Leitsatz (amtlich)
Enthält eine Widerspruchsbelehrung keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG (hier in der Fassung vom 13. Juli 2001) erforderliche Form (hier Textform) des Widerspruchs, liegt kein geringfügiger Belehrungsfehler vor, durch den dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben (Abgrenzung zum Senatsurteil vom 15. Februar 2023 - IV ZR 353/21, juris, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
Normenkette
BGB § 242; VVG § 5a Abs. 1 S. 1 Fassung: 2001-07-13
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 06.01.2021; Aktenzeichen 4 S 17/19) |
AG Berlin-Spandau (Entscheidung vom 04.06.2019; Aktenzeichen 12 C 125/18) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Berlin - Zivilkammer 4 - vom 6. Januar 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 3.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger macht gegen den beklagten Versicherer im Wege der Stufenklage Ansprüche aus einer fondsgebundenen Lebensversicherung nach Widerspruch geltend.
Rz. 2
Diese Versicherung wurde mit Versicherungsbeginn zum 1. April 2002 nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Der Versicherungsschein enthielt nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts eine durch Fettdruck hervorgehobene Widerspruchsbelehrung, die lautete:
"Dem Abschluß dieses Vertrags können Sie innerhalb von 14 Tagen ab Zugang dieser Unterlagen widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs."
Rz. 3
Mit Wirkung vom 5. September 2005 bis zum 28. August 2011 trat der Kläger seine Forderungen aus dem Versicherungsvertrag zur Sicherung eines Darlehens ab.
Rz. 4
Mit Schreiben vom 22. Februar 2017 erklärte der Kläger den Widerspruch. Die Beklagte wies den Widerspruch und das Rückzahlungsbegehren des Klägers zurück.
Rz. 5
Mit seiner Klage begehrt der Kläger - soweit für die Revision von Belang - Auskunft darüber, welcher Betrag als Sparbeitrag oder als Überschussbeteiligung in Fondsanteile investiert wurde, sowie Zahlung eines nach Auskunftserteilung noch zu beziffernden Betrages.
Rz. 6
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren im genannten Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 8
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Widerspruchsbelehrung nicht vollständig den Anforderungen des § 5a VVG a.F. entsprochen, weil der Hinweis auf die Textform des Widerspruchs gefehlt habe. Gleichwohl sei das Recht des Klägers zum Widerspruch gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie im Jahr 2002 erloschen. Es bedürfe vorliegend keiner richtlinienkonformen Reduktion dieser Vorschrift. Nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union beginne die Rücktrittsfrist bei einem Lebensversicherungsvertrag auch dann zu laufen, wenn in den Informationen, die der Versicherer dem Versicherungsnehmer mitteile, eine Form verlangt werde, die nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen Recht nicht vorgeschrieben sei, solange dem Versicherungsnehmer durch die Informationen nicht die Möglichkeit genommen werde, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Ein solcher geringfügiger Belehrungsfehler liege hier vor. Aus dem in der Belehrung enthaltenen Hinweis, dass die fristgemäße Absendung des Widerspruchs genüge, werde hinreichend deutlich, dass die Erklärung in einer versendungsfähigen Form, mithin textlich oder schriftlich und nicht nur mündlich abzugeben sei. Mit der Schriftform sei allenfalls ein nur geringfügiger Mehraufwand verglichen mit der Textform verbunden. Kein Versicherungsnehmer werde sich im Hinblick auf die weitreichende wirtschaftliche Bedeutung eines langjährigen Versicherungsvertrages wegen eines nicht präzise angegebenen oder leicht erhöhten Formerfordernisses von der Ausübung seines Widerspruchrechts abhalten lassen.
Rz. 9
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Ein bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB, dessen Durchsetzung mit der Stufenklage vorbereitet werden soll, kann dem Kläger mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.
Rz. 10
1. Nach den revisionsrechtlich allerdings nicht zu beanstandenden und von der Revisionserwiderung - zu Recht - nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte die Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung enthielt keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 1. August 2001 gültigen Fassung erforderliche, aber auch ausreichende Textform des Widerspruchs. Dieses Formerfordernis konnte der Kläger nicht aus der Formulierung entnehmen, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genüge. Der Belehrung lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, dass die Textform abbedungen und dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit eines Widerspruchs auch in mündlicher Form eingeräumt werden sollte (vgl. Senatsurteile vom 21. Dezember 2016 - IV ZR 399/15, r+s 2017, 128 Rn. 12 m.w.N.; vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 26).
