Leitsatz (amtlich)
Bei „Lastschriftreiterei” mit dem Ziel der Kreditbeschaffung wird die erste Inkassostelle (Gläubigerbank) konkludent getäuscht, wenn den Lastschriften kurzfristige Darlehen mit einem deutlich erhöhten Risiko des Widerrufs zugrunde liegen und der Gläubiger seiner Bank dies nicht offen legt.
Normenkette
StGB § 263
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 13.10.2004) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 13. Oktober 2004 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten vorgeworfen, durch acht selbständige Handlungen jeweils einen Betrug zum Nachteil der V.-Bank begangen zu haben, indem er als Teilnehmer an dem Lastschriftverfahren in acht Fällen Lastschriften Dritter vorlegte und sich die Beträge hat gutschreiben lassen, obwohl er damit rechnete, daß die Lastschriften – letztlich zum finanziellen Nachteil der V.-Bank – in offener Frist widerrufen werden würden.
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen; letzteres ist nicht angefochten.
Gegen den Freispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg. Eines Eingehens auf die Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.
A)
Das Landgericht hat u.a. folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte arbeitete zur Tatzeit für die Firma S., einem Kurierdienst in F., als Subunternehmer und erledigte dabei europaweite Warenauslieferungs-Touren. Am 7. April 2003 eröffnete er bei der V.-Bank ein Firmenkonto und schloß eine sogenannte „Vereinbarung über den Einzug von Forderungen durch Lastschriften.”
Im Mai oder Juni 2003 wandte sich der in der Regel überschuldete Angeklagte, weil der Druck seiner Gläubiger zunahm, an eine Frau G., die ihm schon einmal ein Darlehen über 15.000 EUR vermittelt hatte. Frau G. hatte Personen zur Hand, die bereit waren, Gelder kurzfristig gegen einen sehr hohen Zinsertrag darlehensweise zu investieren. Diese Personen waren damit einverstanden, daß das von ihnen zu diesem Zwecke zur Verfügung zu stellende Geld im Wege des Lastschriftverfahrens und einer zu erteilenden Einzugsermächtigung von dem Zahlungsempfänger eingezogen und anschließend von diesem verwendet werden sollte. Im Innenverhältnis zu den Investoren benötigte Frau G. – „möglicherweise als Sicherheit” (nähere Feststellungen dazu hat das Landgericht nicht getroffen) – Forderungen, die sie im Wege des Forderungskaufs (Factoring) zunächst ihrerseits zu erwerben hatte. Deshalb forderte sie den Angeklagten auf, Scheinrechungen über von diesem nicht erbrachte Leistungen zu erstellen, damit sie diese vorgeblichen Forderungen im Wege des Factoring für sich „ankaufen” konnte. Dem kam der Angeklagte nach. Durch Vermittlung von Frau G. erhielt der Angeklagte einen Antrag auf Abschluß eines Factoring-Vertrages, den er unterschrieben zurücksandte, sowie Lastschriften mit den entsprechenden schriftlichen Einzugsermächtigungen der – ihm persönlich unbekannten – Investoren und Darlehensgeber. Die Lastschriften reichte der Angeklagte dann jeweils bei der V.-Bank ein, die eine entsprechende Gutschrift auf seinem Konto veranlaßte, worüber der Angeklagte verfügen konnte und tatsächlich auch verfügte. Er ging dabei entsprechend der tatsächlichen Sachlage davon aus, daß der zahlungspflichtige Ermächtigungsgeber ihm kurzfristig ein Darlehen zur Verfügung stellen wollte und deshalb auch mit der Einziehung und Verwendung des Geldes einverstanden wäre. Mit einem Widerruf der Lastschrift rechnete er nach Ansicht des Landgerichts nicht und konnte damit auch nicht rechnen.
Der Angeklagte reichte am 7. Juli 2003 eine Lastschrift über 15.000 EUR ein (Fall 1 der Anklage) und überwies, als er das Geld von der V.-Bank zur Verfügung gestellt erhalten hatte, an Frau G. die dieser vertraglich versprochenen Provisionen und Gebühren in Höhe von 4.050 EUR. Zu einem Widerruf der Lastschrift durch den Geldgeber kam es nicht. Als die Rückzahlung des Darlehens anstand, war der Angeklagte dazu nicht in der Lage und ließ sich von Frau G. weitere Darlehen vermitteln. Diese verlangte wiederum von ihm eine Scheinrechnung und übermittelte erneut einen Antrag auf Abschluß eines Factoring-Vertrages über einen fingierten Rechnungsbetrag sowie Lastschriften und Einzugsermächtigungen von zwei privaten Investoren über 19.000 EUR und 3.000 EUR. Der Angeklagte legte die Lastschriften am 4. August 2003 der V.-Bank vor (Fall 2 der Anklage), entrichtete an Frau G. die zuvor ausbedungenen Gebühren und Provisionen und zahlte von dem Rest das erste Darlehen zurück. Zu einem Widerruf der Lastschriften, mit dem der Angeklagte auch nicht gerechnet hatte, kam es ebenfalls nicht. Zur Rückzahlung dieses Darlehens vermittelte Frau G. dem Angeklagten auf die geschilderte Weise Darlehen über 36.000 EUR (zwei Investoren). Die diesbezüglichen Lastschriften legte der Angeklagte am 5. September 2003 der V.-Bank vor (Fall 3 der Anklage). Auch in diesem Fall erfolgte kein Widerruf der Lastschriften. In der Folge kam es zu weiteren Darlehensgeschäften in der vorbeschriebenen Weise wie folgt:
am 8. Oktober 2003 Lastschriften über insgesamt 51.000 EUR
(4 Investoren; Fall 4 der Anklage);
am 5. November 2003 Lastschriften über insgesamt 70.000 EUR
(4 Investoren; Fall 5 der Anklage);
am 5. Dezember 2003 Lastschriften über insgesamt 103.000 EUR
(6 Investoren; Fall 6 der Anklage);
am 7. Januar 2004 Lastschriften über insgesamt 140.000 EUR
(6 Investoren; Fall 7 der Anklage);
am 2. Februar 2004 Lastschriften über insgesamt 75.000 EUR
(5 Investoren; Fall 8 der Anklage).
In den ersten sechs Fällen überwies der Angeklagte im Zeitpunkt der Fälligkeit der Darlehen jeweils die erhaltene Darlehenssumme an den betreffenden Darlehensgeber. Die von Frau G. vom Angeklagten erhaltenen Gebühren und Provisionen betrugen insgesamt 107.750 EUR.
Anfang Februar 2004 widerriefen die Darlehensgeber in den Fällen 7 und 8 der Anklage die Einzugsermächtigungen bzw. es wurden Lastschriften nicht angenommen. Dies führte dazu, daß das Konto des Angeklagten bei der V.-Bank mit einem Sollsaldo in Höhe von insgesamt 145.358 EUR belastet wurde. Abzüglich eines Guthabens in Höhe von 5.659,74 EUR entstand der V.-Bank ein Gesamtschaden in Höhe von 139.698,26 EUR, der vom Angeklagten nicht ausgeglichen werden konnte, weil er zahlungsunfähig ist.
Diesen Betrag nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 9. Februar 2004 hat die V.-Bank im vorliegenden Verfahren im Wege der Adhäsionsklage gegen den Angeklagten geltend gemacht.
Die Kammer ist der Ansicht, ein Betrug sei nur dann gegeben, wenn Lastschriften über fingierte Forderungen ausgestellt und der jeweiligen Bank zur Gutschrift vorgelegt werden, weil dann vorgetäuscht werde, es käme nicht zu einem fristgerechten Widerruf. Im vorliegenden Fall lägen aber keine fingierten Forderungen zugrunde sondern echte Darlehensansprüche, so daß die Bank nicht über einen etwaigen Widerruf getäuscht werde. Der Angeklagte sei selbst davon ausgegangen, die Darlehen zurückzahlen zu können, wie es in den Fällen 1 bis 6 der Anklage auch geschehen sei. Der Angeklagte habe die Bank daher nicht getäuscht und auch keinen entsprechenden Betrugsvorsatz gehabt.
