Leitsatz (amtlich)
›a) Zur Verwirkung von Gründen für die Abberufung eines GmbH-Geschäftsführers.
b) Das Nachschieben von wichtigen Gründen für die Abberufung eines Geschäftsführers ist ausnahmsweise auch ohne vorherige erneute Beschlußfassung der Gesellschafterversammlung zulässig, wenn es in einer Zwei-Mann-GmbH um die Abberufung des anderen Gesellschafter-Geschäftsführers geht und der Gesellschafter, der den Abberufungsbeschluß allein gefaßt hat, zugleich derjenige ist, der die Gesellschaft in dem über die Wirksamkeit der Abberufung geführten Rechtsstreit vertritt.‹
Tatbestand
Die Beklagte ist eine GmbH mit einem Stammkapital von 100.000,-- DM, die den Großhandel mit Orientteppichen betreibt. Ihre beiden Gesellschafter, der Kläger und Frau L., sind zugleich Geschäftsführer mit Einzelvertretungsmacht. Zwischen beiden gibt es seit längerem Auseinandersetzungen, die bereits eine Reihe von Rechtsstreitigkeiten ausgelöst haben. Am 4. Januar 1989 führten die beiden Gesellschafter eine Inventur durch, bei der sie vereinbarten, künftig nur noch gemeinsam die Geschäftsräume zu betreten, was durch zwei verschiedene Schlösser am Haupteingang sichergestellt werden sollte. Am 7. Januar 1989 versuchte der Kläger dennoch, allein in die Räume einzudringen, wobei er das Schloß der Alarmanlage beschädigte und einen Schaden von 1.498,75 DM verursachte, dessen Ausgleich er in der Folge trotz wiederholter Aufforderungen seiner Mitgesellschafterin verweigerte. Durch einstweilige Verfügung vom 10. Januar 1989, die durch Urteil vom 21. März 1989 bestätigt wurde, wurde dem Kläger verboten, die Geschäfts- und Lagerräume ohne Einwilligung der Geschäftsführerin L. zu betreten. Mit Schreiben vom 21. Mai 1989 erklärte die Mitgesellschafterin dem Kläger, daß u.a. wegen des Einbruchsversuchs das Vertrauensverhältnis für jede weitere Zusammenarbeit irreparabel zerstört und ihr eine Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht zumutbar sei. Dennoch berief sie mit Brief vom selben Tage, in der Hoffnung, sich mit dem Kläger noch verständigen zu können, eine Gesellschafter-versammlung auf den 9. Juni 1989 ein, in der der Jahresabschluß zum 31. Januar 1989 beschlossen werden sollte. Auf der Versammlung verweigerte der Kläger seine Zustimmung. In einer weiteren Gesellschafterversammlung vom 14. Juli 1989 wurde der Kläger mit den Stimmen seiner Mitgesellschafterin, die sich zur Begründung auf die vorangegangene Korrespondenz berief, als Geschäftsführer abberufen.
In dem vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Feststellung, daß der Beschluß vom 14. Juli 1989 über seine Abberufung unwirksam sei. Die Beklagte, die die Abweisung der Klage erstrebt, beruft sich zur Begründung für die Abberufung des Klägers in erster Linie auf die in der Vorkorrespondenz, insbesondere einem Schreiben vom 16. März 1989, aufgeführten Vorfälle, wobei sie vor allem in dem eigenmächtigen gewaltsamen Eindringen des Klägers in ihr Warenlager sowie in seiner anschließenden Weigerung, den ihr durch sein Verhalten entstandenen Schaden zu ersetzen, grobe Pflichtverletzungen des Klägers sieht. Außerdem hat sie ergänzend eine Reihe weiterer Vorkommnisse vorgetragen, aus denen sich nach ihrer Ansicht die Unzumutbarkeit der Belassung des Klägers in seiner Stellung als Geschäftsführer ergibt.
