Leitsatz (amtlich)

a) Die zu § 14 Abs. 2 StVG aufgestellten Grundsätze über die Beendigung der Verjährungshemmung seitens des Geschädigten (wenn er die Verhandlungen „einschlafen” läßt) können zur Auslegung des § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG nicht herangezogen werden.

b) Zur Frage, wann es sich der Geschädigte gefallen lassen naß, sein Verhalten an Treu und Glauben messen zu lassen, wenn er sich auf § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG beruft.

 

Normenkette

PflVG 1965 § 3 Nr. 3; StVG § 14 Abs. 2; BGB § 242

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Urteil vom 28.11.1975)

LG Ravensburg (Urteil vom 05.06.1975)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. November 1975 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 5. Juni 1975 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittel hat die Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger wurde am 7. Januar 1968 in der Nähe von Ravensburg von dem Pkw eines Versicherungsnehmers der beklagten französischen Versicherungsgesellschaft angefahren und verletzt.

Nachdem der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 9. Februar 1968 Ansprüche auf Ersatz seines materiellen Schadens bei dem deutschen Agenten der Beklagten angemeldet und in einem weiteren Schreiben vom 21. März 1968 auf Schmerzensgeldansprüche hingewiesen hatte, schaltete die Beklagte das Schadensregulierungsbüro J. in B. ein. In der Folgezeit erhielt der Kläger zum Teilausgleich seiner Sachschäden den von ihm verlangten Vorschuß von 500 DM. Am 8. Oktober 1969 stellte das Büro J. dem Vertreter des Klägers anheim, unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden ärztlichen Berichte die Forderungen des Klägers abschließend zu beziffern; am 5. Februar 1970 erinnerte es an die Erledigung. Dieser Aufforderung kam der Kläger erst mit Schreiben vom 14. August 1972 nach, nachdem er sich noch ein weiteres orthopädisches Gutachten zur Frage der Ursächlichkeit zwischen seinen Schmerzen und dem Unfall beschafft hatte. Das Versicherungsbüro J. teilte ihm darauf am 23. August 1972 mit, seine Ansprüche seien verjährt.

Mit der im April 1974 beim Landgericht eingereichten Klage hat der Kläger seine Ansprüche auf Ersatz des restlichen Sachschadens und auf Zahlung eines Schmerzensgeldes weiterverfolgt. Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie wegen Verjährung abgewiesen.

Mit der (zugelassenen) Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hält die Ansprüche des Klägers für verjährt. Es wendet zwar zu seinen Gunsten die Bestimmung des § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG an, wonach seit der Schadensanmeldung beim Versicherer die Verjährung gehemmt ist, vertritt aber im Anschluß an ein Urteil des OLG München, VersR 1975, 510, die Auffassung, daraus ergebe sich nicht, daß nur der schriftliche Bescheid des Versicherers die Hemmung der Verjährung beende. Denn auch durch Untätigkeit des Anspruchsberechtigten könne die Hemmung entfallen. Der für § 14 Abs. 2 StVG geltende Grundsatz, daß die Verjährung von dem Zeitpunkt an nicht mehr gehemmt sei, für den nach Treu und Glauben eine Antwort des Anspruchsberechtigten auf die letzte Äußerung des Versicherers spätestens zu erwarten gewesen wäre, müsse auch im Rahmen des § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG Geltung haben.

Da im Streitfall auf die Mahnung des Schadensvertreters der Beklagten eine Antwort des Klägers spätestens zu Ende Juni 1968 zu erwarten gewesen wäre, sei die Verjährung vom Eingang der ersten Schadensmeldung, dem 11. Februar 1968, nur bis zum 30. Juni 1970 und allenfalls nochmals vom 14. bis 23. August 1972 gehemmt gewesen. Daher seien die Ansprüche des Klägers aus dem Straßenverkehrsgesetz schon im Mai 1972 und die aus unerlaubter Handlung spätestens im Juni 1973, also längst vor Klageerhebung, verjährt gewesen.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Zutreffend geht zwar das Berufungsgericht davon aus, daß die Verjährung des Direktanspruches gemäß § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG grundsätzlich so lange gehemmt ist, bis der Versicherer es schriftlich ablehnt, Schadensersatz zu leisten (vgl. Senatsurteil v. 7. Dezember 1976 – VI ZR 7/75 = zur Veröffentlichung bestimmt).