Die Kammer meint, dem Angeklagten sei nicht zu widerlegen, daß er nicht mit einem Widerruf der Lastschriften gerechnet habe. Dies gelte auch für die Fälle 7 und 8 der Anklage, da Frau G. ihm überraschend mitgeteilt habe, die Geldgeber hätten sich plötzlich zurückgezogen.
Entscheidungsgründe
B)
Das angefochtene Urteil ist, soweit der Angeklagte freigesprochen wurde, auf die Sachrüge der staatsanwaltschaftlichen Revision hin aufzuheben.
Der Tatrichter hat rechtsfehlerhaft eine Täuschungshandlung gegenüber der V.-Bank verneint (B II.) und dementsprechend auch einen Betrugsvorsatz des Angeklagten rechtlich unzutreffend nicht festgestellt (B III.).
Die Urteilsausführungen des Landgerichts lassen besorgen, daß nur dann ein Betrug zu Lasten der V.-Bank angenommen werden könne, wenn den Lastschriften fingierte Forderungen zugrunde liegen. Dies trifft nicht zu.
I. Zur Beurteilung der Frage, ob im vorliegenden Fall ein Betrug in Betracht kommt, sind die Grundzüge des Lastschriftverfahrens heranzuziehen.
1. Das Lastschriftverfahren stellt ein Instrument des bargeldlosen Zahlungsverkehrs dar, das im Gegensatz zur Giroüberweisung nicht vom Zahlenden sondern vom Zahlungsempfänger in Gang gesetzt wird (vgl. Canaris, BankvertragsR in Staub HGB Großkommentar 4. Aufl. Rdn. 528 ff.).
Zahlungsempfänger ist der Gläubiger, der den „Lastschriftauftrag” seinem kontoführenden Kreditinstitut zum Einzug hereingibt. Zahlungspflichtiger ist der Schuldner, von dessen Konto der Lastschriftbetrag eingezogen werden soll. Erste Inkassostelle ist das Kreditinstitut, das als kontoführendes Institut des Gläubigers diesen zum Lastschriftverfahren zugelassen hat (Gläubigerbank). Zahlstelle ist das Kreditinstitut des Schuldners, das dessen Konto mit dem Lastschriftbetrag belastet (Schuldnerbank). Einzugsermächtigung ist die vom Schuldner seinem Gläubiger grundsätzlich schriftlich erteilte „Ermächtigung”, Forderungen im Lastschriftwege einzuziehen. Rücklastschriften sind Lastschriften, die nicht eingelöst wurden bzw. denen, soweit als Einzugsermächtigungs-Lastschriften gekennzeichnet, vom Schuldner widersprochen wurde. Rückrechnungslastschriften sind Lastschriften, mit denen die Zahlstelle das Konto der ersten Inkassostelle aufgrund der im Lastschriftabkommen enthaltenen Ermächtigung bei Vorliegen von Rücklastschriften belastet (vgl. hierzu im einzelnen van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch 2. Aufl. § 56 Rdn. 17-24).
