Leitsatz (amtlich)
›Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß Personen, die sich nicht berufsmäßig mit dem Einbau offener Kamine beschäftigen, die Notwendigkeit einer erforderlichen Nutzungsgenehmigung (§ 60 Abs. 2 Nr. 2 NRWBauO) kennen.
Tatbestand
Die Beklagten verkauften mit notariellem Vertrag vom 19. Juli 1988 ihre Eigentumswohnung, in deren Wohnzimmer sie einen offenen Kamin eingebaut hatten, an die Kläger, und zwar zusammen mit einem 27 qm großen Grundstück. Der Kaufpreis betrug 185.000 DM. Eine Haftung für ›sichtbare und unsichtbare Sachmängel‹ wurde ausgeschlossen.
Unter anderem mit der Behauptung, die Beklagten hätten ihnen arglistig verschwiegen, daß der offene Kamin nicht genehmigt und auch funktionsuntauglich sei, verlangen die Kläger in erster Linie sogenannten großen Schadensersatz. Sie haben beantragt, die Beklagten zur Zahlung von 204.551,22 DM (Kaufpreis und Ersatz der Vertragskosten) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückauflassung der Wohnung und des zusätzlichen Flurstücks zu verurteilen. Hilfsweise haben sie die Zahlung von 16.943 DM nebst Zinsen und die Feststellung verlangt, daß die Beklagten zum Ersatz aller weiteren Schaden verpflichtet seien, die aus der Beseitigung bestimmter Mängel entstehen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht dem Hauptantrag der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihren Abweisungsantrag weiter; die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Das Berufungsgericht hält die Klage zwar bezüglich einer Reihe geltend gemachter Mängel für unbegründet, bejaht aber einen Anspruch der Kläger nach § 463 Satz 2 BGB hinsichtlich des offenen Kamins. Unstreitig hatten die Beklagten die nach § 60 Abs. 2 Nr. 2 NRWBauO erforderliche Genehmigung zur Nutzung des offenen Kamins nicht eingeholt. Ihnen sei auch die Notwendigkeit einer solchen Genehmigung bekannt gewesen. Zwar könne nicht festgestellt werden, daß sie hierüber ausdrücklich belehrt worden seien. Die Genehmigungsbedürftigkeit sei aber jedem bekannt, der sich mit dem Einbau einer solchen Anlage befasse; diese Kenntnis könne deshalb auch bei den Beklagten ›unterstellt werden‹. Sie hätten sich zwar darauf berufen, der Kamin sei mit der Schlußabnahme der Baumaßnahme im Dachgeschoß genehmigt worden, der Kamin sei aber erst danach gebaut worden.
2. Diese Ausführungen halten der Revision im entscheidenden Punkt nicht stand.
Das Berufungsgericht stellt die Kenntnis der Beklagten von der Genehmigungsbedürftigkeit des offenen Kamins fest und beruft sich dazu auf einen allgemeinen Erfahrungssatz; dessen Existenz und Inhalt kann das Revisionsgericht überprüfen, weil er die Natur von Normen hat, die als Beurteilungsmaßstab für Tatsachen dienen (vgl. RGZ 99, 70, 71; BGHZ 12, 22, 25; Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO 50. Aufl. § 550 Anm. 2 Stichwort ›Erfahrungssatz‹ und Einführung vor § 284 Anm. 4 B; MünchKomm-ZPO § 550 Rdn 5; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 20. Aufl. § 549 Rdn. 13; Thomas/Putzo, ZPO 17. Aufl. § 550 Anm. 2 c; Zöller/Schneider, ZPO 17. Aufl. § 550 Rdn. 13). Den vom Berufungsgericht angenommenen Erfahrungssatz gibt es nicht. Die Beklagten befassen sich nicht berufsmäßig mit dem Einbau offener Kamine. Es mag sein, daß auch ein fachunkundiger Bauherr im allgemeinen weiß, daß eine auf die Bausubstanz nachhaltig einwirkende Umbaumaßnahme genehmigungspflichtig ist. Daß dies auch für den nachträglichen Einbau eines offenen Kamins gilt, läßt sich jedoch nicht feststellen (vgl. auch Senatsurt. v. 26. April 1991, V ZR 73/90, NJW 1991, 2138, 2139). § 60 Abs. 2 Nr. 2 NRWBauO verlangt schon nicht unter