Verfahrensgang
OLG Köln (Entscheidung vom 01.12.2020; Aktenzeichen 9 U 20/20) |
LG Köln (Entscheidung vom 18.12.2019; Aktenzeichen 23 O 180/19) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten und unter Zurückweisung der weitergehenden Revision wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 1. Dezember 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als festgestellt worden ist, dass die Beklagte der Klägerin zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie vor dem 1. Januar 2017 und nach dem 6. Juni 2019 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerin in dem Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2017 auf die Beitragserhöhungen in dem Tarif V zum 1. Januar 2011, zum 1. April 2014 und zum 1. April 2016 sowie in dem Tarif T zum 1. Januar 2012 und zum 1. April 2014 gezahlt hat.
Die Berufung der Klägerin wird auch insoweit zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 45 % und die Beklagte zu 55 %. Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen die Klägerin zu 38 % und die Beklagte zu 62 %.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 4.091,13 € festgesetzt.
In Abänderung der Streitwertfestsetzung des Berufungsgerichts werden der Streitwert des Verfahrens erster Instanz auf 22.027,48 € und der Streitwert des Verfahrens zweiter Instanz auf 19.553,60 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung der Klägerin.
Rz. 2
Die Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Die dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen umfassen unter anderem als "Teil I" die "Musterbedingungen 2009 - MB/KK 2009 - des Verbandes der privaten Krankenversicherung" (im Folgenden: MB/KK) sowie als "Teil II" die "Tarifbedingungen" der Beklagten. In den Muster- und Tarifbedingungen heißt es:
"§ 8b Beitragsanpassung
Teil I
1. Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als dem gesetzlich oder tariflich festgelegten Vomhundertsatz, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. […]
2. Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vo-rübergehend anzusehen ist.
[…]
Teil II
Zu § 8b Abs. 1 Beitragsanpassung
[…]
Ergibt die Gegenüberstellung nach Absatz 1 Satz 2 bei den Versicherungsleistungen eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. […]"
Rz. 3
Die Beklagte informierte die Klägerin ausweislich der Feststellungen des Berufungsgerichts unter anderem über folgende Beitragserhöhungen:
- zum 1. Januar 2011 im Tarif V um 22,66 € (Schreiben vom November 2010)
- zum 1. Januar 2012 im Tarif T um 11,67 € (Schreiben vom November 2011)
- zum 1. April 2014 im Tarif V um 54,23 € und im Tarif T um 8,29 € (Schreiben vom Februar 2014)
- zum 1. April 2016 im Tarif V um 99,14 € (Schreiben vom Februar 2016)
Rz. 4
Im Schreiben vom November 2010 - mit beigefügtem Nachtrag zum Versicherungsschein - hieß es:
"[…] So werden etwa verbesserte Diagnose- und Behandlungsmethoden oder auch neue Medikamente weitgehend automatisch zu zusätzlichen Leistungsbestandteilen Ihrer Versicherung. Ob krank oder gesund, jung oder alt, Sie haben die Sicherheit, im Krankheitsfall die bestmögliche Behandlung zu erhalten - jetzt und in Zukunft.
Um das garantieren zu können, ist es notwendig, die Versicherungsleistungen und Beiträge in einem ausgewogenen Verhältnis zu halten. Die jährliche Überprüfung hat ergeben, dass die Beiträge in einigen unserer Tarife angeglichen werden müssen.
[…]"
Rz. 5
Im Schreiben vom November 2011 - mit beigefügtem Nachtrag zum Versicherungsschein - hieß es:
"[…]
Damit wir Ihnen diese Sicherheit dauerhaft gewährleisten können, müssen wir die Kalkulationsgrundlagen jährlich durch einen unabhängigen Treuhänder überprüfen lassen. Die aktuelle Prüfung hat ergeben, dass wir in einigen Tarifen unsere Beiträge stabil halten oder sogar senken können. In anderen Tarifen ist dagegen eine Erhöhung der Beiträge notwendig.
[…]"
Rz. 6
Im Schreiben vom Februar 2014 - mit beigefügtem Nachtrag zum Versicherungsschein - hieß es:
"[…]
heute informieren wir Sie darüber, dass wir zum 1. April 2014 Ihre Beiträge deutlich erhöhen müssen. Der wesentliche Grund hierfür sind die gestiegenen Kosten für medizinische Leistungen. Medizinischer Fortschritt und ständig verbesserte Behandlungsverfahren haben ihren Preis.