2. Das Lastschriftverfahren richtet sich nach dem „Abkommen über den Lastschriftverkehr”, das zwischen den Spitzenverbänden des Kreditgewerbes vereinbart wurde. Das Lastschriftabkommen (LSA vom 12. Dezember 1995; vgl. van Gelder aaO Anhang zu §§ 56-59) trifft unter anderem folgende Regelungen:
Im Rahmen des Lastschriftverfahrens wird zugunsten des Zahlungsempfängers über sein Kreditinstitut (erste Inkassostelle) von dem Konto des Zahlungspflichtigen bei demselben oder einem anderen Kreditinstitut (Zahlstelle), der sich aus der Lastschrift ergebende Betrag eingezogen und zwar aufgrund einer Einzugsermächtigung (LSA I Nr. 1). Die erste Inkassostelle nimmt Aufträge zum Einzug fälliger Forderungen, für deren Geltendmachung nicht die Vorlage einer Urkunde erforderlich ist, mittels Lastschrift herein [LSA I Nr. 2 (1)]. Bei Lastschriften, die als Einzugsermächtigungen gekennzeichnet sind, haftet die erste Inkassostelle der Zahlstelle für jeden Schaden, der dieser durch unberechtigt eingereichte Lastschriften entsteht (LSA I Nr. 5). Lastschriften sind zahlbar, wenn sie bei der Zahlstelle eingehen (LSA I Nr. 6). Die erste Inkassostelle ist – auch bei Verletzung dieses Abkommens und unbeschadet etwaiger Schadensersatzansprüche – verpflichtet, nicht eingelöste bzw. wegen Widerspruchs des Zahlungspflichtigen zurückgegebene Lastschriften … zurückzunehmen und wieder zu vergüten; sie darf diese Lastschrift nicht erneut zum Einzug geben (LSA II Nr. 3). Lastschriften, die als Einzugsermächtigungslastschriften gekennzeichnet sind, kann die Zahlstelle auch zurückgeben und deren Wiedervergütung verlangen, wenn der Zahlungspflichtige der Belastung widerspricht. Die Zahlstelle hat unverzüglich, nachdem sie von dem Widerspruch Kenntnis erlangt hat, die Lastschrift … zurückzurechnen (LSA III Nr. 1). Die Rückgabe und Rückrechnung ist ausgeschlossen, wenn der Zahlungspflichtige nicht binnen sechs Wochen nach Belastung widerspricht. Schadensersatzansprüche im Sinne der Regelung im Abschnitt I Nr. 5 bleiben hiervon unberührt (LSA III Nr. 2). Dieses Abkommen begründet Rechte und Pflichten nur zwischen den beteiligten Kreditinstituten (LSA IV Nr. 1).
3. Zwischen dem Zahlungsempfänger und seiner Bank (erste Inkassostelle) wird formularmäßig eine Vereinbarung über den Einzug von Forderungen durch Lastschriften getroffen (vgl. van Gelder aaO Anhang 2 zu §§ 56-59), nach deren Nr. 1 das Lastschriftverfahren nur dazu dient, fällige Forderungen, für deren Geltendmachung nicht die Vorlage einer Urkunde erforderlich ist, mittels Lastschrift einzuziehen. Nach Nr. 7 (betreffend das Einzugsermächtigungsverfahren) werden nicht eingelöste Lastschriften mit der Einreichungswertstellung zurückbelastet; dies gilt auch für die Rückbelastung von Lastschriften, für die der Zahlungspflichtige nach Belastung des Einzugsbetrages auf seinem Konto Wiedergutschrift verlangt, weil er die Belastung des Einzugsbetrages nicht anerkennt.
4. Aufgrund dieser im einzelnen dargestellten vertraglichen Verpflichtungen ergibt sich beim Lastschrifteinzugsermächtigungsverfahren ein Schadensrisiko der ersten Inkassostelle, wenn der Zahlungspflichtige binnen sechs Wochen seiner Belastung widerspricht und die erste Inkassostelle keinen (realisierbaren) Anspruch gegen weitere Beteiligte hat. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn das Konto ihres Kunden, des Zahlungsempfängers, keine Deckung aufweist und er nicht mehr in der Lage ist, seiner Zahlungsverpflichtung nachzukommen.
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 144, 349 ff.) ist die Möglichkeit des Schuldners zum Widerruf gegen Belastungen seines Kontos aufgrund Einzugsermächtigungslastschriften nicht befristet und endet erst durch Genehmigung gegenüber der Zahlstelle. Hierdurch mindert sich das entsprechende Schadensrisiko der ersten Inkassostelle nicht; das LSA ist auch nicht entsprechend geändert worden.
