Entscheidungsstichwort (Thema)
Totschlag
Leitsatz (amtlich)
Die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB – Begehung von zwei Straftaten der im Katalog des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Art und Verwirkung von jeweils mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe für diese Taten – setzen bei tateinheitlichem Zusammentreffen einer Katalogtat mit einer Nichtkatalogtat zwar nicht die Klarstellung in den Urteilsgründen voraus, daß auch ohne die nicht unter den Katalog des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB fallende Gesetzesverletzung eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erreicht worden wäre; es ist jedoch näher zu prüfen und im Urteil darzulegen, daß es sich bei der Katalogtat um eine symptomatische Tat handelt, die den Hang des Täters zur Begehung erheblicher Taten, namentlich der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Art, belegt.
Normenkette
StGB § 66 Abs. 3 S. 2 (F. 26.1.1998)
Verfahrensgang
LG Wuppertal (Beschluss vom 17.12.1998; Aktenzeichen 25 Ks 411 (26) Js 553/98 - 23/98 V) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 17. Dezember 1998 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags sowie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und hierbei Einzelfreiheitsstrafen von zwölf Jahren (Totschlag) und zwei Jahren (versuchte gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung) festgesetzt. Mit ihrer auf die Sachbeschwerde gestützten Revision greift die Staatsanwaltschaft das Urteil insoweit an, als das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den als gefährlichen Hangtäter beurteilten Angeklagten wegen Fehlens der formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 1 StGB abgelehnt hat.
Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt im Ergebnis, jedoch mit anderer rechtlicher Begründung vertreten wird, ist wegen der hier zu bejahenden inneren Abhängigkeit der Sicherungsverwahrung von der Strafzumessung nicht beschränkbar auf die Entscheidung in der Maßregelfrage, sondern erfaßt zum Nachteil des Angeklagten den gesamten Rechtsfolgenausspruch. Es hat in diesem Umfang Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der unter anderem wegen Gewaltdelikten wiederholt verurteilte Angeklagte am 2. Mai 1998 gemeinsam mit seinem Bekannten K. in der S. er Innenstadt unterwegs, um dort – allerdings vergeblich – Ausschau nach hochwertigen Fahrrädern zu halten, die sie entwenden und gewinnbringend veräußern wollten. Dabei kam es aus nichtigem Anlaß zu einer Konfrontation mit Passanten, darunter die späteren Tatopfer Bl. und der deutlich alkoholisierte B.. Der Angeklagte versetzte dem Zeugen Bl. ohne rechtfertigenden Grund und für diesen völlig überraschend einen heftigen Faustschlag gegen das Kinn, ehe er aus seiner Hosentasche ein Butterflymesser zog und hiermit schnelle Stichbewegungen in Richtung des Zeugen Bl. ausführte, die dessen Kleidung an mehreren Stellen in Brusthöhe beschädigten. Hierbei nahm er die Möglichkeit einer Stichverletzung des Zeugen Bl. billigend in Kauf. Nachdem der Geschädigte die Flucht ergriffen hatte, wandte sich der Angeklagte dem etwa 20 Meter entfernt stehenden B. zu, der von K. gerade einen schmerzhaften Schlag mit einem mitgeführten Bolzenschneider gegen den Oberkörper erhalten hatte. B. kehrte dem im Laufschritt hinzueilenden Angeklagten den Rücken zu, als dieser ihn mit einem mit äußerster Wucht zugefügten Messerstich in den Oberkörper tödlich verletzte. Der Angeklagte, der durch diese Aktion seine im Verlauf des Tages aufgestaute Frustration und Aggression abreagieren wollte, nahm den Tod seines Opfers billigend in Kauf. Im Anschluß daran versetzte der Angeklagte dem Verletzten noch einen Fußtritt, ehe er sich mit K. entfernte. Trotz einer alsbald eingeleiteten Notoperation erlag B. noch am selben Tag den Folgen der Stichverletzung.
II. Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB, aber auch nach Absatz 2 dieser Vorschrift rechtsfehlerfrei verneint (II 1). Der zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs zwingende sachlichrechtliche Mangel liegt jedoch darin, daß es die naheliegende Möglichkeit, auf Sicherungsverwahrung nach der durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 160) neu geschaffenen Regelung in § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB zu erkennen, nicht geprüft hat (II 2).