allen Umständen eine Nutzungsgenehmigung. Die Genehmigungsbedürftigkeit entfällt vielmehr, wenn der Bezirksschornsteinfegermeister den ordnungsgemäßen Bau und die sichere Funktion bescheinigt (ähnlich z.B. auch Art. 89 Abs. 3 Nr. 1 HessBauO; § 52 Abs. 1 Nr. 6 BadWürtt-BauO; § 60 Abs. 2 Nr. 1 RhPflBauO). Diese Regelung gilt aber nicht in allen Ländern Deutschlands. So ist nach Art. 66 Abs. 1 Nr. 5 BayBO die Errichtung und Änderung von Feuerstätten mit einer Nennwärmeleistung bis zu 50 kW genehmigungsfrei. Dazu zählen auch offene Kamine (vgl. Simon, BayBO Art. 66 Rdn. 9 a; Koch/Molodovsky/Rahn, BayBO Art. 66 Anm. 2. 5). Sämtliche neuen Länder haben in ihren Bauordnungen mit übereinstimmendem Gesetzestext (jeweils § 63 Abs. 1 Nr. 8) Feuerstätten bis 50 kW Nennwärmeleistung sowie offene Kamine ausdrücklich von der Genehmigungspflicht freigestellt. Schon diese unterschiedlichen Regelungen in den verschiedenen Ländern zeigen, daß der vom Berufungsgericht angenommene Erfahrungssatz nicht besteht. Mit Recht verweist die Revision in diesem Zusammenhang auch darauf, daß der Zeuge S. angegeben hat, er habe für seinen Kamin keine Nutzungsgenehmigung eingeholt, weil er diese nicht für erforderlich gehalten habe.
Die Feststellung des Berufungsgerichts zur Kenntnis der Beklagten von der Genehmigungsbedürftigkeit des offenen Kamins ist auch aus einem weiteren Grund rechtsfehlerhaft. Die Beklagten hatten behauptet, den Bezirksschornsteinfegermeister gefragt zu haben, ob an den vorhandenen Schornstein ein offener Kamin angeschlossen werden könne, was dieser ohne Einschränkungen bejaht habe (BU 6). Diesen Vortrag hat das Landgericht unter Auswertung der Aussagen des Zeugen E. als richtig festgestellt (LGU 14). Auch das Berufungsgericht bezieht sich auf diese Aussage und meint, es lasse sich nicht feststellen, daß die Beklagten über die Notwendigkeit einer Genehmigung belehrt worden seien. Hat aber der als Fachmann befragte Kaminkehrermeister nicht auf die Notwendigkeit einer Genehmigung hingewiesen (oder ist dieser Sachvortrag der Beklagten jedenfalls nicht auszuschließen), so kann dies die Feststellung des maßgeblichen Wissens der Beklagten beeinflussen. Es stellt sich nämlich die Frage, weshalb diese besser informiert sein sollen, als ein ausdrücklich zum Problemkreis befragter Fachmann. Dazu kommt, daß die Beklagten nach ihrem unwiderlegten Vortrag davon ausgegangen sind, der Kaminkehrer kenne den offenen Kamin (was sie mit Rechnungen des Kaminkehrers über Fegegebühren für zwei offene Kamine und eine Feuerstättenschau belegen), und dieser unstreitig keine Beanstandungen erhoben hat.
Weitere tatsächliche Feststellungen zum vorstehend behandelten Fragenkreis kommen nicht mehr in Betracht; insbesondere haben die Kläger keine weiteren Beweismittel dafür angeboten, daß den Beklagten die Genehmigungsbedürftigkeit des offenen Kamins bekannt gewesen sei oder sie jedenfalls damit gerechnet hätten, dessen Benutzung sei öffentlich-rechtlich unzulässig. Damit scheidet eine Arglist der Kläger insoweit aus.
Vom Berufungsgericht zu prüfen bleibt aber die Behauptung der Kläger, die Beklagten hätten ihnen arglistig die volle Funktionsuntüchtigkeit des Kamins verschwiegen. Bei der erneuten Verhandlung werden die Beklagten Gelegenheit haben, auf ihren Vortrag zurückzukommen, ein Anspruch auf sog. großen Schadensersatz sei jedenfalls nach § 242 BGB ausgeschlossen.
Bei der notwendigen Zurückverweisung hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 2993176 |
LM H. 9/93 § 550 ZPO Nr. 23 |
BGHR NW BauO § 60 Abs. 2 Nr. 2 Feuerstätte 1 |
BGHR ZPO § 550, Erfahrungssatz 1 |
BauR 1993, 345 |
NJW-RR 1993, 653 |
MDR 1993, 646 |