Ob etwaige Gegenansprüche der ersten Inkassostelle gegenüber dem Zahlungspflichtigen und/oder der Zahlstelle (vgl. hierzu auch BGH NJW 1979, 2145 ff.) eine andere Beurteilung erfordern würden, kann für Fälle wie den vorliegenden, in dem sich den getroffenen Feststellungen hierzu nichts entnehmen läßt, offen bleiben.
5. In Rechtsprechung und Literatur wird Betrug zum Nachteil der ersten Inkassostelle angenommen, wenn der Zahlungsempfänger Lastschriften einreicht, denen nur fingierte Forderungen zugrundeliegen und die erste Inkassostelle dadurch sowohl darüber getäuscht wird, daß kein Widerruf erfolgen wird als auch darüber, daß der – ansonsten zahlungsunfähige – Zahlungsempfänger solvent ist (vgl. dazu u.a. OLG Hamm NJW 1977, 1834, 1836; LG Oldenburg NJW 1980, 1176, 1177; Putzo NJW 1978, 689 f.; Cramer in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 263 Rdn. 30; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 263 Rdn. 11; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 263 Rdn. 14 a; anderer, im Ergebnis unzutreffender Ansicht Soyka NStZ 2004, 538, der allerdings zu Recht darauf hinweist, daß weder die Täuschung über den Nichtwiderruf noch über die Solvenz des Zahlungsempfängers allein zur Annahme eines Betruges ausreicht, da nur dann bei der ersten Inkassostelle ein Schaden eintritt, wenn sowohl widerrufen wird als auch ein Anspruch gegenüber dem Zahlungsempfänger nicht realisierbar ist).
Ein Betrug gegenüber der ersten Inkassostelle kommt aber nicht nur bei fingierten Forderungen in Betracht, sondern grundsätzlich dann, wenn sie sowohl darüber getäuscht wird, daß die Lastschriften nicht widerrufen werden als auch darüber, daß der Zahlungsempfänger im Zeitpunkt der Rückrechnungslastschriften seiner Bank zahlungsunfähig ist.
Dies liegt bei „Lastschriftreiterei” mit dem Ziel der Kreditbeschaffung auf der Hand, weil die erste Inkassostelle darüber getäuscht wird, daß der Lastschrifteinreichung nicht (zum Beispiel) ein übliches Umsatzgeschäft, sondern ein kurzfristiges Darlehen mit einem deutlich erhöhten Risiko des Widerrufs zugrundeliegt. Denn das Lastschriftverfahren dient als Instrument des bargeldlosen Zahlungsverkehrs nicht der Kreditbeschaffung. So wie die Verwendung von Scheck und Scheckkarte zur Kreditbeschaffung in der Regel als zweckwidrige, zumindest ungewöhnliche Benutzung angesehen (vgl. BGHZ 64, 79, 84) und die Hingabe von eurocheques mit dem Ziel, Darlehen auf Kosten der Bank zurückzuzahlen, als funktional atypische Verwendungsart der Scheckkarte gewertet wird (vgl. BGHZ 83, 28), so ist die „Lastschriftreiterei” mit dem Ziel der Kreditbeschaffung – letztlich zum Nachteil der ersten Inkassobank – mit dem Wesen des Lastschriftverfahrens nicht zu vereinbaren. Den Zahlungsempfänger trifft aufgrund seiner vertraglichen Vereinbarung mit seiner Bank in diesen Fällen eine Aufklärungspflicht, wenn die Lastschriften funktional atypisch verwendet werden. Legt er die Lastschriften ohne entsprechende Angaben seiner Bank zur Gutschrift vor, täuscht er diese konkludent darüber, daß die Lastschrift hier entgegen ihrem Zweck nicht lediglich Instrument des bargeldlosen Zahlungsverkehrs ist.