1. Sachlichen Anlaß, sich mit der Frage der Sicherungsverwahrung des Angeklagten eingehend zu befassen, hatte das Landgericht – unbeschadet des allerdings erst in der Hauptverhandlung und nicht schon mit der Anklage gestellten Antrags der Staatsanwaltschaft auf Anordnung dieser Maßregel – deshalb, weil es trotz des noch jungen Alters des Angeklagten dessen Hang zu erheblichen Straftaten, insbesondere Gewaltdelikten, sowie eine hieraus folgende Gefährlichkeit für die Allgemeinheit mit sachverständiger Hilfe festgestellt und damit die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB bejaht hat. Der strafrechtlich voll verantwortliche Angeklagte weist – so das Landgericht – eine bereits seit früher Jugend ausgeprägte Neigung zu Gewalttaten auf, die als Ventil für aufgestaute Wut- und Frustrationsgefühle über sein von ihm als gescheitert empfundenes Leben dienen und zur Befriedigung von Persönlichkeitsdefiziten eingesetzt werden. Seit seinem dreizehnten Lebensjahr beging er – teilweise als Anführer einer sog. Straßengang – eine Vielzahl ihrer kriminellen Intensität nach ständig zunehmender Delikte, darunter neben Serien von Diebstählen wiederholt auch Raubtaten und räuberische Erpressungen unter Einsatz eines Messers und brutaler Körpergewalt. Es verschafft ihm innere Befriedigung, in seiner Kindheit selbst empfundene Angst nunmehr bei seinen Opfern zu erleben. Nach eigenen Erklärungen, die nach Beurteilung des Sachverständigen und angesichts der abgeurteilten Taten nicht als bloßes Imponiergehabe abgetan werden können, spürt der Angeklagte das Bedürfnis, einen weiteren Menschen zu töten. Unmittelbar vor dem erstinstanzlichen Hauptverhandlungstermin wurde bei ihm ein selbstgefertigtes Stichwerkzeug gefunden, das er bei einem für die Hauptverhandlung erwogenen Fluchtversuch gegebenenfalls unter Geiselnahme einsetzen wollte. Bei der daraufhin veranlaßten Durchsuchung seiner Zelle wurden in der Deckenbeleuchtung versteckt ein weiteres Stichinstrument und eine aus einer Coladose geschnittene 1 Meter lange und 0,5 Zentimeter breite scharfkantige Metallschlinge sichergestellt.
a) Die hohe Gefährlichkeit des Angeklagten reicht indes für die obligatorische Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB noch nicht aus. Es fehlt nach den Feststellungen des Landgerichts an zusätzlich notwendigen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Die früheren Verurteilungen des Angeklagten erfüllen nicht die formellen Anforderungen dieser Regelung, wonach der Täter wegen vorsätzlicher Taten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden sein muß. Die Ausführungen, mit denen das Landgericht dies dargelegt hat, unterliegen keinen rechtlichen Bedenken.
Zwar verurteilte das Amtsgericht Marburg den Angeklagten am 9. Februar 1993 wegen schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen, versuchter schwerer räuberischer Erpressung, Diebstahls in achtzehn Fällen, versuchten Diebstahls in sieben Fällen sowie wegen Sachbeschädigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren. Auch verhängte das Amtsgericht Aachen gegen ihn am 12. Oktober 1995 wegen späterer Taten, nämlich gemeinschaftlichen Raubes in zwei Fällen und gemeinschaftlichen versuchten schweren Raubes, unter Einbeziehung der vorgenannten Entscheidung eine Jugendstrafe von drei Jahren und zehn Monaten. Eine in einem früheren Verfahren ausgesprochene einheitliche Jugendstrafe nach § 31 JGG erfüllt die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB jedoch nur, wenn zu erkennen ist, daß der Täter wenigstens bei einer der ihr zugrundeliegenden Straftaten eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hätte, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre (BGHSt 26, 152, 154 f.; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilungen 2, 6 und 9; BGH NStZ 1996, 331 f.; BGH StV 1988, 296 f.; BGH StV 1998, 343).
