Leitsatz (amtlich)
Die Frage der Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung ist grundsätzlich nach den Verhältnissen zur Zeit ihrer Errichtung zu beurteilen (anders RG DR 1943, 91; 44, 494).
Normenkette
BGB § 138 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Entscheidung vom 14.04.1955) |
LG Hamburg |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 14. April 1955 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Testamentserbe seines im Jahre 1954 verstorbenen Großvaters, des Drehers Carl Conrad Ernst N.. In dem notariellen Testament vom 30. August 1945 hat der Erblasser der im Jahre 1903 geborenen Beklagten für deren Lebenszeit den Nießbrauch an dem zu seinem Nachlaß gehörigen Grundstück in Hamburg-Rahlstedt, Am S., vermacht. Der im Jahre 1881 geborene Erblasser war seit dem 31. Dezember 1904 mit Frau Gretchen N. geb. Z., die im Jahre 1885 geboren ist, verheiratet. Die Ehe ist auf die im Oktober 1945 erhobene Klage der Ehefrau durch Urteil vom 19. März 1946 wegen Ehebruchs des Erblassers mit der Beklagten geschieden worden. Die Beklagte, die der Erblasser etwa im Jahre 1940 kennengelernt hatte, war im Jahre 1944 zu den Eheleuten N. ins Haus gezogen und hat auch nach der Scheidung der Ehe des Erblassers mit diesem und dessen früherer Ehefrau zusammen in einem Hause gewohnt.
Der Kläger ist der Auffassung, daß das Nießbrauchsvermächtnis nichtig sei, weil es gegen die guten Sitten verstoße. Die Beklagte befinde sich daher ohne Rechtsgrund auf dem Grundstück. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, das Grundstück zu räumen und an ihn herauszugeben.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, das Vermächtnis sei nicht deshalb nichtig, weil sie zu dem Erblasser in ehebrecherischen Beziehungen gestanden habe und die Ehe deswegen geschieden worden sei. Als zwischen den Eheleuten N. keine eheliche Gemeinschaft mehr bestanden habe, habe der Erblasser sie, die Beklagte, kennengelernt. In das freundschaftliche Verhältnis, das sich entwickelt habe, sei auch die Ehefrau des Erblassers einbezogen gewesen. Zwischen dieser und ihr, der Beklagten, habe trotz der ehebrecherischen Beziehungen niemals ein feindseliges Verhältnis bestanden, im Gegenteil habe sich gerade nach der Scheidung ein freundschaftliches Verhältnis herausgebildet. Das Vermächtnis fusse darauf, daß sie, die Beklagte, für den Erblasser und dessen geschiedene Ehefrau Dienstleistungen aller Art verrichtet habe. Sie habe damals gearbeitet und ihren wöchentlichen Verdienst von etwa 80,- RM so gut wie vollständig für den Haushalt des Erblassers zur Verfügung gestellt. Die Ehefrau N. habe es in dem Hause des Erblassers gut gehabt.
Der Kläger hat erwidert, der Erblasser habe seine Ehefrau völlig links liegen lassen, nachdem er die Beklagte in sein Haus aufgenommen habe. Beide hätten der Ehefrau das Leben im Hause zur Hölle gemacht. Die Ehefrau habe aber im Hause bleiben müssen, um wenigstens mietfrei wohnen zu können. Der Erblasser habe dann nur noch 20,- RM Unterhalt gezahlt; er und die Beklagte hätten die Ehefrau N. mit Gewalt gezwungen, die gemeinsamen Mahlzeiten mit dem Erblasser und der Beklagten einzunehmen. Alle Hausratsgegenstände habe die Beklagte der Ehefrau N. weggenommen; diese sei von dem Erblasser und der Beklagten auf das unwürdigste behandelt worden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat Berufung eingelegt und zur Begründung dieses Rechtsmittels vorgetragen: Die Möglichkeit, daß das Vermächtnis als "Gegenleistung" für Hausdienste ausgesetzt sei, scheide bei der gegebenen Sachlage aus. Zur Zeit der Errichtung des Testaments sei die Beklagte schon jahrelang die Geliebte des Erblassers gewesen. Zu dieser Zeit habe die Beklagte auch noch keine Zuwendungen zu dem Haushalt des Erblassers geleistet und überhaupt erst ein Jahr lang in dem Haushalt mitgelebt. Es sei ausgeschlossen, daß das umfangreiche Vermächtnis als Gegenleistung für eine nur etwa einjährige Hilfeleistung angeordnet worden sei.