Dementsprechend hat der Angestellte der ersten Inkassobank, der dem Konto des Zahlungsempfängers den Lastschriftbetrag gutschreibt, bei Vorlage der Lastschrift mit der entsprechenden Einzugsermächtigung die Vorstellung, daß seiner Bank durch die Gutschrift letztlich kein Schaden entsteht, sei es weil die Lastschrift nicht widerrufen wird, sei es weil die Bank – bei einem etwaigen Widerruf – den Betrag beim Zahlungsempfänger unschwer einziehen kann. Wird er kumulativ darüber getäuscht und trifft er durch den bei ihm hierdurch erregten Irrtum die Vermögensverfügung, die dann später zum Schaden der Bank führt, ist bei entsprechender Bereicherungsabsicht und Betrugsvorsatz ein Betrug zum Nachteil der ersten Inkassostelle gegeben.
II. Diese Grundsätze hat der Tatrichter hier nicht zutreffend erkannt.
1. Zwar geht die Strafkammer zu Recht davon aus, daß ein Betrug zum Nachteil der ersten Inkassostelle naheliegt, wenn sie darüber getäuscht wird, daß nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge mit einem Widerruf der Lastschrift nicht zu rechnen sein wird, obwohl die Beteiligten bereits ins Auge gefaßt hatten, vor Fristablauf einen Widerruf zu erklären, nachdem die zunächst erhaltene Liquidität zum Nachteil der auszahlenden Bank von ihrem – in Wirklichkeit zahlungsunfähigen – Kunden (dem Zahlungsempfänger) verwendet wurde. Die Annahme eines solchen Betruges drängt sich auf, wenn die Lastschriften über fingierte Forderungen ausgestellt wurden, da dann ein entsprechender Widerruf zu erwarten war, und wenn das Konto des Zahlungsempfängers keine Deckung aufweist. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt ein solcher Betrug aber auch dann – wie oben ausgeführt – in Betracht, wenn den Lastschriften „echte” Forderungen zugrundeliegen. Entscheidend ist, ob mit einem Widerruf der Lastschrift zu rechnen ist und ob die Bank sich gegebenenfalls an ihrem Kunden (Zahlungsempfänger) schadlos halten kann, zum Beispiel weil sein Konto entsprechende Deckung aufweist. Die Frage des Zugrundeliegens einer fingierten oder einer echten Forderung ist nur ein Indiz für die Wahrscheinlichkeit eines Widerrufs und für die Täuschungsabsicht.
Da der Angeklagte im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des Landgerichts in der Regel überschuldet (UA S. 4) und zahlungsunfähig (UA S. 7) war, kam es für die Vermögensgefährdung bzw. den Vermögensschaden der ersten Inkassostelle entscheidend darauf an, ob mit einem Widerruf der Lastschriften zu rechnen war.
Die hierfür erforderlichen Feststellungen und Gesamtwürdigung aller erheblichen Umstände hat die Kammer rechtsfehlerhaft nicht getroffen bzw. nicht vorgenommen, da sie sich ersichtlich mit dem jeweiligen Bestehen einer fälligen (Darlehens-)Forderung begnügte und im übrigen darauf abstellte, daß in den ersten sechs Fällen tatsächlich nicht widerrufen wurde.
2. Die Kammer hätte aber in ihre Überlegung gewichtige Umstände einbeziehen müssen, die einen Widerruf der Lastschriften nahelegten:
Die Darlehen wurden so kurzfristig gewährt, daß sie jeweils innerhalb der Frist von sechs Wochen, in denen nach damals im Geschäftsleben üblicher Ansicht Widerruf erklärt werden konnte, fällig wurden. Dies deutet darauf hin, daß gezielt ein fristgerechter Widerruf durch die Schuldner der Forderung als Sicherungsinstrument bezweckt war.