Rz. 11
2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, einem (fortbestehenden) Widerspruchsrecht des Klägers stehe entgegen, dass ein nur geringfügiger Belehrungsfehler vorliege.
Rz. 12
a) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 15. Februar 2023 (IV ZR 353/21, juris Rn. 13 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist ein Bereicherungsanspruch nach § 242 BGB wegen rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Widerspruchsrechts ausgeschlossen, wenn dem Versicherungsnehmer durch eine fehlerhafte Information in der Widerspruchsbelehrung nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Unter diesen (engen) Voraussetzungen liegt ein geringfügiger Belehrungsfehler vor, der einer Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 242 BGB entgegensteht. Mit Blick darauf kommt es auf eine vom Berufungsgericht in solchen Fällen angenommene Anwendbarkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. unter gleichzeitiger Einschränkung der vom Senat vorgenommenen richtlinienkonformen Auslegung dieser Vorschrift (vgl. hierzu Senatsurteil vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) nicht an.
Rz. 13
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wurde dem Kläger jedoch durch den fehlenden Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 1. August 2001 gültigen Fassung erforderliche Textform des Widerspruchs die Möglichkeit genommen, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben (vgl. OLG Köln, Urteil vom 30. Dezember 2021 - 20 U 69/21, juris Rn. 6, 8 ff.; vgl. auch Senatsurteile vom 28. September 2016 - IV ZR 210/14, VersR 2016, 1419 Rn. 17; vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 32). Diese Bewertung des Tatrichters kann in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (vgl. Senatsurteil vom 13. Januar 2016 - IV ZR 284/13, BetrAV 2016, 147 Rn. 19; BGH, Urteil vom 16. März 2017 - I ZR 39/15, GRUR 2017, 702 Rn. 99 m.w.N.; jeweils zur unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB). Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass sich aus der Widerspruchsbelehrung hinreichend deutlich ergebe, dass die Widerspruchserklärung textlich oder schriftlich abzugeben sei, und diese Ungenauigkeit den Versicherungsnehmer allenfalls unwesentlich beeinträchtige.
Rz. 14
aa) Enthält die Widerspruchsbelehrung - wie hier - keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 1. August 2001 gültigen Fassung erforderliche, aber auch ausreichende Textform des Widerspruchs, bleibt der Versicherungsnehmer im Unklaren darüber, in welcher Form er die Widerspruchserklärung abzugeben hat (vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2020 - IV ZR 318/18, NJW-RR 2021, 487 Rn. 13). Dies stellt eine nicht unerhebliche Erschwernis der Ausübung des Widerspruchsrechts gegenüber einem ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer dar, der insbesondere auch über die zur Wirksamkeit des Widerspruchs erforderliche Form zu belehren ist (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 2004 - IV ZR 58/03, VersR 2004, 497 unter 3 b [juris Rn. 16] zur Schriftform; OLG Köln, Urteil vom 30. Dezember 2021 - 20 U 69/21, juris Rn. 11). Dem Versicherungsnehmer soll mit der Widerspruchsbelehrung klar und unmissverständlich vor Augen geführt werden, unter welchen Voraussetzungen er wirksam widersprechen kann (vgl. auch EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019, Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667 Rn. 70-72).
Rz. 15
Bleibt es - wie hier - dem Versicherungsnehmer überlassen, die für einen wirksamen Widerspruch erforderliche Form zutreffend zu bestimmen, besteht die Gefahr, dass der Widerspruch nicht in der nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 1. August 2001 gültigen Fassung erforderlichen, aber auch ausreichenden Textform abgegeben wird, mit der Folge, dass der Widerspruch unwirksam ist (vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 30. Dezember 2021 - 20 U 69/21, juris Rn. 8; EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019, Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667 Rn. 72).
Rz. 16
bb) Aus dem in der Belehrung enthaltenen Hinweis, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genüge, wird der Versicherungsnehmer nicht entnehmen, dass ein Widerspruch in Textform erforderlich, aber auch ausreichend ist. Vielmehr wird er - anders als das Berufungsgericht meint - annehmen, dass ein formloser Widerspruch ebenfalls genügt.