Auch schwerwiegende Krankheitsfälle wie psychische Erkrankungen haben zugenommen. Die betroffenen Patienten sind deshalb oft lange arbeitsunfähig. Dadurch steigen die Kosten für die Krankentagegeldversicherungen, die einen Verdienstausfall abdecken.
[…]"
Rz. 7
Das Schreiben vom Februar 2016, dem unter anderem ein Nachtrag zum Versicherungsschein beigefügt war, lautete auszugsweise:
"[…]
Warum ändert sich Ihr Beitrag?
Der wichtigste Grund sind die gestiegenen Gesundheitskosten. Diagnose- und Therapiemethoden entwickeln sich stets weiter. Diese haben ihren Preis. Doch sie helfen Ihnen, schneller gesund zu werden. Und mehr Lebensqualität zu genießen.
Weitere Gründe für die Beitragsanpassung entnehmen Sie bitte der Beilage 'Medizinischer Fortschritt - Ein Praxisbeispiel der [Versicherer]'.
[…]"
Rz. 8
Die Klägerin hält die Beitragserhöhungen für unrechtmäßig. Mit Anwaltsschreiben vom 29. Mai 2019 forderte sie die Beklagte unter anderem zur Rückzahlung der ihrer Ansicht nach zu viel gezahlten Prämien einschließlich der daraus gezogenen Nutzungen auf. Die Beklagte wies die Forderung mit Schreiben vom 7. Juni 2019 zurück.
Rz. 9
Soweit für die Revision noch von Interesse hat die Klägerin mit ihrer Klage die Rückzahlung der auf die genannten sowie weitere Erhöhungen entfallenden Prämienanteile zunächst in Höhe von 13.165,06 € nebst Zinsen, die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie die Feststellung begehrt, dass die Beitragserhöhungen unwirksam sind und sie nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist. Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2019 hat die Klägerin diesen Feststellungsantrag für erledigt erklärt; die Beklagte hat sich dem nicht angeschlossen. Die Klägerin hat daraufhin die Feststellung beantragt, dass der Feststellungsantrag ursprünglich zulässig und begründet war.
Rz. 10
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin den Zahlungsantrag in Höhe von 11.322,02 € und den Feststellungsantrag bezüglich der oben genannten Beitragserhöhungen sowie die Freistellung von Rechtsanwaltskosten weiterverfolgt. Außerdem hat sie die Feststellung beantragt, dass die Beklagte die Nutzungen, die sie aus den auf die Beitragserhöhungen gezahlten Prämienanteilen gezogen hat, an die Klägerin herauszugeben und zu verzinsen hat. Das Oberlandesgericht hat das landgerichtliche Urteil unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung dahingehend abgeändert, dass die Beklagte zur Zahlung von 3.835,59 € nebst Zinsen seit dem 7. Juni 2019 und zur Freistellung der Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 € verurteilt worden ist. Weiter hat es festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, soweit die Klägerin die Feststellung beantragt hat, dass die Prämienerhöhungen in den Tarifen V zum 1. Januar 2011 und 1. April 2014 und T zum 1. April 2014 bis zum 31. Oktober 2019 unwirksam waren und die Klägerin nicht zur Zahlung der jeweiligen Erhöhungsbeträge verpflichtet ist. Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagte die Nutzungen, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerin im Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2017 auf die Beitragserhöhungen in dem Tarif V zum 1. Januar 2011, 1. April 2014 und 1. April 2016 sowie in dem Tarif T zum 1. Januar 2012 und zum 1. April 2014 gezahlt hat, an die Klägerin herauszugeben und ab dem 7. Juni 2019 zu verzinsen hat.
Rz. 11
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 12
Die Revision hat nur in geringem Umfang Erfolg.