Die Klage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren vor dem Berufungsgericht gestellten Abweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der Kläger durch den Beschluß vom 14. Juli 1989 nicht wirksam von seinem Amt als Geschäftsführer der Beklagten abberufen worden, weil die berücksichtigungsfähigen Umstände keine wichtigen Gründe im Sinne des § 38 Abs. 2 GmbHG seien und im übrigen den Abberufungsbeschluß auch wegen Verwirkung des überwiegenden Teils dieser Gründe nicht tragen könnten. Die Abberufung könne nur auf solche Umstände gestützt werden, die in der entscheidenden Gesellschafterversammlung vom 14. Juli 1989 durch Bezugnahme der Mitgesellschafterin Frau L. auf die vorangegangene Korrespondenz wenigstens mittelbar als Grund für die Abberufung erkennbar gemacht worden seien. Jeder Zweifel, ob ein in dieser Korrespondenz erörterter Punkt als wichtiger Grund gelten solle, müsse dabei zu Lasten der Beklagten gehen, deren Gesellschafter-versammlung die Gründe für den Widerruf ›nur derart ungenau‹ bezeichnet habe. Infolgedessen seien als Abberufungsgründe nur die in dem Schreiben vom 16. März 1989 enthaltenen Vorwürfe anzuerkennen. Von diesen hält das Berufungsgericht denjenigen des eigenmächtigen gewaltsamen Eindringens in die nur gemeinsam zu betretenden Lagerräume der Beklagte für verwirkt, einen weiteren, die als pflichtwidrig unterstellte Weigerung des Klägers, den durch sein Vorgehen entstandenen Schaden zu ersetzen, nicht für schwerwiegend genug, um für sich allein die Abberufung des Klägers zu rechtfertigen, die übrigen drei für unbegründet. Im übrigen seien auch sie verwirkt. Eine Reihe zusätzlicher gegen den Kläger erhobener Vorwürfe hält das Berufungsgericht rechtlich für unbeachtlich, weil es die Beklagte versäumt habe, sich auf sie schon bei der Abberufung des Klägers zu berufen, und das spätere Nachschieben von Widerrufsgründen nur unter sehr engen, vorliegend nicht gegebenen Voraussetzungen zulässig sei. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
II.
1. a) Dem Berufungsgericht ist allerdings im Ausgangspunkt zuzustimmen, daß das Recht der Gesellschaft zur Abberufung ihres Geschäftsführers aus wichtigem Grund nach allgemeinen rechtlichen Grundsätzen verwirkt werden kann, wenn sie die Umstände, die ein solches Recht begründen, über längere Zeit hinweg nicht zum Anlaß nimmt, eine Abberufung auszusprechen und der Geschäftsführer aufgrund dieses Verhaltens der Gesellschaft nach Treu und Glauben annehmen durfte, sie wolle auf diese Umstände nicht mehr zur Begründung einer Abberufung zurückkommen. Danach ist es als zumindest mögliche tatrichterliche Würdigung des Geschehensablaufs rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht ein mögliches Recht der Beklagten, die Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer wegen des Vorfalls vom 7. Januar 1989 zu widerrufen, als verwirkt angesehen hat. Wenn die Beklagte auf das den bestehenden ausdrücklichen Vereinbarungen zuwiderlaufende gewaltsame Eindringen des Klägers in ihr Warenlager nicht mit der Abberufung des Klägers reagiert, sondern statt dessen versucht hat, ihn auf dem Rechtswege dazu anzuhalten, die zwischen ihren beiden geschäftsführenden Gesellschaftern einverständlich getroffene Abrede, das Lager nur gemeinsam zu betreten, künftig zu respektieren, so ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dies als Ausdruck des Willens der Mitgesellschafterin zu verstehen, die Zusammenarbeit mit dem Kläger auch auf Geschäftsführerebene fortzusetzen.