Für die kurzfristigen Darlehen waren – ohne daß dies die Kammer würdigt – sehr hohe Zinsen (UA S. 4) zu bezahlen, so daß ein – zudem ein an sich zahlungsunfähiger – Gläubiger, der Zahlungspflicht schwerlich nachkommen konnte, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit eines Widerrufs erhöht. Frau G. erhielt allein im Falle 1 der Anklage (Darlehen über 15.000 EUR) Provisionen und Gebühren in Höhe von 4.050 EUR; insgesamt betrugen ihre Gebühren und Provisionen über 100.000 EUR (UA S. 8). Sowohl die hohen Zinsen als auch die hohen Gebühren und Provisionen führen zwangsläufig dazu, daß der zahlungsunfähige Angeklagte immer sehr kurzfristig neue Darlehensgeber mit immer wesentlich höheren Darlehen vermittelt bekommen mußte, um einen die V.-Bank schädigenden Widerruf der Lastschriften zu verhindern. Da der Angeklagte die Darlehensgeber persönlich gar nicht kannte und wegen der Vermittlung auf Frau G. angewiesen war, die sich ihre Tätigkeit teuer vergüten ließ, und immer mehr Darlehensgeber in kurzfristiger Zeit gefunden werden mußten, war die Wahrscheinlichkeit des Widerrufs der Lastschriften ab einem gewissen Zeitpunkt genauso hoch wie beim Zugrundelegen einer nur fingierten Forderung. Aber auch von Anfang an lag bei diesen – nach Art eines Schneeballsystems anwachsenden – Darlehen eine konkrete Vermögensgefährdung der V.-Bank vor. Denn es bestand von vornherein die naheliegende Möglichkeit, daß schon der erste kurzfristige Darlehensgeber seine Lastschrift widerrufen würde, da der zahlungsunfähige Angeklagte keinen weiteren Darlehensgeber finden würde. Zudem konnte dieses Verfahren der Bank auffallen, so daß nachfolgende Lastschriften nicht eingelöst würden mit der Folge, daß frühere Lastschriften mangels Darlehensrückzahlung widerrufen würden. Der Tatrichter selbst weist hierzu – ohne dies näher darzulegen – darauf hin, daß in den Fällen 7 und 8 der Anklage Lastschriften auch nicht mehr angenommen wurden.
Das Verfahren diente ersichtlich nur der Kreditbeschaffung des Angeklagten, der „Provisionen- und Gebührenschneiderei” der Frau G. und der hohen Zinsbefriedigung der Darlehensgeber, alles zum Nachteil der ersten Inkassostelle, die sich an das Lastschriftabkommen zu halten hatte.
Der Umstand, daß nach den Feststellungen des Tatrichters Frau G. im Innenverhältnis zu den Darlehensgebern den Nachweis von ihr im Wege des Forderungskaufs (Factoring) zustehende Forderungen benötigte, besagt für den vorliegenden Fall zunächst nichts, zumal da der Tatrichter hierzu keinerlei konkrete Feststellungen getroffen hat. Sollten diese – angeblichen – Forderungen dazu gedient haben, zu verschleiern, daß den Lastschriften kurzfristige (mit einer Laufzeit von weniger als sechs Wochen) Darlehen statt Forderungen über erbrachte Leistungen zugrundelagen, spräche dies ebenfalls erheblich für einen Mißbrauch des Lastschrifteinzugsermächtigungsverfahrens zum Nachteil der V.-Bank. Dies gilt um so mehr, als diese durch die nicht als Darlehen erkennbaren Lastschriften über die grundsätzliche Solvenz des Angeklagten getäuscht wurde und auch deshalb die Lastschriften überhaupt zur Gutschrift brachte. Denn sie ging erkennbar davon aus, daß es sich um Zahlungen für vom Angeklagten erbrachte Leistungen handelte.
Bereits nach den bisher vom Landgericht getroffenen Feststellungen liegt hier objektiv ein Betrug zum Nachteil der V.-Bank sehr nahe.
III. Auch die Verneinung eines Betrugsvorsatzes des Angeklagten begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht hat sich zum einen bereits den Blick für die Beurteilung der subjektiven Tatseite dadurch verstellt, daß es dem Vorliegen einer fälligen Forderung zu großes Gewicht beigemessen hat. Zum anderen ist die Strafkammer rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, „dem Angeklagten (sei) nicht zu widerlegen, daß die Widerrufserklärungen der Lastschriften in den Fällen 7 und 8 Anfang Februar 2004 für ihn unvorhersehbar erfolgten” (UA S. 9).
