Entscheidungsstichwort (Thema)
gefährliche Körperverletzung
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 2. Dezember 1999 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,
- soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperver- letzung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz verurteilt worden ist,
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Stralsund zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz und wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz in einem weiteren Fall” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und die Einziehung der sichergestellten Tatwaffe nebst Magazin und Patronen angeordnet.
Der Angeklagte rügt mit seiner auf den Strafausspruch beschränkten Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft wendet sich, wie sich aus der Revisionsrechtfertigungsschrift ergibt, mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel dagegen, daß dieser im Fall II 2 b der Urteilsgründe nicht auch wegen zweier versuchter Tötungsdelikte verurteilt worden ist.
I. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, da – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 18. April 2000 zutreffend ausgeführt hat – das Urteil keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil aufweist.
II. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Nach den Urteilsfeststellungen konnte sich der Angeklagte nicht damit abfinden, daß sich seine Ehefrau Sibylle N. nach 25jähriger Ehe von ihm getrennt hatte und in das Haus ihres neuen Partners Manfred R. gezogen war. Am Tattag suchte er sie dort auf, um mit ihr zu reden. Dabei führte er seine geladene halbautomatische Pistole vom Typ „Walther P 38” unerlaubt bei sich, die er unter dem Pullover in den Hosenbund gesteckt hatte. Zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau kam es am Grundstückstor zu einem Gespräch, wobei der Angeklagte ihren neuen Partner – für diesen hörbar – als „Dreckschwein” bezeichnete. Manfred R. forderte daher Sibylle N. auf, das Gespräch abzubrechen. Daraufhin geriet der Angeklagte in Wut, zog seine Pistole und lud sie durch. Manfred R., der etwa 8 bis 9 Meter vom Angeklagten entfernt war, wandte sich sofort zur Flucht. Der Angeklagte schoß in Richtung auf R., „wobei er die Pistole auf den Boden und etwa einen Meter neben den davonlaufenden Geschädigten gerichtet hatte” (UA 8). Dieser wurde an der großen Zehe des rechten Fußes getroffen, konnte aber ins Haus flüchten. Sibylle N. versuchte vergeblich, die Haustür vor dem nachsetzenden Angeklagten zu schließen. Dieser riß die Tür auf und schoß seiner Ehefrau aus einer Entfernung von einem bis anderthalb Metern in den Oberbauch. Danach stieg er über die Frau, die sofort zusammengebrochen war, hinweg und setzte die Verfolgung Manfred R.s fort. Er sah, wie dieser aus dem Fenster des kleinen Wohnzimmers stieg und gab zwei Schüsse „in Richtung des Geschädigten” ab, die diesen aber nicht trafen; die Projektile drangen vielmehr in den Fensterrahmen bzw. in das Mauerwerk etwa 30 cm unterhalb des Fensters ein. Durch dieses Fenster gab der Angeklagte drei weitere Schüsse auf den Fliehenden ab, der sich bereits in zehn bis zwölf Metern Entfernung auf dem Nachbargrundstück befand; eines der Geschosse schlug etwa einen Meter neben Manfred R. in den Boden ein. Letztlich gelang es R., sich in Sicherheit zu bringen. Sibylle N. erlitt durch den Schuß schwerste innere Verletzungen; ihr Leben wurde nur durch die unverzüglich eingeleitete chirurgische Versorgung gerettet. Als Dauerschaden sind Gefühlsstörungen im linken Bein zurückgeblieben. Manfred R. mußte wegen seiner Verletzung neun Tage stationär behandelt werden. Hinsichtlich der subjektiven Tatseite ist das Landgericht davon ausgegangen, daß der Angeklagte zwar bedingten Körperverletzungs-, aber keinen Tötungsvorsatz hatte.
