Entscheidungsstichwort (Thema)
Mord
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 2. März 1999 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieser Revision, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die in Kroatien erlittene Auslieferungshaft hat es im Verhältnis 1 : 1 auf die verhängte Strafe angerechnet. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat im Rechtsfolgenausspruch Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte im Oktober 1993 sein ihm bis dahin völlig unbekanntes Opfer mit mehreren Messerstichen. Er hatte sich nach einem Streit abreagieren und irgend ein Menschenleben vernichten wollen. Der Angeklagte war zur Tatzeit achtzehn Jahre sechs Monate alt und damit Heranwachsender. Die Jugendkammer hat angenommen, der Angeklagte habe die Tat aus Mordlust und sonstigen niedrigen Beweggründen begangen. Sie hat, sachverständig beraten, auf den Angeklagten Jugendstrafrecht angewendet (§§ 1 Abs. 2, 105 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 JGG).
Das Landgericht ist zu der erkannten Jugendstrafe gelangt, indem es von der nach seiner Auffassung an sich zu verhängenden Einheitsstrafe von zehn Jahren Jugendstrafe im Wege des Härteausgleichs den Vollzug von drei Jahren und zwei Monaten aus dem Urteil des Landgerichts vom 11. Juli 1995 abgezogen hat, die der Angeklagte in Vollstreckung einer an sich einzubeziehenden früheren Verurteilung verbüßt hat.
Dem lag folgendes zugrunde: Der Angeklagte war durch Urteil des Jugendschöffengerichts München vom 20. Januar 1992 wegen gemeinschaftlich begangener versuchter räuberischer Erpressung, wegen räuberischer Erpressung, wegen gemeinschaftlichen Raubes in drei Fällen sowie weiterer Delikte zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden. Er war nach Verbüßung von mehr als zwei Dritteln zur Bewährung entlassen worden. Wegen weiterer von August bis Dezember 1993 begangener Taten des versuchten Totschlags, des Diebstahls in drei Fällen, der räuberischen Erpressung, der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen und der vorsätzlichen Körperverletzung war der Angeklagte durch die Jugendkammer des Landgerichts unter Einbeziehung des Urteils des Jugendschöffengerichts München vom 20. Januar 1992 zu einer einheitlichen Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Von dieser Jugendstrafe verbüßte der Angeklagte drei Jahre und zwei Monate. Aufgrund des Bescheids der Stadt München vom 1. September 1993 war er am 24. Januar 1996 nach Slowenien abgeschoben worden. Von der weiteren Vollstreckung der Jugendstrafe wurde gemäß § 456a StPO abgesehen. Es verblieb ein Strafrest von ca. einem Jahr und zehn Monaten.
Wegen der hier abzuurteilenden Tat war gegen den Angeklagten erst im November 1997 ein Haftbefehl wegen Mordes erlassen worden. Er wurde in Kroatien festgenommen und befand sich dort in Auslieferungshaft. Mit Bescheid des Justizministeriums Kroatien vom 10. Februar 1998 wurde die Auslieferung zur Führung des Strafverfahrens wegen Mordes entsprechend dem Haftbefehl bewilligt. Die Auslieferung erstreckte sich nicht auf die früheren Taten aus dem Urteil vom 11. Juli 1995. Das Landgericht ist davon ausgegangen, bezüglich dieses Strafrestes bestehe ein Vollstreckungshindernis im Sinne des § 456a Abs. 1 StPO, so daß dieser Teil der früheren Jugendstrafe beim Härteausgleich außer Betracht geblieben ist.
II.
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Strafausspruch beschränkt.
2. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Jugendkammer habe die Strafe rechtsfehlerhaft festgesetzt, weil sie wesentliche, gegen den Angeklagten sprechende Strafzumessungsgesichtspunkte nicht berücksichtigt habe, hat sie damit keinen Erfolg. Dabei kann offen bleiben, ob weitere gegen den Angeklagten sprechende Umstände, wie die von der Revision behauptete Heimtücke, heranzuziehen gewesen wären. Denn aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass die Jugendkammer vom Höchstmaß der zu verhängenden Jugendstrafe ausgegangen ist.
3. Dagegen hat die Beschwerdeführerin mit der Rüge Erfolg, die Jugendkammer habe in den Urteilsgründen nicht hinreichend dargelegt, weshalb sie nicht von der Möglichkeit des § 31 Abs. 3 Satz 1 JGG Gebrauch gemacht hat, eine weitere Jugendstrafe zu verhängen.
a) Das Landgericht war der Auffassung, die frühere, nicht vollständig vollstreckte Jugendstrafe aus dem Urteil vom 11. Juli 1995 und die wegen Mordes zu verhängende Strafe seien an sich auf eine Einheitsjugendstrafe von zehn Jahren zurückzuführen (§ 31 Abs. 2 JGG). Da die Bildung einer Einheitsjugendstrafe wegen des im Auslieferungsverfahren geltenden Spezialitätsgrundsatzes nicht möglich war und der Angeklagte dadurch nicht schlechter gestellt werden sollte, hat es von der fiktiven Einheitsjugendstrafe die bisher vollstreckten drei Jahre und zwei Monate abgezogen. Dabei hat die Jugendkammer die Ausnahmevorschrift des § 31 Abs. 3 Satz 1 JGG nicht hinreichend bedacht.