Dies festzustellen, ist eine im wesentlichen tatrichterliche Aufgabe, die dem über die Sicherungsverwahrung entscheidenden Richter obliegt. Davon, daß im Falle gesonderter Aburteilung der Einzeltaten jeweils eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verhängt worden wäre, darf nur ausgegangen werden, wenn der Tatrichter Feststellungen darüber treffen kann, wie der Richter des Vorverfahrens die einzelnen Taten bewertet hat; er darf sich nicht an dessen Stelle setzen und im nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen (BGH bei Holtz MDR 1980, 628 f.; BGH bei Holtz MDR 1987, 799; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilungen 2). Diesen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsätzen, an denen der Senat auch nach der Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung festhält, ist das Landgericht gerecht geworden. Die tatrichterliche Beurteilung, den Entscheidungen des Amtsgerichts Marburg und des Amtsgerichts Aachen sei nicht in ausreichendem Maße zu entnehmen, wie die Straftaten bei der Bemessung der Jugendstrafe im einzelnen bewertet und gewichtet worden seien, und deswegen könne nicht hinreichend sicher festgestellt werden, daß der Angeklagte für eine der begangenen Straftaten allein eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt habe, läßt bei Berücksichtigung der näher mitgeteilten jugendgerichtlichen Strafzumessungserwägungen, der Höhe der Einheitsjugendstrafen sowie der Zahl und der Art der damals abgeurteilten Taten, Rechtsfehler nicht erkennen. Es muß hingenommen werden, daß sich hier – wie in zahlreichen anderen Fällen – die erforderlichen Nachprüfungsmöglichkeiten nicht ergeben, weil bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegenüber jungen Tätern ohnehin Zurückhaltung geboten ist (BGHSt 26, 152, 155).
b) Auch soweit das Landgericht die formellen Voraussetzungen für eine fakultativ vorgesehene Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB verneint hat, hält die Entscheidung rechtlicher Prüfung stand.
2. Das Urteil hat im Rechtsfolgenausspruch dennoch keinen Bestand, weil das Landgericht nicht geprüft hat, ob gegen den Angeklagten gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB die Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann.
Unbeschadet der aus verfahrensrechtlicher Regelung folgenden Verpflichtung sich unter bestimmten Voraussetzungen in den Urteilsgründen mit der Frage einer Maßregel der Sicherung und Besserung zu befassen (§ 267 Abs. 6 StPO), ist der Tatrichter aus sachlichrechtlichen Gründen auch im Falle der Nichtanordnung gehalten, die Beurteilung der Maßregelfrage in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise im Urteil darzulegen, wenn die Umstände des Falles eine solche Prüfung nahelegen. Geschieht dies nicht, ist ein sachlichrechtlicher Mangel begründet (vgl. BGH, Urt. vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, zur Veröffentlichung bestimmt, m.Nachw.). So liegen die Dinge hier, soweit die Neuregelung des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB in Frage steht. Danach kann Sicherungsverwahrung gegen einen gefährlichen Hangtäter im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB – unabhängig von früherer Verurteilung – schon dann angeordnet werden, wenn er zwei im Katalog des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannte Straftaten – darunter neben allen Verbrechen und schwerwiegenden Sexualdelikten auch die gefährliche Körperverletzung – begangen hat, er für jede der beiden Taten eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und insgesamt eine Verurteilung zu mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe erfolgt. Eine Strafe ist verwirkt, wenn wegen der Tat eine Verurteilung bereits ergangen ist oder im Zusammenhang mit dem Verfahren, in dem die Frage der Sicherungsverwahrung zu entscheiden ist, ausgesprochen wird (Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 66 Rdn. 9).
a) Daß die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 StGB durch die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags zu einer Einzelfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren zum Teil erfüllt sind, liegt auf der Hand. Auch sind sowohl der Totschlag als auch die weitere Tat des Angeklagten nach Inkrafttreten der durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten eingefügten Neuregelung (31. Januar 1998, Art. 2 Nr. 2, Art. 8 des Gesetzes) begangen, so daß die neue Vorschrift auf den Angeklagten grundsätzlich anwendbar ist.
Fraglich ist allein, ob auch die versuchte gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie die deswegen verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren die Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB erfüllt, da die gefährliche Körperverletzung auch in Gestalt des Versuchs (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 66 Rdn. 4; Stree in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 66 Rdn. 6, 48) zwar zu den Katalogtaten des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB zu rechnen ist, diese neue Vorschrift jedoch außerdem verlangt, daß wegen der Katalogtat Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt ist. Der gesetzliche Wortlaut läßt offen, ob dies in dem hier gegebenen Fall weiterer mit der Katalogtat tateinheitlich konkurrierender Gesetzesverletzungen bedeutet, daß ausschließlich wegen des vom Katalog des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB erfaßten Normverstoßes eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verwirkt sein muß oder ob es ungeachtet der ideell konkurrierenden Gesetzesverletzungen außerhalb des Katalogs generell genügt, wenn insgesamt für alle in Tateinheit stehenden Normverstöße mindestens eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren festgesetzt wird.
Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers sollten mit der Neuregelung der Vorschriften über die Sicherungsverwahrung dem Tatrichter unter Absenkung der formellen Voraussetzungen dieser Maßregel und Erweiterung ihrer Anordnung ein flexibleres Vorgehen ermöglicht und dadurch der Schutz der Bevölkerung vor besonders gefährlichen Intensivtätern im Bereich der schweren Sexualstraftaten und der Gewaltdelikte verstärkt werden, da sich die bislang bestehenden Regelungen als nicht ausreichend erwiesen haben. Zugleich sollte aber auch der Charakter der Sicherungsverwahrung als „ultima ratio” des strafrechtlichen Sanktionensystems und als letzte Notmaßnahme der Kriminalpolitik (BGHSt 30, 220, 222) aufrechterhalten bleiben, die weiterhin nur in den Fällen angeordnet werden darf, in denen dies zum Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern unerläßlich erscheint (vgl. BT-Drucks. 13/7559, S. 1 f., 8, 10 f.; 13/8586 S. 1 f., 7 f.; 13/9062 S. 6 f., 9; ferner Hammerschlag/Schwarz NStZ 1998, 321, 322; Schöch NJW 1998, 1257, 1261; Schneider JZ 1998, 436, 444; Eisenberg/Hackethal ZfStrVO 1998, 196, 199). Beiden Bestrebungen, nämlich, die Anordnungsmöglichkeiten der Sicherungsverwahrung zum Schutz der Allgemeinheit einerseits zu erweitern, andererseits aber den Charakter dieser Maßregel als „letzte Notmaßnahme” zu wahren, gilt es – trotz gewisser gegenläufiger Tendenzen, die ihnen innewohnen – bei der Auslegung der neuen Vorschriften Rechnung zu tragen. Für § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB könnte sich dies in dem Sinne auswirken, daß den formellen Erfordernissen der Katalogtaten und der damit verknüpften Gewichtung durch eine Mindeststrafengrenze deshalb erhöhte Bedeutung beigemessen werden müßte, weil diese Neuregelung grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, die Sicherungsverwahrung unabhängig von Vorverurteilungen bereits aufgrund der Begehung von zwei Katalogtaten anzuordnen, und weil damit die Grundlage für das weitere materielle Erfordernis der Gefährlichkeitsprognose nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB sehr schmal sein kann. Daraus folgt in solchen Fällen, daß die Prüfung, ob der Angeklagte als gefährlicher Hangtäter einzustufen ist, mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen ist. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, daß der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung – zumal als Versuch – derart unterschiedliche Schweregrade der Verwirklichung zuläßt, daß es durchaus möglich ist, daß einer in Tateinheit stehenden, aber vom Katalog nicht erfaßten Gesetzesverletzung das Übergewicht bei der Strafzumessung zukommt und erst diese der Grund dafür ist, daß die Mindestgrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe erreicht oder überschritten wird. Deshalb könnte die Auffassung vertreten werden, daß in solchen Fällen die Indizwirkung der Tat für die Gefährlichkeit des Täters, die der Gesetzgeber den formellen Erfordernissen in § 66 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 StGB beigemessen hat, nicht von der Verwirklichung einer Katalogtat allein, sondern von der in der verwirkten Strafe zum Ausdruck kommenden Gewichtung gerade unter dem Gesichtspunkt der Katalogtat abhängt. Der Senat folgt dieser Auffassung jedoch nicht.
b) Hinweise darauf, ob § 66 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 StGB auch in einem Fall wie dem vorliegenden anwendbar ist, sind dem Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten nicht zu entnehmen. Auch Rechtsprechung dazu ist nicht ersichtlich. Im Schrifttum wird lediglich die ähnlich gelagerte Frage zu § 66 Abs.1 Nr. 1 StGB behandelt, wie zu verfahren ist, wenn mit einer abgeurteilten vorsätzlichen Straftat Fahrlässigkeitsdelikte ideell konkurrieren. Hierbei wird die Auffassung vertreten, es sei ähnlich wie bei einer einheitlichen Jugendstrafe nach § 31 JGG vorzugehen. Den Urteilsgründen müsse zu entnehmen sein, daß der Täter wegen einer Vorsatztat eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verwirkt habe (Horn in SK-StGB 21. Lfg. § 66 Rdn. 8). Der Senat hat deshalb geprüft, ob eine an den zu § 31 JGG entwickelten Grundsätzen orientierte Auslegung des § 66 Abs. 3 StGB dogmatisch vertretbar und praktisch ausführbar ist, hat dies aber im Ergebnis verneint.