Rz. 17
Dem Versicherungsnehmer wird zunächst durch Satz 1 der Widerspruchsbelehrung der Eindruck vermittelt, dass der Widerspruch keiner besonderen Form bedarf. Denn danach kann er dem Abschluss des Vertrages innerhalb von 14 Tagen ab Zugang der Unterlagen "widersprechen". Eine Einschränkung dahin, dass der Widerspruch jedenfalls der Textform bedarf, lässt sich der Belehrung nicht entnehmen. Der Versicherungsnehmer muss aber auch nicht aus Satz 2 der Widerspruchsbelehrung schließen, dass er hiermit über die erforderliche Form des Widerspruchs informiert werden soll. Diese Regelung betrifft lediglich die Rechtzeitigkeit der Erklärung, nicht aber deren Form. Mit diesem Gesichtspunkt hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt. Zwar mögen allein verkörperte Erklärungen der "Absendung" zugänglich sein. Nur für solche besteht aber - angesichts der zeitlichen Verzögerung zwischen Abgabe der Erklärung und deren Zugang beim Empfänger - überhaupt ein Regelungsbedarf in Bezug auf die Fristwahrung (BeckOGK/Mörsdorf, BGB § 355 Rn. 64 [Stand: 1. Juni 2022]; vgl. auch MünchKomm-BGB/Fritsche, 9. Aufl. § 355 Rn. 47; jeweils zu einer ähnlichen Problematik betreffend § 355 Abs. 1 BGB). Mit Blick auf Satz 1 der Belehrung wird der Versicherungsnehmer indessen von der Wirksamkeit eines formlosen Widerspruchs ausgehen.
Rz. 18
Im Übrigen dürfte der durchschnittliche Versicherungsnehmer - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - auch deshalb dem Hinweis der Belehrung auf die "rechtzeitige Absendung" nicht hinreichend deutlich entnehmen, dass der Widerspruch jedenfalls in Text- oder Schriftform zu erklären sei, weil nach seinem Verständnis nicht nur in Text- oder Schriftform verkörperte Widerspruchserklärungen der Absendung zugänglich sind, sondern etwa auch Ton- oder Videoaufnahmen eines mündlich erklärten Widerspruchs, die als Datei per E-Mail oder auf einem körperlichen Datenträger wie einer CD-ROM oder einem USB-Stick mit der Post verschickt, mithin abgesendet werden können. Dies würde jedoch die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 1. August 2001 gültigen Fassung erforderliche Textform (§ 126b BGB) des Widerspruchs nicht wahren. Übermittlungsmedien, bei denen die Erklärung als gesprochene Mitteilung beim Empfänger ankommt, erfüllen nicht die Voraussetzungen der Textform, da die gespeicherten Daten nicht in Schriftzeichen lesbar sind (vgl. BT-Drucks. 14/4987, S. 20). Dabei kommt es hier nicht darauf an, ob es sich insoweit um eine von Versicherungsnehmern regelmäßig gewählte Übermittlungsform handelt. Entscheidend ist, dass die Widerspruchsbelehrung den Versicherungsnehmer über die erforderliche Form des Widerspruchs im Unklaren lässt.
Rz. 19
Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich aus der bisherigen Senatsrechtsprechung nichts anderes. Der Senat hat lediglich für die Prüfung der Ordnungsgemäßheit der Belehrung unterstellt, dass "selbst wenn" ein verständiger Versicherungsnehmer nur verkörperte Erklärungen als der Absendung zugänglich ansieht, für ihn dennoch unklar bleibt, ob hierzu eine Verkörperung in Textform ausreicht oder ob es nicht der traditionellen Schriftform bedarf, sodass jedenfalls eine nicht ordnungsgemäße Belehrung vorliegt (vgl. Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 26; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 24). Der Senat hat hingegen nicht entschieden, dass der Versicherungsnehmer dem Hinweis in Satz 2 der Belehrung entnimmt, dass er den Widerspruch in Text- oder Schriftform erklären muss.
Rz. 20
3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist ein Bereicherungsanspruch des Klägers jedenfalls auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht nach § 242 BGB wegen rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Widerspruchsrechts ausgeschlossen, weil der Kläger die Rechte aus dem Versicherungsvertrag in der Zeit vom 5. September 2005 bis 28. August 2011 (einmalig) als Darlehenssicherheit eingesetzt hat.