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht in beiden Fällen lediglich einen bedingten Körperverletzungsvorsatz angenommen hat, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Hinsichtlich der Tat zum Nachteil von Sibylle N. ist nicht ersichtlich, worauf das Landgericht seine Feststellung stützt, der Angeklagte habe sich bei Abgabe des Schusses über die Möglichkeit, außer einer Körperverletzung „auch den Tod der Geschädigten herbeiführen zu können, … keinerlei Gedanken” gemacht (UA 9). Es hat dabei nicht bedacht, daß bereits das objektive Tatgeschehen – Schuß aus einer Entfernung von höchstens anderthalb Metern in den Oberbauch des Opfers – darauf hindeutet, daß der Angeklagte mit Tötungs- und nicht nur mit Körperverletzungsvorsatz handelte.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, daß der Täter mit der Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs rechnet (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35, 38, 40; BGHR StPO § 261 Einlassung 5). Allerdings bedarf die Billigung des Todeserfolgs angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung der sorgfältigen Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, 5, 38); auch insoweit stellt die Lebensbedrohlichkeit gefährlicher Gewalthandlungen ein gewichtiges Beweisanzeichen dar (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38). Daneben sind die konkrete Angriffsweise, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motivation in die Beweiswürdigung miteinzubeziehen (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 39; vgl. auch Eser in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 212 Rdn. 5 m.w.N.). Eine solche Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände hat das Landgericht nicht vorgenommen.
b) Die Ablehnung eines Tötungsvorsatzes bezüglich der Tat zum Nachteil Manfred R.s hält ebenfalls rechtlicher Prüfung nicht stand. Auch hier ist der Tatrichter nicht darauf eingegangen, daß jede Form des Schießens auf einen Menschen mit einer scharfen Waffe wegen der außergewöhnlich großen Lebensgefährlichkeit den Schluß auf einen Tötungsvorsatz nahelegt (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 45 m.w.N.).
Die Tatsache, daß der Angeklagte sogar auf seine Ehefrau schoß, um sich die weitere Verfolgung R.s zu ermöglichen, spricht dagegen, daß er diesen – wie er sich eingelassen hat – lediglich erschrecken wollte. Damit sind insbesondere auch die weiteren fünf Schüsse, die er „in Richtung des Geschädigten” bzw. „auf den Geschädigten” abgab, nicht zu erklären. Soweit das Urteil im übrigen ausführt, es habe nicht festgestellt werden können, ob der Angeklagte bei diesen Schüssen mit bedingtem Körperverletzungsvorsatz gehandelt habe, ist dies nicht nachvollziehbar; es widerspricht den Ausführungen bezüglich des ersten Schusses.
3. Die aufgezeigten Mängel führen – abgesehen von der selbständigen Verurteilung wegen „eines Verstoßes gegen das Waffengesetz in einem weiteren Fall” (richtig: wegen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe; vgl. zur Tenorierung Steindorf Waffenrecht 7. Aufl. § 53 Rdn. 2) – zur Aufhebung des Urteils und damit auch (vgl. Kuckein in KK 4. Aufl. § 353 Rdn. 12) zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen in Tateinheit mit „einem Verstoß gegen das Waffengesetz”. Die angeordnete Einziehung der sichergestellten Waffe nebst Magazin und Patronen bleibt bestehen.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch und verweist die Sache an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Stralsund zurück.
Kommt der neue Tatrichter zur Annahme eines (bedingten oder unbedingten) Tötungsvorsatzes, wird er jeweils die Frage des strafbefreienden Rücktritts vom Versuch gemäß § 24 StGB zu erörtern haben. Dem könnte bezüglich der Tat zum Nachteil des Geschädigten R. das Vorliegen eines (zwar unbeendeten, aber) fehlgeschlagenen Versuchs, hinsichtlich derjenigen zum Nachteil der Geschädigten N. – in Anbetracht der Schwere der von ihr erlittenen Verletzungen – die Annahme eines beendeten Versuchs entgegenstehen (vgl. Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 24 Rdn. 4 und 10).
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen