Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 12.09.2003) |
Tenor
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 12. September 2003 werden verworfen.
2. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Der Angeklagte trägt die der Nebenklägerin durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen. Die dem Angeklagten durch die Revision der Staatsanwaltschaft im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Tatbestand
Dem Angeklagten liegt zur Last, versucht zu haben, seine Ehefrau mit einem Messer mit tiefreichenden Schnitten in beide Unterarme und mit einem Stich in die linke Brust zu töten. Das Landgericht hat ihn deshalb wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vierzehn Jahren verurteilt. Der Angeklagte greift das Urteil mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge insgesamt an; insbesondere rügt er die Annahme, er habe sich eines versuchten Mordes aus sonst niedrigen Beweggründen schuldig gemacht. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt; sie wendet sich mit der Sachrüge im wesentlichen dagegen, daß das Landgericht zu der Strafmilderung wegen Versuchs gekommen ist und erstrebt eine Verurteilung des Angeklagten zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
I.
Die Revision des Angeklagten
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
1. Die Rüge wegen rechtsfehlerhafter Ablehnung eines Beweisantrags auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten ist jedenfalls unbegründet. Weder aus den vorgetragenen Verfahrenstatsachen noch aus den Urteilsgründen ergeben sich Zweifel an der Sachkunde des angehörten Sachverständigen Dr. W. oder der Richtigkeit seines Gutachtens. Nach den Urteilsgründen hat sich der Sachverständige vielmehr ausführlich mit einem möglichen Einfluß des vom Angeklagten behaupteten Schädelhirntraumas auf die Schuldfähigkeit sowie mit dessen Herkunft und sozialer Integration in Deutschland auseinandergesetzt und im einzelnen ausgeführt, weshalb sich aus psychiatrischer Sicht beides nicht auf die Begehung der Tat ausgewirkt hat. Der Beschwerdeführer zeigt auch nicht auf, welche konkreten Beweisergänzungen mit einem weiteren Gutachten zu erzielen wären (§ 244 Abs. 2 StPO). Sein Vorbringen erschöpft sich vielmehr in revisionsrechtlich unbeachtlichen Angriffen auf die in den Urteilsgründen niedergelegte tatrichterliche Würdigung der Tatsachen, aufgrund derer die Strafkammer zur Annahme der uneingeschränkten Schuldfähigkeit gelangt ist.
2. Die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler ergeben. Der Erörterung bedarf nur folgendes: Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Beweggründe niedrig, wenn sie als Motive einer Tötung nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt (BGHSt 35, 116, 127; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 23 und 39). Nach den Feststellungen war Beweggrund des Angeklagten, seiner Ehefrau, die sich in Deutschland besser integriert hatte als er, das Recht abzusprechen, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten und sich von ihm zu trennen, ferner sein ausgeprägtes Besitzdenken und sein rücksichtsloser Eigennutz. Aus Wut und Verärgerung über die von seiner Ehefrau ausgesprochene Trennung fühlte er sich in seinem Stolz gekränkt, weil er als Familienoberhaupt aus der Wohnung gewiesen, mit einem Kontaktverbot belegt und zu Unterhaltszahlungen aufgefordert wurde. Er ging davon aus, seine Ehefrau habe ihr Leben verwirkt, weil sie sich von ihm trennen wollte. Dafür wollte er sie bestrafen und erhob sich gleichsam als „Vollstrecker eines Todesurteils” über die Rechtsordnung und das Lebensrecht seiner Frau (UA S. 33). Die Gefühle der Demütigung und Kränkung wurden dabei überlagert von Gefühlen des Neides, des Hasses und dem Wunsch, seine Ehefrau körperlich zu zerstören. Seine Ehefrau hatte dabei objektiv keinen begründeten Anlaß zu Haßgefühlen und Eifersucht gegeben.
Die Kammer hat rechtsfehlerfrei dargelegt, daß dem Angeklagten bewußt war, daß seine Motive auf sittlich tiefster Stufe stehen und verachtenswert sind. Der Hinweis des Beschwerdeführers auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. Februar 2002 – 5 StR 545/01 – NStZ 2002, 368 geht fehl, weil die Entscheidung einen anderen Sachverhalt betraf.