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts können aber die zu § 14 Abs. 2 StVG aufgestellten Grundsätze über die Beendigung der Verjährungshemmung seitens des Geschädigten nicht zur Auslegung des § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG herangezogen werden. Zu § 14 Abs. 2 StVG hat allerdings der Senat ausgesprochen, daß die Hemmung bereits in dem Zeitpunkt endet, zu dem eine Antwort des Ersatzberechtigten auf die letzte Äußerung des Ersatzverpflichteten spätestens zu erwarten gewesen wäre (vgl. Senatsurteile vom 7. Dezember 1962 – VI ZR 62/62 – LM StVG § 14 Nr. 3 – VersR 1963, 145; vom 13. Oktober 1964 – VI ZR 142/63 – VersR 1965, 155 und vom 7. März 1967 – VI ZR 135/65 – VersR 1967, 502, 503, letzteres m.w.Nachw.). Diese Rechtsprechung beruht aber allein darauf, daß in § 14 Abs. 2 StVG ausdrücklich bestimmt ist, sowohl der Ersatzberechtigte als auch der Ersatzpflichtige könne die Verjährung dadurch beenden, daß er die Fortsetzung der Verhandlung verweigert. Führt der Ersatzberechtigte den Meinungsaustausch mit dem Verpflichteten nicht fort, so kann das durchaus dahin gewertet werden, daß er die Fortsetzung der Verhandlung verweigert (vgl. Senatsurt. v. 7. März 1967 – VI ZR 135/65 = a.a.O.). Schon dieser Rechtsprechung ist indes entgegengehalten worden, nur unter besonderen Umständen solle man aus dem Schweigen des Berechtigten, auf die (stillschweigende) Verweigerung der Fortsetzung von Verhandlungen schließen, da es doch der andere Teil jederzeit in der Hand habe, die Hemmung der Verjährung dadurch zu beendigen, daß er dem Stillschweigenden mitteile, er verweigere die Fortsetzung der Verhandlungen, falls er nicht bis zu einem bestimmten Tag Antwort erhalte (vgl. Geigel, Der Hafptlichtprozeß, 16. Aufl., 11. Kap. Rdnr. 22 a.E.). Ob diese Kritik berechtigt ist, kann offen bleiben. Jedenfalls ist dann, wenn – wie in § 3 Nr. 3 PflVG – das Gesetz ausdrücklich bestimmt, daß die Verjährung bis zum Eingang der schriftlichen Entscheidung des Versicherers gehemmt ist, für die vom Berufungsgericht für richtig gehaltene Auslegung kein Raum. Vielmehr ist es im Interesse der Rechtssicherheit geboten, daran festzuhalten, daß grundsätzlich nur der Versicherer durch seine schriftliche Entscheidung die für den Direktanspruch geltende Verjährungsfrist wieder in Lauf setzen kann (vgl. auch zur Verjährungshemmung nach § 639 Abs. 2 BGB BGHZ 66, 367). Der Geschädigte kann daher in der Regel von sich aus die Hemmung der Verjährung nicht beendigen (so im Ergebnis auch OLG München, VersR 1976, 153; OLG Düsseldorf, VersR 1976, 674 m.zust.Anm. von Wussow in WI 1976, 129, 130; Probst, AnwBl 1976, 123, 124; Borgmann/Probst, AnwBl 1976, 396). Dieser Grundsatz wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß, worauf die Revisionserwiderung hinweist, die Verjährung auch ohne Bescheid des Versicherers wieder in Lauf gesetzt wird, wenn der Geschädigte (etwa nach Erhalt eines Teilbetrages der geltend gemachten Forderung) auf die weiterhin geltend gemachten Forderungen verzichtet oder erklärt, sonstige Ansprüche nicht mehr verfolgen zu wollen.

3. Diese Auslegung des § 3 Abs. 3 Satz 3 PflVG hindert indes nicht, daß sich der Geschädigte gefallen lassen muß, sein Verhalten an Treu und Glauben messen zu lassen, wenn er sich auf die strenge Regelung des Gesetzes beruft.

a) Der Anwendung dieses in § 242 BGB enthaltenen Grundsatzes steht nicht entgegen, daß die neue Regelung im Pflichtversicherungsgesetz 1965 auf einem internationalen Abkommen, nämlich dem europäischen Übereinkommen über die obligatorische Haftpflichtversicherung (BGBl II 1965, 285), beruht. Wohl gebietet der Sinn des Pflichtversicherungsgesetzes nur mit Zurückhaltung die schriftliche Entscheidung des Versicherers über die Ablehnung des Direktanspruchs aus Billigkeitsgesichtspunkten für entbehrlich zu halten. Die Novellierung dieses Gesetzes bezweckte nämlich in erster Linie eine wirksamere Gestaltung des Schutzes der Verkehrsopfer (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 1976 – IV ZR 235/74 = VersR 1976, 870 = zur Aufnahme in BGHZ vorgesehen). Diesem Schutz dient aber auch die formstrenge Regelung, daß die Verjährungshemmung nur durch schriftlichen Bescheid des Versicherers enden soll. Jedoch verliert dieser Schutzgedanke dann seine Berechtigung, wenn für den Geschädigten keinerlei Schutzbedürfnis mehr besteht. Das wird z.B. dann der Fall sein, wenn die Erteilung eines schriftlichen Bescheids durch den Versicherer keinen vernünftigen Sinn mehr hätte und nur eine reine Förmelei wäre, weil der Geschädigte die von ihm zunächst angemeldeten Ansprüche inzwischen offensichtlich nicht mehr weiterverfolgt, daher auf einen endgültig ablehnenden Bescheid des Versicherer, gar nicht mehr wartet. Bei derartiger Gestaltung wäre es unbillig, diesem zuzumuten, noch einen schriftlichen Bescheid zu erteilen, um die Verjährungshemmung zu beseitigen.