Rz. 13
I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die streitgegenständlichen Begründungen für die Prämienerhöhungen nicht die Mindestanforderungen an die Mitteilung der maßgeblichen Gründe erfüllen. Den beiden zeitlich früheren Schreiben sei auch nicht ansatzweise zu entnehmen, dass die Beitragsanpassung aufgrund der Veränderung einer der gesetzlich genannten Rechnungsgrundlagen erfolge. In den beiden jüngeren Anpassungsschreiben wie auch in den Beilagen fänden sich keine konkreten Angaben zu den Rechnungsgrundlagen und deren Veränderung, die den angepassten Tarifen zugrunde lägen. Die Beitragserhöhungen im Tarif V zum 1. Januar 2011 und 1. April 2014 sowie im Tarif T zum 1. April 2014 seien unwirksam gewesen und erst durch die Zustellung der Klageerwiderung geheilt und zum 1. November 2019 wirksam geworden. Die Beitragsanpassungen im Tarif V zum 1. April 2016 und T zum 1. Januar 2012 seien im Hinblick auf die Unwirksamkeit der Tarifanpassungsklausel gemäß § 8b MB/KK von vornherein endgültig unwirksam. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 8b Abs. 1, Abs. 2 MB/KK werde dem Versicherer die Möglichkeit eingeräumt, auch im Falle einer nur vorübergehenden Veränderung der Rechnungsgrundlage "Versicherungsleistungen" eine Beitragsanpassung vorzunehmen. Dies widerspreche insoweit § 12b Abs. 2 Satz 2 VAG a.F., § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG, § 203 Abs. 2 VVG, nach denen eine Prämienanpassung nur zulässig sei, wenn die Veränderung nicht nur vorübergehender Art sei.
Rz. 14
Die zu viel gezahlten Beträge errechneten sich unter Berücksichtigung des Klagebegehrens, das eine Rückforderung nur bis einschließlich Dezember 2017 schlüssig darlege, und unter Zugrundelegung eines Erhöhungsbetrages von 74,43 € zum 1. April 2016 und von 9,51 € zum 1. Januar 2012; diese ergäben insgesamt 3.835,59 €. Die Verjährung der Rückforderungsansprüche ab 1. Januar 2016 sei durch die Zustellung der Klageschrift am 15. August 2019 gehemmt worden. Die Klägerin habe auch einen Anspruch auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen aus den von ihr gezahlten erhöhten Prämienanteilen.
Rz. 15
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung überwiegend stand.
Rz. 16
1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die von der Beklagten mitgeteilten Gründe für die Prämienerhöhungen zum 1. Januar 2011, 1. Januar 2012, 1. April 2014 und 1. April 2016 die Voraussetzungen einer nach § 203 Abs. 5 VVG erforderlichen Mitteilung (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 (IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 26) nicht erfüllten. Ob die Mitteilung einer Prämienanpassung den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden (Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 aaO Rn. 38). Revisionsrechtlich relevante Fehler sind hier nicht zu erkennen.
Rz. 17
Nach der im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Beurteilung des Berufungsgerichts konnte ein Versicherungsnehmer den Mitteilungen nicht mit der gebotenen Klarheit entnehmen, dass eine Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen über dem geltenden Schwellenwert die Beitragserhöhungen ausgelöst hat. Das Berufungsgericht hat dem Schreiben vom November 2010 nur den medizinischen Fortschritt und verbesserte Behandlungsverfahren als wesentliche Gründe der Beitragserhöhung entnommen. Dass das Schreiben vom November 2011 - anders als das Berufungsgericht dies dargestellt hat - nicht einmal diese als unzureichend bewerteten Angaben enthält, ist für die Entscheidung zu Lasten der Beklagten nicht erheblich, die daher auch nicht auf einer Gehörsverletzung beruht. Entgegen der Ansicht der Revision ergeben sich auch aus der im Schreiben vom November 2010 erwähnten Notwendigkeit, "die Versicherungsleistungen und Beiträge in einem ausgewogenen Verhältnis zu halten" oder den im Schreiben vom November 2011 enthaltenen Hinweisen auf eine "aktuelle Prüfung" der "Kalkulationsgrundlagen" nicht die erforderlichen Angaben.
Rz. 18
Es ist außerdem rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Erwähnung gestiegener Gesundheitskosten (bzw. gestiegener Kosten für medizinische Leistungen) als Grund der Beitragserhöhung in den Schreiben vom Februar 2014 und Februar 2016 ebenfalls nicht als die geforderte Mitteilung verstand, dass die Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen über einem festgelegten Schwellenwert die Beitragserhöhung ausgelöst hat. Seine Annahme, es fehlten konkrete Angaben zu den Rechnungsgrundlagen und deren Veränderung, die den angepassten Tarifen zugrunde liegen, verletzt die Beklagte daher auch nicht in ihrem Recht auf rechtliches Gehör. Für dieses Ergebnis kam es nicht darauf an, ob das Berufungsgericht - insoweit gegebenenfalls abweichend von den zuvor zutreffend bestimmten Anforderungen an die Begründung einer Prämienanpassung - darüber hinaus auch das Fehlen der Angabe beanstandet hat, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat oder ob sich der Schwellenwert aus dem Gesetz oder den Versicherungsbedingungen ergab.