b) Dagegen kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden, wenn es auch die weiteren in dem Schreiben der Mitgesellschafterin des Klägers vom 16. März 1989 aufgeführten Abberufungsgründe zumindest hilfsweise als verwirkt angesehen hat. Der Umstand, daß auch das Recht der Gesellschaft, ihren Geschäftsführer nach § 38 Abs. 2 GmbHG aus wichtigem Grund abzuberufen, unter den eingangs bezeichneten Voraussetzungen verwirkt werden kann, bedeutet entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht, daß die Gesellschafter, um dieser Rechtsfolge zu entgehen, die Abberufung unter allen Umständen sofort auf die Tagesordnung der nächsten Gesellschafterversammlung setzen müßten. Es muß ihnen vielmehr grundsätzlich unbenommen sein, zuvor noch einen letzten Versuch zu unternehmen, mit dem Geschäftsführer auf der nächsten Gesellschafterversammlung zu einer Aussprache und einem Ausgleich zu kommen, und die Entscheidung über eine etwaige Abberufung solange zurückzustellen. So liegt es im vorliegenden Fall. Wie das Berufungsgericht im unstreitigen Tatbestand seines Urteils selber feststellt, handelte die Mitgesellschafterin des Klägers bei Einberufung der Gesellschafterversammlung vom 9. Juni 1989 in der Hoffnung, mit dem Kläger vielleicht doch noch zu einer Verständigung zu gelangen. Anders kann auch der Kläger ihr Verhalten bei verständiger Würdigung ihres Vorgehens nicht verstanden haben. Der gegenteiligen Annahme steht bereits entgegen, daß Frau L. den Kläger in einem auch vom Berufungsgericht aufgeführten, vom selben Tage wie die Einladung zu der Gesellschafterversammlung datierenden Schreiben nachdrücklich darauf hingewiesen hatte, daß das erforderliche Vertrauensverhältnis für eine Wiederaufnahme der ursprünglichen Zusammenarbeit infolge der Verfehlungen des Klägers nicht mehr gegeben sei. Mag auch ein solches Verhalten der Mitgesellschafterin in einem gewissen Gegensatz zu der von ihr beabsichtigten Suche nach einer Verständigung mit dem Kläger stehen, so ändert dies jedoch nichts daran, daß es bei dieser Sachlage für den Kläger an jedem Anlaß fehlte, darauf zu vertrauen, seine Mitgesellschafterin betrachte die ihm vorgeworfenen Vorkommnisse in ihrer Gesamtheit als endgültig erledigt und wolle auf sie nicht mehr zurückkommen. Da die Gesellschafterversammlung vom 9. Juni 1989 die erhoffte Verständigung nicht brachte, vielmehr sofort zu weiteren schweren Zerwürfnissen zwischen dem Kläger und seiner Mitgesellschafterin führte, konnte diese nicht gehindert sein, die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer nunmehr auf die Tagesordnung der nächsten, bereits auf den 14. Juli 1989 einberufenen Gesellschafterversammlung zu setzen und dort zu beschließen. Die Ansicht des Berufungsgerichts, das Scheitern dieses Versuches habe außer Betracht zu bleiben, weil es auf die Weigerung des Klägers, den Jahresabschluß mitzubeschließen, zurückzuführen sei, was eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger als Geschäftsführer nicht ausgeschlossen habe, beruht auf einer unzulässigen isolierenden Betrachtung innerlich wie äußerlich zusammengehöriger und damit auch rechtlich zusammenhängend zu würdigender Vorgänge.