Diese für die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben auch auf Satz 3 des § 3 Nr. 3 PflVG maßgebenden engen Voraussetzungen jedoch waren im Streitfalle nicht gegeben. Die bloße Untätigkeit des Geschädigten während eines längeren Zeitraumes berechtigt keineswegs zu der Annahme, der schriftliche Bescheid sei überflüssig und sinnlos, mit ihm könne der Geschädigte billigerweise nicht mehr rechnen.

b) Eine solche Auslegung des § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG führt entgegen der Annahme der Revisionserwiderung weder zu einer unzumutbaren Belastung der Haftpflichtversicherer noch zu einer schwerlich hinzunehmenden Häufung von Prozessen.

Die Versicherer müssen zwar an einem möglichst baldigen Eintritt der Verjährung interessiert sein, um den Versicherungsfall abzuschließen, haben es aber nach der vom Gesetz getroffenen Regelung selbst in der Hand, die Hemmung der Verjährung zu beenden, wenn der Geschädigte die Verhandlungen ungebührlich lange hinauszieht (vgl. dazu auch BGHZ 66, 367 ff). Der Versicherer ist auch nicht gezwungen, durch eine bereits endgültige Ablehnung eine unerwünschte verfrühte Klage des Geschädigten auszulösen. Zwar erfordert § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG grundsätzlich eine sachliche Entscheidung des Versicherers. Jedenfalls muß ihm aber dann, wenn der Geschädigte trotz Aufforderung notwendige Ergänzungen nicht beigebracht hat, gestattet sein, diesen mit hemmungsbeseitigender Wirkung dahin zu bescheiden, er könne sich aufgrund des ihm bisher unterbreiteten Sachvortrags (noch) nicht zu einer Schadensersatzleistung entschließen. Nach Art. 8 Abs. 2 Satz 1 des Anhangs I des oben erwähnten europäischen Übereinkommens reicht sogar die schriftliche Erklärung des Versicherers aus, die Verhandlungen abzubrechen. Auch ein solcher Bescheid beendet die Hemmung der Verjährung, ermöglicht es aber dem Geschädigten, vor Erhebung seiner Klage den Anspruch erneut mit besserer Begründung beim Versicherer anzumelden.

4. Auch mit anderer Begründung läßt sich die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht aufrecht erhalten. Vor allem sind die Schadensersatzansprüche des Klägers nicht etwa verwirkt. Zwar können auch Ansprüche, die noch nicht verjährt sind, verwirkt werden. Die Nichtgeltendmachung eines Anspruches während einer längeren Zeit führt jedoch allein noch nicht zu dessen Verwirrung. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Recht illoyal so verspätet noch beansprucht wird, daß seine Aufrechterhaltung Treu und Glauben widerspricht (BGHZ 25, 47, 51 f). Während der Zeit, in der die Verjährung nach § 3 Nr. 3 PflVG gehemmt ist, kann aber der bei dem Versicherer angemeldete Direktanspruch nicht verwirkt werden. Dieser bedarf nicht des Schutzes gegenüber Ansprüchen, die gegen ihn unerwartet verspätet erhoben werden. Denn das Gesetz schützt ihn bereits ausreichend durch die Möglichkeit, mit seiner Entscheidung die Verjährungshemmung zu beenden und die Verjährung wieder in Lauf zu setzen (vgl. OLG München, VersR 1976, 153).

III.

Bei dieser Sachlage war das angefochtene Urteil aufzuheben.

Einer Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht bedarf es nicht, da der Rechtsstreit ohne weitere tatsächliche Feststellungen zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Im Hinblick darauf, daß die Beklagte bereits in ihrer Berufungsbegründung ausgeführt hat, sie bestreite nicht mehr die Höhe des Schadens sowie den ursächlichen Zusammenhang zwischen den jetzt geklagten Schmerzen des Klägers und dem Unfall, sind keine weiteren tatsächlichen Feststellungen mehr zu treffen. Die Rechtsansicht des Senats führt unmittelbar zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil und damit zu dessen Wiederherstellung. Denn wenn die Verjährung von der Anmeldung der Ansprüche am 9. Februar bzw. 21. März 1968 bis zum 23. August 1972 gehemmt war, so waren diese bei der Klageerhebung im April 1974 noch nicht verjährt.

 

Unterschriften

Dr. Weber, Dunz, Dr. Steffen, Dr. Kullmann, Dr. Ankermann

 

Fundstellen

Haufe-Index 3401811

NJW 1977, 674

Nachschlagewerk BGH

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