verwirrung oder der Depression, befand, als er ohne Kenntnis oder Beistand seines Anwalts eine so weittragende Erklärung abgab.
Ob auch andere Umstände als der Verzicht auf anwaltlichen Beistand es rechtfertigen können, die Berufung auf den außergerichtlichen Rechtsmittelverzicht als mißbräuchlich zu behandeln, kann hier auf sich beruhen. Denn die Gründe, die im vorliegenden Falle die Beklagte veranlaßt haben könnten, nach vielfachem Schwanken schließlich doch dem Scheidungsverlangen des Klägers nachzugeben, sind, soweit der bislang festgestellte Sachverhalt überhaupt einen Schluß gestattet, jedenfalls die gleichen die sie veranlaßt haben, den für ihr Schicksal und das ihrer drei Kinder entscheidenden Entschluß, auf die bereits eingelegte Berufung zu verzichten, ohne Rücksprache mit ihrem Prozeßbevollmächtigten erster oder weiter Instanz zu treffen.
Der Berufungsrichter hat die Umstände, unter denen die Beklagte am 7. August 1965 in der Unterredung mit dem Kläger auf ihre Berufung verzichtet hat, mit dem Hinweise gestreift, sie möge ihre Unterschrift unter den Auftrag an ihre Anwälte erst nach "eindringlichem und zermürbendem Zureden" des Klägers geleistet haben. An anderer Stolle führt das Urteil aus, eine arglistige Täuschung oder Drohung von seiten des Klägers lasse sich nicht sicher feststellen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Lage, in der sich die Beklagte allgemein befand, und die Umstände, unter denen sie ihre Unterschrift leistete und das Papier dem Kläger überließ, ihre Überlegungen und ihre Entscheidungsfreiheit in schwerwiegender Weise beeinträchtigt haben. Darauf könnte ihr wiederholtes Schwanken in der Frage der Scheidung, der Unterhaltssicherung und der Anfechtung des ergangenen Scheidungsurteils hinweisen. Die Belastung der Beklagten in diesem Zeitpunkt und die näheren Umstände, die die Beklagte bewogen, diese Entscheidung allein und ohne anwaltliche Beratung zu treffen, bedürfen daher umfassender Klärung.
Da es sich um die tatsächlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit der Berufung handelt, würde diese Klärung an sich dem erkennenden Senat obliegen. Eine gehörige Aufklärung erfordert hier aber voraussichtlich die Aufhellung des Gesamtverlaufs der Ehe und des persönlichen Verhältnisses der Parteien, der Krankengeschichte der Beklagten und der Verhandlungen und Unterredungen vor und während des Prozesses. Zu diesem Zwecke werden mutmaßlich neben den Parteien die Anwälte und andere Zeugen und gegebenenfalls auch ärztliche Sachverständige zu hören sein. Es erscheint in hohem Maße unzweckmäßig, ein solches Verfahren am Sitz des Revisionsgerichts und durch das Revisionsgericht zu führen. Da nach Lage des Falles auch die Rechtshilfe keine sichere Grundlage für die Beurteilung der Lage der Beklagten im allgemeinen und der Umstände ihres Berufungsverzichts verspricht, verbleibt - wenn beiden Parteien wirksam Rechtsschutz gewährt werden soll - nur die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.
Fundstellen
Haufe-Index 3018631 |
NJW 1968, 794-795 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1968, 308 |
MDR 1968, 308 (Volltext mit amtl. LS) |