Die Beklagte hat hierauf entgegnet: Sie sei in das Haus des Erblassers gezogen, als dessen Ehefrau wegen eines Hundebisses den Haushalt nicht habe versehen können, und sie habe im weitgehenden Umfange Dienste im Hause des Erblassers geleistet. Alle Beteiligten hätten 10 Jahre lang in einem Haushalt einträchtig zusammengelebt. Eine ernstliche Differenz zwischen ihr, der Beklagten, und dem Erblasser und dessen Ehefrau sei niemals aufgetreten. Bei dieser Sachlage sei es das Nächstliegende und fast Selbstverständliche, daß ihr das Vermächtnis als Gegenleistung für ihre Dienste ausgesetzt sei. Wenn die Dienste bei der Errichtung des Testamentes erst 1 Jahr lang geleistet worden seien, so sei zu bedenken, daß die Dienstleistung im Haushalt des Erblassers für die Dauer vorgesehen gewesen sei und daß das Vermächtnis zu Lebzeiten des Erblassers ihr, der Beklagten, noch keinerlei Vergünstigung gebracht habe. Der Erblasser habe es auch jederzeit widerrufen können.
Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts geändert und die Beklagte gemäß dem Klageantrag verurteilt. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Landgerichts. Der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Wie das Berufungsgericht als unstreitigen Sachverhalt feststellt, stand der Erblasser zu der Zeit, als er sein Testament errichtete, zu der Beklagten in geschlechtlichen und zwar ehebrecherischen Beziehungen, da seine Ehe damals noch nicht geschieden war, seine Ehefrau sogar die Scheidungsklage noch nicht erhoben hatte.
I.
Nach feststehender Rechtsprechung sind letztwillige Zuwendungen eines verheirateten Mannes an seine Geliebte regelmäßig sittenwidrig, wenn sie gemacht sind, um die Fortsetzung des ehebrecherischen Verhältnisses zu fördern oder die Geliebte für die geschlechtliche Hingabe zu belohnen (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 6. Mai 1954 LM Nr. 2 zu §138 [Cd] BGB).
Bei der Prüfung der Frage ob solche Beweggründe auch für den Erblasser bestimmend gewesen seien, der Beklagten den lebenslänglichen Nießbrauch an seinem Hausgrundstück zu vermachen, geht das Berufungsgericht von der Erwägung aus, daß die Gesamtheit der Beziehungen, wie sie zur Zeit der Testamentserrichtung zwischen dem Erblasser und der Beklagten bestanden hätten - also ihr ehebrecherisches Verhältnis, ihre häusliche Gemeinschaft und die Dienstleistungen und etwaigen sonstigen Aufwendungen der Beklagten im Rahmen dieser Gemeinschaft - ein einheitliches und untrennbares Ganze gewesen seien, das als solches den Erblasser zu der Aussetzung des Vermächtnisses veranlaßt habe. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat dieses einheitliche Gesamtverhältnis sich nicht nur aus den zunächst allein bestehenden ehebrecherischen Beziehungen entwickelt, die bereits mehrere Jahre hindurch gedauert hatten, als der Erblasser die Beklagte in sein Haus aufnahm, sie sind auch in der Folgezeit, jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung, der tragende Grund und der alles andere bestimmende Kern ihres Verhältnisses geblieben. Daraus folgert das Berufungsgericht abschließend (BU S. 6 unten), daß die ehebrecherischen Beziehungen für den Erblasser "das wesentlich Bestimmende" gewesen seien, der Beklagten das Vermächtnis zuzuwenden. Demzufolge sei dieses Vermächtnis sittenwidrig und nichtig.