Rz. 21
a) Nach der Rechtsprechung des Senats kann zwar auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind (Senatsbeschlüsse vom 8. September 2021 - IV ZR 133/20, VersR 2021, 1479 Rn. 17; vom 3. Juni 2020 - IV ZB 9/19, NJW-RR 2020, 914 Rn. 14; Senatsurteil vom 26. September 2018 - IV ZR 304/15, r+s 2018, 647 Rn. 23; Senatsbeschluss vom 27. September 2017 - IV ZR 506/15, NJW-RR 2018, 161 Rn. 15; Senatsurteil vom 1. Juni 2016 - IV ZR 482/14, VersR 2017, 275 Rn. 24; jeweils m.w.N.). Dementsprechend hat der Senat bereits tatrichterliche Entscheidungen gebilligt, die in Ausnahmefällen mit Rücksicht auf besonders gravierende Umstände des Einzelfalles auch dem nicht oder nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer die Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs nach § 242 BGB verwehrt haben (Senatsbeschlüsse vom 8. September 2021 aaO Rn. 18; vom 27. Januar 2016 - IV ZR 130/15, r+s 2016, 230 Rn. 16; vom 11. November 2015 - IV ZR 117/15, juris Rn. 17).
Rz. 22
b) Allein der einmalige Einsatz der Lebensversicherung als Kreditsicherungsmittel, auf den die Revisionserwiderung in diesem Zusammenhang abstellt, ist jedoch in der Regel - wie hier - nicht als besonders gravierender Umstand zu werten, der dem Versicherungsnehmer die Geltendmachung seines Anspruchs verwehrt. Der Einsatz der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zur Sicherung der Rechte eines Dritten aus einem Darlehensvertrag lässt keinen zwingenden Schluss darauf zu, dass der Versicherungsnehmer in Kenntnis seines Lösungsrechtes vom Vertrag an diesem festgehalten und von seinem Recht keinen Gebrauch gemacht hätte. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrages kann etwa bei einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung oder einer mehrfachen Abtretung angenommen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 27. September 2017 - IV ZR 506/15, NJW-RR 2018, 161 Rn. 15 m.w.N.). Derartige Umstände sind hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gegeben.
Rz. 23
III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Rz. 24
1. Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif, weil sich das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht mit dem Einwand der Beklagten befasst hat, der Kläger könne sein Widerspruchsrecht nicht mehr ausüben, nachdem dieser im November 2015 eine ordnungsgemäße Nachbelehrung erhalten und in Kenntnis dieses Rechts zunächst über längere Zeit am Vertrag festgehalten habe. Unabhängig davon, ob eine erst nach jahrelanger Vertragsdurchführung erteilte Nachbelehrung geeignet ist, die Widerspruchsfrist nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. noch in Gang zu setzen, kann eine solche Nachbelehrung als besonders gravierender Umstand gewertet werden, sodass dem Kläger die Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs nach § 242 BGB verwehrt wäre. Dies setzt vor allem voraus, dass die Nachbelehrung die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung - abgesehen vom Zeitpunkt der Erteilung - nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. erfüllt und einen hinreichend deutlichen Bezug zu dem Vertrag enthält, dessen Abschluss der Versicherungsnehmer noch widersprechen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2011 - XI ZR 148/10, WM 2011, 655 Rn. 10, 14-16 zu § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F.). Feststellungen hierzu und gegebenenfalls zu dem vom Kläger bestrittenen Zugang der Nachbelehrung hat das Berufungsgericht bislang nicht getroffen. Das wird nachzuholen sein.
Rz. 25
2. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zum Einwand von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist im Streitfall auch unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40) und des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 22. Juli 2022 (VersR 2022, 1252) nicht veranlasst, da jedenfalls der Senat vorliegend keine abschließende Entscheidung trifft und derzeit noch offen ist, ob es auf den Einwand von Treu und Glauben für eine abschließende Entscheidung ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - I ZR 46/12, GRUR 2016, 171 Rn. 49 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat zunächst im Rahmen der ihm obliegenden tatrichterlichen Würdigung festzustellen, ob besonders gravierende Umstände des Einzelfalls vorliegen, mit der Folge, dass die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen könnte.
Harsdorf-Gebhardt |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Rust |
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Fundstellen
Haufe-Index 15642164 |
NJW 2023, 1664 |
NJW 2023, 8 |
WM 2023, 725 |
ZAP 2023, 427 |
DZWir 2023, 387 |
JZ 2023, 314 |
NZI 2024, 57 |
VuR 2023, 239 |
WRP 2023, 767 |
ZfS 2023, 447 |
BKR 2023, 540 |