c) Der dem angefochtenen Urteil damit innenwohnende Rechtsfehler wirkt sich allerdings unmittelbar zunächst nur auf die Beurteilung des Vorwurfes aus, der Kläger habe sich unberechtigterweise geweigert, der Beklagten den durch sein gewaltsames Eindringen in ihr Warenlager entstandenen Schaden zu ersetzen. Auch wenn dieser Vorwurf, wie vorstehend dargelegt, entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht verwirkt ist, so ist dem Berufungsgericht doch jedenfalls zuzugeben, daß er nicht schwerwiegend genug ist, die Abberufung des Klägers für sich allein zu rechtfertigen. Berücksichtigt man, daß der Kläger am Gewinn und Verlust der Beklagten als Gesellschafter zur Hälfte beteiligt ist, so daß im wirtschaftlichen Ergebnis die Hälfte des angerichteten Schadens ohnehin vom Kläger zu tragen war, so ging es hier letztlich lediglich um einen Betrag von etwas über 700,-- DM. Eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Gesellschaftern um diese verhältnismäßig geringe Summe kann - auch wenn der Kläger dabei im Unrecht gewesen sein sollte - für sich allein genommen nicht zur Begründung einer so einschneidenden Maßnahme wie des Widerrufs der Geschäftsführungsbefugnis des Klägers aus wichtigem Grunde ausreichen. Ebensowenig vermag es ein Vorwurf von so geringem Gewicht zu rechtfertigen, auf ältere Vorwürfe (insbesondere das eigenmächtige Eindringen des Klägers in das Warenlager der Beklagten), welche als solche nicht mehr zum Anlaß eines Widerrufs der Geschäftsführerbestellung genommen werden können, unter Berufung auf die neuerliche Verfehlung zurückzukommen. Zwar ist es grundsätzlich zulässig, ältere bereits durch Verzeihung, Verwirkung u.ä. überholte Vorfälle zur Begründung des Widerrufs einer Geschäftsführerbestellung ergänzend mit heranzuziehen, wenn sich der Geschäftsführer neuer Verfehlungen schuldig macht, die ihrer Natur und ihrem Gewicht nach geeignet erscheinen, die Frage, ob der Geschäftsführer weiter in seinem Amt belassen werden kann, ernstlich aufzuwerfen. Dazu reicht jedoch die Weigerung des Klägers, die Kostendifferenz von etwas über 700,-- DM zu übernehmen, auch wenn sie, wie für die Revisionsinstanz zu unterstellen ist, pflichtwidrig gewesen sein sollte, nicht aus.
d) Den weiteren in dem Schreiben vom 16. März 1989 gegen den Kläger erhobenen Vorwürfen hat das Berufungsgericht ihre Eignung, ein Recht zur Abberufung des Klägers zu begründen, nur hilfsweise wegen Verwirkung und in erster Linie deshalb abgesprochen, weil sie nicht als grobe Pflichtverletzungen im Sinne des § 38 Abs. 2 GmbHG anzusehen seien. Diese Bewertung ist entgegen der Ansicht der Revision rechtlich nicht zu beanstanden, so daß auf diese Vorfälle, auch wenn sie nicht verwirkt sind, die Abberufung des Klägers nicht gestützt werden kann. Dies gilt zunächst für den angeblichen Verkauf von Teppichen unter Wert. Nachdem der Beklagten die Rückgängigmachung dieser Verkäufe angeboten worden ist, verhält sie sich jedenfalls in der Tat widersprüchlich, wenn sie einerseits behauptet, der Kläger habe sie durch diese Verkäufe so schwer geschädigt, daß er als Geschäftsführer unhaltbar sei, andererseits aber auf das bezeichnete Angebot nicht eingeht, sondern darauf besteht, daß das von dem Kläger abgeschlossene, angeblich so nachteilige Geschäft wie vereinbart durchgeführt wird. Hinsichtlich der Bewertung der Vorgänge um den ungeklärten Verbleib von zwei weiteren Teppichen und das Fehlen angeblich von dem Kläger für die Beklagte eingekauften Schmucks hat auch die Revision keine konkreten Einwände erhoben, die zu rechtlichen Bedenken gegen ihre Würdigung durch das Berufungsgericht Anlaß geben könnten.
Das Berufungsurteil kann jedoch aus einem anderen Grunde keinen Bestand haben.
1. a) Das Berufungsgericht nimmt unter Berufung auf die Senatsrechtsprechung an, ein Nachschieben von Widerrufsgründen sei grundsätzlich unzulässig und auf den Ausnahmefall beschränkt, daß im Zeitpunkt des Widerrufsbeschlusses bereits vorliegende, aber erst nachträglich bekannt gewordene Umstände geltend gemacht werden, die mit den für den Widerruf maßgebenden Umständen eng zusammenhängen und nur noch den Tatbestand abrunden, von dem die Gesellschafterversammlung ausgegangen ist. Infolgedessen hält es eine Reihe weiterer gegen den Kläger erhobener Vorwürfe, auf welche die Beklagte seine Abberufung in dem vorliegenden Rechtsstreit zusätzlich gestützt hat, mangels Vorliegens der genannten vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltenen Voraussetzungen für unbeachtlich. Dies beruht auf einer Verkennung der Senatsrechtsprechung.