Diese Erwägungen sind gedanklich folgerichtig und frei von Rechtsirrtum. Die Revision greift auch lediglich die tatsächlichen Feststellungen an, aus denen das Berufungsgericht seine Schlußfolgerungen zieht. Sie wendet ferner ein, das Berufungsgericht habe bei der Beurteilung des zwischen dem Erblasser und der Beklagten bestehenden Verhältnisses auch die auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung folgende Entwicklung, insbesondere die in der Folgezeit von der Beklagten in weiterem Umfange zu Gunsten des gemeinsamen Haushalts geleisteten Dienste und Geldaufwendungen berücksichtigen müssen. In beiden Richtungen gehen die Rügen der Revision fehl.
Das Berufungsgericht hat nicht außer acht gelassen, sondern ausdrücklich erörtert, daß die Beklagte zur Zeit der Testamentserrichtung ein Jahr lang mit dem Erblasser in häuslicher Gemeinschaft gelebt und im Rahmen dieser Gemeinschaft dem Erblasser Dienste geleistet hat. Über den Umfang dieser Leistungen hat es keine ins einzelne gehende Feststellungen getroffen. Dazu bestand auch nach Lage der Sache keine Veranlassung. Von der unstreitigen Tatsache ausgehend, daß zwischen dem Erblasser und der Beklagten damals bereits seit mehreren Jahren eine enge geschlechtliche Gemeinschaft bestand, konnte das Berufungsgericht auf Grund der Lebenserfahrung zunächst annehmen, daß beide weniger um der Dienstleistungen oder der sonstigen Aufwendungen der Beklagten willen, ohne die der Erblasser auch früher ausgekommen war, als um ihrer geschlechtlichen Beziehungen willen zusammenlebten und daß deshalb auch Zuwendungen, die der Erblasser aus diesem Verhältnis heraus der Beklagten machte, ihren eigentlichen und letzten Grund in diesen geschlechtlichen Beziehungen hatten. Es wäre, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, Sache der Beklagten gewesen, einen Sachverhalt darzutun, der dieser durch die Lebenserfahrung gerechtfertigten Annahme widersprach oder sie für den vorliegenden Fall mindestens ernstlich in Frage stellte.
Wenn das Berufungsgericht zu der Überzeugung gelangt ist, daß das Vorbringen der Beklagten hierzu nicht ausreiche, so kann darin eine Verletzung des Verfahrensrechts nicht erblickt werden. Dafür, daß es dieses Verbringen überhaupt unberücksichtigt gelassen hat, besteht kein Anhalt. Wenn die Revision jetzt vorträgt, die Ehefrau des Erblassers sei, wie der Kläger nicht bestritten habe, hilflos und unfähig gewesen, ihren Hann zu betreuen, so daß sie, die Beklagte, beide habe pflegen müssen, so behauptet sie etwas, was nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils keineswegs als unstreitig feststeht. Die Beklagte hatte zunächst - Schriftsatz vom 20.10.1954 Bl 6 - nur allgemein behauptet, daß sie "in Krankheitsfällen den Erblasser und dessen geschiedene Ehefrau (also anscheinend erst nach der Scheidung und somit nach der Testamentserrichtung) gepflegt" und "während der ganzen Zeit ihres Aufenthalts im Hause des Erblassers sowohl für diesen wie für seine geschiedene Ehefrau Dienstleistungen aller Art verrichtet habe".
Der Kläger hatte das bestritten (Schriftsatz vom 10.11.1954 Bl 15 d.A.). Später hatte die Beklagte - Schriftsatz vom 26.11.1954 Bl 19 - behauptet, daß sie nach ihrem Einzug in das Haus des Erblassers dessen Ehefrau, die damals von einem Hund gebissen gewesen sei, ein halbes Jahr lang gepflegt habe. Nach dieser Behauptung war also die Ehefrau des Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung bereits von den Hundebissen längst wieder geheilt.
Hinsichtlich der von ihr behaupteten Geldaufwendungen hatte die Beklagte keine näheren Angaben darüber gemacht, wie lange und in welcher Höhe, ja ob sie überhaupt in der Zeit vor der Testamentserrichtung finanziell zu dem Haushalt des Erblassers beigetragen habe. In jedem Falle würden auch diese etwaigen Aufwendungen, bei denen es sich, wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt, um Reichsmarkbeträge gehandelt haben würde, zu einem guten Teil dadurch wieder auf gewogen sein, daß die Beklagte im Haushalt des Erblassers mitverpflegt wurde und auch in dem Hause mitwohnte, ohne dafür ein Entgelt zu zahlen.