Rz. 19
Soweit das Berufungsgericht die erforderlichen Angaben auch den beigefügten Anlagen nicht entnehmen konnte, bezieht sich dies auf die Überschreitung einer bestimmten Rechnungsgrundlage im festgelegten Umfang als Voraussetzung der Prämienanpassung, und nicht auf die Frage, in welchem Tarif die Beklagte eine Prämienanpassung vorgenommen hat. Entgegen der Ansicht der Revision ist es daher nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht auch die beigefügten Nachträge zum Versicherungsschein, in denen für jeden Tarif die jeweilige Prämienerhöhung aufgeführt war, nicht als ausreichende Mitteilung angesehen hat.
Rz. 20
2. Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die in der am 24. September 2019 zugestellten Klageerwiderung nachgeholten Angaben zu den Gründen der Prämienanpassungen nur zu einer Heilung ex nunc führen (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 - IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 41 f.). Es ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass die formal zunächst unwirksamen Prämienerhöhungen erst ab dem 1. November 2019 wirksam wurden und bis zu diesem Zeitpunkt die Erhöhungsbeträge nicht zu zahlen waren.
Rz. 21
3. Die Klägerin kann daher die auf die zunächst unwirksamen Prämienerhöhungen gezahlten und von der Verjährung für die Zeit vor dem 1. Januar 2016 nicht erfassten Erhöhungsbeträge bis zum 31. Dezember 2017 zurückverlangen. Daraus folgt der vom Berufungsgericht zu Recht zugesprochene Betrag in Höhe von 3.835,59 € ((22,66 € + 54,23 € + 9,51 € + 8,29 €) x 24 Monate + 74,43 € x 21 Monate). Dieser ist - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - ab Verzugseintritt zu verzinsen. Die Höhe des Rückzahlungsanspruchs wird im Übrigen von der Revision zu Recht nicht angegriffen.
Rz. 22
4. Zu Recht ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass die Verjährung des Anspruchs auf Rückzahlung der ab dem 1. Januar 2016 geleisteten Prämienanteile durch die Zustellung der Klageschrift am 15. August 2019 rechtzeitig gehemmt wurde und dieser Anspruch nicht verjährt ist.
Rz. 23
Die dreijährige Regelverjährung beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Entgegen der Ansicht der Revision entsteht jedoch nicht mit der unwirksamen Prämienerhöhung und der ersten darauf erfolgten monatlichen Teilzahlung bereits ein einheitlicher Bereicherungsanspruch in Höhe aller in Zukunft darauf geleisteter Prämien. Die Rückzahlungsansprüche aufgrund unwirksamer Beitragserhöhungen entstehen vielmehr jeweils mit der Zahlung der Erhöhungsbeträge (vgl. Senatsurteil vom 17. November 2021 - IV ZR 113/20, BGHZ 232, 31 Rn. 41). Bei rechtsgrundlos erbrachten Leistungen, die periodisch fällig und dementsprechend bezahlt werden, entsteht mit jeder Zahlung ein sofort fälliger und damit ein regelmäßig zeitlich wiederkehrender Bereicherungsanspruch (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 2008 - XI ZR 409/06, WM 2008, 1258 Rn. 12). Wie der Senat mit Urteil vom 22. Juni 2022 (IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078 Rn. 43) entschieden und im Einzelnen begründet hat, können die Grundsätze der Verjährung bei der Schadenseinheit nicht auf Bereicherungsansprüche übertragen werden.
Rz. 24
5. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dagegen die Prämienerhöhungen in den Tarifen V zum 1. April 2016 und T zum 1. Januar 2012 über die formelle Unwirksamkeit hinaus mit der Begründung für endgültig unwirksam gehalten, dass es für diese Erhöhungen an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle.
Rz. 25
a) Bei den genannten Prämienanpassungen lag die Veränderung der Versicherungsleistungen unterhalb des gesetzlich vorgesehenen Schwellenwerts von 10 % gemäß § 203 Abs. 2 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG. Diese gesetzlichen Vorschriften erlauben jedoch eine Herabsetzung des Schwellenwerts in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Auf dieser Grundlage hat die Beklagte nach § 8b MB/KK in Verbindung mit § 8b Abs. 1 der Tarifbedingungen den Schwellenwert auf 5 % gesenkt; dieser Wert wird nach den Feststellungen des Berufungsgerichts durch die Veränderung der Versicherungsleistungen bei den hier in Rede stehenden Prämienanpassungen überschritten.