b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Zulässigkeit des Nachschiebens von Gründen bei einem Widerruf der Organstellung im allgemeinen nach denselben Grundsätzen zu beurteilen wie bei der Kündigung eines Dienstvertrages aus wichtigem Grund (vgl. Urteil vom 14. Oktober 1968 - II ZR 84/67, LM GmbHG § 38 Nr. 4 betreffend die Abberufung eines Geschäftsführers und die dortige Verweisung auf die Entscheidung BGHZ 27, 220, welche die fristlose Kündigung des Anstellungsverhältnisses eines Handelsvertreters zum Gegenstand hat). Für die Kündigung eines Dienstverhältnisses aber gilt, soweit nicht Beschränkungen, die ihre Ursache allein in der nur für Kündigungen von Dienstverträgen geltenden Fristenregelung des § 626 Abs. 2 BGB haben, in Betracht zu ziehen sind, ganz allgemein der Grundsatz, daß Umstände, die im Zeitpunkt der Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts aus wichtigem Grund bereits bestanden haben, im Rechtsstreit zur Begründung der Kündigung nachgeschoben werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie dem Kündigenden im Zeitpunkt seiner Kündigungserklärung bekannt oder unbekannt waren (vgl. statt aller Müko/Schwerdtner, BGB 2. Aufl. § 626 Rdn. 228 mit zahlreichen weiteren Nachweisen auch zur ständigen dahingehenden Rechtsprechung des BAG). Von diesem Grundsatz geht auch die Senatsrechtsprechung aus. Zwar wird in dem Senatsurteil vom 14. Oktober 1968 (aaO.) die auf dem Standpunkt der Unzulässigkeit des Nachschiebens von Abberufungsgründen stehende Revision zunächst mit der Erwägung zurückgewiesen, die nachgeschobenen Gründe lägen im wesentlichen auf derselben Linie wie die Tatbestände, auf die der Abberufungsbeschluß gestützt war, so daß die aus ihnen hergeleiteten Bedenken gegen die Geschäftsführung des damaligen Klägers die später festgestellten Vorkommnisse nur bestätigten. In diesen Ausführungen liegt aber nur scheinbar eine Bestätigung des Rechtsstandpunkts, den das Berufungsgericht im vorliegenden Fall aus der Senatsrechtsprechung meint ableiten zu müssen. Denn der Senat stellt zugleich im Anschluß an diese ausschließlich durch die Lage des seinerzeit zur Entscheidung stehenden Falles bedingten Ausführungen eindeutig klar (aaO. Bl. 1 R unten), daß diese ›Liniengleichheit‹ nicht unabdingbare Voraussetzung für das Nachschieben anderer Gründe ist, indem er darauf verweist, ›daß eine Entlassung grundsätzlich noch nachträglich mit Gründen gerechtfertigt werden kann, die bei ihrem Ausspruch bereits vorgelegen haben, aber aus Unkenntnis oder anderen Gründen nicht geltend gemacht worden sind (vgl. BGHZ 27, 220)‹. Die damit in Bezug genommene Entscheidung führt dazu schon im Leitsatz klar und unzweideutig aus, daß grundsätzlich zur Begründung einer außerordentlichen Kündigung, die aus den bei der Kündigung angegebenen Gründen unwirksam wäre, zur Zeit des Ausspruchs der Kündigung bereits vorhandene, mit der Kündigungserklärung nicht bekanntgegebene Gründe nachträglich mit der Wirkung geltend gemacht werden können, daß sie die Kündigung bereits für den Zeitpunkt ihres Ausspruchs rechtfertigen. Im Einzelfall könne sich allerdings nach Treu und Glauben eine Beschränkung auf den zunächst angegebenen Kündigungsgrund ergeben, was nach den dazu in den Entscheidungsgründen (aaO. Seite 225) gegebenen Erläuterungen dann der Fall sein könnte, wenn bei Ausspruch der Kündigung ein bestimmter Kündigungsgrund angegeben worden sei und der Gekündigte nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Kündigende werde sich auf diesen Grund beschränken. Eine solche Annahme werde aber im allgemeinen nicht berechtigt sein, wenn es sich um von dem Kündigenden selber veranlaßte Gründe handle.