Es ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht, wie es mit näherer Begründung dargelegt hat, das gesamte Vorbringen der Beklagten nicht für geeignet hielt, seine aus dem unstreitigen Sachverhalt und der Lebenserfahrung geschöpfte Annahme zu widerlegen oder ernstlich in Frage zu stellen, daß bei dem Entschluß des Erblassers, die Beklagte letztwillig mit dem Nießbrauch an seinem Haus zu bedenken, seine geschlechtlichen Beziehungen zu ihr die entscheidende Rolle gespielt hätten, zumal da der Erblasser, wie das Berufungsgericht feststellt, weder in dem Testament selbst, noch bei einer anderen Gelegenheit zum Ausdruck gebracht hatte, daß er die Beklagte um ihrer Dienstleistungen oder Geldaufwendungen willen bedenken wolle oder bedacht habe.
Es bestand für das Berufungsgericht auch keine Pflicht, die Beklagte durch Ausübung des Fragerechts gemäß §139 ZPO zu veranlassen, über Gegenstand und Umfang ihrer angeblichen Dienstleistungen und Geldaufwendungen nähere Einzelangaben zu machen. Wie der Senat bereits wiederholt ausgesprochen hat, hat die Bestimmung des §139 ZPO nicht die Bedeutung, daß die Parteien von ihrer Pflicht, ihre Behauptungen genau zu substantiieren und unter Beweis zu stellen, entlastet werden sollen; die Vorschrift soll vielmehr nur im Interesse einer gerechten und sachgemäßen Entscheidung Vorsorge treffen, daß nicht ein bloßes Verschen oder übersehen den Parteien zum Nachteil gereicht. Die Nichtausübung des Fragerechts kann daher einen Revisionsgrund nur dann abgeben, wenn das Berufungsgericht nach dem Verhandlungsergebnis hätte erkennen müssen, daß die Parteien Beweismittel und etwaige noch nötige nähere Behauptungen hätten beibringen können und wollen, daß das Nichtvorbringen daher offenbar auf einem Versehen oder darauf beruht, daß die Partei die Rechtslage erkennbar falsch beurteilt hat (RG JW 06, 114; LM Nr. 3 zu §139 ZPO). Im vorliegenden Rechtsstreit war die Beklagte dem Standpunkt des Klägers, daß das zu ihren Gunsten angeordnete Vermächtnis sittenwidrig sei, vor allem unter Hinweis auf ihre Dienstleistungen und Geldaufwendungen entgegengetreten. Dieser Hinweis bildete den Kern ihrer gesamten Verteidigung, wie ihr selbst auch bewußt war. Für das Berufungsgericht bestand daher kein Grund zu der Annahme, daß die Beklagte die Notwendigkeit, ihre Behauptungen genau zu substantiieren, nicht erkannt habe.
II.
Der Revision kann schließlich auch darin nicht beigetreten werden, daß die Frage der Sittenwidrigkeit des Testaments nach den Verhältnissen zur Zeit des Erbfalls, und nicht, wie das Berufungsgericht angenommen hat, nach den zur Zeit der Testamentserrichtung vorliegenden Umständen zu beurteilen sei. Der entscheidende Grund für die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung liegt in der darin zum Ausdruck kommenden und eine Verwirklichung erstrebenden unredlichen Gesinnung des Erblassers, also in seinen, ihn bei der Errichtung der Verfügung bestimmenden Beweggründen, sowie den dabei von ihm gehegten Vorstellungen über den Zweck und die Auswirkungen seiner letztwilligen Anordnung (vgl. RG 150,1 [4/5]). Sind diese Beweggründe und Vorstellungen mit der sittlichen Ordnung, so wie sie dem sittlichen Bewußtsein aller gerecht und billig Denkenden gegenwärtig ist, unvereinbar, so kann seine Verfügung von der Rechtsordnung zu keiner Zeit als gültig anerkennt werden. Denn die sittliche Bewertung des Errichtungsaktes nach seiner subjektiven Seite ist unabhängig davon, ob nach der Errichtung Verhältnisse eintreten, unter denen nunmehr die Errichtung eines Gleichlautenden Testaments eine andere sittliche Beurteilung verdienen würde. Ist also nach diesen Grundsätzen eine letztwillige Verfügung sittenwidrig und nichtig, so kann sie nicht dadurch wirksam werden, daß der Erblasser sie später unter Umständen, insbesondere aus Beweggründen, die sittlich nicht zu beanstanden sind, formlos bestätigt oder von ihrem Widerruf absieht. Er muß vielmehr alle nichtigen Bestimmungen formgerecht neu treffen (ebenso RGRK 10. Aufl. §2078, I S. 250).