Rz. 26
b) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 22. Juni 2022 (IV ZR 253/20, VersR 2022,1078) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die Regelungen in § 8b MB/KK zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK unwirksam (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 aaO Rn. 31 f.), aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lässt dies die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK und einer Regelung wie § 8b Abs. 1 der Tarifbedingungen der Beklagten unberührt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 aaO Rn. 33 ff.).
Rz. 27
c) Die materiellen Voraussetzungen der Prämienanpassungen im Übrigen liegen unstreitig vor.
Rz. 28
6. Da die Prämienanpassungen in den Tarifen V zum 1. April 2016 und T zum 1. Januar 2012 in dem hier maßgeblichen Zeitraum formell unwirksam waren, hat deren materielle Wirksamkeit keine Auswirkungen auf die Höhe des begründeten Zahlungsanspruchs. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht daher auch im Ergebnis zutreffend der Zurückweisung des Klageantrags auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache bezüglich dieser Prämienanpassungen zugrunde gelegt, dass die ursprünglich erhobene Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhung und der Nichtzahlungspflicht zulässig und begründet war. Es kann damit vorliegend offenbleiben, ob die für den Erledigungsausspruch erforderliche Feststellung, dass der mit der Klage geltend gemachte Anspruch bis zu dem erledigenden Ereignis zulässig und begründet war, überhaupt an der materiellen Rechtskraft des Erledigungsurteils teilnimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2017 - III ZR 540/16, juris Rn. 13). Durch die - unzutreffende - Annahme des Berufungsgerichts, aufgrund einer materiellen Unwirksamkeit der Prämienerhöhung ohne Heilungsmöglichkeit sei kein erledigendes Ereignis eingetreten und der Feststellungsantrag deswegen abzuweisen, wird die Beklagte dagegen nicht beschwert.
Rz. 29
7. a) Noch zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Pflicht zur Herausgabe von Nutzungen die ab dem 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2017 gezahlten Prämienanteile als Grundlage der Nutzungen umfasst, da dies die begründete, nicht verjährte Hauptforderung ist. Entgegen der Ansicht der Revision ist es rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Pflicht zur Herausgabe von Nutzungen aus den Prämienanteilen insgesamt - und damit auch hinsichtlich der Beitragserhöhung zum 1. April 2016 - für die seit dem 1. Januar 2016 gezahlten Beiträge festgestellt hat. Da sich die Herausgabepflicht nur auf die gezogenen Nutzungen bezieht, betrifft sie auch nur die tatsächlich gezahlten Prämienanteile als Grundlage der Nutzungen, so dass sie für die Prämienerhöhung vom 1. April 2016, auf die vor diesem Datum keine Prämienanteile gezahlt wurden, für diese Zeit auch keinen Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen begründet.
Rz. 30
b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dagegen eine Pflicht zur Herausgabe von Nutzungen auch insoweit festgestellt, als diese im Jahr 2016 aus den nicht geschuldeten Erhöhungsbeträgen gezogen wurden. Der mit der Ziehung der Nutzungen 2016 entstandene Anspruch verjährte mit dem Ablauf des 31. Dezember 2019, bevor die Verjährung des Nutzungsherausgabeanspruchs durch die Zustellung der Berufungsbegründung vom 24. Februar 2020, in der dieser Anspruch erstmals geltend gemacht wurde, gehemmt wurde. Entgegen der Ansicht der Revision erfasst die Verjährung dagegen nicht den Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen, die ab dem 1. Januar 2017 aus den im Jahr 2016 gezahlten Erhöhungsbeträgen gezogen wurden, da die Verjährungsfrist erst mit der Anspruchsentstehung durch die Nutzungsziehung zu laufen begann.