An diesen Grundsätzen der bisherigen Senatsrechtsprechung ist festzuhalten. Es besteht im allgemeinen kein Anlaß, die Zulässigkeit des Nachschiebens von weiteren beim Ausspruch des Widerrufs bereits bestehenden wichtigen Gründen für die Beendigung der Geschäftsführerstellung darüber hinaus einzuschränken. Es gibt zahlreiche vernünftige Motive, die Begründung für einen Widerruf der Geschäftsführerbestellung zunächst auf bestimmte Tatbestände zu beschränken. Dies kann zum Beispiel angebracht sein, um den abzuberufenden Geschäftsführer zu schonen, aber auch etwa, um nicht unnötig Interna der Gesellschaft einem öffentlichen Streit auszusetzen. Es wäre nur schwer einzusehen, warum die Gesellschaft nicht berechtigt sein sollte, ihre weiteren Gründe, die die Belassung des Geschäftsführers in seiner bisherigen Stellung und Verantwortung für sie unzumutbar machen, noch nachträglich zur Stützung ihres Abberufungsbeschlusses offenzulegen, wenn sie feststellen muß, daß das Gericht die bisher angegebenen Gründe zwar als wesentlich, aber nicht für sich allein ausreichend erachtet. Die gegenteilige Annahme könnte lediglich zur Folge haben, daß die Gesellschaft aufgrund in der Sache unrichtiger Gerichtsentscheidungen gezwungen würde, tatsächlich unzumutbare Geschäftsführer weiter amtieren zu lassen, oder aber die Gesellschaft zu zwingen, stets ohne jede Rücksichtnahme, möglicherweise auch ohne Rücksicht auf die berufliche Zukunft des zu Entlassenden, sogleich sämtliche - wirklichen oder angeblichen - Verfehlungen ihres Geschäftsführers offenzulegen. Daran kann auf keiner Seite ein vernünftiges Interesse bestehen. Eine über die in BGHZ 27, 220 gemachte Ausnahme hinausgehende Einschränkung des Rechts zum Nachschieben von Widerrufsgründen ist deshalb aus Gesichtspunkten, die sich aus der Eigenart der Abberufung und der Auseinandersetzung über ihre Begründetheit ergeben, nicht zu rechtfertigen.
c) Dagegen kann sich eine solche Einschränkung aus Gesichtspunkten der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung ergeben. So kann das Vertretungsorgan einer Genossenschaft nicht von sich aus nachträglich die Gründe für die Kündigung eines Vorstandsmitgliedes erweitern, wenn die für die Entscheidung über eine außerordentliche Kündigung allein zuständige Generalversammlung die Kündigung (nur) aus bestimmten Gründen ausgesprochen hat (BGHZ 60, 333, 335). Sollen weitere Kündigungsgründe nachgeschoben werden, so muß sie das Vertretungsorgan deshalb vorher der Generalversammlung unterbreiten und sie darüber entscheiden lassen.