Die gegenteilige Auffassung des Reichsgerichts, nach der ein Erblasser, der eine letztwillige Verfügung nicht widerrufe, sondern fortlaufend aufrechterhalte, sie gewissermaßen innerlich stets neu errichte und bestätige, der Zeitpunkt ihrer Errichtung also über den Errichtungsakt hinausgeschoben werde (DR 1943, 91), widerspricht natürlichem Denken und macht eine sachgerechte sittliche Wertung des der letztwilligen Verfügung wirklich zugrunde liegenden Willens unmöglich. Sie ist deshalb neuerdings auch vom Oberlandesgericht in Celle (NJW 1956 S. 265) mit Recht abgelehnt worden. Ebensowenig kann aber auch die Auffassung des Reichsgerichts (DR 1944, 494) als richtig anerkannt werden, daß entscheidend auf den Inhalt der Verfügung abzustellen sei, wie er sich beim Erbfall tatsächlich auswirke. Das würde auf ein völliges Absehen von der für die sittliche Beurteilung der Verfügung maßgebenden subjektiven Einstellung des Erblassers hinauslaufen.
Die hier vertretene Ansicht führt auch nicht, wie von Bremen-Kühne in der Anmerkung zu der angerührten Entscheidung des Oberlandesgerichts in Celle meint, zu unbilligen Ergebnissen. Die beiden in der Anmerkung behandelten Fallgruppen sind, da sie verschieden liegen, nicht unter den gleichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Haben die Verhältnisse, die einem Testament zur Zeit seiner Errichtung den Charakter eines unsittlichen Rechtsgeschäfts verlichen haben, sich später derart geändert, daß es jetzt in seinen Auswirkungen nicht mehr unsittlich sein würde, so muß vom Erblasser, wenn er dem in dem Testament aus unsittlichen Beweggründen - und somit rechtsunwirksam - bedachten nunmehr von der Rechtsordnung erlaubte Zuwendungen machen will, im Interesse der sittlichen Ordnung und der Rechtssicherheit erwartet werden, daß er daraufhin eindeutig von seiner früheren unsittlichen Einstellung abrückt, sein früheres Testament aufhebt und ein neues errichtet. In dem umgekehrten Fall, daß ein Testament zwar nach den Verhältnissen zur Zeit seiner Errichtung beurteilt sittlich unbedenklich ist, infolge später eingetretener Umstände aber nach dem Erbfall zu unsittlichen Auswirkungen führen würde, wird es, auch wenn man die Sittenwidrigkeit des Testaments als solche verneint, nicht an rechtlichen Möglichkeiten fehlen, gegenüber seinen unsittlichen Auswirkungen der sittlichen Ordnung zur Durchsetzung zu verhelfen. Insbesondere würde sich die Berufung auf ein solches Testament als unzulässige Rechtsausübung darstellen können (vgl. Soergel-Siebert, BGB 8. Aufl. §242, C I, 2).
Hiernach könnte den nach der Errichtung des Testaments vom 30. August 1945 eingetretenen Umständen für die sittliche Wertung der hier streitigen Zuwendung nur insoweit eine Bedeutung zukommen, als der Erblasser sich möglicherweise damals über die künftige Entwicklung mutmaßend gewisse Vorstellungen gemacht hat.