Es könnte zunächst daran gedacht werden zu verlangen, daß der Tatrichter, wenn er für eine Katalogtat, die mit einer Nichtkatalogtat tateinheitlich zusammentrifft, eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, klarstellen muß, ob auch ohne die nicht unter den Katalog fallenden Gesetzesverletzungen eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erreicht worden wäre. Zu einer solchen Klarstellung ist regelmäßig nur der Tatrichter, der zugleich über die Straffestsetzung entscheidet, zuverlässig in der Lage. Dem Revisionsgericht, aber auch dem Tatrichter, der nach revisionsgerichtlicher Zurückverweisung ausschließlich über den Maßregelausspruch zu befinden hätte oder der auf der Grundlage einer nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB berücksichtigungsfähigen Vorverurteilung anläßlich einer einschlägigen Rückfalltat über die Anordnung der Sicherungsverwahrung entscheiden muß, ist eine solche strafzumessungsähnliche Bewertung mangels umfassender Kenntnis der für die Gewichtung erheblichen Strafzumessungsgesichtspunkte in aller Regel nicht möglich.
Eine Handhabung des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB in dem Sinne, daß bei tateinheitlichen Gesetzesverletzungen stets klarzustellen ist, ob auch ohne die nicht unter den Katalog fallende Tat eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt worden wäre, erweist sich jedoch nach Auffassung des Senats als dogmatisch problematisch und in der Praxis kaum umsetzbar. Eine Parallele zu § 31 Abs. 1 Satz 1 JGG kann jedenfalls nicht ohne weiteres gezogen werden. Nach dieser Vorschrift tritt in Fällen der Aburteilung eines Jugendlichen wegen mehrerer Straftaten die einheitliche Maßnahme bzw. Rechtsfolge an die Stelle der Bestimmungen des allgemeinen Strafrechts bei tatmehrheitlicher Konkurrenz (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilungen 2, 6, 9 und 12), und zwar aus erzieherischen Gründen (vgl. Eisenberg JGG 7. Aufl. § 31 Rdn. 9 ff.). In den Fällen der Tateinheit gemäß § 52 StGB ist hingegen nur eine Handlung, d.h. nur eine Tat, die mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals verletzt, Gegenstand der Aburteilung. Für sie ist deshalb eine Strafe nach den Regeln des § 52 Abs. 2 StGB zu verhängen, gleich welcher Art und welchen Regelungsgehalts die verletzten Straftatbestände sind (vgl. Puppe NK-StGB § 52 Rdn. 71; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. § 52 Rdn. 4; Samson/Günther SK-StGB 6. Aufl. § 52 Rdn. 29; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 52 Rdn. 1, 32). Zwar kann tateinheitliches Zusammentreffen mehrerer Straftatbestände den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat verstärken und deshalb einen Strafschärfungsgrund darstellen (vgl. u.a. BGH NStZ 1993, 434; BGHR StGB § 46 II Wertungsfehler 20), andererseits kann aber bei gleichgerichtetem Unrechtsgehalt der verwirklichten Tatbestände der Tateinheit nur klarstellende Bedeutung im Rahmen des Schuldspruchs zukommen (vgl. BGHSt 39, 100, 109; BGH NStZ 1993, 537). Eine über diese Grundsätze hinausgehende quantitative Gewichtung des Unrechts der unter verschiedene Straftatbestände fallenden Tatelemente nach ihrem jeweiligen Anteil an der Höhe der einheitlich auszusprechenden Strafe ist der Vorschrift des § 52 StGB hingegen fremd. Der Lösungsansatz, fiktive Strafzumessungserwägungen für eine einzelne tateinheitlich verwirklichte Gesetzesverletzung anzustellen, würde zudem in den Fällen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB – vorherige Verurteilung wegen einer tateinheitlich begangenen Katalogtat – versagen, weil der frühere Tatrichter keinen Anlaß hatte, vorsorglich und hypothetisch solche Erwägungen im Hinblick auf eine künftig mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung anzustellen. Hinzu kommt folgendes: Da bei der Verurteilung nur wegen einer Katalogtat auch außerhalb der Katalogtat liegende Umstände – z.B. etwaige Vorverurteilungen wegen einer Nichtkatalogtat – strafschärfend herangezogen werden können, ohne daß dadurch die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB entfallen, ist es sachgemäß, dies bei gleichzeitiger Aburteilung einer tateinheitlichen Nichtkatalogtat nicht anders zu beurteilen.