Entlastende Angaben eines Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine (ausreichenden) Beweise gibt, darf der Richter nicht ohne weiteres als unwiderlegt seinem Urteil zugrunde legen. Er muß sich vielmehr aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung bilden (st. Rspr. vgl. u.a. Senatsurteil vom 22. April 2005 – 2 StR 310/04 m.w.N.). Diese Gesamtwürdigung fehlt hier genauso wie diejenige zum objektiven Tatbestand. Die oben (II. 1.) angeführten Umstände hätten zur Annahme gedrängt, daß der zahlungsunfähige Angeklagte sehr wohl zumindest billigend in Kauf genommen hat, daß die Lastschriften widerrufen werden und der V.-Bank ein entsprechender Schaden verbleibt, da er selbst keinen Ausgleich schaffen konnte. Hinzu kommt hier noch, daß dem Angeklagten – mag dieser auch in rechtlichen und finanziellen Dingen wenig bewandert sein – auffallen mußte, daß von ihm das Erstellen von Scheinrechnungen über von ihm nicht erbrachte Leistungen verlangt wurde. Weiter konnte der Angeklagte, zumal da er die Darlehensgeber gar nicht kannte, nicht ohne weiteres davon ausgehen, er werde die sehr schnell und sehr hoch anwachsenden Darlehensverpflichtungen auf Dauer erfüllen können. Die Feststellung des Tatrichters, für den Angeklagten sei ein Widerruf der Lastschrift nicht vorhersehbar gewesen, entbehrt einer tragfähigen Grundlage.
Die Einlassung des Angeklagten, er habe an ein dauerhaft funktionierendes System geglaubt, durfte der Tatrichter daher nicht als unwiderlegbar zur Verneinung des Betrugsvorsatzes zugrundelegen.
IV. Die rechtsfehlerhafte Verneinung sowohl der objektiven als auch der subjektiven Voraussetzungen des Betrugs führt zur Aufhebung des Freispruchs mit den zugehörigen Feststellungen. Die Sache war an eine andere Wirtschaftsstrafkammer (§ 74 c GVG) des Landgerichts zurückzuverweisen, da der Senat nicht ausschließen kann, daß ein neuer Tatrichter Feststellungen treffen kann, die zu einer Verurteilung führen.
Dieser wird zu beachten haben, daß ein Betrug des Angeklagten bereits bei Eröffnung des Firmenkontos mit Abschluß der „Vereinbarung über den Einzug von Forderungen durch Lastschriften” am 7. April 2003 in Betracht kommt, wenn neue Feststellungen ergeben, daß er schon zu diesem Zeitpunkt „Lastschriftreiterei” zum Nachteil der ersten Inkassostelle vorhatte. In diesem Falle läge eine – schadensgleiche – konkrete Vermögensgefährdung seiner Bank bereits im April 2003 vor und die später erfolgten Gutschriften hätten nur der
Schadensvertiefung gedient. Man hätte dann materiell-rechtlich von einer einheitlichen Tat auszugehen (vgl. auch BGHSt 47, 160, 168), die hier auch verfahrensrechtlich (§ 264 StPO) eine Tat darstellt und damit von der Anklage umfaßt ist.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Otten, Rothfuß, Roggenbuck, Appl
Fundstellen
Haufe-Index 2556689 |
BGHSt 2006, 147 |
BGHSt |
NJW 2005, 3008 |
BGHR |
NStZ 2005, 634 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2005, 2130 |
WuB 2006, 109 |
WuB 2006, 51 |
ZIP 2005, 1496 |
wistra 2005, 423 |
JA 2006, 12 |
GuT 2005, 227 |
StV 2005, 607 |
ZBB 2005, 375 |
LL 2006, 39 |