Das Landgericht hat auch eine mögliche tatbestimmende eigene Suizidalität des Angeklagten rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Die hiergegen gerichteten Angriffe des Beschwerdeführers sind revisionsrechtlich unbeachtlich. Sie erschöpfen sich darin, die Wertung des hierzu berufenen Tatrichters durch eine eigene abweichende Bewertung zu ersetzen. Einen Rechtsfehler zeigen sie hingegen nicht auf.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft
1. Die Entscheidung des Landgerichts, im Falle des versuchten Mordes (hier in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) von der Strafmilderungsmöglichkeit nach § 23 Abs. 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB Gebrauch zu machen, hält rechtlicher Prüfung stand.
a) Die rechtsfehlerfreie Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB verlangt eine Gesamtschau, die neben der Persönlichkeit des Täters die Tatumstände im weitesten Sinne und dabei insbesondere die versuchsbezogenen Gesichtspunkte einbezieht wie Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und eingesetzte kriminelle Energie (vgl. BGHSt 16, 351, 353; 35, 347, 355f.; BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 1, 2, 4, 5, 8, 9, 11 und 12). Eine sorgfältige Abwägung dieser Umstände, auch soweit sie für den Täter sprechen, ist namentlich dann geboten, wenn von der Entschließung über die versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abhängt (BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 8 und § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 21).
b) Die Strafkammer hat ausgeführt, sie habe die Strafmilderung aufgrund der notwendigen Gesamtbetrachtung aller Tatumstände und der Täterpersönlichkeit nach reiflicher Überlegung vorgenommen, wobei sie den wesentlichen versuchsbezogenen Umständen besonderes Gewicht beigemessen habe. Sie habe entscheidend auf die Nähe zur Tatvollendung, die Gefährlichkeit des Versuchs und das Maß der in ihm zutage getretenen kriminellen Energie abgestellt. Die Nähe zur Tatvollendung sei hier gegeben; die Geschädigte habe viel Blut verloren und wäre ohne sofortige Notoperation innerhalb weniger Minuten verblutet. Die kriminelle Energie sei hoch; es handele sich um eine vorangekündigte Tat, die der Angeklagte umsichtig und wohl überlegt durchgeführt habe. Die Tatausführung sei sadistisch und brutal gewesen. Der Angeklagte habe seine Ehefrau in Tötungsabsicht an beiden Handgelenken tiefreichende Schnittwunden zugefügt und dabei die Ellenarterien, die Sehnen und Nerven durchtrennt. Er habe sich bei seinen Handlungen weder durch die Schreie seiner Ehefrau noch durch seine hinzutretende Tochter beeindrucken lassen und habe seinen Tötungsversuch mit gefühlskalten Kommentaren wie „So, jetzt müssen wir ins Herz gehen! So, bist Du schon verreckt? So ist gut!” fortgesetzt.
Zur Begründung ihrer Entscheidung hat das Landgericht ausgeführt: „Das entscheidende Kriterium, das die Kammer letztlich bewogen hat, doch von der Milderungsmöglichkeit Gebrauch zu machen, sind die erstaunlich geringen Folgen der Tat bei der Geschädigten. Sie trägt sichtbare Narben, ist in der Bewegungsfähigkeit ihrer Arme und Hände eingeschränkt und leidet unter gelegentlichem Stimmverlust. Bei der brutalen Vorgehensweise des Angeklagten und dem entstandenen Verletzungsbild sind weit schlimmere Folgen denkbar, wie völliger Verlust der Bewegungsfähigkeit der oberen Extremitäten oder gar hirnorganische Schäden bedingt durch den hohen Blutverlust” (UA S. 37/38).
2. Der Beschwerdeführerin ist zuzugeben, daß diese Formulierung für sich gesehen eher gegen die vorgenommene Strafrahmenverschiebung spricht. Im Rahmen der von der Strafkammer angestellten Gesamtwürdigung ist aber nicht zu besorgen, daß sie sich mit der Betonung des ausgebliebenen Erfolgsunwerts den Blick auf die Bedeutung und Tragweite der festgestellten versuchsbezogenen Umstände verstellt hat.
Die Strafkammer hat alle wesentlichen straferschwerenden Gesichtspunkte, die für oder gegen eine Versagung der Versuchsmilderung sprechen können, gesehen und gewertet. Wenn die Kammer im Bewußtsein der Problematik einer sonst zwingenden Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe gleichwohl als letztlich ausschlaggebend für eine Strafmilderung nach den §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB erachtet hat, daß es bei hohem Handlungsunwert (glücklicherweise) „nur” zu einem sich im Rahmen haltenden Erfolgsunwert gekommen ist, hält sich dies noch innerhalb des Spielraums, der dem Tatrichter bei der Strafzumessung eingeräumt ist. Bei der Gewichtung der für die Strafzumessung wesentlichen Umstände können Gesichtspunkte eine entscheidende Rolle spielen, die aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung und dem Eindruck von der Persönlichkeit des Angeklagten gewonnen worden und einer exakten Richtigkeitskontrolle entzogen sind. Das Revisionsgericht nimmt die Strafzumessung des Tatrichters bis an die Grenze des Vertretbaren hin, (vgl. BGHSt 27, 2, 3; 29, 319, 320; jeweils m. w. Nachw.). Rechtsfehler, die ein Eingreifen des Revisionsgerichts ermöglichen und zugleich notwendig machen würden, läßt die Entscheidung der Strafkammer für eine Versuchsmilderung nicht erkennen.
Unterschriften
Nack, Wahl, Boetticher, Hebenstreit, Graf
Fundstellen
Haufe-Index 2557613 |
NStZ 2004, 620 |