Der Senat hält es daher bei tateinheitlicher Verurteilung wegen einer Katalogtat und einer Nichtkatalogtat zur Bejahung der formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB für ausreichend, daß gemäß § 52 Abs. 2 StGB auf eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt wird; die tateinheitliche Verurteilung wegen eines weiteren, nicht dem Katalog des § 66 Abs. 3 Satz 1 unterfallenden Delikts hindert für sich genommen die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht, wenn im übrigen die abgeurteilten Taten eine hinreichend sichere Grundlage für die notwendige Gefährlichkeitsprognose bilden.
c) In diesen Fällen ist besonders sorgfältig zu prüfen und darzulegen, ob der Täter einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten, namentlich der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB benannten Art, aufweist. Daß die Anordnung der Sicherungsverwahrung auf der Grundlage des § 66 Abs. 3 StGB nur bei Vorliegen eines solchen Hanges zulässig ist, hat der Gesetzgeber schon durch den Verweis auf § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB klargestellt (vgl. Hammerschlag/Schwarz NStZ 1998, 321, 322; Schöch NJW 1998, 1257, 1261). Ob diese materielle Voraussetzung der Sicherungsverwahrung anzunehmen ist, beurteilt sich bei § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB wie in den Fällen des § 66 Abs. 1 und 2 StGB danach, ob die Vorverurteilung und/oder die abzuurteilenden Anlaßtaten symptomatisch für die verbrecherische Neigung des Täters und die von ihm ausgehende Gefährlichkeit sind. Dies hat zur Folge, daß in den Fällen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB die Anlaßtaten daraufhin zu würdigen sind, ob aus ihnen bereits auf einen Hang zur Begehung „erheblicher Straftaten”, namentlich solcher, die unter den Katalog des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB fallen, geschlossen werden kann, d.h., ob sich bereits in ihnen ein solcher Hang hinreichend deutlich manifestiert hat (vgl. BGHSt 24, 153, 156 zu § 42 e StGB a.F.; Hanack in LK 11. Aufl. § 66 Rdn. 46 und 162 zu § 66 Abs. 1 und 2 StGB m.w.Nachw.). Bei tateinheitlich begangenen verschiedenartigen Delikten, kann der Charakter einer Katalogtat als symptomatisch für den erforderlichen Hang des Täters unter Umständen nur schwer zu beurteilen sein und bedarf, wie auch sonst bei verschiedenartigen Taten (vgl. Hanack aaO Rdn. 163; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 10), besonders sorgfältiger Prüfung nach Anlaß und Umständen der Tatbegehung sowie der Täterpersönlichkeit. Je größeres Gewicht der Nichtkatalogtat im Vergleich zu der unter den Katalog des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB fallenden Tat im Rahmen des Gesamtgeschehens zukommt, desto zweifelhafter ist der Charakter der Katalogtat als Symptomtat und als ausreichende Grundlage für eine Maßregelanordnung nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB. Diese Grundsätze wird der zur neuen Entscheidung berufene Tatrichter bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB zu berücksichtigen haben.
3. Die fehlerhaft unterlassene Prüfung des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB führt nicht nur zur Aufhebung der Einzelstrafe für die versuchte gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung und soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist, sondern zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs, da der Senat nicht ausschließen kann, daß die Einzelstrafe für den vollendeten Totschlag und die Gesamtstrafe niedriger ausfallen, wenn der neue Tatrichter die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung anordnen sollte.
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, Miebach, RiBGH Winkler ist durch Urlaub verhindert zu unterschreiben. Kutzer, Pfister
Fundstellen
Haufe-Index 540500 |
NJW 1999, 3723 |
NStZ 2000, 138 |
Nachschlagewerk BGH |
StV 2000, 254 |