Rz. 31
c) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht außerdem einen Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen insoweit angenommen, als sie in demselben Zeitraum, für den der Klägerin auch Zinsen aus den zurückzuzahlenden Prämienanteilen zugesprochen worden sind, gezogen wurden. Der Anspruch auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen ist vielmehr auf die Zeit vor Eintritt der Verzinsungspflicht für die Hauptforderung beschränkt. Prozess- und Verzugszinsen sollen den Nachteil ausgleichen, den der Gläubiger dadurch erleidet, dass er infolge nicht rechtzeitiger Zahlung des Schuldners daran gehindert ist, einen ihm zustehenden Geldbetrag zu nutzen (Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 - IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 58). Dieser Nachteil wird durch einen Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen vollkommen ausgeglichen. Daher besteht neben dem Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen kein Anspruch auf Prozess- oder Verzugszinsen (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 aaO). Eine Pflicht der Beklagten zur Herausgabe gezogener Nutzungen ist daher nur für die Zeit vor dem Verzinsungsbeginn am 7. Juni 2019 festzustellen.
Rz. 32
8. Rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Feststellung der Pflicht zur Verzinsung der herauszugebenen Nutzungen. Das Berufungsgericht geht rechtsfehlerfrei davon aus, dass die Beklagte in ihrer Erwiderung vom 7. Juni 2019 auf die Forderungen der Klägerin aus deren Schreiben vom 29. Mai 2019 die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hat, wodurch sie in Verzug geraten ist, § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Die Beklagte hat dort die geltend gemachten Rückzahlungsansprüche - und damit auch die Herausgabe jeglicher aus den Prämienanteilen gezogenen Nutzungen - bestimmt und ohne Einschränkung zurückgewiesen.
Rz. 33
9. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch wegen vertraglicher Pflichtverletzung aus §§ 280, 257 BGB hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in der ausgeurteilten Höhe angenommen.
Rz. 34
a) Das Berufungsgericht hat die nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Begründungen der Prämienanpassungen als Vertragsverletzung der Beklagten angesehen. Ungeachtet dessen, ob dies bereits eine zum Schadensersatz verpflichtende Pflichtverletzung darstellt, liegt eine solche jedenfalls in der unberechtigten Geltendmachung der nicht geschuldeten Erhöhungsbeträge aus der unwirksamen Prämienanpassung bei der Beitragsabrechnung der Beklagten. Entgegen der Ansicht der Revision kann diesem Anspruch nicht entgegengehalten werden, dass der Gesetzgeber als Folge einer unzureichenden Begründung in § 203 Abs. 5 VVG allein das Nichtwirksamwerden der Prämienanpassung vorgesehen habe. Eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das ihr nach dem Vertrag nicht geschuldet ist, verletzt ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB (Senatsurteil vom 9. Februar 2022 - IV ZR 291/20, VersR 2022, 503 Rn. 26 m.w.N.). Wenn ein Partner eines gegenseitigen Vertrags aus diesem Vertrag Ansprüche gegen den anderen Partner ableitet, die ihm nicht zustehen, kommt daher ein Anspruch aus der Verletzung vertraglicher Pflichten aus § 280 Abs. 1 BGB in Betracht (Senatsurteil vom 9. Februar 2022 aaO).
Rz. 35
b) Von dem Vorwurf des nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermuteten Verschuldens hat sich die Beklagte nicht entlastet. Soweit sich die Revision darauf beruft, die Beklagte habe ihren Rechtsstandpunkt bis zu einer höchstrichterlichen Klärung der Begründungsanforderungen aus § 203 Abs. 5 VVG für plausibel halten dürfen, beruft sie sich auf einen Rechtsirrtum, der im Allgemeinen nicht entschuldigt (Senatsurteil vom 9. Februar 2022 - IV ZR 291/20, VersR 2022, 503 Rn. 27 m.w.N.). Insoweit werden an die Sorgfaltspflicht strenge Anforderungen gestellt; es reicht nicht aus, dass sie sich ihre Meinung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat; entschuldigt wäre sie erst, wenn mit der Möglichkeit des Unterliegens im Rechtsstreit nicht zu rechnen war (Senatsurteil vom 9. Februar 2022 aaO). Davon ist hier nicht auszugehen. Der Versicherer hat die Gestaltung seiner Mitteilungen zu Prämienanpassungen selbst in der Hand und kann auch angesichts der Auslegungsbedürftigkeit einer Vorschrift, zu der noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist, im Zweifel eine rechtssichere Formulierung wählen (Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 - IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 37).
Rz. 36
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Abänderung der Streitwertfestsetzung für das Verfahren der Vorinstanzen beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG und berücksichtigt, dass bei einer negativen Feststellungsklage kein Feststellungsabschlag vorzunehmen ist.
Prof. Dr. Karczewski |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Bommel |
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Fundstellen
Haufe-Index 15669202 |
VersR 2023, 712 |