Allerdings hat die Jugendkammer die Vorschrift geprüft, nach der es erzieherische Gründe gebieten können, durch die Bildung von zwei nebeneinander stehenden Jugendstrafen die Höchststrafe von zehn Jahren Jugendstrafe im Ergebnis zu überschreiten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt der Ausnahmetatbestand des § 31 Abs. 3 JGG dann in Betracht, wenn es nach einem ersten Urteil unter Mißachtung der davon ausgehenden Warnfunktion erneut zu Straftaten kommt. Dem Angeklagten soll durch die Bildung zweier selbständiger Jugendstrafen das Ausmaß seiner erneuten Rechtsgutsverletzung eindringlich nahegebracht und er soll nicht in dem Glauben bestärkt werden, er habe „freie Hand” für die Begehung weiterer Straftaten (BGHSt 36, 37, 43; BGH NStZ 1995, 595 m.w.Nachw.).
Das Landgericht hat bei der Prüfung des § 31 Abs. 3 Satz 1 JGG gemeint, eine solche Ausnahmesituation habe nicht vorgelegen, weil es vor dem Tatzeitpunkt des Mordes keine Verurteilung des Angeklagten mit entsprechender Warnfunktion gegeben habe, da die Verurteilung zu fünf Jahren Jugendstrafe erst am 11. Juli 1995 erfolgt sei. Jedoch war der Angeklagte bereits einmal am 20. Januar 1992 zu einer ersten, später einbezogenen Jugendstrafe verurteilt worden.
Darüber hinaus tragen die Feststellungen nicht, bei dem Angeklagten sei „eine gewisse Nachreifung im positiven Sinne” erfolgt, so daß besondere erzieherische Gründe für zwei voneinander unabhängige Jugendstrafen nicht ersichtlich seien. Obwohl die Jugendkammer feststellt, die abzuurteilende Tat zeige „ein äußerst bedenkliches Bild charakterlicher Fehlhaltung und tiefverwurzelter Anlage- und Erziehungsmängel des Angeklagten, der noch in hohem Maße erziehungsbedürftig erscheint”, kommt sie zu dem Ergebnis, bei dem inzwischen vierundzwanzig Jahre alten Angeklagten könne der Erziehungsgedanke nur noch geringe Bedeutung haben. Das Landgericht stützt sich dabei auf den Sachverständigen Professor Dr. Nedopil. Dieser hatte jedoch den Angeklagten zuletzt im Oktober 1994 untersucht. Bei der damaligen Begutachtung hatte er beim Angeklagten eine ausgeprägte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und emotional instabilen Persönlichkeitszügen diagnostiziert. Eine erneute Untersuchung in diesem Verfahren hat der Angeklagte abgelehnt; er war nur zu einem kurzen Gespräch über sein jetziges Befinden bereit. Auch in der Hauptverhandlung hat er Angaben verweigert. Da der Jugendkammer über die Lebensverhältnisse des Angeklagten nach seiner Abschiebung nichts bekannt geworden ist, kann sie jedenfalls allein aufgrund der in den Urteilsgründen mitgeteilten Ausführungen des Sachverständigen nicht den Schluß ziehen, „daß eine gewisse Nachreifung im positiven Sinne erfolgt ist”.
Diesen für die Ausübung des Ermessens nach § 31 Abs. 3 JGG wichtigen Punkt hat die Jugendkammer nicht vollständig geprüft, möglicherweise, weil sie bereits die Bewertung der Ausnahmesituation fehlerhaft vorgenommen hat. Das Landgericht hätte angesichts der bisher festgestellten ausgeprägten Persönlichkeitsstörung vertieft prüfen müssen, aufgrund welcher Umstände eine Veränderung des Persönlichkeitsbildes des Angeklagten mit Nachreifung möglich gewesen sein soll. Dazu hätte es mit Hilfe des Sachverständigen die möglichen Entwicklungsschritte eingehender erörtern und die Ergebnisse im einzelnen darlegen müssen. Jedenfalls reicht die bisherige Tatsachengrundlage nicht aus.
Die zur erneuten Verhandlung und Entscheidung berufene Jugendkammer wird die Frage des Fortbestehens erheblicher erzieherischer Gründe für die Verhängung von zwei unabhängig nebeneinander stehenden Jugendstrafen neu zu bewerten haben.
Unterschriften
Schäfer, Granderath, Wahl, Boetticher, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 556604 |
NStZ 2000, 263 |
NStZ 2000, 484 |