Dagegen kann die Kompetenzordnung in der Gesellschaft einem Nachschieben von wichtigen Abberufungsgründen vernünftigerweise nicht entgegenstehen, wenn es in einer Zwei-MannGmbH um die Abberufung des anderen Gesellschafter-Geschäftsführers aus seinem Amt geht und der Gesellschafter, der den Abberufungsbeschluß allein gefaßt hat (der als Geschäftsführer abzuberufende andere Gesellschafter hat bei dieser Abstimmung kein Stimmrecht, vgl. BGHZ 87, 177, 178), zugleich derjenige ist, der die Gesellschaft in dem über die Wirksamkeit der Abberufung anhängig gemachten Rechtsstreit vertritt. Da in diesem Fall der Geschäftsführer, der sich bedingt durch die Prozeßlage zum Nachschieben bisher nicht geltend gemachter weiterer Abberufungsgründe entschlossen hat, zugleich derjenige ist, der in der Gesellschafterversammlung allein über das Nachschieben dieser Gründe zu beschließen hätte und nicht davon auszugehen ist, daß er in seiner Eigenschaft als Gesellschafter anders entscheiden würde als in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer, könnte man bei dieser Konstellation zur Annahme einer Verletzung der Kompetenz der Gesellschafterversammlung nur bei einer sehr formalen Betrachtungsweise gelangen. Sie wäre in der Sache allenfalls berechtigt, wenn wirklich Aussicht bestünde, daß der Zwang, auf einer zusätzlichen Gesellschafterversammlung förmlich über das Nachschieben weiterer Abberufungsgründe Beschluß zu fassen, den die Abberufung betreibenden Gesellschafter-Geschäftsführer dazu veranlassen könnte, seine bereits getroffene Entscheidung zum Nachschieben mit dem davon betroffenen Mitgesellschafter zu diskutieren und noch einmal sachlich zu überdenken. Eine solche Annahme wäre jedoch wenig realitätsgerecht. Eher steht bei lebensnaher Betrachtung zu erwarten, daß eine zusätzliche Gesellschafterversammlung zu einer weiteren Verschärfung der Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern führen würde. Auch die Verteidigungsmöglichkeiten des Abberufenden würden durch die Abhaltung einer solchen Gesellschafterversammlung nicht nennenswert verbessert. Sein berechtigtes Interesse, sich gegen den weiteren Vorwurf zur Wehr setzen zu können, ist durch die sich im Prozeß bietenden Verteidigungsmöglichkeiten hinreichend gewahrt. Bei dieser Sachlage wäre die Abhaltung einer zusätzlichen Gesellschafterversammlung zu dem alleinigen Zweck, daß der Gesellschafter-Geschäftsführer, der die Abberufung beschlossen hat, dort seinen bereits feststehenden Entschluß zum Nachschieben weiterer Abberufungsgründe als förmlichen Beschluß faßt, ein weder durch die Zuständigkeitsordnung innerhalb der Gesellschaft gebotener noch der richtigen Sachentscheidung in irgendeiner Weise dienlicher Umweg. Es erscheint deshalb geboten, bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen auch rechtlich nicht auf ihm zu bestehen. Die Senatsentscheidung vom 17. Oktober 1983 - II ZR 31/83, WM 1984, 29, auf die sich die Revisionserwiderung zum Beleg ihres gegenteiligen Standpunktes beruft, steht dieser Beurteilung nicht entgegen, da sie die Abberufung von Fremdgeschäftsführern und nicht des anderen Mitgesellschafters zum Gegenstand hatte.
2. Auf die vorstehend behandelte Frage käme es allerdings nicht an, wenn schon nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand feststünde, daß die vom Berufungsgericht aufgrund seines abweichenden rechtlichen Ausgangspunkts nicht berücksichtigten Vorwürfe gegen den Kläger ebenso verwirkt sind wie derjenige des Einbruchs in das Lager des Beklagten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zwar handelt es sich rein zeitlich gesehen durchweg um Vorgänge, die schon vor dem 14. Juli 1989 zum Anlaß für eine Abberufung des Klägers hätten genommen werden können. Die unkorrekte Abrechnung der Einkaufsreisen und den Einkauf von Waren für den Einzelhandel des Klägers an der Beklagten vorbei will diese allerdings erst später entdeckt haben, so daß für sie nach dem in der Revisionsinstanz zugrundezulegenden Vortrag der Beklagten eine Verwirkung von vornherein nicht in