Nach dem, was oben über die Lebenserfahrung hinsichtlich der Motivierung letztwilliger Zuwendungen verheirateter Männer an ihre Geliebte dargelegt wurde, wäre es auch in dieser Hinsicht Sache der Beklagten gewesen, darzutun, daß nach diesen Vorstellungen des Erblassers die geschlechtlichen Beziehungen zwischen ihm und der Beklagten in ihrem Verhältnis zueinander künftig keine entscheidende Rolle spielen würden. Das hat die Beklagte nach den verfahrensrechtlich einwandfreien Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vermocht.
Auch das sonstige Vorbringen der Beklagten: Die Ehefrau des Erblassers habe es gut gehabt, der Kläger habe sich gegenüber der Beklagten immer nett und anständig benommen, konnte das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen das Verfahrensrecht als unbeachtlich ansehen, da es nicht gegen die Annahme sprach, daß der Erblasser die Beklagte aus sittlich zu mißbilligenden Beweggründen mit dem lebenslänglichen Nießbrauch an seinem Hause bedacht habe.
Die Feststellungen des Berufungsgerichts, daß diese Zuwendung gegen die guten Sitten verstoße und daher nichtig sei, hält somit gegenüber allen Angriffen der Revision einer rechtlichen Nachprüfung stand.
III.
Diese Anordnung des Erblassers zugunsten seiner ehebrecherischen Geliebten muß im übrigen abgesehen von den Beweggründen, auf denen sie nach den Feststellungen des Berufungsgerichts beruht, auch um ihrer Auswirkungen willen, die der Erblasser bei der Testamentserrichtung jedenfalls als möglich vorausgesehen und gebilligt hat, als sittlich bedenklich erscheinen. Es kann zwar nicht davon gesprochen werden, daß der Erblasser seine geschiedene Ehefrau in seinem Testament übergangen habe, da ihr nach Scheidung der Ehe kein gesetzliches Erb- oder Pflichtteilsrecht mehr zustand. Als Erbe des Erblassers blieb jedoch der Kläger gemäß §70 EheG mit dem Unterhaltsanspruch, der ihr gemäß §58 EheG gegen ihren als alleinschuldig geschiedenen Ehemann zustand, belastet. Würde das Nachlaßgrundstück, das im wesentlichen den gesamten Nachlaß bildet, wirksam mit einem lebenslänglichen Nießbrauch zugunsten der Beklagten belastet sein, so könnte der Erbe diese Unterhaltspflicht nicht aus den Einkünften des Nachlasses bestreiten. Insbesondere wäre er genötigt, seiner Großmutter entweder außerhalb der früheren ehelichen Wohnung ein Unterkommen zu besorgen, oder sie zeitlebens mit der früheren ehebrecherischen Geliebten ihres verstorbenen Ehemanns als Hausherrin zusammenleben zu lassen, die dafür noch die Zahlung einer Miete verlangen könnte. Das widerspricht in hohem Maße dem Anstandsgefühl aller gerecht und billig Denkenden.
Wenn die Beklagte erstmalig in diesem Rechtszug geltend macht, daß mit der Nichtigkeit des Nießbrauchsvermächtnisses das ganze Testament, also auch die Einsetzung des Klägers zum Erben hinfällig sei, so ist ihr entgegenzuhalten, daß nach §2085 BGB die Unwirksamkeit einer von mehreren in einem Testament enthaltenen Verfügungen die Unwirksamkeit der übrigen Verfügungen nur zur Folge hat, wenn anzunehmen ist, daß der Erblasser diese ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen haben würde. Der feststehende Sachverhalt bietet für die letztere Annahme keinen Anhalt. Da die Beklagte selbst in dieser Richtung nichts vorgetragen hatte, bestand für das Berufungsgericht kein Anlaß, darauf einzugehen.
Nach allem konnte die Revision keinen Erfolg haben. Ihre Kosten treffen gemäß §97 Abs. 1 ZPO die Beklagte.
Fundstellen
Haufe-Index 3018532 |
BGHZ 20, 71 - 76 |
BGHZ, 71 |
DB 1956, 303 (Volltext mit amtl. LS) |
NJW 1956, 865 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.) |
JR 1956, 228 |
JR 1956, 377 |
JZ 1956, 321 |
JZ 1956, 321-322 |