Betracht kommt. Hinsichtlich der beiden anderen Vorwürfe, nämlich wiederholter, die Mitgesellschafterin und Mitgeschäftsführerin des Klägers terrorisierender nächtlicher telefonischer Störanrufe und des Fehlens von 42 von dem Kläger als Kommissionsware übernommener Kleinstücke ist zu berücksichtigen, daß es für den Eintritt der Verwirkung nicht ausreicht, wenn ein Recht über einige Zeit hinweg nicht geltend gemacht wird, sofern nicht besondere Umstände hinzutreten, welche die nachträgliche Geltendmachung nach Ablauf dieser Zeit als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, weil der andere Teil sich inzwischen darauf einrichten durfte, daß es nicht mehr ausgeübt werden würde. Solche Umstände hat das Berufungsgericht für die Vorwürfe des Telefonterrors des Klägers gegen seine Mitgesellschafterin und der fehlenden Rückgabe der Kleinstücke, wozu aufgrund seines abweichenden Rechtsstandpunktes allerdings auch kein Raum gewesen wäre, jedoch nicht festgestellt. Auch den sonstigen unstreitigen Umständen sind solche besonderen Verwirkungsgründe nicht zu entnehmen. Die Tatsache, daß Frau L. diese Vorwürfe nicht zum Anlaß genommen hat, die Abberufung des Klägers schon auf der Gesellschafterversammlung vom 9. Juni 1989 zu betreiben, reicht für sich allein genommen auch hier nicht zur Annahme einer Verwirkung aus. Es ist mithin für die Revisionsinstanz davon auszugehen, daß sämtliche von dem Berufungsgericht nicht erörterten Vorwürfe gegen den Kläger nicht verwirkt sind, sondern - ihre Berechtigung und ein entsprechendes Gewicht vorausgesetzt - auch am 14. Juli 1989 noch zur Begründung einer Abberufung aus wichtigem Grund hätten dienen können. Falls sie sich als zutreffend erweisen, wäre es der Beklagten aber auch nicht verwehrt, den als solchen verwirkten Vorwurf, der Kläger sei im Januar 1989 eigenmächtig und gewaltsam in das Warenlager der Beklagten eingedrungen, und den weiteren, für sich allein genommen nicht zu seiner Abberufung ausreichenden Vorwurf, er habe sich in der Folge pflichtwidrig geweigert, der Beklagten wenigstens den dadurch von ihm angerichteten Schaden zu ersetzen, zur Begründung der Abberufung des Klägers unterstützend mit heranzuziehen.
IV.
Da das Berufungsgericht die von der Beklagten erhobenen Vorwürfe des nächtlichen Telefonterrors gegen die Mitgesellschafterin und Mitgeschäftsführerin des Klägers, des Beiseiteschaffens von 42 Kleinstücken aus den Beständen der Beklagten, der unkorrekten Abrechnung über die im Auftrage der Beklagten durchgeführten Einkaufsreisen und des angeblich unerlaubten Einkaufs des Klägers für seinen eigenen Einzelhandel an der Beklagten vorbei von seinem abweichenden Rechtsstandpunkt aus bisher nicht auf ihre Begründetheit und ihre Eignung als wichtige Gründe zur Abberufung des Klägers geprüft hat, muß sein Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, damit dieses die dazu fehlenden Feststellungen und die gegebenenfalls neue tatrichterliche Einzel- wie Gesamtwürdigung nachholen kann. Maßgebend für die danach zu treffende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Abberufung des Klägers als Geschäftsführer kann allein sein, ob ein objektiver Betrachter bei Abwägung aller für und gegen eine Entlassung des Klägers sprechender Umstände, zu denen auch die Vorgeschichte des Zustandekommens der Gesellschaft und die Dauer der Tätigkeit des Klägers für die Beklagte gehören, zu dem Ergebnis gelangen konnte, die sich aus seinem gesamten Verhalten bis zum 14. Juli 1989 ergebenden Bedenken gegen die Belassung des Klägers in seinem Amt seien so erheblich, daß es der Beklagten nicht zugemutet werden konnte, den Kläger weiter in der Funktion eines Geschäftsführers zu belassen (vgl. BGH, Urt. v. 14. Oktober 1968, aaO.).
Fundstellen
Haufe-Index 2993097 |
BB 1992, 17 |
DB 1992, 260 |
LM H. 4/92 § 38 GmbHG Nr. 11 |
BGHR GmbHG § 38 Abs. 2 Abberufung 2 |
BGHR GmbHG § 38 Abs. 2 Abberufung |
BGHR GmbHG § 46 Nr. 5 Abberufung 1 |
NJW-RR 1992, 292 |
EWiR § 38 GmbHG 1/92, 61 |
WM 1991, 2140 |
ZIP 1992, 32 |
MDR 1992, 462 |
GmbHR 1992, 38 |